Redner(in): Rolf Schwanitz
Datum: 09.09.1999

Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/96/11796/multi.htm


Mit einem geradezu verlogenen Antrag fordert die Union die Bundesregierung auf, den "Aufbau Ost endlich wieder richtig zu machen". Dabei sind die heute fast 1,4 Millionen Arbeitslosen in den neuen Ländern und das in den letzten beiden Jahren sogar hinter die alten Länder zurückgefallene wirtschaftliche Wachstum die Bilanz der Regierung Kohl.

Und nun wollen Sie mit dem Titel des Antrags Glauben machen, daß Sie den Aufbau Ost richtig gemacht hätten? Wo sind denn die blühenden Landschaften? Mit diesem Wahlkampfgeklapper ist den neuen Ländern nicht geholfen.

Die Bundesregierung hat demgegenüber ein klares Konzept: Mit dem Zukunftsprogramm 2000 schaffen wir die finanziellen Handlungsmöglichkeiten, den Aufbau Ost mittelfristig erfolgreich finanziell zu fördern. Über die Haushaltskonsolidierung hinaus geht es um die wachstums- und beschäftigungsorientierte Ausrichtung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Deutschland. Von diesen langfristig angelegten Reformen werden insbesondere die neuen Länder profitieren.

In Anlehnung an den Antrag der Union müßte es deshalb eher heißen: Die neue Bundesregierung wird den Aufbau Ost endlich richtig machen.

Wenn aus den Entwicklungen der letzten Jahre eine Schlußfolgerung gezogen werden kann, dann ist es diese: Der Aufbau Ost wird länger dauern als vielfach angenommen. Die blühenden Landschaften werden nicht über Nacht entstehen. Solche Bilder haben der Sache in den letzten Jahren mehr geschadet als genutzt, denn daraus wurden unrealistisch kurze Zeithorizonte für die Entwicklung in den neuen Ländern abgeleitet. Enttäuschungen bei Ost- wie bei Westdeutschen konnten deshalb nicht ausbleiben.

Bis zuletzt hatte die alte Bundesregierung nach dem Gesetz der großen Planzahlen gearbeitet. Die Folge ist, daß die neue Bundesregierung einen eigentlich für die nächsten Jahre aufgestellten Bundesverkehrswegeplan übernommen hat, der völlig unterfinanziert ist und deshalb nicht das Papier wert ist, auf dem er steht. Von der alten Bundesregierung haben wir außerdem eine Schuldenlast von inzwischen 1,5 Billionen DM übernommen und müssen deshalb alleine für die Zinsleistungen 17 % der Gesamtausgaben aufbringen.

Aufschlußreich ist hier ein Zitat: "Deshalb hat die Bundesregierung beschlossen, durch strikte Sparsamkeit die öffentlichen Haushalte zu konsolidieren." 1994 hat dies die Bundesregierung in ihrer Leistungsbilanz für die neuen Bundesländer verkündet. Passiert ist nicht viel. Auch hier gilt: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.

Die neue Bundesregierung hat deshalb eine dreistufige Strategie "Zukunft Ost" entwickelt:

Erstens gilt es, Fehler der alten Regierung, wenn möglich, zu korrigieren. In vielen Bereichen ist es uns bereits gelungen, soweit es politisch und faktisch noch möglich war, Fehlsteuerungen zu begegnen. Wir haben durch Erleichterungen beim Altschulden-Hilfegesetz vielen ostdeutschen Wohnungsgesellschaften eine verläßliche Perspektive für die Zukunft gegeben. Durch Korrekturen im Flächenerwerbsprogramm und im Ausgleichsleistungsgesetz sichern wir die Gleichberechtigung ostdeutscher Landwirte beim Landerwerb und durch die Novellierung der SED-Unrechtsbereinigungsgesetze ist es uns gelungen, in enger Zusammenarbeit mit den Opferverbänden die Diskriminierung der Betroffenen zu beseitigen.

Zweitens muss die Abbruch- und Beendigungsstrategie der alten Bundesregierung erfolgreich gestoppt werden. Wäre es nach der Planung der Regierung Kohl gegangen, wäre das Investitionsvorranggesetz mittlerweile ausgelaufen, das KfW-Wohnraummodernisierungsprogramm beendet, wichtige Innovationsförderprogramme nicht fortgesetzt und die Arbeit der BvS weitgehend eingestellt.

Wäre es nach der Finanzplanung der alten Bundesregierung gegangen, würde auch der Zuschuß für die Bundesanstalt für Arbeit im kommenden Jahr auf 5 Milliarden DM sinken und damit mehr als halbiert. Auf dieser Basis wäre eine Verstetigung der aktiven Arbeitsmarktpolitik in Ostdeutschland unmöglich.

Drittens müssen die Aufbauhilfen in Zukunftsfeldern der ostdeutschen Entwicklung konzentriert und verstärkt werden. Hierzu gehört ein wirtschaftspolitisches Gesamtkonzept, das die Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die Förderung von wettbewerbsbestimmenden Kompetenzen und die Effizienzsteigerung der Förderprogramme umfassen muß. Neben den wirtschaftlichen Aspekten geht es aber auch um Fragen der sozialen Entwicklung und des gesellschaftlichen Zusammenhalts.

Wichtig ist in der Analyse zunächst, daß die Perspektiven für die neuen Länder durchaus günstig sind. Die neuen Länder haben zweifellos eine Reihe besonderer Stärken und Vorteile entwickelt. Den Investoren stehen hochmotivierte und gut ausgebildete Arbeitskräfte, eine in weiten Teilen moderne Infrastruktur und nicht zuletzt ein umfassendes staatliches Förderinstrumentarium zur Verfügung. Darüber hinaus entstehen in unmittelbarer Nachbarschaft neue Absatzmärkte in Mittel- und Osteuropa. Sie zählen mittlerweile zu den wachstumsintensiven Exportmärkten der deutschen Wirtschaft.

Diese Vorteile und Entwicklungsansätze wollen wir verstärken. Die Entwicklung der neuen Länder wird jedoch nur dann erfolgreich sein und die Menschen begeistern, wenn es dabei gelingt, die extrem hohe Arbeitslosigkeit spürbar abzubauen. Aus diesem Grunde hat die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland für die neue Bundesregierung höchste Priorität.

Das wirtschaftspolitische Gesamtkonzept der Bundesregierung baut einerseits auf eine wachstums- und beschäftigungsorientierte Gestaltung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für ganz Deutschland. Sie wurden von der Bundesregierung mit dem Steuerentlastungsgesetz 1999 / 2000/2002 und im Rahmen des Zukunftsprogramms 2000 beschlossen. Von diesen langfristig angelegten Reformen werden insbesondere die neuen Länder profitieren. Andererseits müssen besondere Standortnachteile und Defizite in den neuen Ländern selbst abgebaut werden.

Wir werden die Förderpolitik effizienter und zielgenauer gestalten. Auch die Länder sind aufgerufen, ihre Programme zu durchforsten und gemeinsam mit dem Bund für mehr Transparenz und länderübergreifende Vereinfachung zu sorgen.

Wir werden verstärkt innovative Unternehmen sowie Forschung und Entwicklung nicht nur in einzelnen Unternehmen sondern insbesondere in Netzwerken fördern.

Besonders wichtig sind uns dabei der Mittelstand und junge Existenzen.

Außerdem werden wir gezielt die Infrastruktur verbessern, um hier die noch immer bestehenden Standortnachteile in den neuen Ländern abzubauen.

Mit dieser Strategie "Zukunft Ost" werden wir die notwendigen Impulse für die Entwicklung der ostdeutschen Wirtschaft und der neuen Länder geben.

Wir werden den Aufbau erst endlich richtig machen.