Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 05.06.2002
Untertitel: "Die Arbeit des Deutschen Tourismusverbandes als Dachverband der öffentlichen Tourismus-Organisationen hat sich bewährt. Und sie bleibt auch für die Zukunft des Reiselands Deutschland wichtig."
Anrede: Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrter Herr Dr. Linde, meine sehr geehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/15/83115/multi.htm
100 Jahre Deutscher Tourismusverband das ist ein stolzes Jubiläum. Zu diesem runden Geburtstag übermittle ich Ihnen die herzlichen Glückwünsche der Bundesregierung.
Die Arbeit des Deutschen Tourismusverbandes als Dachverband der öffentlichen Tourismus-Organisationen hat sich bewährt. Und sie bleibt auch für die Zukunft des Reiselands Deutschland wichtig. In unserem Land gibt es mehr als 6.000 touristisch bedeutsame Städte und Gemeinden mit mehr als 54.000 Beherbergungs-Betrieben.
Eine Institution, die die Kräfte der vielen Organisationen vor Ort bündelt und die vielfältigen Attraktionen unseres Landes zu einem kraftvollen Bild des Deutschland-Tourismus zusammenfügt, ist deshalb unverzichtbar.
Der Deutsche Tourismusverband hat in den vergangenen 100 Jahren ein starkes Netz zwischen den vielen kommunalen Verkehrsverbänden und den tourismuspolitischen Gremien auf Länder- , Bundes- und internationaler Ebene geknüpft.
Damit wurde eine gute Grundlage geschaffen, um den Deutschen, aber auch unseren ausländischen Gästen in unserem Land überzeugende Angebote unterbreiten zu können.
Dass diese Angebote auf durchaus fruchtbaren Boden fallen, machen wenige Zahlen deutlich. Im abgelaufenen Jahr lag die Zahl der Übernachtungen um 11 Prozent über dem Wert von 1998. Inzwischen werden rund um das Reisen nahezu 8 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet. Die Arbeitsplätze von fast 3 Millionen Menschen sind direkt oder indirekt mit touristischen Dienstleistungen verbunden. Das sind viermal so viele Beschäftigte wie im Automobilbau und sogar sechs mal mehr als in der Chemischen Industrie. Deutschland ist bei den Bundesbürgern vor Spanien, Italien und Österreich das beliebteste Reise-Ziel. Abwechslungsreiche Landschaften mit einer intakten Natur und lebendige Städte mit ihrem reichhaltigen Angebot an Kunst und Kultur- das schätzen die Deutschen ganz besonders.
Aber auch bei ausländischen Urlaubern liegt unser Land als Reiseziel hoch im Kurs - die meisten Besucher kommen aus den Niederlanden, den USA und Großbritannien. Wir heißen sie als unsere Gäste herzlich willkommen und arbeiten dafür, dass sie sich wohlfühlen bei uns. Wir wollen, dass sie das Bild eines traditionsbewussten und zukunftsgewandten Landes, eines toleranten und weltoffenen Deutschland mit auf ihre Heimreise nehmen. Und dass wir sie als zufriedene Kunden gewinnen konnten, die gerne wieder kommen.
Die Bundesregierung leistet ihren Beitrag, den Deutschland-Tourismus nach Kräften zu fördern. Im vergangenen Jahr haben wir gemeinsam mit dem Deutschen Bundestag das "Jahr des Tourismus 2001 in Deutschland" initiiert. Die Länder, die Branchen-Verbände und die Tourismus-Wirtschaft haben sich ebenfalls beteiligt. Zusammen haben wir dem Deutschland-Tourismus zusätzlichen Schwung verliehen. Reisebüros und Veranstalter haben so viele neue Angebote wie noch nie für einen Urlaub in Deutschland entwickelt.
Diese Innovationen zahlen sich aus. Die Buchungen für Pauschalreisen im Inland sind um 25 Prozent gestiegen. Um gerade ausländische Urlauber noch stärker für das Reiseland Deutschland zu interessieren, hat die Bundesregierung auch die auf das Auslandsmarketing spezialisierte Deutsche Zentrale für Tourismus nachhaltig gestärkt. Wir haben die Zuwendungen für die Deutsche Zentrale für Tourismus in diesem Jahr erneut auf nunmehr 22,5 Millionen Euro erhöht.
Vor allem aber sorgt die Bundesregierung für gute wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen, von denen auch die Touristik-Branche profitiert. Dazu gehört zum Beispiel der weitere Ausbau der Verkehrs-Infrastruktur. 1998 wurden in die Verkehrswege 9,5 Milliarden Euro investiert. In diesem Jahr sind dafür 11,5 Milliarden Euro vorgesehen. In der nächsten Zukunft wollen wir insgesamt 90 Milliarden Euro für die Modernisierung, den Ausbau und die bessere Vernetzung der Verkehrswege in unserem Land bereitstellen. Die Einzelvorhaben dieses gewaltigen Investitionsprogramms sollen noch vor dem Ende dieses Jahrzehnts realisiert werden. Darüber hinaus werden wir die Investitionsförderung durch die Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur, die gerade auch der Stärkung der touristischen Infrastruktur in den Regionen zu Gute kommt, auf hohem Niveau fortsetzen.
Unabhängig davon wollen wir die Kommunen selbst in die Lage versetzen, noch stärker aus eigener Kraft auch in diesem Bereich zu investieren. Mit der Reform der Gemeindefinanzen, die wir uns für die kommende Legislaturperiode vorgenommen haben, streben wir eine Verstetigung der kommunalen Steuereinnahmen an. Gleichzeitig - auch dadurch erhält die Touristik-Branche zusätzliche Impulse - haben wir die Steuerlast von Bürgern und Unternehmen nachhaltig gesenkt. Mit unserer umfassenden und weitreichenden Steuerreform entlasten wir die mittelständischen Betriebe, die die Tourismus-Wirtschaft in besonderer Weise prägen, in klar festgelegten Schritten um insgesamt fast 17 Milliarden Euro bis 2005. Parallel dazu sinkt die Steuerlast der privaten Haushalte. Bis zum Jahr 2005 werden die Menschen mehr als 41 Milliarden Euro zusätzlich in der Tasche haben.
Meine Damen und Herren,
mit unserer Reformpolitik haben wir die Wachstumskräfte in Deutschland nachhaltig gestärkt. Inzwischen hat die deutsche Wirtschaft die weltwirtschaftlich bedingte Konjunkturabkühlung des vergangenen Jahres überwunden. Jetzt stehen wir am Beginn eines neuen Aufschwungs. Die positiven Erwartungen der Unternehmen bestätigen dies ebenso wie der ansteigende Trend bei Auftragseingängen und Produktion.
Hinzu kommen niedrige Zinsen und eine deutlich rückläufige Inflationsrate.
Zudem bieten die jüngsten Tarifabschlüsse mit ihrer langen Laufzeit den Beschäftigten eine klare Einkommensperspektive und den Unternehmen eine verlässliche Investitionsgrundlage. All dies festigt die Basis für eine anhaltende Aufwärtsentwicklung.
Die Konjunkturexperten rechnen übereinstimmend mit einem sich im Jahresverlauf deutlich beschleunigenden Wirtschaftswachstum in Deutschland und einer Wachstumsrate von 2,5 Prozent im kommenden Jahr. Ich bin sicher, dass diese Entwicklung sich bald auch positiv auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar machen wird. Damit werden wir den Beschäftigungsaufbau fortsetzen können, den diese Bundesregierung seit ihrem Amtsantritt eingeleitet hat. Immerhin haben heute 1,2 Millionen Menschen mehr einen Arbeitsplatz als noch 1998. Gleichzeitig ist die Zahl der Arbeitslosen um rund 10 Prozent, die der Langzeitarbeitslosen sogar um 18 Prozent gesunken. Dies ist zuerst und vor allem positiv für die Menschen, die dadurch eine neue Chance bekommen, aus eigener Kraft für sich und ihre Familien zu sorgen. Es ist aber auch eine gute Nachricht für die Tourismusbranche. Denn gibt es eine bessere Basis für das Schmieden von Reiseplänen als einen Arbeitsplatz mit eigenem Einkommen?
Dass dieses Einkommen jetzt in Euro und nicht mehr in D-Mark gezahlt wird, wird den Tourismus aller Voraussicht nach weiter beflügeln. In zwölf Staaten der Europäischen Union gelten seit Anfang dieses Jahres einheitliche Scheine und Münzen. Das Umtauschen und Umrechnen entfällt. Die Preise sind unmittelbar vergleichbar. Und Deutschland schneidet dabei nicht schlecht ab. So kostet eine Übernachtung in Berlin im Durchschnitt 105 Euro. In Paris oder Rom sind es 175 Euro.
Gleichwohl haben viele Menschen bei uns zunächst zwiespältige Erfahrungen mit der neuen Währung gemacht. Wer wollte es leugnen: Fast jeder von uns hat in seinem Umfeld die Beobachtung gemacht, dass nicht die Mehrzahl, aber eben doch der eine oder andere Unternehmer bei der Umstellung seiner Preise zu seinen Gunsten kalkuliert hat. Und dennoch bleibe ich dabei: Der Euro ist kein Preistreiber - und jeder Einzelne kann dazu seinen Beitrag leisten. Denn mit unserer Kaufentscheidung als Verbraucher haben wir das wirkungsvollste Instrument in der Hand, um uns gegenüber schwarzen Schafen, die es gibt, durchzusetzen. Zu einem Konsum-Pessimismus jedenfalls besteht überhaupt kein Anlass.
Meine Damen und Herren,
der 11. September 2001 hat sich tief in unsere Erinnerungen eingegraben. Die furchtbaren Terrorangriffe auf die USA haben nicht nur der Weltwirtschaft im vergangenen Jahr einen kräftigen Schlag versetzt. Sie haben weltweit auch Reisende verunsichert. In Deutschland blieben vor allem Besucher aus den USA aus. Die Bundesregierung hat schnell gehandelt. Aktiv wirken wir in der Allianz gegen den Terror mit.
Wir haben die Sicherheitsbedingungen an unseren Flughäfen verbessert. Und wir haben den deutschen Fluglinien Garantien gegeben, ohne die der Passagierflugverkehr zum Erliegen gekommen wäre. Deutschland bietet hinsichtlich der Sicherheit höchste Standards.
Inzwischen deuten die Zeichen wieder auf eine allmähliche Zunahme der Reisetätigkeit. Zugleich zeichnet sich eine stärkere Orientierung auf näher gelegene Ziele ab. Eine Umfrage zu den Urlaubsplanungen in diesem Jahr hat ergeben, dass mehr Deutsche ihren Urlaub daheim in Deutschland verbringen wollen als in früheren Jahren. Es liegt nun an den Unternehmen der Tourismusbranche ebenso wie an den öffentlichen Tourismusorganisationen, diese Menschen mit attraktiven Angeboten und einem professionellen Service von ihren Leistungen zu überzeugen.
Mir scheint es wichtig, dabei verstärkt auch den Gedanken der Nachhaltigkeit zu berücksichtigen. Die Vereinten Nationen haben 2002 zum Jahr des ökologischen Tourismus ausgerufen. Unverkennbar reift bei Verbrauchern wie bei Anbietern ein neues Verständnis des Reisens heran. Immer mehr Urlauber wünschen sich ein naturnahes und naturverträgliches Reisen. Und eine zunehmende Zahl von Anbietern macht die Erfahrung, dass die Menschen bereit sind, für eine gute Leistung auf diesem Gebiet auch gutes Geld zu bezahlen.
Ich begrüße diese Entwicklung. Die Bundesregierung hat die Initiative zur Gründung der Umweltdachmarke "Viabono" ergriffen. Damit erhält der Reisende eine Orientierungshilfe bei der Wahl umweltfreundlicher Reiseangebote. Überdies engagieren wir uns verstärkt in Projekten wie der Förderung des Fahrrad- und Wandertourismus. Wir leisten finanzielle Unterstützung dabei, die deutschen Nationalparks zu touristischen Anziehungspunkten zu entwickeln.
Nicht zuletzt tun wir dies, weil Deutschland gerade im Bereich des naturnahen Tourismus besondere Chancen im internationalen Wettbewerb der Reiseländer hat. Die Welttourismus-Organisation hält auch nach dem 11. September an ihrer Prognose fest, wonach sich die Zahl der Gästeankünfte bis 2020 weltweit verdreifachen und europaweit verdoppeln wird. Wir wollen und werden an dieser Entwicklung teilhaben. Gerade auch für die neuen Bundesländer ergeben sich hier beachtliche Entwicklungschancen.
Der Tourismus erbringt schon jetzt einen wesentlichen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung der neuen Länder und zur Stabilisierung der Beschäftigung. In Mecklenburg-Vorpommern hängt jeder sechste Arbeitsplatz vom Tourismus ab. Die Fertigstellung der neuen Küstenautobahn A 20, die Mecklenburg-Vorpommern mit Hamburg und Schleswig-Holstein verbindet, wird der Region zusätzliche Impulse verleihen. Schon heute liegt Mecklenburg-Vorpommern an der Spitze der Zuwachsraten bei den Übernachtungszahlen mit einem Plus von nahezu 50 Prozent zwischen 1998 und 2001, gefolgt von Brandenburg mit gut 20 Prozent.
Diese Zahlen liegen weit über dem bundesweiten Durchschnitt. Sie belegen, dass in der ostdeutschen Tourismus-Wirtschaft ein spürbarer Aufholprozess stattfindet. Die neuen Bundesländer präsentieren mittlerweile ein überzeugendes Angebot auf dem Reisemarkt. Nicht zuletzt der Nikolai-Saal, in dem wir uns befinden, zählt zu den vielen attraktiven und geschichtsträchtigen Bauwerken in Ostdeutschland. Damit hat sich der Deutsche Tourismusverband für seine Jubiläumsfeier einen Ort ausgesucht, der gleichermaßen für Tradition und Zukunft steht. Auch zu dieser Standortwahl gratuliere ich Ihnen, sehr geehrter Herr Dr. Linde. Und ich verbinde dies mit den besten Wünschen für eine weiterhin erfolgreiche Arbeit Ihrer Organisation für das Reiseland Deutschland.
Vielen Dank.