Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 06.05.2002

Untertitel: "Kennzeichnend für diese Branche ist die beispielhafte Verbindung von Wissenschaft und Forschung mit wirtschaftlicher Leistungskraft." Die ILA 2002 zeige dies in anschaulicher Weise, sagte Bundeskanzler Schröder in seiner Eröffnungsrede am Montagnachmittag.
Anrede: Herr Ministerpräsident Stolpe, Herr Regierender Bürgermeister Wowereit, Herr Präsident Hertrich, Exzellenzen, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/88/78788/multi.htm


Als ich eingetroffen bin, habe ich zunächst die Medivac-Version des A-310 besichtigen können. Obwohl es nur ein kurzer Termin sein konnte, ist mir dabei eines aufgefallen: Der unverkennbare Stolz der Soldaten auf das, was sie leisten. Ich finde, auf ihre Leistung sind sie zu Recht stolz. Diese Version - das nehme ich von der ILA als Lernerfahrung mit - gibt es nur in Deutschland. Die Bundesluftwaffe ist damit führend, was diese Möglichkeiten angeht.

Wenn man über dieses Flugzeug in der Version Medivac nachdenkt, sind daran ein paar politische Implikationen zu knüpfen: Mit diesem Flugzeug sind Leistungen möglich, die eine unbedingt notwendige Ergänzung zu den militärischen Fähigkeiten sind, die man braucht - und wir haben es gerade in der Folge des 11. September erlebt - , um internationalen Terrorismus wirksam bekämpfen zu können. Natürlich steht beim Kampf gegen den Terrorismus Politik im Vordergrund. Natürlich muss man Diplomatie nutzen, um Konflikte zu reduzieren und zu beseitigen. Sicher gilt das ebenso für die ökonomischen als auch für die sozialen und ökologischen Möglichkeiten, die man einsetzen kann, um konfliktbeherrschend und vermeidend zu wirken.

Aber der 11. September und seine Folgen zeigen eben, dass die Entwicklung militärischer Fähigkeiten nicht gering geschätzt werden darf. Das soll und muss nicht im Vordergrund stehen, aber es ist ein notwendiger, wenn auch nicht hinreichender Beitrag im Kampf gegen den internationalen Terrorismus.

Es ist darauf hingewiesen worden, welch uralter Traum die Eroberung der Lüfte ist. Er ist längst realisiert. Zu Recht haben sowohl der Regierende Bürgermeister als auch der Ministerpräsident des Landes Brandenburg darauf hingewiesen, dass Deutschland historisch und jetzt wieder aktuell in fairer Partnerschaft mit anderen eine Menge beizutragen hat, damit dieser Traum noch besser und sicherer Wirklichkeit werden kann.

Übrigens ist es das nicht allein. Hinzu kommen muss - und das ist es ja auch - die Erschließung des Weltraums. Festzustellen ist, dass bei dieser Erschließung mehr und mehr ziviler Nutzen im Ökonomischen eine ungeheuer große Rolle spielt. Aber völlig zu Recht ist darauf hingewiesen worden, dass das auch mit dem Erhalt und der Schaffung neuer Arbeitsplätze zu tun hat.

Wie gesagt: Die Geschichte der Luftfahrt ist eng verbunden mit unserem Land. Das schafft eine gute Tradition, die man entwickeln kann.

Kennzeichnend - auch das ist angedeutet worden - für diese Branche ist eine ganz, ganz enge Verbindung von Forschung und Entwicklung einerseits und wissenschaftlicher Durchdringung der Probleme und wirtschaftlicher Leistungskraft, die sich daraus entwickelt.

Ich denke, wer mit offenen Augen durch die ILA 2002 geht und sich mit der Frage beschäftigt, was hier in doch sehr kurzer Zeit entstanden ist, wird mir zustimmen, wenn ich sage, dass gerade diese Ausstellung einen beeindruckenden und wirklich vielfältigen Einblick in alle Facetten der Branche gewährt - vor allen Dingen in deren Innovationskraft.

Auf die Rekordbeteiligung ist hingewiesen worden. Ich gratuliere dazu, Herr Präsident Hertrich. Damit ist die ILA in Deutschland und darüber hinaus ein wirklich bedeutendes Tor für die internationale Luft- und Raumfahrtindustrie. Das wollen wir erhalten. Das wollen wir mit den beiden Ländern entwickeln, die ja eines werden sollen, wie man an der Gemeinsamkeit der beiden Ministerpräsidenten, was die Liebe zu den Landesfarben angeht, sehen kann. Aber ich denke, die ILA setzt auch ein wichtiges Signal dafür, dass wir als Deutsche Luft- und Raumfahrtstandort sind und möglichst entwicklungsfähig bleiben wollen.

Deutschland ist - das muss man immer wieder deutlich machen, auch bei denjenigen, die sich nicht jeden Tag mit dem Problem befassen - der drittgrößte Markt für die Verkehrsluftfahrt. Wenn es der drittgrößte Markt ist, dann ist es nur gerecht, wenn es auch versucht, möglichst viel an Wertschöpfung, die in den Märkten realisiert wird, in Deutschland zu haben. Auch das und gerade das ist unser Ziel. Auch dafür lassen Sie uns gemeinsam arbeiten.

Ich fand schön, dass Herr Präsident Hertrich trotz aller Schwierigkeiten, von denen wir alle wissen und in denen die Branche vor allen Dingen nach dem 11. September letzten Jahres steckte und steckt, mit Optimismus nach vorne blickt. Der ist ja auch berechtigt. Es gab schon Mitte der 90er Jahre spürbare Einbrüche. Diese haben sich nach dem 11. September verstärkt.

Die Einbrüche nach dem 11. September haben ohne Zweifel die Luftfahrtindustrie stark getroffen. Aber - das gilt übrigens auch für die Raumfahrtindustrie - ich unterstreiche ausdrücklich, was Herr Hertrich gesagt hat: Die Branchenperspektiven sind mittel- und langfristig gut. Übrigens hängt das auch mit der sich Gott sei Dank abzeichnenden Belebung auf dem Weltmarkt, auf dem europäischen Markt und natürlich auch in Deutschland zusammen.

Die deutsche Wirtschaft steht nach Ansicht aller Experten, die sich vorurteilsfrei damit beschäftigen, am Beginn eines kräftigen Aufschwungs. Es ist ein Aufschwung, der in der ersten Hälfte des Jahres verhaltener ist, als ich es mir generell und aus anderen Gründen wünschen würde. Das ist gar keine Frage. Aber es ist ein Aufschwung, der in der zweiten Hälfte an Kraft gewinnen wird. Wenn nicht alle Prognosen täuschen, wird er wirklich im nächsten Jahr sehr deutlich sichtbar werden. Dass das dann auch Auswirkungen positiver Art auf den Arbeitsmarkt haben wird, ist klar. Das ist aber auch dringend nötig.

Wir haben, wie wir glauben, mit dem, was wir wirtschafts- und finanzpolitisch auf den Weg gebracht haben, nicht zu Unrecht dazu beigetragen, dass die deutsche Wirtschaft robuster und konkurrenzfähiger geworden ist. Wir haben Grundlagen für Innovation, Modernisierung, also für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes gelegt und haben so den Technologiestandort Deutschland entscheidend gestärkt. Das deutsche Innovationssystem hat - nach der Wachstumsschwäche in der ersten Hälfte der 90er Jahre - einen deutlichen Sprung nach vorne getan. Das bestätigen alle Berichte.

43 Prozent der Industrieproduktion in Deutschland entfallen mittlerweile auf den forschungs- und entwicklungsintensiven Sektor. Dabei weisen die Spitzentechnologien mit jahresdurchschnittlichen Produktionszuwächsen von neun Prozent die deutlichste Wachstumsdynamik auf. Dies ist etwas, was sich als sehr, sehr nachhaltig und deswegen als zukunftsfähig erweisen wird.

Wir haben mit den Reformen im Steuerrecht und mit der Konsolidierungspolitik, die wir verfolgt haben und weiter verfolgen werden, am Standort Deutschland für ein sehr, sehr günstiges Investitionsklima gesorgt. Die zunehmenden Investitionen ausländischer Unternehmen und privater Investoren beweisen dies.

Wir haben mit dem Steuersystem vor allen Dingen Planbarkeit in die Finanz- und Wirtschaftspolitik gebracht. Ich denke, das ist gerade für die Luftfahrtindustrie, aber auch für deren Zulieferer von großer Bedeutung.

Wir haben mit der faktischen Abschaffung der Gewerbesteuer und der Einführung der Reinvestitionsrücklage für Personenunternehmen und mit einem international absolut wettbewerbsfähigen Steuersatz für die Unternehmen dafür gesorgt, dass Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland gestärkt werden konnte.

Gleichzeitig sind wir herangegangen und haben uns darum gekümmert, das, was man früher Deutschland-AG nannte, so zu modernisieren, dass neue wirtschaftliche Dynamik daraus entstehen kann. Das hatte mit der Steuerfreiheit der Veräußerungsgewinne bei Kapitalgesellschaften zu tun, die nach meiner Auffassung für den Standort Deutschland wichtig war und nicht in Frage gestellt werden sollte. Nicht, weil damit großen Unternehmen, die über riesigen Beteiligungsbesitz verfügen, ein Steuergeschenk gemacht werden sollte, sondern weil das nach unserer Auffassung der Weg ist, um das, was es an Industriebeteiligungen in den Depots gibt, auf den Markt zu bringen, zu mobilisieren, um daraus neue wirtschaftliche Dynamik zu entwickeln.

Das ist der Grund für die steuerrechtlichen Maßnahmen, die wir geschaffen haben. Ich bin ziemlich sicher, dass diese Maßnahmen auch die erhofften Wirkungen zeigen werden.

Auch in der Haushaltspolitik - ich habe es angedeutet - wird klarer Kurs gehalten. Wir werden im Jahr 2006 ungeachtet der ökonomischen Schwierigkeiten, die wir überwunden haben, einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen.

Das ist nicht nur wichtig, um Sparsamkeit auf der staatlichen Ebene deutlich werden zu lassen. Es ist auch wichtig, um Spielräume für die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank aufrechtzuerhalten. Es ist aber auch wichtig, um Refinanzierungsspielräume für private Investoren nicht zu sehr zu erschweren.

Dabei haben wir darauf geachtet, dass bei allem Zwang zur Sparsamkeit einige wichtige Schlüsselbereiche, die über die Zukunftsfähigkeit eines Landes entscheiden, eben gestärkt und nicht geschwächt werden. Wir haben mit dem Haushalt 2002 die Ausgaben für Bildung und Forschung gegenüber 1998 um mehr als 21 Prozent erhöht, während in allen anderen Bereichen der Zwang zur Sparsamkeit sein musste. Mit rund 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts wird in Deutschland deutlich mehr Geld für Forschung und Entwicklung ausgegeben als im Durchschnitt der Länder im Euro-Raum.

Die Luft- und Raumfahrtforschung nimmt hierbei einen durchaus prominenten Platz ein. So wurden etwa die Ausgaben des Bundes für Forschung und Entwicklung im Bereich ziviler Luftfahrtprojekte seit 1999 um genau 46 Prozent erhöht. Insgesamt wurden seit 1995 von Bund, Ländern, Industrie und Wissenschaft gut 1,2 Milliarden Euro für Luftfahrtforschungsprogramme aufgewendet. Kernkompetenzen, Arbeitsplätze und Produktionsstandorte in Deutschland sind auf diese Weise gesichert worden.

Der Luftfahrtforschung - darauf ist hingewiesen worden - fällt in diesem Bereich eine wichtige Rolle bei der Bewältigung aktueller, vor allem aber zukünftiger Aufgaben zu. Dabei geht es um eine Verbesserung der Sicherheit, aber auch um eine stärkere Umweltverträglichkeit. So wird im laufenden Luftfahrtprogramm der Senkung der Schadstoffemission und des Lärms besonderes Augenmerk geschenkt. Das ist auch für diejenigen wichtig, die sich mit Produktion beschäftigen. Denn Akzeptanz ist, glaube ich, eine wichtige Grundlage für störungsfreie Produktion.

Auch zukünftig ist die nationale Forschungsförderung wichtig, um im internationalen Standortwettbewerb bestehen zu können. Dabei setzt sich die Bundesregierung dafür ein, im Rahmen ihrer finanzpolitischen Möglichkeiten ein weiteres Luftfahrtforschungsprogramm ab dem Jahr 2003 auf hohem Niveau aufzulegen.

Auch im europäischen Verbund betreiben wir eine Stärkung der Aktivitäten für Forschung und Entwicklung. Herr Hertrich hat darauf hingewiesen. Auch ich denke hier insbesondere an das Satelliten-Navigationssystem Galileo, eine der Schlüsseltechnologien der Zukunft. Wir schaffen damit in einem fairen Technologiewettbewerb eine Alternative zum GPS-System. Wir unterstützen deshalb die Pläne der Europäischen Kommission für die Entwicklungsphase von Galileo.

Aber alles kann der Staat nicht allein leisten. Es wird also darauf ankommen, dass die Kommission privates Kapital für das System einwirbt, damit die Belastung für die öffentlichen Haushalte auch insoweit kalkulierbar, planbar und auch begrenzbar bleibt.

Auch durch die Absicherung von Militärprojekten hat die Bundesregierung wesentlich dazu beigetragen, dass der deutsche Luft- und Raumfahrtsektor sich im europäischen Verbund gut behauptet. Wir haben seit 1999 den investiven Anteil des Verteidigungshaushalts kontinuierlich gesteigert. Die Investitionen in die Ausrüstung der Bundeswehr wurden etwa gegenüber den Jahren 1994 bis 1998 seit 1999 um jährlich mehr als 900 Millionen Euro erhöht - das entspricht einem Steigerungsanteil von 32 Prozent! In der mittelfristigen Finanzplanung wurde der Plafond des Verteidigungshaushalts für die entscheidenden Reformjahre 2003 bis 2006 auf knapp 24 Milliarden Euro verstetigt. Dies schafft Planungssicherheit. Und das soll auch so sein.

Das Programm der Bundesregierung zur Stärkung der inneren und äußeren Sicherheit sowie die angestrebten Effizienzgewinne bei der Verwendung der vorhandenen Mittel eröffnen neue Finanzierungsquellen. In den kommenden Jahren werden dadurch zusätzliche Investitionsspielräume geschaffen.

Zudem - und auch das sollte gelegentlich beachtet und, wo möglich, auch publiziert werden - haben wir gerade im Luft- und Raumfahrtbereich wichtige Projekte auf den Weg gebracht- vom Radarsatellitensystem SAR-Lupe über den Transporthubschrauber NH 90 bis zur bevorstehenden Einführung des Unterstützungshubschraubers TIGER. In jüngster Zeit stand insbesondere der A- 400 M im Mittelpunkt. Mit diesem Transportflugzeug werden wir unsere militärischen Lufttransportkapazitäten entscheidend verbessern. Und wir tragen damit wesentlich zur Stärkung der europäischen Handlungsfähigkeit bei.

Eine leistungsfähige wehrtechnische Industrie in Deutschland - und das gilt eben auch und insbesondere für den Luft- und Raumfahrtsektor - ist auch aus sicherheitspolitischem, aber ebenso aus industriepolitischem Interesse nach unserer Auffassung von großer Bedeutung. Gerade deshalb war der zum Teil schmerzhafte Anpassungsprozess in diesem Sektor, der auch zum Abbau nationaler Überkapazitäten geführt hat, notwendig.

Über die Einzelheiten konnte und musste auch immer gestritten werden. Aber ich denke, die Tendenz war notwendig. Es zeigt sich jetzt, dass dadurch neue Kraft gewonnen worden ist.

Zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen zivilen wie wehrtechnischen Luft- und Raumfahrtindustrie brauchen wir eine konsequente Fortsetzung der europäischen Integration. Mit der Gründung der EADS wurden bereits beachtliche Erfolge erzielt, die Wachstum und Beschäftigung in der Luft- und Raumfahrtindustrie sichern.

Dass eine multinationale Kooperation positive Auswirkungen für den Technologiestandort Deutschland haben kann, zeigt die internationale Raumfahrtstation ISS - eines der größten zivilen multinationalen Forschungs- und Technologievorhaben.

Lassen Sie mich auch in diesem Zusammenhang noch einmal betonen, für wie wichtig ich es halte, dass man sich auch in Europa, zumal in Brüssel, nicht nur - und das ist gewiss wichtig - um die Integration der Finanzmärkte, um deren Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Maßstab kümmert, sondern vor allen Dingen auch begreift, dass Europa eine ausgewogene, möglichst alle Bereiche umfassende Produktionsstruktur hat und braucht. Eine Produktion- und Industriestruktur, die man pflegen muss, deren Entwicklung man im Auge behalten muss, und zwar nicht zuletzt deswegen, weil dort wichtige Möglichkeiten für Beschäftigung liegen.

Die deutsche Industrie ist an der eben genannten Raumfahrtstation maßgeblich mit dem Aufbau des europäischen Forschungslabors Columbus beteiligt. Was noch vor gut einem Jahrzehnt gewiss aus politischen, aber auch aus industriepolitischen Gründen undenkbar gewesen wäre: Ein russischer und zwei amerikanische Astronauten arbeiten dort derzeit gemeinsam an einem Projekt.

Der Technologiestandort Deutschland ist - ich bin fest davon überzeugt - gut gerüstet, um die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, die beachtlich sein werden, zu meistern. Ich betone: Die Luft- und Raumfahrtindustrie dieses Landes, aber auch Europas trägt hierzu maßgeblich bei. Das wird, wie ich finde, auf dieser Ausstellung hervorragend sichtbar.

Nicht nur aus dem Grunde, sondern weil es mir aufgetragen worden ist, erkläre ich deshalb diese Ausstellung für eröffnet.