Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 06.06.2002
Untertitel: Schröder: "Im Ergebnis ist der Anteil des Bausektors an der Bruttowertschöpfung in den neuen Ländern auf einen mehr als doppelt so hohen Wert wie in den alten Ländern gestiegen."
Anrede: Sehr geehrter Herr Schüssler, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/85/83585/multi.htm
Bei mir steht es am Anfang, und ich tue es gerne und auch herzlich: Ich möchte Herrn Professor Walter, der seine Operation gut überstanden hat, meine besten Wünsche zur Genesung aussprechen. Ich hoffe, dass er bald wieder mit gewohnter Kraft und gewohntem Elan ebenso kritisch, wie auch fair mir gegenüber - und da habe ich mich nie zu beklagen gehabt - sein Amt wieder aufnehmen kann.
Der heutige Tag der Deutschen Bauindustrie gibt Gelegenheit, auf das zu antworten, was Herr Vizepräsident Schüssler hier vorgetragen hat. Er gibt aber auch Gelegenheit, am Anfang für Leistungen Respekt zu sagen, und zwar für Leistungen, die Sie in den vergangenen Jahrzehnten nicht zuletzt beim Aufbau Ost vollbracht haben.
Wer heute durch Städte wie Leipzig, Erfurt, Rostock oder Schwerin geht - um nur ein paar Beispiele zu nennen - sieht, was gerade diese Branche bei der Einheit bewirkt hat. Der sieht, dass der Aufbau Ost im besten Sinne des Wortes nicht zuletzt ein Werk der Bauwirtschaft ist.
Ihre Branche, meine Damen und Herren, setzt die sichtbaren Signale in dem beispielhaften und beispiellosen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kraftakt, dem sich die Menschen in unserem Land seit mehr als zehn Jahren glücklicherweise stellen dürfen, aber eben auch stellen müssen. Ich sage auch: Kein anderes Land in Europa hat eine solche Aufgabe zu bewältigen. Ich füge hinzu: Wohl kaum eines hätte die wirtschaftliche Kraft dazu, das so zu machen, wie Deutschland das hinbekommen hat.
Seit Anfang der 90er Jahre wurden in den neuen Bundesländern fast 1.000 Milliarden Euro in neue Maschinen, Ausrüstungen und Gebäude investiert. Das ist ein gewaltiges, ein historisch einmaliges Investitionsprogramm. Ich stelle mir gelegentlich vor, Herr Keynes hätte davon Kenntnis gehabt. Ich glaube, er hätte eine neue Auflage seines Buches geschrieben.
Vieles davon wurde staatlich gefördert - so auch in der Bauwirtschaft. Es mag sein, dass man am Anfang den politischen Fehler gemacht hat, einen zunächst sinnvollen Aufbau von Bau-Kapazitäten zu lange voranzutreiben. Aber die Tatsache, dass wir, wie Herr Schüssler gesagt hat, seit Mitte der 90er Jahre mit Kapazitätsabbau zu tun hatten, hätte möglicherweise - ich will mich da sehr vorsichtig ausdrücken - eine frühere Reaktion auf diesen Tatbestand erfordert.
Im Ergebnis ist der Anteil des Bausektors an der Bruttowertschöpfung in den neuen Ländern auf einen mehr als doppelt so hohen Wert wie in den alten Ländern gestiegen. Das macht einen großen Teil der Kapazitätsprobleme und als Folge dessen - Sie haben darauf hingewiesen - auch der Wettbewerbsprobleme aus. Ich glaube, wenn man, wie beim Bau üblich, respektvoll miteinander umgehend über die wirklichen Probleme redet, muss man über die Frage diskutieren, ob es gesamtwirtschaftlich sinnvoll ist, durch welche und wie finanzierte Programme auch immer, diese
Überkapazitäten künstlich aufrechtzuerhalten. Ich glaube, das ist eine der zentralen Fragen, die wir miteinander besprechen müssen. Ich rede damit nicht einem brutalen Abbau das Wort - längst nicht. Aber dass Überkapazitäten in einer Marktwirtschaft auf Dauer nicht durch Strohfeuerprogramme aufrechterhalten werden können, gehört zum Einmaleins einer marktgesteuerten Wirtschaft.
Ich finde, dass die übermäßige Förderung durch Sonderabschreibungen zu spät weggefallen ist. Wir haben das 1999 gemacht. Die verfehlte Förderpolitik hat dazu beigetragen - auch das ist eines der Probleme, die wir in diesem Sektor haben - , dass heute in den neuen Ländern eine Million Wohnungen schlicht leer stehen. Wir müssen uns politisch damit beschäftigen, wie wir mit diesem Leerstand umgehen.
Herr Schüssler, ich teile Ihre Auffassung vollkommen, dass die Bauwirtschaft immer ein Konjunkturmotor gewesen ist und natürlich auch in diesem Sinne einer bleiben soll. Aber eben an den Marktgesetzen vorbei zu operieren, schafft keine Entlastung für die Branche und erst recht keine für unser gesellschaftliches Zusammenleben. Ich glaube, dass die Branche darunter noch leidet. Wir haben das während der Erarbeitung des Zehn-Punkte-Programms auch besprochen.
Den Hinweis darauf will ich übrigens mit einer Anregung verbinden: Wenn neue Probleme aufgetaucht sind, die Sie, was Qualitätsstandards angeht, europäisch genannt haben, macht es vielleicht Sinn, sich erneut zusammenzusetzen und sich anzuschauen, was man gemeinsam tun kann und das neu Gefundene so präzise abarbeitet, wie wir das Zehn-Punkte-Programm auch präzise abgearbeitet haben. Meine Bereitschaft dazu ist jedenfalls vorhanden. Ich habe ein großes Interesse daran, mich auch in Zukunft neben der Selbstverständlichkeit, dass die zuständigen Minister das tun, selber darum zu kümmern, weil diese Branche wirklich von außerordentlicher Bedeutung ist.
Wir haben die frühere Förderpolitik geändert. Wir haben mit dem Solidarpakt II, den wir gegen manchen Widerstand durchgesetzt haben, die Finanzierung des noch bestehenden Nachholbedarfs - und der ist ziemlich groß - bei der Infrastruktur in den neuen Ländern für eine ganze Generation sichergestellt. Wir haben das so gemacht, dass bei der Verteilung des Geldes, also dessen, was investiert werden kann, nicht nur zentral einfach angeordnet wird, sondern wir haben den Ländern - und die können das an die Kommunen weitergeben - weit gehende Freiheiten bei der Frage des Wie der Investitionen eingeräumt.
Auf dieser Basis erhalten die neuen Länder von 2005 bis 2019 degressiv gestaffelt insgesamt 156 Milliarden Euro. Das Finanzvolumen und die Laufzeit der Vereinbarung geben den Menschen in Ost, aber auch in West eine realistische Orientierung über den Weg, den wir noch gemeinsam zurücklegen müssen.
Mit dem Solidarpakt II - ich habe darauf hingewiesen - geben wir den ostdeutschen Ländern mehr Verantwortung. Wir dezentralisieren. Sie werden in Zukunft allein über die Verwendung der ihnen zufließenden Mittel entscheiden und damit auch bestimmen können, wo bei knappen Ressourcen - machen wir uns nichts vor: sie werden knapp bleiben - zuerst investiert werden soll. Dadurch können die Länder flexibel und zielgenau regionale Schwerpunkte bei der Finanzierung von Infrastruktur-Investitionen setzen.
Wir haben darüber hinaus angesichts der hohen Wohnungsleerstände, die ich Ihnen genannt habe, mit dem Programm "Stadtumbau Ost" versucht, in dem Rahmen, in dem das objektiv möglich ist, Abhilfe zu schaffen. Bis 2009 werden Bund, Länder und Kommunen im Rahmen dieses Programms noch einmal rund 2,7 Milliarden Euro investieren, und zwar sehr zielgerichtet. Diese Mittel dienen der Aufwertung von Stadtvierteln durch Investitionen in bessere Wohn- und damit Lebensqualität sowie dem Rückbau nicht mehr benötigter Wohngebäude. Aufträge, die durch dieses Programm realisiert werden, fließen nun insbesondere an kleine und mittlere Unternehmen. Das ist Erfahrungstatsache, und es ist auch gewollt. Damit schaffen wir für die neuen Länder Rahmenbedingungen, auf die sich die dort Tätigen langfristig verlassen können.
Die Experten sagen uns, dass der schmerzliche Anpassungsprozess - und darüber ist ja hier geredet worden - in der Bauindustrie in diesem Jahr wohl noch anhalten wird.
Das ist die schlechte Nachricht, die ich mitzubringen habe. Es macht auch für mich keinen Sinn, darum herumzureden, dass dieser Anpassungsprozess der Überkapazitäten wegen, die aufgebaut worden sind, in diesem Jahr noch weitergehen wird. Die gute Nachricht ist, dass der wirtschaftliche Aufschwung in Deutschland wirklich begonnen hat.
Ich sage das nicht nur deshalb, weil wir im ersten Quartal dieses Jahres wieder Wachstum hatten - ein mir zu geringes, wie Sie sich vorstellen können. Aber immerhin hatten wir Wachstum. Wir haben gerade heute die April-Zahlen für die Auftragseingänge bekommen. Diese Zahlen zeigen - das sind jetzt gesamtwirtschaftliche Größenordnungen - , dass im Verhältnis zum Vormonat die Auftragseingänge nicht, wie die Experten prognostiziert hatten, um 0,9 Prozent, sondern um fast 2,5 Prozent gestiegen sind. Das zeigt, dass alle Zeichen darauf hindeuten, dass die deutsche Wirtschaft auf einen Wachstumspfad zurückfindet.
Auch die Bauinvestitionen haben im ersten Quartal 2002 etwas zugelegt. Viel zu gering für unsere gemeinsame Sache, aber immerhin. Die deutliche Zunahme der Auftragszahlen im April zeigt, dass jetzt - und das ist das, was wir lange vermissen mussten - die Inlandsnachfrage an Dynamik gewinnt, und zwar auch beim Konsum.
Das positive Wachstumsergebnis der letzten Monate untermauert die Prognosen der Bundesregierung und der Wirtschaftsforschungsinstitute. Die Konjunkturexperten - und auf die muss ich mich, wie andere auch, stützen - rechnen mit einem sich im Laufe des Jahres deutlich beschleunigenden Wirtschaftswachstum in Deutschland und mit Wachstumsraten im nächsten Jahr von 2,5 bis zu drei Prozent.
Ich kann nur sagen: Wir müssen alle Kräfte mobilisieren, damit diese günstigen Prognosen auch erreicht werden, und zwar der Entwicklung in der Wirtschaft wegen, aber natürlich auch und erst recht wegen der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt.
Ein lang anhaltender Aufschwung wird sich in einer deutlich steigenden Nachfrage nach Bauleistungen niederschlagen. Das ist der Hintergrund, vor dem ich jedenfalls meine, dass wir gesamtwirtschaftlich und für die Branche einen möglichst schnellen und tragfähigen Tarifabschluss in der Bauwirtschaft brauchen. Ich verbinde diese Aussage mit der Hoffnung, dass man sich schnellstens wieder an einen Tisch setzt und die Differenzen, die es gegeben hat und die nach allem, was wir wissen, nicht gewaltig waren, ganz schnell zueinander bringt. Guter Wille von hier ist erklärt. Ich gehe davon aus, das der gleiche Gesprächswille auch auf Seiten der Gewerkschaft besteht. Man sollte die Tradition, die Sie zu Recht als eine vor allem auf dem Bau gültige beschrieben haben, nämlich die Tradition vernünftiger Partnerschaft und sozialen Ausgleichs, in der Weise, wie sie immer gestaltet worden ist, auch fortsetzen.
Ich vertraue darauf, dass die Tarifpartner zu einem guten und auch gesamtwirtschaftlich vernünftigen Ergebnis kommen werden. Das ist das, was ein Bundeskanzler zu einer laufenden Tarifauseinandersetzung sagen darf.
Durch langfristig angelegte Reformen haben wir zur Stärkung der Wirtschaftskraft in Deutschland beigetragen. Ich sage noch einmal: Ich beziehe das ausdrücklich auf die Steuerpolitik. Das ist eine Steuerreform, die legislaturübergreifend angelegt ist und die Planbarkeit für die Unternehmen sicherstellen soll, aber auch für die Beschäftigten in den Unternehmen. Planbarkeit hat hier geheißen: Weg von jährlichen Steuergesetzen, durch die niemand mehr durchfand, und hin zu einer langfristigen und damit planbaren Steuerpolitik. Nach dem ersten großen Entlastungsschritt aus dem letzten Jahr werden Bürger und Unternehmen im nächsten Jahr nochmals um fast zehn Milliarden Euro und im Jahr 2005 um weitere 20 Milliarden Euro entlastet. Unternehmen und Bürger werden die Steuersenkung unmittelbar als Stärkung ihrer Kauf- beziehungsweise Investitionskraft erleben.
Jeder weiß, dass er oder sie bis 2005 weiter von Steuern entlastet wird; denn abgesehen von der bereits beschlossenen letzten Ökosteuer-Stufe wird es keine Steuererhöhungen geben. Damit bleibt jedem Einzelnen mehr Geld für die Eigenvorsorge, Geld, das auch zum Erwerb von Wohneigentum genutzt werden kann.
Wir haben - nicht zuletzt im Zusammenhang damit, was wir gesamtwirtschaftlich anstreben - , im Rahmen der Rentenreform die Eigenvorsorge gestärkt. Wir hatten und haben den Tatbestand, dass die Veränderungen der Erwerbsbiographien auf der einen Seite und die glückliche Tatsache, dass die Menschen im Land älter werden auf der anderen Seite, einen Druck auf das umlagefinanzierte Rentensystem ausüben, der in eine Katastrophe geführt hätte, wenn wir nicht gehandelt hätten. Wir haben aus diesem Grunde neben die bewährte Säule der Umlagefinanzierung die Säule der Reform Eigenvorsorge in all ihren Formen und Möglichkeiten gesetzt, und wir haben damit ein großes und in Europa - was die großen Länder angeht - ziemlich einmaliges Reformwerk geschaffen, auf diese Weise Eigenvorsorge gestärkt und eines der wichtigsten sozialen Systeme - das der Altersvorsorge - intakt gehalten. Über diese Notwendigkeit ist jahrzehntelang diskutiert worden. Wir haben das gemacht, und ich bin sicher, diese Tatsache wird seine Wirkung bei den Menschen in Deutschland zeigen.
Übrigens hat das auch günstige Auswirkungen auf die Nachfrage, nicht zuletzt auf die Baunachfrage. Über die grundlegenden Weichenstellungen zur Sicherung unserer wirtschaftlichen Zukunft hinaus haben wir auch ganz gezielt die strukturellen Bedingungen in der Bauwirtschaft verbessert. Vor bald zwei Jahren - im Herbst 2000 - haben wir - zusammen mit Ihrem Verband, dem Baugewerbe und der IG BAU - das bereits zitierte Zehn-Punkte-Programm zur Förderung und Verstetigung beschäftigungswirksamer Bautätigkeit verabschiedet. Wir haben uns damals auf ein umfassendes Maßnahmenpaket verständigt und es gemeinsam umgesetzt.
Anfang dieses Jahres haben wir das Steuerabzugsverfahren eingeführt. Sie haben das seit langem gefordert, und Sie haben anerkannt - ich bin Ihnen dankbar dafür - , dass wir es gemacht haben. Ich weiß - auch das ist in Ihrem Vortrag deutlich geworden - , dass insbesondere Ihre Branche die EU-Osterweiterung anfänglich mit Skepsis gesehen hat. Das ist ganz verständlich, angesichts der vorhandenen Überkapazitäten - insbesondere in Ostdeutschland - und des denkbaren - gelegentlich auch mit unzulässigen Mitteln - verschärften Wettbewerbs.
Sie haben anerkannt, dass wir es geschafft haben - was bei den Partnern nicht einfach durchzusetzen war - , die Übergangsfristen für Dienstleistungen und für Arbeitnehmerfreizügigkeit durchzusetzen. Übrigens sind die in sich so flexibel gestaltet, dass wir davon auch positiv Gebrauch machen können, wenn es denn einmal in unserem eigenen Interesse nötig sein sollte. Auch das kann man nicht völlig ausschließen.
Ich habe verstanden, Herr Schüssler, dass Sie nicht sagen und ausdrücklich nicht gesagt haben "Wir wollen mit der ganzen Erweiterung nichts zu tun haben", sondern die wirtschaftlichen Chancen und die ungeheure politische Dimension der Notwendigkeit des Erweiterungsprozesses sehr wohl anerkannt, dabei aber deutlich gemacht haben: Wenn das historisch und ökonomisch notwendig ist und riesige Chancen beinhaltet, dann organisiert das so, dass unsere Branche oder viele Teile davon nicht den Bach heruntergehen. Das wird auch weiterhin Leitlinie unserer Politik sein.
Wir haben uns aus diesem Grunde auf die Übergangsfristen geeinigt, und wir bekämpfen auch illegale Beschäftigung. Das bleibt das gemeinsame Ziel, das wir haben. Bei den Ansatzpunkten sind wir uns einig, bei der Vorgehensweise nicht immer. Sie haben sich auf das Gesetz bezogen, das wohl im Vermittlungsausschuss liegt. Das hat ja im Kern auch mit Druck auf diejenigen zu tun, die ihre Beiträge nicht ordentlich abführen, wie es die Mitglieder Ihres Verbandes tun, und auf diese Weise Kostenvorteile den ordentlich wirtschaftenden Unternehmen gegenüber erlangen, die nicht sein müssen. Lassen Sie uns über die Frage, ob das der richtige Weg ist - wir sind davon überzeugt, sonst hätten wir das Gesetz ja nicht gemacht - , noch einmal reden. Ich bin gerne bereit, praktische Erfahrungen, die Sie gemacht haben, aufzunehmen, wenn das Ziel - nämlich, illegale Beschäftigung mit allen Möglichkeiten zu bekämpfen - nicht aus dem Auge verloren wird.
Genauso verhält es sich mit der Position, die ich zur Tariftreue eingenommen habe. Sie kennen sie. Ich halte es für falsch, dieses Gesetz, das dazu dienen soll, deutsche Bauunternehmen vor Lohn-Dumping zu schützen, zu blockieren, weil wir es gerade in dieser Situation wirklich brauchen, um diesen Schutz auch wirksam werden zu lassen. Ich denke also, wir sollten miteinander dafür sorgen, dass diese Möglichkeit genutzt werden kann.
Es ist unstrittig: Für die Zukunft des Baus sind Innovationen und vor allem Investitionen nötig. Eine leistungsfähige Infrastruktur ist eine wesentliche Voraussetzung für ein wirtschaftlich starkes Deutschland, für Wachstum und Beschäftigung. Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu, dass wir in großen Bereichen der Infrastruktur - Sie haben ja die Beispiele genannt; am Mittellandkanal komme ich manchmal vorbei, und diesbezüglich würde ich Ihnen nicht zustimmen - , nicht zuletzt im Westen des Landes, gewaltigen Nachholbedarf beim Halten von Standards haben, die wir gewohnt sind und aus wirtschaftlichen Gründen brauchen. Dieser muss neben den Aufgaben, die wir bei der Schaffung von Infrastruktur im Osten des Landes noch haben, abgearbeitet werden.
In der Mitte des zusammenwachsenden Europa ist Deutschland nun einmal die Drehscheibe für den Handel von West nach Ost und von Süd nach Nord, und das schafft Verpflichtungen für die Infrastruktur: Effiziente Verkehrsverbindungen sind - ganz klar - eine der wesentlichen Grundlagen für Wachstum und damit für Beschäftigung. Ich finde, dass wir diesbezüglich einiges vorzuweisen haben, jedenfalls, was die Investitionsquote im Bund, und auch, was die Investitionen in den Straßenbau angeht. Man sollte ja nicht glauben, dass sich ausgerechnet diese Koalition in dieser Weise mit Straßenbau beschäftigt, aber es ist so. Sie haben in der Tat die Punkte genannt.
Wir haben die Voraussetzungen für mehr Wachstum geschaffen. Ich glaube, die UMTS-Mittel - wir haben sie ja zur Schuldentilgung eingesetzt, aber die dafür dann nicht zu zahlenden Zinsen haben wir in Investitionen umgesetzt - haben uns wirklich neue Spielräume für Zukunftsinvestitionen eröffnet. 1998 - das ist wahr - sind 9,5 Milliarden Euro in den Ausbau der Verkehrswege investiert worden. In diesem Jahr sind es schon 11,5 Milliarden Euro. Für die Entwicklung und den Umbau der Städte in Deutschland stellt der Bund 2002 mehr als 640 Millionen Euro zur Verfügung - das ist doppelt so viel, wie wir 1998 vorgefunden haben.
Wir werden die Investitionen weiter verstetigen. Das war auch Kernpunkt der Aussagen aller Teilnehmer, die ich zu einer Mobilitätsoffensive zu mir eingeladen hatte. Das ist auch der Inhalt eines beschlossenen und umsetzungsfähigen - weil finanzierten - gewaltigen 90-Milliarden-Euro-Investitionsprogramms für die Modernisierung, den Ausbau und - das ist wichtig - die bessere Vernetzung der Verkehrswege; denn den aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland und Europa zunehmenden Verkehr können wir unmöglich durch Neubauten alleine in den Griff bekommen. Deswegen brauchen wir eine optimale Vernetzung aller vorhandenen Verkehrsträger neben deren Instandhaltung und dem Ausbau. Die Einzelvorhaben des Programms sollen noch vor Ende des Jahrzehnts realisiert werden, und ich bin ziemlich sicher, dass die Realisierung einen nachhaltigen Schub für die Bauwirtschaft auslösen wird.
In diesem Zukunftsprogramm Mobilität haben wir die Schwerpunkte für die künftigen Verkehrsinvestitionen festgelegt. Dazu zählen insbesondere der Vorrang für die neuen Länder, der immer noch nötig ist, der Ausbau der sogenannten Hinterlandverbindungen der deutschen Seehäfen, der Bau von Ortsumgehungen sowie die Beseitigung von Engpässen im Schienen- und Straßennetz. Wert legen wir auch auf die Entwicklung neuer Technologien wie Trans- oder Metrorapid und Galileo.
Basis aller Infrastrukturmaßnahmen wird der neue Bundesverkehrswegeplan, der Anfang 2003 meinem Kabinett zur Beschlussfassung zugeleitet werden soll. Die Bewertung der einzelnen Projekte ist inzwischen weit fortgeschritten. Gegenwärtig überprüfen die Länder und die Deutsche Bahn die Ergebnisse. Wir müssen sie auffordern, aus eigener Sicht Prioritäten zu setzen. Hierüber werden dann im Sommer die Fachleute des Bundes, der Länder sowie der Bahn sprechen. Sobald die Finanzierungslinie klar sein wird - und die wird klar gemacht werden - , wird es an die Einstufung der Projekte gehen. Dann - das ist gewiss - werden Ihre Unternehmen auch zur Realisierung bereit stehen. Die neuen Planungskapazitäten der Bahn werden dazu beitragen, Zeitabläufe zu verkürzen. Der Vorstand der Bahn wird sich - da bin ich ganz sicher - dieser Herausforderung stellen. Er ist bereits dabei, das zu tun, weil er Vorwürfe, Geld nicht ausgeben zu können, weil es an Planungskapazitäten fehlt, sicherlich nicht sehr gerne hat; denn wer lässt sich das schon nachsagen?
Ebenfalls Gegenstand unseres Zehn-Punkte-Programms zur Förderung und Verstetigung beschäftigungswirksamer Bautätigkeit war die stärkere Berücksichtigung privater Finanzierung. Lassen Sie mich in dem Zusammenhang noch ein Wort zum Hintergrund sagen: Natürlich habe ich gar nichts anderes erwartet, als dass Sie sagen - Sie haben es ja auch dezent getan - : "Ihr müsst hier mehr investieren." Wenn wir bei der Aufstellung des Haushalts nur über Investitionen zu reden hätten, wäre das auch kein Problem. Wir müssen aber auf der anderen Seite - das ist auch eine Forderung, die selbst von Mitgliedern dieses Verbandes in anderem Zusammenhang erhoben wird - sparsam mit dem Geld der Bürgerinnen und Bürger umgehen. Diese Verpflichtung haben wir national, aber wir haben sie auch international, und sie heißt Konsolidierung.
Das heißt, was wir schaffen müssen, ist eine notwendigen Konsolidierung der öffentlichen Haushalte - durch den Stabilitätspakt in Europa eingefordert - , und wir müssen vor diesem Hintergrund bis zum Jahre 2004 nicht einen ausgeglichenen, aber einen annähernd ausgeglichenen Haushalt vorlegen. Was das heißt, werden wir auch immer vor dem Hintergrund der Konjunktur einerseits und der Investitionsnotwendigkeiten andererseits bewerten müssen. Aber die Konsolidierung können und wollen wir nicht aufgeben, auch aus wirtschaftlichen Gründen, nicht nur aus gesellschaftspolitischen.
Das steht so ein wenig der Forderung nach Ausweitung der Investitionen entgegen; das kann man nicht bestreiten. Der Ausweg - nicht der bequeme, aber einer der Auswege - ist, vorhandenes privates Kapital in Deutschland - das ist gewaltig - für Bautätigkeit zu mobilisieren. Das ist der Hintergrund Ihrer und unserer Festlegung, private Finanzierung zu optimieren. Darüber hinaus lässt unsere Rechtsordnung private Realisierung auch im Hochbau grundsätzlich zu. Man kann immer wieder und nicht deutlich genug sagen, dass diejenigen, die öffentliche Hochbauinvestitionen machen wollen, sich auch dieses Mittels der privaten Finanzierung bedienen. Ich sehe insbesondere beim Bau beispielsweise von Schulen, Krankenhäusern, Parkhäusern und Schwimmbädern ein riesiges Potenzial; genauso bei der Instandhaltung, denke ich. Der Bundesbauminister wird auf Vorschlag der Bauwirtschaft und der IG BAU eine Art "Task Force" - also ein Kompetenzzentrum - einrichten, das Kommunen und private Unternehmen bei der Planung und vor allen Dingen Durchführung solcher Maßnahmen unterstützen soll. Sie haben es gefordert, wir werden es machen.
Die Kommunen sind die wichtigsten Instanzen öffentlicher Investitionstätigkeit. Wenn diese ihre Investitionen zurückfahren, hilft auch die Ausweitung der Investitionsquote im Bundeshalt - was wir getan haben und auf diesem Niveau verstetigen werden - nicht so gewaltig; das ist doch völlig klar. Die Verstetigung der kommunalen Investitionen ist deshalb ein Anliegen, das genauso für Sie als auch für die Volkswirtschaft bedeutend und wesentlich ist. Nicht zuletzt deshalb ist es eines der wichtigsten Ziele, die wir uns vorgenommen haben, in der kommenden, zweiten Phase unserer Reformarbeit das kommunale Finanzsystem - besser noch: die Finanzbeziehungen zwischen dem Bund auf der einen Seite, den Ländern und den Kommunen auf der anderen Seite - grundsätzlich zu reformieren. Das ist notwendig, weil es dabei Unwuchten gibt; keine Frage. In der politischen Auseinandersetzung behauptet natürlich jeder, der für Finanzen auf der jeweiligen Ebene zuständig ist, ihm gehe es besonders schlecht. Das höre ich von Hans Eichel jeden Tag. Komme ich zu einem Landesfinanzminister, höre ich es von dem, und beim kommunalen Kämmerer ist es kein bisschen anders. Wir müssen uns also zusammensetzen und sehen, wie wir diese Finanzbeziehungen so hinbekommen, dass Investitionen im Mittelpunkt der Finanzpolitik stehen. Wir haben uns Vorschläge erarbeiten lassen, die im Frühjahr nächsten Jahres vorliegen werden.
Deutschland hat sich - gemeinsam mit den anderen Industriestaaten - verpflichtet - es wird den einen oder anderen überraschen, dass ich das Thema hier anspreche, aber das hat einen Grund, der auch mit Bauen zusammenhängt - , die Treibhausgase zu senken. Das ist eine große Debatte in unserer Gesellschaft, und nicht nur in unserer. Deswegen müssen und können wir aber auch - gerade im Gebäudebereich - Fortschritte erzielen. Mit der Energieeinsparverordnung haben wir einen stärkeren Anreiz zu ganzheitlichem Planen und Bauen geschaffen. Es müssen alle Chancen genutzt werden, die zu einer breiten Anwendung erneuerbarer Energien, vor allem der Solarenergie, führen. Das ist energiepolitisch wichtig, und das ist für den Bau nicht falsch, auch hier wieder insbesondere für kleine und mittlere Handwerksbetriebe. Mit dem "100. 000-Dächer-Programm" und den Fördermaßnahmen, die wir im Zusammenhang damit beschlossen haben, ist wirklich ein Boom in diesem Bereich ausgelöst worden, und wenn es die Bauindustrie auch nicht unmittelbar betrifft, so wissen Sie, dass das Bauhandwerk eng mit Ihnen zusammenhängt und das Baunebengewerbe etwas ist, das Sie nicht klein schreiben wollen; wir ganz sicher auch nicht.
All diese Maßnahmen schaffen Aufträge - das ist wahr - , aber uns wie Ihnen reicht das nicht. Wir müssen Bauen einfacher machen. Nun habe ich es ja gut: Wenn ich hier noch als Niedersächsischer Ministerpräsident stünde und über Bauordnung mit Ihnen zu reden hätte und darüber, was darin so alles steht, hätte ich es schwerer. Wir machen das ja im Wesentlichen nicht. Aber wenn Sie - wie ich zum Beispiel - ein kleines Reihenhaus gekauft haben und dann einmal von der Ehefrau vorgerechnet bekommen, dass sie allein vier Aktenordner brauchte, um alle Durchschläge von behördlichen Anfragen abzuheften, weiß man, dass die Frage der Entbürokratisierung im Baubereich in einem sehr umfassenden Sinne wirklich eine der - auch konjunkturell - wichtigsten Aufgaben ist, die vor uns liegen, und ich finde, wir sollten das machen.
Verehrter Herr Schüssler, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hoffe, ich habe deutlich machen können, dass zweierlei Richtschnur unserer Arbeit ist: Zum einen haben, wollen und werden wir die Investitionstätigkeit - soweit wir verantwortlich sind - auf hohem Niveau aufrechterhalten, und wir haben ein hohes Niveau geschaffen. Zum anderen wollen wir die Fragen, die Sie drücken, miteinander besprechen. Das Zehn-Punkte-Programm und dessen Abarbeitung hat bewiesen, dass so etwas geht. Nun wird es die eine oder andere Frage geben, bei der wir nicht übereinkommen. Das ist so in der Gesellschaft, und das ist ja auch gar nicht schädlich für eine demokratische Gesellschaft. Aber ich denke, der erfolgreiche Versuch, den wir mit dem Zehn-Punkte-Programm gemacht haben, rechtfertigt es, auf dem Weg, den wir miteinander gegangen sind, auch wirklich weiterzugehen. Das liegt nicht nur im politischen Interesse des einen oder anderen. Ich bin sicher, das liegt im Interesse der Bauwirtschaft - zumal der Bauindustrie - , das liegt aber auch und vor allem im Interesse Deutschlands, und daran sollten wir alle, denke ich, mitarbeiten.
In diesem Sinne wünsche ich Ihrem Tag einen besonders schönen und guten Erfolg, und wenn Sie hinreichend gearbeitet haben, vergessen Sie auch nicht: Berlin soll eine ganz schöne Stadt sein. Ich bekomme das kaum mit, weil ich zu viel unterwegs bin, und deswegen bitte ich, jetzt auch Verständnis dafür zu haben, dass ich zur Bundesbank nach Frankfurt muss.