Redner(in): Julian Nida-Rümelin
Datum: 09.06.2002
Untertitel: Im Wirken Hoffmanns sticht ein Aspekt hervor: sein außerordentlich umfassendes Verständnis von Kultur. Hilmar Hoffmann hat einen weiten Begriff von Kultur wesentlich mitgeprägt und dazu beigetragen, Kulturinstitutionen wie Kulturpolitik zu öffnen: für die soziale Dimension des Kulturellen und die Frage der normativen Grundlagen einer demokratischen und gerechten Gesellschaft.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/71/83671/multi.htm
das Verhältnis von Kultur und Politik in Deutschland ist kein einfaches. Zu häufig noch gilt ein Entweder-Oder: Man ist ein Mensch der Kultur oder ein Politiker, aber nicht beides zugleich. Es gibt Ausnahmen, und zu den herausragenden Ausnahmen zählt ohne jeden Zweifel Hilmar Hoffmann. In der persönlichen Begegnung beeindruckt er durch seine Präsenz: ein großer schlanker Mann in den besten Jahren, immer voller Temperament. Hilmar Hoffman führt das Wort präzise und gewandt, es hat Gewicht."Das Geheimnis seines Charmes ist", wie Johannes Willms einmal formulierte,"dass er jeweils von der Sache, die er vertritt, durchdrungen, erfüllt ist."
Im Wirken Hilmar Hoffmanns sticht ein Aspekt hervor: sein außerordentlich umfassendes Verständnis von Kultur. Dieses Verständnis ist früh angelegt und zieht sich wie ein Faden durch die Stationen. Kultur und Bildung erschöpfen sich für Hilmar Hoffmann nicht im Kanon der so genannten Hochkultur und der etablierten wissenschaftlichen Disziplinen. Ihm ging und geht es um Fragestellungen, die sich nicht auf einzelne Sparten der Kunst begrenzen lassen. Hilmar Hoffmann hat einen weiten Begriff von Kultur wesentlich mitgeprägt und dazu beigetragen, Kulturinstitutionen wie Kulturpolitik zu öffnen: für die soziale Dimension des Kulturellen und die Frage der normativen Grundlagen einer demokratischen und gerechten Gesellschaft.
Es gibt ein zentrales Movens für die Breite und Intensität von Hoffmanns Werk: die Erfahrung des radikalen zivilisatorischen Bruches in der Zeit des NS- Regimes. Diese Grunderfahrung verbindet Preisträger und Namensgeber des Preises und erklärt einige Parallelen in ihrem politischen und kulturellen Wirken.
Für Waldemar von Knoeringen stellte sich nach 1945 insbesondere die Frage nach den Konsequenzen aus der Niederlage der Arbeiterbewegung gegen die Nazis. Von Knoeringen grenzte sich vom damaligen Mainstream des linken politischen Denkens ab. Die Antwort lag für ihn eben nicht in der Fixierung auf das Problem der Produktionsverhältnisse, sondern in einer Öffnung von Kultur und Bildung für alle Schichten. Diese Überlegung ist denn auch maßgeblich in die Konzeption der 1948 gegründeten "Vollmar-Schule" eingeflossen. Sie zielte insbesondere auf die Erwachsenenbildung und ging später in die Georg-von-Vollmar-Akademie über.
In der Erwachsenenbildung lag auch die erste kulturpolitische Aufgabe von Hilmar Hoffmann. 1951 - noch als Student - übernahm er im Alter von 26 Jahren die Leitung der Volkshochschule Oberhausen. Heute ist die Bildung Erwachsener unbestritten ein Kernelement staatlicher Verantwortung für die Kultur. Man muss sich aber vor Augen führen, dass sie damals kaum dem etablierten Kulturverständnis entsprach - insofern wird der umfassende Zugang Hoffmanns hier bereits deutlich.
Auch das zweite Gebiet, auf dem Hilmar Hoffmann sich engagiert - vom Theater einmal abgesehen - , liegt quer zum herrschenden Verständnis von Kultur. Die von ihm 1953 ins Leben gerufenen internationalen Westdeutschen Kurzfilmtage in Oberhausen haben maßgeblich dazu beigetragen, dass der Film heute als integraler Bestandteil der kulturellen Entwicklung anerkannt ist. Und die Kurzfilmtage haben dank Hoffmanns Enthusiasmus und Elan als Katalysator einer prägenden Phase des deutschen Films gewirkt: Die Geburtsurkunde des Jungen Deutschen Films wurde in Oberhausen ausgestellt. Regisseure wie Alexander Kluge, Rainer Werner Fassbinder und Volker Schlöndorff - um nur einige zu nennen - präsentierten hier ihre ersten Filme der Öffentlichkeit. Die mit Oberhausen verbundene Ausstrahlung verdankt sich aber auch der konsequent internationalen Ausrichtung des Festivals - die Leitung der Kurzfilmtage ist, wenn man so will, Hilmar Hoffmanns erste Station in der auswärtigen Kulturpolitik. Gleichwohl stehen zunächst weiterhin kommunale Kontexte im Mittelpunkt. 1965 übernimmt Hoffmann - parallel zu den Kurzfilmtagen - das Amt des Kulturdezernenten der Stadt Oberhausen bis er 1970 in derselben Funktion nach Frankfurt am Main wechselt.
Die Jahre um 1968 markieren eine durchaus dramatische Phase des Wandels im Klima der Bundesrepublik. In diese Zeit fällt eine weitere programmatische Parallele zwischen Namensgeber und Träger des heute zu vergebenden Preises. Die von Waldemar von Knoeringen initiierte Programmschrift "Mobilisierung der Demokratie" von 1966 erscheint im Rückblick als bemerkenswerte Antizipation einer reformistischen Antwort auf den revolutionären Ehrgeiz der Ž68er.
Auch Hilmar Hoffmann, nicht zuletzt durch die Kurzfilmtage in Oberhausen seismografisch sensibilisiert, trifft die gesellschaftliche Transformation nicht unvorbereitet. Die zuallererst mit seinem Namen verbundene Perspektive "Kultur für alle" wird zum maßgeblichen Teil einer sozialdemokratischen Antwort auf den Impetus von Ž68. Und Hilmar Hoffmann entwickelt sich zum charismatischen Protagonisten einer neuen Kulturpolitik - unermüdlich stiftet er an und ermöglicht, wirkt gleichermaßen als Pragmatiker und Programmatiker.
Inhaltlich gesehen sind aus meiner Sicht vor allem zwei Punkte des Programms "Kultur für alle" auch heute noch - oder genauer: heute wieder - von grundlegender Bedeutung für die kulturpolitische Diskussion. Der erste Punkt betrifft die Beziehung von Kunst und Lebenswelt. Unter der übergeordneten Perspektive der Ausweitung von Partizipation ging es Hoffmann und seinen Mitstreitern einerseits um einen leichteren Zugang zu den etablierten Institutionen, andererseits um neue Formen und Foren kultureller Interaktion, Stichwort etwa soziokulturelle Zentren. Dieser Ansatz war überaus erfolgreich: Die Steigerung kultureller Partizipation durch Öffnung der so genannten Hochkultur für breite Schichten der Bevölkerung gelang in beeindruckendem Maße. Und die seinerzeit vom Bildungsbürgertum kritisch beäugten Einrichtungen der Alltags- , Jugend- und Subkultur sind heute Teil des kulturpolitischen Kanons.
Dass sich die Frage nach dem Verhältnis von Kultur und Lebenswelt heute dennoch stellt, hat wesentlich mit einer Veränderung der Rahmenbedingungen in den 80er und 90er Jahren zu tun. In diesen beiden Dekaden verkleinerten sich die kulturpolitischen Handlungsmöglichkeiten angesichts enger werdender Haushaltslagen signifikant. Parallel dazu wurde die primär soziale Legitimationsbasis der neuen Kulturpolitik in den 70er Jahren zunehmend von einer wirtschaftlichen abgelöst - das Argument des Standortvorteils dominierte immer deutlicher die Diskussion. Und in der Kulturszene selbst entwickelte sich eine Art neuer Elitarismus, der die Leitideen Partizipation und Öffnung obsolet erscheinen ließ.
Bedingt durch diese Entwicklungen geriet die Kulturpolitik insgesamt in die Defensive. Ein Ende der Defensive verlangt zweierlei: die Erschließung neuer Handlungsspielräume einerseits und eine inhaltliche Neubestimmung andererseits. Diese Neubestimmung kann nach meiner Überzeugung nur gelingen, wenn wir die mit der Perspektive "Kultur für alle" verbundenen Fragestellungen und Lösungsmöglichkeiten aufnehmen und erneut sehr ernsthaft diskutieren. Und das heißt insbesondere, dass wir der kulturellen Prägung der Lebenswelt einen hohen Stellenwert beimessen müssen. In den Mittelpunkt rücken dabei Fragen wie die nach dem Umgang mit kulturellen Differenzen jenseits von Ausgrenzung und Marginalisierung, nach den Perspektiven kultureller Teilhabe und kultureller Bildung heute, nach der Integration zeitgenössischer Kunst in den lebensweltlichen Horizont.
Damit bin ich beim zweiten Aspekt der Perspektive "Kultur für alle", der mir für die gegenwärtige Diskussion von wesentlicher Bedeutung zu sein scheint. Hilmar Hoffmann ging es bei der neuen Kulturpolitik immer auch um eine Politik, die ihre Entscheidungen reflektiert, in theoretische Debatten einbettet und auf dieser Basis begründet. Es ist bemerkenswert, wie es ihm trotz hoher Beanspruchung immer gelungen ist, die politische Praxis mit seiner Tätigkeit als Autor und akademischer Lehrer zu verbinden.
Ich sage dies auch vor dem Hintergrund eines zunehmenden Theoriedefizits der Politik, das insbesondere seit 1989 offenkundig geworden ist. Auf eine Phase theoriegeladener - mitunter auch theorieüberladener - Politik in den 70er Jahren folgte eine Phase theorieloser Praxis. Eine inhaltliche Neubestimmung - nicht nur von Kulturpolitik - tut gut daran, diesem Reflexions- und Theoriedefizit zu begegnen. Gerade eine Kulturpolitik, die ein umfassendes Verständnis von Kultur zu Grunde legt und sich als Querschnittspolitik definiert, kann sich nicht allein an der volatilen Stimmung der öffentlichen Meinung orientieren. Sie muss vielmehr ihre inhaltlichen Bestimmungsgründe offen legen. Genuine Gründe aber ergeben sich nur aus dem Diskurs, aus der Verschränkung von künstlerischen, wissenschaftlichen, journalistischen und politischen Sichtweisen. Begründungsorientierte Kulturpolitik muss in der Lage sein, den partikularen Standpunkt, die Ausrichtung an persönlichen oder parteipolitischen Interessen, zu verlassen. Dass er über diese Fähigkeit verfügt, hat Hilmar Hoffmann gerade auch in seinen 20 "Frankfurter Jahren" glanzvoll bewiesen. Ich denke hier vor allem an die 80er Jahre, die Zeit des Wechsels der politischen Mehrheiten. Es war eine Gratwanderung: Hilmar Hoffmann auf der einen Seite als Synonym für sozialdemokratische Kulturpolitik, auf der anderen Seite als Mitglied eines konservativ geführten Magistrats. Mit Gelassenheit und Selbstbewusstsein hat er die Balance souverän gehalten: Hoffmann wirkte integrierend und blieb doch seiner Handschrift immer treu - zum Wohle von Kunst und Kultur.
Auf Hilmar Hoffmanns umfassendes Verständnis von Kultur gründet sich sein passionierter Einsatz für die kulturelle Bildung, das mit dem Aufbau der "Stiftung Lesen" ab dem Jahr 1990 in den Mittelpunkt rückt. Auch hier war Hoffmanns Engagement wegweisend - wir führen gegenwärtig eine bildungspolitische Debatte, die sich nicht zuletzt aus dem Umstand speist, dass eine breite Sprach- und Lesekompetenz auch in Deutschland keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Unsere Kultur wird - entgegen den Prognosen mancher Internet-Apokalyptiker - im Kern eine Schriftkultur bleiben. Orientierungswissen basiert wesentlich auf dem Vermögen, mit Sprache sorgsam und klar umzugehen. Wir müssen deshalb alles daran setzen, auch mit Blick auf Chancengleichheit und Partizipation, dass jedes Kind und jeder Jugendliche die Möglichkeit erhält, dieses Vermögen zu erlernen.
1993 wechselte Hilmar Hoffmann als Präsident an die Spitze des Goethe-Instituts, dem er bis zu Beginn dieses Jahres vorstand. Ein besserer Kandidat war kaum vorstellbar - und es bedurfte schon einer Persönlichkeit vom Range Jutta Limbachs, um die Frage seiner Nachfolge zu lösen. Hilmar Hoffmanns nicht nur physiognomische Nähe zu Goethe, seine Fähigkeit zur genuinen Verbindung von Kultur und Politik erweisen ihn einmal mehr als Glücksfall. Seine Tätigkeit fällt in eine Zeit des Umbruchs, gerade in der Auswärtigen Kulturpolitik: Das neue Europa nähert sich den Umrissen des alten an. Das Goethe-Institut transformiert sein Institutsnetz und eröffnet Institute in den Staaten Mittel- und Osteuropas. Und politische Brennpunkte rücken verstärkt ins Blickfeld: In die Amtszeit Hoffmanns fallen Neugründungen wie die in Johannesburg, Ramallah oder Sarajevo.
Die Neuausrichtung vollzieht sich vor dem Hintergrund erschwerter finanzieller Rahmenbedingungen. Schmerzhafte Kürzungen zwingen zur Schließung von Instituten. Dennoch bleibt Hilmar Hoffmann ein standhafter Verteidiger der Kultur als öffentliche Angelegenheit, auch gegen neoliberale Apologeten des Ökonomismus. Nicht im Widerspruch dazu stehen die zahlreichen von Hoffmann initiierten Kooperationen mit Unternehmen, die dem Goethe-Institut die Möglichkeiten des Sponsoring systematisch erschließen.
Nicht zuletzt Hilmar Hoffmanns großem persönlichen Einsatz ist es zu verdanken, dass eine Reihe von bedrohten Instituten erhalten bleibt. Und seine Fähigkeit zur Sachorientierung, zur Zusammenarbeit über Parteigrenzen hinweg erleichtert einen Strukturwandel des Goethe-Instituts ohne substanzielle Verwerfungen - weg vom Kameralismus hin zu flexibleren Methoden der Steuerung, aber auch hin zu Kooperationen vor allem mit den Kulturinstitutionen unserer europäischen Nachbarn.
Hilmar Hoffmanns Wirken insgesamt steht nicht zuletzt für die Verschränkung innerer und äußerer Kulturpolitik - in einer sich globalisierenden Welt zeigt sich immer deutlicher, dass wir es hier mit zwei Seiten einer Medaille zu tun haben. Fragen wie die des Umgangs mit kultureller Differenz und nach dem normativen Fundament einer human verfassten Gesellschaft stellen sich sowohl im Inneren einer multikulturellen Gesellschaft als auch in internationalen Kontexten.
Auch angesichts dessen sind die Impulse und der Erfahrungsreichtum des Grenzgängers Hilmar Hoffmann unverzichtbar. Ich habe mich deshalb sehr gefreut, dass er sich bereit erklärt hat, im Stiftungsrat der neuen Kulturstiftung des Bundes mitzuwirken. Persönlichkeiten wie er sind unverzichtbar - sensibel gegenüber den Künsten und standfest in der politischen Durchsetzung ihrer Förderung und ihres Schutzes. Die Jury-Entscheidung kann man getrost als Botschaft verstehen: Solche Männer und Frauen - hommes de lettre, die zugleich homines politici im besten Sinne sind - braucht das Land für eine gute Zukunft seiner Kultur!