Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 13.02.2002

Untertitel: Wer wie ich zum ersten Mal in Ihr Haus kommt, der spürt, dass Sie hier Tradition und Moderne miteinander verbinden.
Anrede: Sehr geehrter Herr Präsident Plöger, meine sehr verehrten Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/48/69448/multi.htm


zunächst will ich mich bei Ihnen, die Sie heute an einem nicht ganz gewöhnlichen Tag gekommen sind, herzlich dafür bedanken, dass Sie mir und meiner Delegation einen so freundlichen, - ich sage auch - freundschaftlichen Empfang gewährt haben.

Wer wie ich zum ersten Mal in Ihr Haus kommt, spürt, dass Sie hier Tradition und Moderne miteinander verbinden. Sie setzen die gute Tradition deutschstämmiger Einwanderer nach Brasilien, die sich in vorbildlicher Weise in die Gesellschaft integriert haben, unter neuen, veränderten Bedingungen fort. Ich denke, das Haus, der Klub und alles, was damit zusammenhängt, sind ein sehr guter Beweis für diese Integrationsanstrengungen.

Die Kammer unter Leitung von Herrn Plöger hat wirklich Vorbildliches beim Zusammenführen von Brasilianern und Deutschen geleistet - übrigens nicht nur auf wirtschaftlichem Gebiet. Ich habe mich davon bei unserem Rundgang überzeugen können, dass Sie auch auf wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet stark die Zusammenarbeit in Ihre Überlegungen einbeziehen.

Die deutsch-brasilianischen Beziehungen sind außerordentlich vertrauensvoll und ohne Komplikationen. Gleichwohl: "Was gut ist, sollte man noch besser machen." Das ist der Grund, warum Präsident Cardoso und ich morgen einen Aktionsplan vorstellen werden, der die Weiterentwicklung unserer strategischen Partnerschaft in einem sehr umfassenden Sinne konzipiert.

Die große Verantwortung Brasiliens für den gesamten südamerikanischen Markt und weit darüber hinaus kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Sie ähnelt dem, was Deutschland an Verantwortung in Europa hat. Diese besondere Verantwortung, die wir für unsere jeweiligen Regionen haben, macht die Notwendigkeit enger Zusammenarbeit aus. Diese Zusammenarbeit muss sich natürlich insbesondere in wirtschaftlichen Fragen erweisen, aber sie muss auch weit darüber hinaus reichen.

In einer sich immer stärker globalisierenden Welt - ich meine damit nicht nur die Welt der Wirtschaft - gibt es diese besondere Verantwortung Brasiliens und Deutschlands, für mich jedenfalls, in zwei Bereichen, die weit über den engen Bereich der Wirtschaft hinausgehen.

Die erste Frage ist: Wie stellen wir gemeinsam die notwendige Sicherheit für unsere beiden Länder und für die Völker in unseren beiden Ländern her, und was können wir leisten, um im internationalen Maßstab Sicherheitszuwächse zu erreichen?

Kampf gegen organisiertes Verbrechen, gegen Terrorismus in jeder Form auf der Basis gemeinsamer Wertvorstellungen - nämlich Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte - , das ist es, was uns Brasilianer und Deutsche in grundsätzlichen Fragen, in den Fragen einer Werteordnung, miteinander verbindet.

Darüber hinaus geht uns gemeinsam an, wie wir verhindern, dass die sich globalisierende Welt in "Gewinner" und "Verlierer" aufgeteilt wird und die "Verlierer" die Ärmsten der Armen in dieser Welt sind. Das ist nicht nur eine Frage der gerechten Gestaltung der Ökonomie. Es wird vor allen Dingen mehr und mehr eine Frage der gerechten Verteilung von Bildungschancen.

Ich will Sie ausgerechnet am Aschermittwoch nicht zu lang mit programmatischen Erklärungen aufhalten. Aber vielleicht zeigen die wenigen Worte, die Präsident Plöger und ich gesagt haben, schon, wie ungeheuer groß das Feld von Gemeinsamkeiten bereits jetzt ist und wie viele Möglichkeiten es gibt, dieses Feld weiter zu entwickeln.

Um zum Schluss ein Beispiel zu nennen: Deutschland hat ein ungeheures Interesse daran, dass es endlich zu einer umfassenden Freihandelsregelung zwischen MERCOSUR auf der einen und Europa auf der anderen Seite kommt. Dieses Interesse darf nicht durch gelegentlich zu sehr in den Vordergrund gerückte Agrarinteressen konterkariert werden.

Wir Deutsche und Europäer verfolgen mit großer Aufmerksamkeit die regionalen Zusammenschlüsse und die entsprechenden Versuche, die es auf diesem Kontinent gibt. Natürlich verfolgen wir mit großer Aufmerksamkeit das, was in Bezug auf ein zu schaffendes Panamerika in Kanada diskutiert worden ist. Ich denke, es ist gegen niemanden gerichtet, wenn ich sage, dass die Aufmerksamkeit, die Brasilien zu Recht einer Nord-Süd-Achse angedeihen lässt, durch eine Achse von Westen nach Osten oder von Osten nach Westen ergänzt werden muss - eine Achse, die Europa genauso als ebenbürtigen Partner Brasiliens erscheinen lässt wie die Vereinigten Staaten von Amerika.