Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 20.03.2002
Untertitel: "Unser deutsches Luftverkehrssystem funktioniert nicht nur, es ist modern und leistungsfähig. Dieses System wollen wir wettbewerbsfähig erhalten und ausbauen..."
Anrede: Sehr geehrter Herr Henkel, sehr geehrter Herr Dr. Weber, meine Damen und Herren Abgeordnete, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/07/73207/multi.htm
Dies ist zwar erst der erste deutsche Luftverkehrskongress, aber ich bin ziemlich sicher, dass weitere folgen werden und diese Veranstaltung eine feste Größe im Kongresskalender werden wird. Denn eigentlich hätte es ihn schon längst geben müssen, macht es doch Sinn, die Kräfte und Interessen aller am Luftverkehr Beteiligten zu bündeln.
Ein funktionierendes Luftverkehrssystem, das muss ich vor diesem Forum nicht besonders betonen, ist für eine Volkswirtschaft und eine Gesellschaft wie die unsere unverzichtbar. Und unser deutsches Luftverkehrssystem funktioniert nicht nur, es ist darüber hinaus modern und leistungsfähig. Dieses System wollen wir wettbewerbsfähig erhalten und ausbauen.
Dabei ist folgendes wichtig:
Wir setzen auf Mobilität. Mobilität ist ein unverzichtbares Element in einer globalen Weltwirtschaft. Um Mobilität zu erhalten und auszubauen, brauchen wir die bessere Vernetzung der Verkehrsträger. Dazu gehören intelligente Verkehrskonzepte, die alle Verkehrsträger berücksichtigen.
Flughäfen zum Beispiel müssen besser in das Gesamtverkehrsnetz integriert werden. Dabei gibt es für die Vernetzung von Luft- und Bahnverkehr bereits erfolgreiche Ansätze, die ausgebaut werden müssen.
Und ebenfalls keine Frage: Engpässe in der europäischen Flugsicherung müssen beseitigt werden. Nur so kann es gelingen, das Verkehrswachstum zu bewältigen.
Die Wachstumsdynamik im Luftverkehr hat nach dem 11. September zwar kurzfristig nachgelassen, doch die langfristigen Prognosen sind weiterhin gültig. Und sie stimmen zuversichtlich.
Wir rechnen bis 2020 mit einer jährlichen Zunahme von 5 Prozent bei den Fluggästen und 7 Prozent beim Frachtaufkommen. Insbesondere für die Entwicklung des Luftfrachtaufkommens sind die Aussichten gut. Teilweise werden sogar zweistellige Zuwachsraten erwartet.
Um Mobilität auch bei diesen Wachstumsraten zu erhalten, muss die Infrastruktur umweltverträglich ausgebaut werden.
Die zuverlässige Transportabwicklung hochwertiger und zeitkritischer Güter über deutsche Flughäfen ist wichtig für die Wettbewerbsposition deutscher Unternehmen.
Ich kenne hier sehr wohl die Erwartungen und die Forderung an den Verkehrsminister, die Flughäfen in den Bundesverkehrswegeplan aufzunehmen.
Tatsächlich spielen die Flughäfen bei der Verkehrswegeplanung eine immer größere Rolle. Jedoch kann es primär nicht darum gehen, bestehende Zuständigkeiten zu ändern.
Der Bund sieht seine Aufgabe zuallererst darin, die Verkehrsanbindung bedarfsgerecht zu erweitern.
Darum wollen wir mit dem neuen "Zukunftsprogramm Mobilität" bis 2010 insgesamt 90 Milliarden Euro für den Ausbau und die Modernisierung der Verkehrswege ausgeben. Dadurch werden wir unsere Infrastruktur bedarfsgerecht und auf hohem Niveau ausbauen.
Zum anderen müssen die Flughäfen aber auch die Chance behalten, ihre Kapazitäten maßvoll zu erweitern. Denn der Ausbau eines Flughafens schafft immer auch Arbeit und Beschäftigung. Dabei gibt es in einem Punkt kein Vertun: Umweltbelastungen müssen reduziert werden. Die vorhergesagte Zunahme des Luftverkehrs verlangt, dass wir im Interesse der Anwohner an Flughäfen den Lärmschutz verbessern. Außerdem gilt es, die Emission des Treibhausgases CO2 zu vermindern.
Um diese Ziele möglichst schnell zu erreichen, brauchen wir weiteren technischen Fortschritt. So sind in den vergangenen 30 Jahren die Lärmemissionen der Flugzeuge bereits deutlich gesenkt worden.
Wir brauchen auch in Zukunft weitere technische Innovationen, um dem berechtigten Schutz der Bevölkerung vor Umweltbelastungen Rechnung tragen zu können. Und wir brauchen sie, um den Luftverkehr in Deutschland weiter entwickeln zu können.
Denn der Luftverkehr ist und bleibt eine Wachstumsbranche. Er ist Wegbereiter wie Ergebnis der Globalisierung. Und er ist integraler Bestandteil der Wertschöpfungsketten.
Und dann ist mir wichtig zu betonen, dass wir Sorge tragen für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Luftverkehrsunternehmen, unserer Flughäfen und unserer Luftfahrtindustrie.
Der 11. September hat auf keine Branche solche Auswirkungen gehabt wie auf die Luftfahrt. Bei allen Fragen, die sich auf die Folgen des 11. September beziehen, gilt für uns als Richtschnur: Wir wollen Wettbewerbsverzerrungen verhindern.
Wettbewerbsaspekte sind wesentlich, wenn es um eine Verlängerung der staatlichen Garantieerklärung für Schäden aus Terroranschlägen und wenn es um Prämienzahlungen geht.
Die schrecklichen Terroranschläge dürfen nach meiner festen Überzeugung nicht zum Vorwand für unzulässige Beihilfen genommen werden. Politisches Ziel ist und bleibt die Rückkehr zu privatwirtschaftlichen Lösungen.
Und schließlich: Wir erhöhen die Sicherheit im Luftverkehr. Luftverkehr findet seit dem 11. September unter ganz anderen Vorzeichen statt.
Wir haben die Herausforderung angenommen und arbeiten sowohl auf internationaler als auch auf europäischer Ebene an erhöhten einheitlichen und verbindlichen Sicherheitsstandards. Es gibt keinen Grund, wegen der Herausforderung durch den internationalen Terror weniger mobil zu sein, also nicht mehr zu fliegen.
Meine Damen und Herren,
wo sehen wir zusätzlichen Handlungsbedarf?
Wir müssen weiterhin technische Innovationen fördern und anwenden. Die Bundesregierung hat sich eindeutig für das europäische Satelliten-Navigations-System "Galileo" ausgesprochen. Dieses System könnte sich zu einer der Schlüsseltechnologien der Zukunft entwickeln. Aus Sicht der Luftfahrtindustrie ist dieses Projekt unverzichtbar. Auch die Bundesregierung unterstützt die Pläne der Europäischen Kommission für die Entwicklungsphase von "Galileo".
Allerdings gehen wir nach wie vor davon aus, dass die Kommission privates Kapital für das System einwirbt. Die Realisierung verlangt zwingend ein finanzielles Engagement von Industrie und Wirtschaft. Schließlich handelt es sich bei "Galileo" um ein System, das ein breites Anwendungsfeld für vielfältige Dienste bietet und der Wirtschaft neue Potentiale eröffnet.
Meine Damen und Herren,
die Bundesregierung ist angetreten, Deutschland zu modernisieren und international wieder wettbewerbsfähig zu machen. Die Fortschritte, die wir dabei erzielt haben, können sich sehen lassen. Darum werden wir unseren Weg fortsetzen. Denn unser Land hat ohne Internationalität und Weltoffenheit keine Zukunftsperspektive.
Sie alle, die Sie an diesem Luftfahrtkongress teilnehmen, wissen nur zu gut um die Bedeutung von Internationalität für Austausch, Handel und Tourismus.
Darum will ich gerade hier unterstreichen, welche historische Gelegenheit sich für unser Land durch das vom Bundestag beschlossene Gesetz zur Steuerung und Begrenzung gewollter Zuwanderung ergibt.
Die Zuwanderung von hochqualifizierten Fachkräften erhöht das Wachstumspotential der deutschen Wirtschaft und trägt zum Aufbau von Beschäftigung bei. Die Green-Card für IT-Fachkräfte hat uns gezeigt, dass dies der richtige Weg ist.
Statistisch gesehen hat jeder der bisher fast 11.000 Green-Card-Empfänger zwei bis drei weitere Arbeitsplätze für Menschen in Deutschland geschaffen. Gerade deshalb halte ich es für richtig, die Entscheidung über ein modernes Zuwanderungsrecht jetzt herbeizuführen.
Ich appelliere an die Vernunft, auch und gerade an die ökonomische Vernunft der Bundesländer, dem Gesetz im Bundesrat zuzustimmen.
Meine Damen und Herren,
Ziel unserer gemeinsamen Anstrengungen muss sein, die Wachstumskräfte der Wirtschaft dauerhaft zu stärken. Die Bundesregierung hat mit ihrer Steuer- und Haushaltspolitik einen entscheidenden Beitrag geleistet.
Wir haben damit begonnen, den gewaltigen Schuldenberg der öffentlichen Hand abzutragen. Wir verringern Jahr für Jahr die Neuverschuldung des Bundes und verbessern dadurch die Handlungsfähigkeit des Staates.
Ein konsequenter Konsolidierungskurs ist die zwingende Voraussetzung für nachhaltiges Wachstum der Wirtschaft.
Wir geben dadurch dem Kapitalmarkt positive Signale, ermöglichen niedrige Zinsen und erleichtern so die Kreditfinanzierung für Unternehmen - was nicht zuletzt dem Mittelstand zugute kommt.
Und nicht zu vergessen: Wir werden unserer Verantwortung gegenüber den nachfolgenden Generationen gerecht. Der drückende Schuldenberg lastet wie eine schwere Hypothek auf unseren Kindern und Enkeln. Damit die Zinsbelastung für unsere Kinder nicht ins Unermessliche steigt, damit auch sie später einmal ihr politisches und gesellschaftliches Leben nach ihren eigenen Vorstellungen organisieren können, darum müssen wir jetzt den Schuldenabbau vorantreiben.
Und deswegen hat Hans Eichel auch meine volle Unterstützung, wenn er sich für einen nationalen Stabilitätspakt einsetzt.
Meine Damen und Herren,
dem Prinzip der Nachhaltigkeit ist auch unsere Steuerpolitik verpflichtet. Wir haben die größte Steuerentlastung in der Geschichte unseres Landes beschlossen und umgesetzt. Wir haben Schluss gemacht mit der unheilvollen Praxis immer neuer Jahressteuergesetze. Mit den beschlossenen Entlastungsstufen 2003 und 2005 schaffen wir für Unternehmen und für Arbeitnehmer Verlässlichkeit und Planungssicherheit.
Und wir haben mit unserer Steuerreform einen vernünftigen Ausgleich hergestellt zwischen der Verbesserung der Angebotsseite und der Stärkung der Nachfrageseite.
Durch die Unternehmensteuer-Reform verfügen wir endlich wieder über international konkurrenzfähige Steuersätze. Steuersätze übrigens, die niedriger sind als in den meisten Staaten der USA.
Wie nötig das war, lässt sich daran ablesen, dass sich die ausländischen Direktinvestitionen in Deutschland seit 1998 verzehnfacht haben.
Wir haben mit unserer Steuerreform die Wettbewerbsposition der großen Kapitalgesellschaften und der exportorientierten Unternehmen gestärkt.
Aber wir entlasten bis zum Jahr 2005 insbesondere die kleinen und mittleren Unternehmen durch die Neugestaltung des Steuertarifs und den faktischen Wegfall der Gewerbesteuer um rund 16 Milliarden Euro. Der Mittelstand gehört also zu den Gewinnern unserer Steuerreform.
Ich kann deshalb nur davor warnen, wenn andere jetzt darüber fabulieren, Entlastungen für die Kapitalgesellschaft zurückzunehmen. Wer glaubt, Kapitalgesellschaften gegen Personengesellschaften ausspielen zu müssen, der gefährdet die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft, der gefährdet Arbeitsplätze.
Meine Damen und Herren,
nicht nur für die Luftfahrt sind die Perspektiven positiv. Auch für die Gesamtwirtschaft stehen nach einer vorübergehenden Phase der Wachstumsabschwächung alle Zeichen wieder auf Aufschwung.
Die wichtigsten Kennziffern im In- und Ausland signalisieren eine Erholung der Wirtschaft. Das Geschäftsklima hat sich verbessert. Die Aufträge in der Industrie haben deutlich zugenommen.
Die Weltwirtschaft kommt wieder auf Touren. Die Wachstumsaussichten für Europa und insbesondere für Deutschland geben Anlass zum Optimismus.
Es kommt jetzt darauf an, die Wachstumskräfte zu fördern und zu stärken. Dazu brauchen wir Tarifabschlüsse, die dem Gebot gesamtwirtschaftlicher Vernunft folgen. Und wir brauchen Mobilität.
Dass wir an unserer Mobilitätsoffensive weiter gemeinsam arbeiten, ist mein Wunsch und meine Erwartung.
Ich danke Ihnen.