Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 07.05.2002
Untertitel: Die Entscheidung von BMW, hier an diesem Standort ein neues Automobilwerk und damit fast 10.000 neue Arbeitsplätze zu errichten, ist ein klares Signal. Ein Signal der Zuversicht, dass der Aufbau Ost weitergeht.
Anrede: Herr Professor Milberg, meine Herren Ministerpräsidenten, Herr Oberbürgermeister, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/93/79193/multi.htm
Ich fand es bemerkenswert, wie Professor Milbradt die Historie gekennzeichnet hat, die Sachsen und den Automobilbau zusammenbringt. Ich glaube, dass diese Tradition und das, was an Leistungsbereitschaft, an Leistungswillen, aber auch an Industriekultur dahinter steht, ganz ausschlaggebend dazu beigetragen haben, dass hier eine Entscheidung getroffen worden ist, über die alle glücklich sein können, wenn sie die Dinge - das ist in den Reden vorab geschehen - fair bewerten. Ich sage "fair", weil es diese Tradition gibt und es wohl kaum eine andere Situation hätte geben können, in der eine Investitionsentscheidung für diese Region und damit für den Osten Deutschlands ein so wichtiges und richtiges Signal gewesen wäre.
Es ist richtig, dass es eine vermutlich singuläre Entscheidung ist. Gerade weil es so ist, ist es nicht nur in wirtschaftspolitischer, sondern auch in psychologischer Hinsicht von enormer Bedeutung, dass BMW im Osten Deutschlands investiert. Ich bin ziemlich sicher, diese Entscheidung wird weit über diesen Raum hinaus deutlich machen, dass es unabhängig von parteipolitischen Erwägungen und Einbindungen eine gemeinsame Verantwortung für den Osten Deutschlands gibt und dass, wenn betriebswirtschaftliche Rechnungen aufgehen - diese müssen aufgehen; das ist gar keine Frage - , auch und gerade bei solchen Entscheidungen in Deutschland immer der Wille vorhanden ist, in einer Partnerschaft von Staat und Wirtschaft sowie den anderen am Wirtschaftsprozess Beteiligten zu solchen wegweisenden Entscheidungen zu kommen.
Ich erwähne das, um insbesondere denen, die aus dem Ausland kommen und über Deutschland berichten, deutlich zu machen, worum es hierbei gegangen ist. Es ging um beides. Es ging um eine Entscheidung, die die betriebswirtschaftliche Rationalität in sich tragen musste, zugleich aber auch um die Kennzeichnung von Gemeinsamkeit, von Gemeinsinn in Deutschland in dieser so wichtigen und schwierigen Zeit und auf diesem so wichtigen und schwierigen Gebiet. Das ist das eine.
Das andere ist: Der Rahmen muss stimmen. Das ist keine Frage. Ich fand es wohltuend, dass Professor Milberg hier sehr deutlich gemacht hat, dass eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Entscheidung zugunsten dieser Region im Wettbewerb mit anderen, die über weit geringere Möglichkeiten in Bezug auf die Lohnkosten verfügen, als das hier der Fall ist, das Maß an Flexibilität gewesen ist, das bei der Gestaltung der Arbeitszeit wirksam werden konnte.
Das zeigt mir, dass mit Entschiedenheit und einer Kultur des Zusammenwirkens im Unternehmen solche Entscheidungen - wohlgemerkt auf der Basis eines Flächentarifvertrages - möglich sind. Das ist kennzeichnend für die Unternehmenskultur bei BMW. Ich habe mich davon erst kürzlich wieder überzeugen können. Es ist auch immer noch kennzeichnend für die Art und Weise des Umgangs in Deutschland miteinander. Ich füge hinzu, ich hoffe sehr: Immer wieder und immer weiter. Gerade hierbei will ich deutlich machen, dass ich den dringenden Wunsch habe, dass der Konflikt in der Metallindustrie sehr bald dadurch zu lösen sein wird, dass beide Parteien möglichst rasch an den Verhandlungstisch zurückkehren und auf die dort gebotene Weise den Tarifkonflikt lösen. Ich denke, auch das ist ein Stück Rahmen für die Produktion und damit für den Aufschwung in Deutschland.
Ein anderer Aspekt, den der Staat zu liefern hat - darauf ist hingewiesen worden - , ist geliefert worden. Im Zusammenspiel zwischen der Sächsischen Staatsregierung und dem Bund haben wir, glaube ich, was das Beibringen der vorhandenen und der schnell zu mobilisierenden Infrastruktur betrifft, durchaus Beispielhaftes leisten können. Ich erkenne den Beitrag an, den der Freistaat Sachsen geleistet hat. Warum sollte ich das nicht tun? Ich denke, die Stadt hat genauso präzise und gut gearbeitet. Herr Oberbürgermeister, Sie haben darauf hingewiesen, dass der Herrgott zugeschaut habe; ich glaube, Sie haben aber auch etwas dazu beigetragen.
Ich meine, es handelt sich bei solchen Entscheidungen nicht nur um die Infrastruktur. Vielmehr geht es auch um einen Rahmen, der insgesamt stimmen muss. Den haben wir in der letzten Zeit durch eine Konsolidierungspolitik, was die staatlichen Haushalte angeht, aufgebaut, die es privaten Investoren besser ermöglicht, sich zu refinanzieren, und die es der EZB gestattet, eine Geldpolitik zu betreiben, die diese Refinanzierungsmöglichkeiten nicht einschränkt, und zwar durch ein alles in allem richtiges Steuersystem, das Planbarkeit an die Stelle von Jahressteuergesetzen gesetzt hat und das auch nach dem Urteil ausländischer und inländischer Fachleute dafür sorgt, dass industrielle Produktion und Dienstleistungen in Deutschland wettbewerbsfähiger als jemals zuvor realisiert werden können. Das ist ein Rahmen, den man beibehalten sollte, den man beibehalten muss.
Mein Eindruck ist, dass der Rahmen auf der einen und die vorhandene Infrastruktur auf der anderen Seite sowie eine spezifische Kultur der Zusammenarbeit im Unternehmen Ergebnisse gezeitigt haben, die diese Entscheidung ermöglichten.
Ich fand es wichtig, dass auch Folgendes deutlich geworden ist: Es ist falsch, Großindustrie oder großformatige Produktion und Mittelstand gegeneinander auszuspielen. Es ist deshalb falsch, weil man hier in der Region an einem einfachen Zahlenbeispiel beweisen kann, warum das so ist. Es ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass hier direkt 5.500 Arbeitsplätze entstehen werden. Es ist genauso zu Recht darauf hingewiesen worden, dass hier indirekt über eine Dienstleistungsstruktur noch einmal genauso viele Arbeitsplätze entstehen werden. Das ist keine Hoffnung, sondern das ist auf Erfahrung aufgebauter Realismus.
Dieser zweite Bereich wird sich nur durch den Mittelstand realisieren lassen. Daraus folgt, dass der zweite Bereich ohne den ersten nicht oder, besser gesagt, so nicht möglich gewesen wäre. An dem Punkt zeigt sich, wie man dafür sorgen muss, dass beides ineinander greifen kann und beides ermöglicht wird. Es zeigt sich auch, wie falsch es ist, das eine gegen das andere zu setzen oder gar gegeneinander auszuspielen. Ich glaube, die Region hier zeigt schon seit längerem, dass es möglich ist, genau solche Cluster zu schaffen, in denen eine großformatige industrielle Produktion auch und immer wieder dafür sorgt, dass eine Dienstleistungsstruktur beziehungsweise eine Zulieferstruktur entsteht, die man dann - das geschieht auch - mit wissenschaftlicher Erkenntnis füttern kann.
Deswegen ist das, was hier vorgestellt worden ist, zum Beispiel dafür zu sorgen, dass eine Zusammenarbeit mit denen, die sich an den Hochschulen und den Fachhochschulen mit Fahrzeugbau oder Materialkunde befassen, und denjenigen, die in der Wissenschaft und der Bildung tätig sind, sowie denjenigen, die im Unternehmen zu tun haben, Teil eines Zukunftsmodells.
Mein Eindruck ist, dass nicht zuletzt mit dieser Entscheidung deutlich geworden ist, welche Möglichkeiten, welche Chancen und welchen Leistungswillen es bei gut ausgebildeten Menschen im Osten gibt. Ich finde es bemerkenswert, dass die eingegangenen Bewerbungen - Sie, Herr Milberg, haben das gesagt - vielfach von Menschen sind, die wieder hierher zurückkommen wollen. Auch das ist ein ermutigendes Zeichen.
Wir werden keine großen Schwierigkeiten hinsichtlich der Realisierung der Zusammenarbeit zwischen Europa und dem, was sich hier aufgebaut hat, haben. Ich sage das bewusst zurückhaltend. Wenn ich mir das ansehe, so glaube ich, dass das, was es naturgemäß und in sinnvoller Weise an gesetzlich definierter und in Brüssel abgestimmter Förderung gibt, zu realisieren sein müsste. Es wird unsere gemeinsame Aufgabe sein, dafür in der näheren Zukunft zu arbeiten.
Die Tatsache, dass es uns in Verhandlungen mit der Europäischen Kommission in Brüssel gelungen ist, dafür zu sorgen, dass insbesondere Großprojekte über den eigentlichen Schlusstermin hinaus weiter gefördert werden können, zeigt, dass wir auch in soweit auf dem richtigen Weg sind.
Ich will unterstreichen - das hat Herr Ministerpräsident Milbradt gesagt - , dass wir, was die Erweiterung Europas angeht, auf dem richtigen Weg sind. Es ist nicht leicht und es wird sicherlich manch ein Konflikt auszustehen sein. Aber ich denke, insgesamt gesehen hat das wirtschaftsgeographische Zeichen, das Herr Milbradt gesetzt hat, schon seine Berechtigung. Es sollte den Bürgerinnen und Bürgern insbesondere längs der früheren EU-Außengrenze klargemacht werden, dass mehr Chancen als Belastungen mit der Erweiterung verbunden sind.
Es wird jetzt wie überhaupt darauf ankommen, in einer Phase, in der sich zeigen wird, ob wir durchstarten können oder nicht, Optimismus zu haben, weil er als eine erforderliche Grundlage genutzt werden sollte, Projekten wie diesem zum vollen Erfolg zu verhelfen.
Abschließend möchte ich Ihnen alles Gute wünschen. Den Bauleuten wünsche ich, dass das Bauwerk unfallfrei erstellt werden kann. Den BMW-Kunden und denen, die die Autos zu bauen haben, wünsche ich ebenfalls alles Gute.