Redner(in): Julian Nida-Rümelin
Datum: 17.04.2002

Untertitel: In der Aktuellen Stunde des Bundestages hat Kulturstaatsminister Nida-Rümelin die Haltung der Bundesregierung zum Insolvenzantrag der Kirch-Media AG dargestellt.
Anrede: Meine sehr geehrten Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/60/76760/multi.htm


obwohl es verführerisch ist, die Kirch-Insolvenz auch für vordergründige Polemiken zu nutzen, muss sie uns vor allem Anlass dazu sein, die Medienordnung in Deutschland, in Europa und auch im globalen Zusammenhang kritisch auf den Prüfstand zu stellen. Schon seit Monaten führen wir im Rahmen der Europäischen Union eine Diskussion über die Prinzipien einer europäischen Medienordnung. So wird etwa die Fernsehrichtlinie novelliert werden, was Auswirkungen auf die Medienlandschaft in Deutschland haben wird.

Ich beschränke mich auf einige wesentliche Thesen, die ich zur Diskussion über die Konsequenzen aus der Kirch-Insolvenz beisteuern möchte und die wegen des Sachzusammenhanges zum Teil über den Zuständigkeitsbereich des Bundes hinausgehen. Die gegenwärtigen Zuständigkeiten für Kontrolle und Aufsicht sind in Deutschland unübersichtlich. Wir hatten Mühe genug, etwa im Bereich des Jugendschutzes eine tragfähige Lösung zu finden, die von den Ländern und dem Bund gemeinsam verantwortet werden kann.

Die erste These: Die Kirch-Insolvenz ist ein Warnsignal im Hinblick auf die Verflechtung von politischen und medienpolitischen Interessen einerseits und medienwirtschaftlichen Privatinteressen andererseits.

Über die Details wird in den nächsten Wochen noch diskutiert werden. Aber es steht ganz außer Frage, dass es eine enge Verflechtung gibt - welche Rolle die Bayerische Landesbank dabei gespielt hat, darüber wird noch diskutiert werden - und dass die risikofreudige Strategie von Kirch auch mit dieser Verflechtung zu tun hat. Dass er entsprechende politische Rahmenbedingungen vorgefunden hat, die ihm erst sein risikofreudiges Verhalten in diesem Umfange ermöglicht haben, steht für mich jedenfalls außer Frage. Hier stellt sich natürlich die Anschlussfrage, welches die Konsequenz daraus sein kann. Eine Konsequenz, über die wir diskutieren müssen - wie gesagt, es ist Sache der Länder, das dann politisch zu realisieren - , läuft auf die Frage hinaus, ob in der gegenwärtigen Struktur der Medienordnung der Bundesrepublik Deutschland nicht aufgrund von Standortkonkurrenz das öffentliche Interesse an Medien- und Meinungsvielfalt sowie an hinreichend viel politischer und kultureller Berichterstattung in unserem Land unterlaufen wird und wir die Instrumente, die im Rahmen der Medienaufsicht der Länder zur Verfügung stehen, erst dann wirksam zum Einsatz bringen können, wenn die Zuständigkeiten der Länder stärker koordiniert sein werden. Das geht bis hin zu einer gemeinsamen, koordinierten Medienaufsicht der Länder gegenüber den verschiedenen privaten Rundfunkveranstaltern.

Die zweite These: Für mich liegt auf der Hand, dass wir alles tun müssen, damit Deutschland vielleicht kein gutes - viele wünschen sich ein besseres - , aber zweifellos das beste frei empfangbare Fernsehsystem der Welt behält. Diese Tatsache hängt ganz eng damit zusammen, dass wir einen starken öffentlich-rechtlichen Hörfunk und ein starkes öffentlich-rechtliches Fernsehen haben. Wir müssen alles tun, damit der öffentlich-rechtliche Sektor nicht marginalisiert wird.

Man stelle sich einmal die schlimme Vision einer Marginalisierung des öffentlich-rechtlichen Sektors vor und bedenke dabei, dass das Internet eine immer größere Rolle spielt - Stichwort Konvergenz - und die öffentlich-rechtlichen Sender dort wenig Spielräume haben und dass es deutliche Warnsignale im Hinblick auf eine Überalterung der Zuschauer gibt. Ferner ist hier an eine Werbevermüllung des frei empfangbaren privaten Fernsehangebots zu denken. Noch sind wir nicht so weit; aber wir diskutieren über eine weitgehende Liberalisierung der Werbemöglichkeiten privater Anbieter im frei empfangbaren Fernsehen. Damit ginge eine geringere Attraktivität des frei empfangbaren Fernsehens einher, was zugegebenermaßen die von manchem wirtschaftlich gewünschte Folge hätte, dass das Pay-TV entgegen der jetzigen Situation wirtschaftlich attraktive Perspektiven böte.

Pay-TV ist gegenwärtig deswegen wenig attraktiv für die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, weil es hier ein so gutes frei empfangbares Fernsehangebot gibt. Das hat sich Kirch offensichtlich falsch ausgerechnet.

Eine Entwicklung in der Richtung, wie sie etwa in den Vereinigten Staaten von Amerika oder auch in Italien zu beobachten ist, wo das frei empfangbare Fernsehen ein Niveau erreicht hat, das einen nachdenklich stimmen muss - wer das einmal erlebt hat, wird mir sofort zustimmen - , ist meiner Meinung nach nicht wünschenswert.

Die dritte Debatte, die wir meiner Meinung nach führen müssen, befasst sich mit der Frage, wie viel Markt mit hinreichend viel Struktur vereinbar ist. Ich sage das bewusst so abstrakt. Es gilt, ein Spannungsverhältnis zwischen den von allen - auch von allen Ökonomen - anerkannten nivellierenden Tendenzen eines globalen Medienmarktes einerseits und dem Ziel globaler kultureller Vielfalt einschließlich nationaler Identitäten andererseits zu bewahren. Daran, dass es dieses Spannungsverhältnis gibt, lässt sich nicht rütteln. Merkwürdigerweise wird diese Diskussion in Frankreich, Italien, den anderen südeuropäischen Ländern und in Südamerika sehr viel intensiver geführt als bei uns. Aber auch wir müssen diese Diskussion führen. Es kann schließlich nicht die Rede davon sein, dass die Produkte, die von den Medienunternehmen angeboten werden, lediglich private Güter im Sinne der Ökonomie bzw. privat konsumierbare Güter sind, sondern es geht dabei offensichtlich auch - nicht nur, aber auch - um öffentliche Güter, etwa das Bildungsniveau in der Bundesrepublik Deutschland und das Maß der Informiertheit über politische Vorgänge. Ein völlig unpolitisches, reines Unterhaltungsprogramm ist selbst Politik. Es trägt nämlich zur Entpolitisierung bei. Deswegen kann es auf der einen Seite - auch im Hinblick auf Regionen, die wirtschaftlich weit schwächer sind als die Bundesrepublik Deutschland - nicht sakrosankt sein, darüber zu diskutieren, wie wir Staatsferne sichern können. Das kann auch für uns aktuell werden, wenn Berlusconi doch noch versucht, bei uns einzusteigen und die bestehende Situation auszunutzen. Es geht nicht an, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland Staatsferne gesichert haben - wobei ich mir vorstellen kann, dass die Staatsferne noch deutlicher gemacht und auch noch stärker in das System unserer Medienordnung implementiert werden kann, als dies gegenwärtig der Fall ist - und dass dann von ausländischer Seite ein Ministerpräsident dieses Gebot der Staatsferne unterläuft.

Auf der anderen Seite müssen wir darauf achten, dass Regionen - insbesondere solche, die wirtschaftlich schwächer sind; die Bundesrepublik Deutschland stellt, wie gesagt, nicht das führende Beispiel dar - nicht von international agierenden Medienkonzernen ihrer kulturellen Identität beraubt werden. Dass dies ein schwieriger Balanceakt ist, ist mir bewusst. Deswegen stellt es auch kein Vergehen gegen den Geist des freien Marktes dar, wenn wir Regelungen einführen, wie sie in Großbritannien, Australien, in den USA, in Brasilien und in vielen anderen Ländern selbstverständlich sind, die die ausländische Kapitalbeteiligung an Medienunternehmen beschränken, wobei damit im EU-Rahmen natürlich nur Kapital außerhalb der Europäischen Union gemeint sein kann, weil es innerhalb der Europäischen Union keinen Unterschied zwischen inländischem und ausländischem Kapital gibt. Solche Beschränkungen halte ich als Teil eines Konzepts einer Medienordnung, die auch global Bestand haben kann, für selbstverständlich.

Danke schön.