Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 02.09.1999

Anrede: Sehr geehrter Herr Dr. Cartellieri, Meine sehr verehrten Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/14/11714/multi.htm


es gibt kaum einen Politikbereich, für den der Begriff der "Kontinuität" so häufig beschworen wird wie für das Gebiet der Außenpolitik. Das ist gut und vernünftig so. Verläßlichkeit in den internationalen Beziehungen ist gerade dann besonders wichtig, wenn wir es, wie etwa in den letzten Monaten, mit Zäsuren in der Entwicklung zu tun haben - in Europa, aber auch in Deutschland. Zu diesen Kontinuitäten gehören auch die vielfältigen Beziehungen, die sich zwischen der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und den außenpolitischen Akteuren entwickelt haben. Ich bin deshalb der Einladung, heute bei der Eröffnung Ihres neuen Domizils in der Hauptstadt Berlin Ihr Gast zu sein, gern gefolgt. Ich weiss es zu schätzen, dass die DGAP Entscheidungsträgern aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft ein Forum bietet, um außenpolitische Fragestellungen vertieft zu erörtern. Ein offener, auch kritischer Gedankenaustausch kann dem Meinungsbildungsprozess der Regierung in außen- und sicherheitspolitischen Fragen nur nützen. Dies erhoffe ich mir von der Zusammenarbeit mit der DGAP auch hier in Berlin. Der Umzug von Regierung und Parlament nach Berlin ist ein historischer Einschnitt. Das bedeutet allerdings nicht, dass wir von nun an in einer anderen Republik leben. Die Traditionen der Toleranz, der Offenheit und der guten Nachbarschaft stehen für Bonn. Sie gehören auch zur Geschichte Berlins, und diese Werte haben wir mit im Gepäck. In Berlin werden sie ergänzt und verstärkt durch den Freiheitswillen der Berliner, durch die Erfahrung von Menschen, die mit viel Zivilcourage eine friedliche Revolution zum Erfolg geführt haben. Aber auch durch die Brückenfunktion, die Berlin immer für unsere mittel- und osteuropäischen Partner gespielt hat. Von Berlin aus muss deutsche Außenpolitik womöglich noch klarer als bisher erkennbar sein als das, was ihr Wesen ausmacht: als Politik in Europa, für Europa und von Europa aus. Dabei bleiben die Grundorientierungen unserer Außenpolitik unverändert: Wir wissen: der wirtschaftliche und politische Erfolg Deutschlands ist untrennbar mit der Integration in die westliche Staatengemeinschaft, in die Europäische Union und die NATO verbunden. Unseren Verbündeten und Freunden werden wir weiterhin verlässliche Partner sein. Gemeinsam mit unseren Nachbarn in Mittel- und Osteuropa müssen wir entschlossen die Chancen einer noch intensiveren Zusammenarbeit nutzen. Gestern, am 1. September, war es 60 Jahre her, dass Nazideutschland mit dem Überfall auf Polen den Zweiten Weltkrieg begonnen, Zerstörung und unendliches Leid über Europa gebracht hat. An die Verpflichtung, die aus der deutschen Geschichte und den Verbrechen Nazideutschlands erwächst, erinnere ich gerade hier - in der Hauptstadt Berlin. Es darf und es wird kein Vergessen oder Verdrängen des Holocaust, des Massenmordes an den Juden und den Völkern Europas geben. Die geographische Nähe auch zum Ort der Wannsee-Konferenz wird der Bundesregierung mahnende Erinnerung und Auftrag zur Aussöhnung nach innen und nach außen sein. Ich bin in diesem Zusammenhang besonders froh, dass als erster ausländischer Regierungschef der israelische Ministerpräsident Ehud Barak am 21. September die Bundesregierung in der Hauptstadt Berlin besuchen wird. Knapp zehn Jahre ist es her, dass der Eiserne Vorhang, der die Völker Europas getrennt hat, gefallen ist. Wir Deutschen wissen um den großen Beitrag, den besonders die Polen, Ungarn und Tschechen mit ihrem Widerstand gegen die kommunistische Diktatur auch für die deutsche Einheit geleistet haben. Und ich meine, es ist an der Zeit, dass wir gemeinsam eine Friedensordnung für Europa gestalten. Alle Partnerstaaten sind heute einig in der Überzeugung, daß die Europäische Union eben nicht auf Westeuropa beschränkt bleiben darf. Mit den Staaten Asiens, Lateinamerikas und Afrikas werden wir die bewährte partnerschaftliche Zusammenarbeit fortsetzen. Frieden und Demokratie sind die besten Voraussetzungen für Stabilität und Wohlstand. Aber Stabilität und Wohlstand sind auch die besten Garanten für Frieden und Demokratie. Nach ihrem Amtsantritt hatte die neue Bundesregierung eine ungewöhnlich große Zahl außenpolitischer Herausforderungen zu bestehen. Im ersten Halbjahr 1999 hatten wir turnusgemäß die Präsidentschaften in EU und WEU inne, den Vorsitz der G 8-Staaten im gesamten Jahr 1999. Schon unter Änormalen "Bedingungen hätten diese Präsidentschaften jede Bundesregierung hinlänglich beschäftigt. Aber in diesem Jahr standen große Reformaufgaben an, die bewältigt werden mussten. Und dann war es nicht zuletzt der Krieg im Kosovo, der unsere Handlungsbereitschaft und die Treue zu unseren Werten auf die Probe gestellt hat. Ich denke in aller Bescheidenheit, dass wir, nachdem diese Regierung fast ein Jahr im Amt ist, eine Bilanz ziehen können, die sich sehen lassen kann. Eine entscheidende Zäsur in der deutschen Nachkriegsgeschichte war für uns alle die Wiederkehr des Krieges nach Europa. Auf dem Balkan standen zum ersten Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges wieder deutsche Soldaten in einem Kampfeinsatz. So jedenfalls könnte es ein unpolitischer Chronist darstellen. Ich sehe es eher so, dass zum ersten Mal zumindest in diesem Jahrhundert deutsche Soldaten für wahrhaft europäische Werte im Kampfeinsatz waren. Nicht für einen verblendeten Nationalismus, nicht zur Eroberung fremder Länder, nicht in Verfolgung strategischer Interessen. Sondern für eines der höchsten Ziele überhaupt: für die Rettung von Menschenleben und für die Wahrung von Menschenrechten. Für mich persönlich war die Entscheidung zur uneingeschränkten Teilnahme an diesem Einsatz der NATO die schwerste, die ich bisher zu treffen hatte. Angesichts der schrecklichen Vorkommnisse im Kosovo mußte die NATO, mußte Deutschland an der Seite seiner Verbündeten eingreifen, um Mord, Vertreibung und schwerste Menschen-rechtsverletzungen möglichst schnell zu beenden. Die militärische Entschlossenheit der Allianz war in diesem Konflikt so entscheidend wie die Geschlossenheit der internationalen Gemeinschaft. Beides zusammen hat Belgrad schließlich zum Rückzug veranlaßt. Aber ohne ein politisches Konzept wäre jede Militäraktion zum Scheitern verurteilt gewesen. Deshalb hat die Bundesregierung im Rahmen und mit dem Gewicht der deutschen EU- und G 8-Präsidentschaft von Beginn an alles in ihrer Macht Stehende getan, eine politische Lösung auf den Weg zu bringen. Das ging natürlich nur, weil die Bundesrepublik ohne Vorbehalte solidarisch mit ihren Verbündeten gehandelt hat. Jetzt müssen wir zweierlei tun: Erstens dafür Sorge tragen, daß sich Ereignisse wie im Kosovo in Europa nicht wiederholen. Und zweitens den Frieden so gestalten, daß die Menschen in der Region wieder Hoffnung gewinnen. Beim Gipfeltreffen am 30. Juli in Sarajevo waren wir uns mit den Staatschefs der Region einig: Der Stabilitätspakt wird in den kommenden Jahren eines der wichtigsten europäischen Projekte sein. Vor 50 Jahren war Deutschland ein zerstörtes Land. Physisch, politisch, wirtschaftlich und vor allem: moralisch. Die Hypothek der von Deutschland verantworteten Verbrechen lastete schwer auf dem jungen Staat Bundesrepublik. Aber er bekam die Chance, durch den Aufbau einer rechtsstaatlichen Demokratie und eine auf Ausgleich und Kooperation ausgerichtete Politik nach außen wieder um das Vertrauen der internationalen Staatengemeinschaft zu werben. Den Deutschen in der DDR war die Möglichkeit zu einer freiheitlichen Rückkehr in die Völkerfamilie verwehrt - sie haben diese Rückkehr, 40 Jahre später, mit bewundernswerter Courage gegen ihre Machthaber erzwungen. Die von Willy Brandt eingeleitete Politik der guten Nachbarschaft hat spätestens beim Fall der Mauer ihre Früchte getragen. Die deutsche Einheit konnte im Einvernehmen mit unseren Nachbarn und Partnern erreicht werden. Sie erwarten heute von uns - das habe ich in vielen Gesprächen feststellen können - , dass Deutschland seine Rolle in Europa und im Rahmen des europäisch-atlantischen Bündnisses verantwortungsvoll wahrnimmt. Gerade auf dem Balkan hat Deutschland in den letzten Jahren bewiesen, daß es bereit ist, dies zu tun. Deutsche Diplomaten, Soldaten und technische Spezialisten haben in Kroatien, Bosnien, in Albanien, Mazedonien und im Kosovo wesentliche Beiträge zur Stabilisierung der Situation und in der humanitären Hilfe leisten können. Die Krise im Kosovo hat auch die deutsche Präsidentschaft in der Europäischen Union geprägt. Die Lufteinsätze gegen Jugoslawien begannen während des Sondertreffens des Europäischen Rates in Berlin am 24. März; der Durchbruch bei den Friedensbemühungen gelang zeitgleich zum Europäischen Rat in Köln Anfang Juni, durch die großartige diplomatische Leistung des EU-Beauftragten Matti Athisaari, zu der auch Viktor Tschernomyrdin einen wichtigen Beitrag geleistet hat. Anders als noch vor wenigen Jahren in Bosnien sprach Europa im Kosovo-Konflikt mit einer Stimme und hatte die Kraft zu gemeinsamer Aktion und Verantwortung. Diese neue Verantwortungsbereitschaft Europas hat ihren Ausdruck auch in neuen Strukturen gefunden. Mit der Ernennung Javier Solanas zum Hohen Beauftragten für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und den Beschlüssen zum Aufbau einer Europäischen Verteidigung hat der Europäische Rat in Köln bewiesen, dass es uns Europäern ernst damit ist, eine europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu entwickeln. Europa muss auch in Krisen international handlungsfähig sein. Dafür müssen wir die Europäische Union mit den nötigen politischen und militärischen Entscheidungsstrukturen, mit den Instrumenten zur Krisen-erkennung und zum Krisenmanagement ausstatten. Die Bundesregierung tritt deshalb dafür ein, die Westeuropäische Union in die Europäische Union zu integrieren, wie dies im Amsterdamer Vertrag vorgesehen ist. Über das deutsch-französische Verhältnis ist in den vergangenen Wochen viel spekuliert worden. Dabei gibt es keinen Zweifel: Frankreich und Deutschland bleiben auch in Zukunft die Schwungräder der europäischen Einigung. Zwischen Jacques Chirac, Lionel Jospin und mir, zwischen Hubert Védrine und Joschka Fischer - und zwischen ungezählten Franzosen und Deutschen ohnehin - ist völlig klar, dass die deutsch-französische Freundschaft eine europäische Herzensangelegenheit ist. Und das im besten Sinne des Wortes. Dieser Bundesregierung ist gelegentlich vorgeworfen worden, sie würde zu viel Wert auf" deutsche Interessen "legen. Ich kann das nicht recht nachvollziehen. Außenpolitik ist Interessenpolitik. Jede Außenpolitik, die behauptet, keine Interessen zu verfolgen, wäre reine Heuchelei. Wie alle unsere Nachbarn, haben auch die Deutschen nationale Interessen. Der entscheidende Punkt ist nur der, wie man diese Interessen definiert, und wie man sie verfolgt. Letzteres ist besonders wichtig, weil im Zeitalter der Globalisierung niemand Erfolg haben wird mit einer strikt nationalstaatlichen Politik. Ich verstehe deutsche Außenpolitik heute als eine Politik in und mit Europa. Das ist ein Auftrag aus der Geschichte, aber auch eine Verpflichtung der Gegenwart und Zukunft. Die Zeit des deutschen" Sonderweges "und seiner verhängnisvollen Folgen ist glücklicherweise endgültig vorbei. Deutsche Außenpolitik sollte deshalb eine Politik des" aufgeklärten Eigeninteresses "sein. Ich wähle diesen Begriff, weil er dreierlei zum Ausdruck bringt. Erstens: Man soll sein eigenes Interesse nicht leugnen. Und es auch zu Gehör bringen. Zweitens: Man soll sein Interesse definieren und mit rationalen Argumenten vermitteln. Drittens: Die Kunst besteht darin, die nationalen Interessen mit denen unserer Freunde abzugleichen, um gemeinsame Anliegen vertreten zu können. Da die deutsche Souveränität jahrzehntelang eingeschränkt war, hat die Bundesrepublik diese Politik eines" aufgeklärten Eigeninteresses "- vielleicht besser als manch anderes Land - gelernt, ja, lernen müssen. In den Krisen und Konflikten des Jahres 1999 hat sich die Europäische Union als handlungsfähig erwiesen. Wir wissen aus Erfahrung: Kompromisse sind nie leicht, und wenn es um Geld geht, sind sie richtig gehend schwer. Das war die Ausgangslage vor dem Europäischen Gipfel in Berlin. Und doch ist dort ein großer Erfolg gelungen: Wir haben die Finanzarchitektur der EU für die Jahre 2000 bis 2006 hinbekommen. Wir haben die Strukturförderung neu geordnet und die Weichen gestellt für eine Reform der gemeinsamen Argrarpolitik. Und das alles unter strikter Beachtung der Ausgabenstabilität. Das war keine leichte Aufgabe. Denn wir hatten es zugleich auch noch mit einer handfesten Krise der Kommission zu tun. Nach dem Rücktritt von Jacques Santer galt es, in kürzester Zeit einen überzeugenden, kompetenten und integeren Nachfolger zu finden. Mit der Benennung von Romano Prodi als neuem Kommissionspräsidenten ist uns dies gelungen. Die Reform der Kommission ist für die Zukunft von zentraler Bedeutung: Die Bürger werden nur dann wieder voll hinter den europäischen Institutionen stehen, wenn sie sicher sind, daß dort ihre Interessen wirksam und glaubwürdig wahrgenommen werden. Der Europäische Rat im Juni in Köln hat beschlossen, bis Ende 2000 die notwendigen institutionellen Reformen umzusetzen. Denn für die EU geht es um zweierlei: Vertiefung und Erweiterung. Unter deutscher Präsidentschaft haben wir sichergestellt, daß die Europäische Union aufnahmefähig für neue Mitglieder ist, ohne in ihrer Funktionsfähigkeit Schaden zu nehmen. Nun liegt es in erster Linie an den Beitrittskandidaten, die nötigen Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft in der Union zu schaffen. Dabei werden wir ihnen jede mögliche Unterstützung zukommen lassen. Aber die beitrittswilligen Staaten müssen selbst bei sich die Voraussetzungen schaffen, einer demokratischen europäischen Staatenfamilie anzugehören. Lassen Sie mich an dieser Stelle einige Gedanken zur Türkei sagen: Wie viele Menschen in Deutschland verfolge ich die Entwicklung in den vom Erdbeben verwüsteten Gegenden der Türkei mit großer Anteilnahme. Unser Mitgefühl gilt den Opfern dieser Naturkatastrophe. Aus Deutschland kam sofort konkrete Unterstützung. Zahlreiche Menschen in unserem Land, darunter viele türkische Mitbürger, leisten ihren Beitrag zur Linderung der Not. Aus allen Staaten der Europäischen Union, ganz besonders auch aus Griechenland, ging bemerkenswerte Solidarität mit den Menschen in der Not aus. Darüber hinaus braucht die Türkei auch unsere Unterstützung, um nach der Beseitigung der Erdbebenschäden das Land wieder aufzubauen. Die Freigabe der Finanzhilfe der Europäischen Union zur Begleitung der Zollunion ist deshalb nun vorrangig. In diesem Zusammenhang habe ich an alle EU-Partner appelliert, jetzt Wege zu finden, die für die Türkei dringender denn je gebrauchten Mittel freizugeben. Neben der Politik der Europäischen Einigung bleibt die transatlantische Zusammenarbeit im Rahmen der NATO für die Bundesregierung weiterer tragender Pfeiler ihrer Außenpolitik. Die NATO hat 50 Jahre lang erfolgreich Frieden und Stabilität in Europa gesichert. Die Allianz war stets mehr als eine bloße Zweckgemeinschaft. Über das reine Militärbündnis hinaus stand und steht die NATO für das gemeinsame Eintreten für gemeinsame Werte: Menschenwürde, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Das neue strategische Konzept der NATO trägt der gestiegenen Bedeutung Europas innerhalb des Bündnisses Rechnung. Es paßt die NATO den neuen Realitäten in Europa und der Welt an. Konfliktvermeidung und Konfliktregelung werden zu Hauptaufgaben dieser neuen NATO. Mit dem Beitritt von Polen, Ungarn und Tschechien hat das Bündnis sich den veränderten Gegebenheiten in Europa auch nach außen angepaßt. Die Bundesregierung hat die Aufnahme der neuen NATO-Mitglieder nach Kräften gefördert. Besonders haben wir uns dafür eingesetzt, daß die Integration der neuen Mitglieder einhergeht mit einer Politik der intensiven Kooperation mit allen übrigen Beitrittskandidaten. Die enge Einbindung Rußlands in die Verantwortung für die dauerhafte Gewährleistung von Sicherheit und Stabilität in Europa bleibt für die Bundesregierung besonders wichtig. Daß Rußland nach mehrmonatiger Unterbrechung den Gesprächsfaden mit der NATO im Rahmen des NATO-Rußland-Rates nun wieder aufgenommen hat, zeigt, daß auch auf russischer Seite die Vorteile eines intensiven Dialogs mit der Allianz erkannt werden. Die verstärkte Einbeziehung Rußlands war und ist auch ein wichtiges Ziel der deutschen G 8-Präsidentschaft. Dies kam in der umfassenden Mitwirkung Rußlands beim Kölner Weltwirtschaftsgipfel zum Ausdruck. Dazu gehört auch die Aufrechterhaltung des Angebots einer Mitgliedschaft Rußlands in der WTO und in der OECD, selbst wenn dies nur langfristig zu realisieren sein wird. Allerdings ist die deutsche, und ich denke: auch die internationale Öffentlichkeit sehr verunsichert durch die Meldungen über Finanzskandale und Geldwäsche. Es ist eine nachvollziehbare Forderung der Geber-länder, dass hier rasch und unbehindert Aufklärung erfolgt. Für ein Land, das seine Aufgaben innerhalb der Staatengemeinschaft verantwortungsvoll wahrnimmt, muss die Stärkung der Vereinten Nationen ein wesentliches Anliegen sein. Wir unterstützen daher nachdrücklich die Bemühungen von Generalsekretär Annan um eine Steigerung der Effizienz der Organisation. Eine inhaltliche und strukturelle Reform der Vereinten Nationen ist dringlich, wenn die Parole von der ÄNichteinmischung in die inneren Angelegenheiten" nicht länger als Schutzschild für Diktatoren und Mörder mißbraucht werden soll. Hier darf aber auch kein völkerrechtliches Vakuum entstehen, in dem sich einzelne Mächte selbst ein Mandat für den Nothilfe-Einsatz geben. Die längst überfällige Reform des Weltsicherheitsrates ist in diesem Zusammenhang von zentraler Bedeutung. Um dies klarzustellen: Dabei meine ich nicht primär einen Ständigen Sitz für Deutschland, sondern eine Stärkung der Effizienz und der Mechanismen der Entscheidungsfindung, die nicht mehr den heutigen internationalen Herausforderungen und Gegebenheiten entsprechen. Sollte allerdings der Kreis der Ständigen Mitglieder vergrößert werden, stünde auch Deutschland bereit, im Sicherheitsrat eine Verantwortung zu übernehmen, die seinem Beitrag und seinen Fähigkeiten entspräche. wenn man die letzten Jahre und Monate Revue passieren lässt, kommt man nicht umhin festzustellen, dass wir in einem Zeitalter gewaltiger Beschleunigung leben. Dort, wo jetzt der demokratisch gewählte Bundeskanzler vorübergehend Quartier bezogen hat, saß noch vor zehn Jahren der DDR-Staatsratsvorsitzende. Deutschland war eine geteilte Nation ohne volle Souveränität. Nicht weit von dem Ort, an dem wir uns heute versammeln, wurde über Mindest-umtausch und Transitregelungen verhandelt. Noch keine zwei Jahre ist es her, da hätte ein Bundeswehr-Einsatz im Kosovo keine Mehrheit im Bundestag gefunden. Vor ein paar Monaten hätte sich niemand vorstellen können, daß Israelis und Palästinenser bei ihren Verhandlungen über den künftigen Palästinenserstaat vielversprechende Fortschritte erzielen. Oder daß über die Zukunft Ost-Timors die Timoresen selbst in einer von den Vereinten Nationen garantierten Volksbefragung entscheiden könnten. In dieser beschleunigten Welt den Überblick zu behalten, ist Aufgabe der Politik. Aber auch derer, die sich der Politik verpflichtet fühlen. Nicht zuletzt deshalb sind wir heute hier zusammengetroffen. Der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und Ihnen allen, die in diesem schönen Haus arbeiten, wünsche ich einen guten Start in Berlin und für die Zukunft viel Glück und Erfolg.