Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 14.04.2002
Untertitel: In dem Interview äußert sich Bundeskanzler Schröder zum mutmaßlichen Anschlag auf Djerba und zu aktuellen innen- und außenpolitischen Themen.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/03/76203/multi.htm
Frage ( Peter Hahne ) : Bevor wir uns über den Aufbau Ost, über Arbeitslosigkeit und Konjunktur... unterhalten, erst einmal das Thema, das alle am Sonntagabend bewegt: Die schwere Explosion auf der tunesischen Ferieninsel Djerba mit 16 Toten, inzwischen elf Deutsche darunter. Man kann, glaube ich, inzwischen von einem Anschlag ausgehen. Müssen wir künftig Angst haben vor Terror, wenn wir als deutsche Urlauber ins Ausland fahren?
Antwort: Zunächst einmal: Ich denke, das waren Menschen, die einfach nur fröhlich sein wollten, die sich erholen wollen - und dann dieses Grauen. Ich glaube, dass jeder unendliches Mitgefühl mit den Opfern, mit den Angehörigen der Toten hat und haben muss, und daraus auch der feste Wille erwachsen muss, alles zu tun, um erstens das, was abgelaufen ist, abzuklären und zweitens, wenn es ein Anschlag gewesen sein sollte - was gegenwärtig nicht sicher feststeht, es gibt Anzeichen, es gibt auch gegenteilige Erklärungen der tunesischen Behörden - , dann werden wir alles in unserer Macht stehende tun, um die Menschen, die so etwas tun, zu fangen und auf Dauer hinter Gitter zu bringen.
Frage: Am Montag wird also auf EU-Ebene darüber gesprochen, wie man dem Nahen Osten Frieden bringen kann. Auf den Punkt gebracht: Wenn das nur nach dem Motto möglich wäre "Frieden schaffen mit UNO-Waffen", sind dann deutsche Soldaten dabei?
Antwort: Aus dem, was ich gesagt habe vor der Bundeswehr - wenn man nur hingehört hätte und nicht hätte damit Parteipolitik machen wollen - , war zu schließen, dass ich selber es gewesen bin, der, was Deutschland angeht, nicht prinzipiell das ausschließen mag, will und darf, aber sehr wohl darauf hingewiesen hat, dass es hier etwas Historisches zu beachten gibt, das zu einem ganz spezifischen Verhältnis zwischen Israel und Deutschland geführt hat. Diese Sensibilitäten darf man politisch nicht außer Acht lassen, und darauf habe ich auch hingewiesen und dabei bleibt es auch.
Frage: Ein anderes heißes Eisen im Kampf gegen den Terror: Wenn es gegen den Irak, gegen Saddam Hussein ginge, will Blair 100 Prozent mitziehen... Gilt das auch für Schröder?
Antwort: Wissen Sie, zunächst einmal haben wir ein gemeinsames Interesse - sowohl der amerikanische Präsident als auch der englische Premier, der deutsche Bundeskanzler, aber auch die anderen europäischen Partner, und ( das ist ) darüber hinaus in den Gesprächen mit dem chinesischen ( und ) russischen Staatspräsidenten deutlich geworden - , und das Interesse heißt: Saddam Hussein, der Irak hat zu befolgen, was die Vereinten Nationen ihm auferlegt haben. Und das ist vor allen Dingen die Notwendigkeit, die internationalen Beobachter ins Land zu lassen, sie unbeschränkt arbeiten zu lassen, damit kontrolliert werden kann, ob der Irak über Massenvernichtungsmittel verfügt oder nicht. Das ist der Auftrag der Vereinten Nationen. Den hinzubekommen, das eint alle diejenigen, die Sie angesprochen haben. Über weitergehende Maßnahmen ist nichts entschieden. Und wir haben deutlich gemacht, dass es insbesondere darauf ankommt in der sehr sensiblen Situation im Nahen Osten, die internationale Koalition gegen den Terror unter Einschluss der wichtigen arabischen Staaten beisammen zu halten. Das ist unser gemeinsames Ziel, das haben wir auch am Samstag besprochen und noch einmal wieder bestätigt. Über weitergehende Maßnahmen hat weder der amerikanische Präsident noch der britische Premier entschieden.
Frage: Die Bundeswehr ist aber, so hat man den Eindruck, weltweit im Einsatz. Was kann man der Bundeswehr noch zumuten? Auf der Kommandeurtagung, kaum waren Sie weg, da gab es massivste Kritik der militärischen Führung an der Politik.... Was antworten Sie den Generälen?
Antwort: Ich antworte, dass das gilt, was die Politik entschieden hat - im Übrigen beraten durch die militärische Führung. Natürlich will eine Institution immer etwas mehr Geld haben, als zur Verfügung steht. Nur, Politik hat darauf zu achten, dass begrenzte Haushaltsmittel so eingesetzt werden, dass es insgesamt vertretbar ist - und das heißt eben, dass man unterschiedliche Anforderungen übereinander und zueinander bringen muss. Das ist die Kunst von Politik, und die wird gepflegt insbesondere von uns. Wir haben deutlich gemacht, dass nach unserer Auffassung, weil die Bundeswehr in einem Reformprozess ist, das Maß an zumutbaren Belastungen in internationalen Einsätzen erreicht ist und dass, wenn wir uns anderswo engagieren, was gegenwärtig nicht ansteht, wir in anderen Teilen begrenzen müssen. Das hat schlicht mit dem Umstrukturierungsprozess der Bundeswehr zu tun. Im Übrigen, das muss man einmal dick unterstreichen, leistet die Bundeswehr eine erstklassige Arbeit. Das wird von niemandem bestritten. Die Bundeswehr leistet diese Arbeit auf dem Balkan, in Afghanistan und trägt damit erheblich zur Stabilisierung der internationalen Lage bei. Aber ich habe deutlich gemacht, dass es um die Diskussion, um die Frage ging, wer in Afghanistan im Anschluss an die Briten Lead Nation wird, dass wir das in der jetzigen Situation, mitten in einem Umstrukturierungsprozess, nicht können, und die Gründe liegen auf der Hand.
Frage: Sie wollen künftig ein eigenes Europaministerium. Wäre das nicht ein ganz großer Wurf vor der Wahl gewesen, das jetzt noch zu machen, oder haben Sie Angst vor dem Koalitionspartner?
Antwort: Nein, es geht da nicht um Angst, es geht auch nicht um kleinkariertes Hickhack und um Auseinandersetzungen zwischen mir und Herrn Fischer, die es übrigens nicht gibt. Alles, was in der Bundesregierung in außen- und sicherheitspolitischen Fragen gemacht wird, wird von uns beiden miteinander besprochen. Das galt im Übrigen auch für den Sieben-Punkte-n, den ich natürlich vorher gekannt habe. Aber auf die Frage eines Generals ausweichend zu antworten und dann zu erleben, dass einen Tag später eine konkretere Antwort, im Einvernehmen übrigens zwischen beiden kommt, das wäre nicht angemessen im Umgang mit den Kommandeuren der Bundeswehr gewesen. Das war der einzige Hintergrund - und nicht der, ( den ) ein paar kleinkarierte Koalitionäre oder gar die Opposition dahinter vermutet hat. Nein, was den Europaminister angeht, ist keine Eile. Wir haben einen Plan vorliegen, und zwar den von Herrn Solana. Der hat Vorschläge gemacht, wie man europäische Koordination verbessern kann. Und Herr Solana selber, also der Hohe Beauftragte und der Generalsekretär des Rates, hat diese Vorschläge gemacht, und da steht mittendrin, dass er meint, dass man einen Europaminister brauchte, weil es sich zeigt, dass zu viel sonst bei den Chefs und bei den Außenministern im allgemeinen Rat landet. Wo man diesen Europaminister, mit eigenen Kompetenzen und Kabinettszugang, ansiedelt - ob nach französischem Muster beim Außenministerium, da ist das nämlich der Fall, oder ob das sinnvollerweise beim Regierungschef geschieht - , das ist zu diskutieren.
Frage: Was wollen Sie denn konkret tun, damit die Konjunktur im Osten nach oben geht? Am Montag stellen Sie ja als SPD-Vorsitzender Ihr Wahlprogramm vor. Was steht denn da Neues dazu drin?
Antwort: Zunächst einmal ist es so, dass mit dem "Solidarpakt II" - also mit 156 Milliarden Euro, 300 Milliarden D-Mark in der alten Rechnung - bis 2019 die Basis für die Infrastrukturentwicklung gelegt ist. Wenn Sie darauf hinweisen, dass diese, im Übrigen nicht sehr repräsentative Umfrage des DIHK, sagt, dass bestimmte ostdeutsche Städte nach anderen in Westdeutschland rangieren, ist das zwar richtig, aber nicht verwunderlich. In zwölf Jahren ist natürlich eine Menge gemacht worden, man bräuchte sich die Städte ja nur anzuschauen. Aber natürlich gibt es noch Nachholbedarf in der Infrastruktur. Wäre das anders, brauchte man die 156 Milliarden Euro in den nächsten 15 - 18 Jahren ja auch nicht auszugeben. Aber weil wir sie ausgeben und dass wir sie ausgeben, zeigt, dass wir in der Infrastrukturfrage vorankommen. Zweiter Punkt, ich habe dort in vielfacher Weise erlebt, insbesondere in Sachsen Anhalt, wie junge, neugegründete, aber auch alte Universitäten es schaffen, Wissen, das sie haben - übrigens in Fachhochschulen auch - in die ausgegründeten Unternehmen zu transportierten, um auf diese Weise neue Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen. Das haben wir und das werden wir weiter massiv unterstützen. Und das Dritte ist, wir müssen die Frage der Ausbildungsnot von Jugendlichen auch weiter mit massiver staatlicher Hilfe lösen. Wir geben jährlich zwei Milliarden D-Mark aus, damit niemand, der von der Schule kommt, ohne einen Ausbildungsplatz dasteht. Aber das reicht nicht. Auch die Wirtschaft, die die Ausbildung ja braucht und die ausgebildete Menschen braucht, muss ihren Teil dazu beitragen.
Frage: Aber ausgerechnet im Konjunkturtief, ausgerechnet im Wahlkampf, kommen die Gewerkschaften mit hohen Lohnforderungen, was durchaus einen heißen Streiksommer bedeuten könnte. Unterstützen Sie Ottmar Schreiner, sozusagen den höchsten SPD-Arbeitnehmer, der die Gewerkschaften noch am Samstag ausdrücklich darin unterstützte?
Antwort: Nein. Ich glaube, man muss wissen, eine Forderung ist eine Forderung, und ein Abschluss ist etwas Anderes. Wir können alle zusammen mit Fug und Recht - das erweist die Gewerkschaftsgeschichte in der Bundesrepublik - darauf vertrauen, dass die Tarifparteien immer noch einen gesamtwirtschaftlichen, vernünftigen Abschluss zustande gebracht haben, und dass eine Forderung nicht der Abschluss ist, das ist nun schlicht eine Binsenweisheit. Ich bin ganz sicher, unabhängig von Redebeiträgen weiß das auch Herr Schreiner. Im Übrigen, in den Punkten, wo er sich von mir unterscheidet, in denen wird die Frage schlicht sein, wessen Wort gilt. Und das ist in der SPD immer noch so geregelt, dass das Wort des Vorsitzenden, des Bundeskanzlers gestützt durch das Präsidium der SPD, gilt und das wird sich auch erweisen.
Frage: Ein letzter Satz zu Sachsen-Anhalt: Was sagt der SPD-Vorsitzende, wenn Rot-Rot nur mit einem PDS-Ministerpräsidenten möglich wäre?
Antwort: Der sagt Ihnen, das werden Sie erleben, dass es das nicht gibt.
Quelle: Fernseh- und Hörfunkspiegel I ( Inland ) vom 15. 04. 2002 des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung