Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 01.03.2002

Untertitel: Ich möchte gerne deutlich machen, dass wir mit diesem Gesetzentwurf nicht die Hoffnung verbinden, dass damit die Debatte über Zuwanderung beendet sei.
Anrede: Meine sehr verehrten Damen und Herren!meiner Auffassung - ich denke, dies ist nicht nur meine Auffassung - erlauben sollte, dass dieser Gesetzentwurf, der heute beschlossen werden wird, seine Wirksamkeit erlangt. Um seine Wirksamkeit zu erlangen, brauchen wir nicht nur die Mehrheit des Deutschen Bundestages,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/45/71945/multi.htm


Frau Präsidentin!

Ich will nur wenige Bemerkungen zu dem machen, worum es mir und uns gegangen ist, als wir einen Kompromissvorschlag gemacht haben, der es nach sondern auch eine Mehrheit im Bundesrat. Ich möchte Ihnen gerne sagen, dass wir die Kompromisse, die wir geschlossen haben und die ganz unbestreitbar sind, nicht nur deswegen gemacht haben, um Ihnen im Bundestag, sondern natürlich auch, um den Landesregierungen im Bundesrat die Zustimmung zu ermöglichen.

Ich möchte gerne deutlich machen, dass wir mit diesem Gesetzentwurf nicht die Hoffnung verbinden - ich jedenfalls nicht, Herr Bosbach - , dass damit die Debatte über Zuwanderung beendet sei, egal ob im Wahlkampf oder außerhalb des Wahlkampfes. Diese Debatte kann man nicht mit einem Gesetz beenden. Das liegt doch auf der Hand. Die Diskussion über die Fragen, die unser Volk und damit uns angehen, wird also weitergehen. Ich hoffe, dass sie in einer sachlichen Atmosphäre geführt werden kann. Dem, der seine Angst darüber zum Ausdruck bringt, wir wollten eine Diskussion beenden, die dann von Rechtsradikalen weitergeführt werden könnte, muss ich sagen: Diese Angst ist unberechtigt. Die Demokraten in diesem Land werden diese Debatte miteinander führen. Ich hoffe, sie führen sie sachlich.

Zweite Bemerkung: Der Gesetzentwurf, der Ihnen vorliegt, stellt eine sorgfältige Balance zwischen dem, was für unser Land wirtschaftlich geboten ist, und dem, was wir humanitär um unser selbst willen realisieren müssen, dar. Diese Balance kommt zum Beispiel dadurch zum Ausdruck, dass wir es für richtig halten, dass Frauen - auch wenn sie nicht staatlich verfolgt sind - , die Angst haben, verstümmelt zu werden, die um Leib und Leben fürchten müssen, wie wir das in Afghanistan und anderswo erlebt haben, bei uns Zuflucht finden können. Wer wollte dem ernsthaft widersprechen?

Das, was in diesem Gesetzentwurf geregelt wird, geht ausdrücklich nicht über jene Grundsätze hinaus, die in der Genfer Flüchtlingskonvention niedergeschrieben sind. Deshalb bitte ich Sie, zu akzeptieren, dass dies zwar unserer humanitären Verpflichtung genügt, ihr aber nur dann gerecht wird, wenn wir eine solche Fassung des Gesetzentwurfes verabschieden und miteinander dafür sorgen, dass dieser Gesetzentwurf Wirklichkeit wird.

Zum wirtschaftlich Gebotenen gehört auch, der Forderung nach mehr Internationalität in unserer Gesellschaft - auch um unserer wirtschaftlichen Entwicklung willen - ebenso gerecht zu werden wie den Vorrang aufrechtzuerhalten, dass es auf dem Arbeitsmarkt natürlich zuerst um diejenigen geht, die bei uns als Deutsche Arbeit suchen. Aber der Gesetzentwurf stellt genau diese Balance her. Deswegen ist er zustimmungsfähig und - so hoffe ich - wird Gesetz werden.

Wir stehen nicht vor der Alternative, ob wir Zuwanderung bekommen oder nicht. Wir haben sie doch in den ganzen Jahrzehnten gehabt. Die Alternative, die sich uns bietet, lautet: Wollen wir mit einem Gesetz Zuwanderung sinnvoll begrenzen, unsere ökonomischen Interessen wahren und unsere humanitären Verpflichtungen erfüllen? Oder wollen wir es weiter so laufen lassen, wie es bisher gelaufen ist?

Ich denke, wer Verantwortung für Deutschland wahrnehmen will oder wahrnimmt, der muss ein Interesse daran haben, dass wir den Prozess, den wir - ob wir ihn nun wahrnehmen wollen oder nicht - in der Wirklichkeit haben, endlich sinnvoll steuern. Dazu gehört natürlich auch, dass wir ihn begrenzen können.

Ich komme zu meiner letzten Bemerkung. Ich habe die herzliche Bitte, dass in den folgenden Wochen bis zur Bundesratsentscheidung weiterhin über die Inhalte des Gesetzes geredet wird. Es darf aber nicht dazu kommen - ich will dies jedenfalls nicht - , dass der Bundesrat als ein Ort missbraucht wird, an dem ein Zweikampf zwischen dem Kandidaten und dem Bundeskanzler stattfindet; darum geht es nicht. Nach dem, was geschrieben wurde - ich habe es mir angeschaut - , mache ich mir Sorgen, dass in den nächsten Tagen und Wochen nicht mehr über das Gesetz, sondern nur noch über die Frage, wer bei der Abstimmung im Bundesrat gewinnt oder nicht, geredet wird. Das würde dem Gesetz nicht gerecht werden.

All denjenigen, die davor Angst haben, sage ich: Ich glaube nicht, dass die Bundestagswahl am 22. September durch die Entscheidung im Bundesrat - unabhängig davon, welche Landesregierung zustimmt oder nicht - in der einen oder anderen Weise vorentschieden wird. Mir liegt daran, aus dieser personalisierten Auseinandersetzung herauszukommen. Sie müssen sich im Übrigen keine Sorgen machen. Diese Form der Auseinandersetzung - auch eine sehr personalisierte - wird es geben. Davor haben wir nicht die geringste Angst. Seien Sie sich dessen ganz sicher.

Ich fände es aber falsch, wenn die Wirksamkeit dieses Gesetzes, das ich in des Wortes wahrster Bedeutung für notwendig halte, davon abhinge, wer bei der Abstimmung im Bundesrat als Person gewinnt. Das möchte ich vermeiden. Deshalb bitte ich darum und appelliere an Sie, heute diesem notwendigen Gesetz zuzustimmen und alles dafür zu tun, dass in den nächsten Tagen und Wochen über die Inhalte geredet und die Auseinandersetzung in der zweiten Kammer nicht für andere Zwecke missbraucht wird.