Redner(in): Julian Nida-Rümelin
Datum: 13.06.2002

Untertitel: In einem Redebeitrag stellt Kulturstaatsminister Nida-Rümelin die Ziele der Bundesregierung zur Reform der Medienordnung dar. Besonderes Gewicht hat dabei die Rolle der Selbstkontrolle im Bereich des Jugendmedienschutzes.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/15/84515/multi.htm


Gesellschaften bilden Kommunikations- und Verständigungszusammenhänge. Wenn Informationskanäle und Kommunikationswege sich verändern, beeinflusst dies die Verfasstheit der Gesellschaft signifikant. Im Kern geht es also bei der Modernisierung der Medienordnung um die Modernisierung der Gesellschaft selbst. Nur eine Gesellschaft, die allen Bürgerinnen und Bürgern gleichberechtigt einen Zugang zu den Medien ermöglicht, ist genuin demokratisch. Ein gemeinsamer Bildungshintergrund, gemeinsame politische Kenntnisse, auch Gemeinsamkeiten der Unterhaltung und der Kultur sind ein zentrales öffentliches Gut in der Demokratie. Eine verantwortliche Medienpolitik muss dafür den Ordnungsrahmen setzen. Hier setzt der Antrag der Koalitionsfraktion an. Er beschreibt ausführlich und präzise die Anforderungen an die Politik, die sich aus der als Digitalisierung beschriebenen Entwicklung ergeben. Die Digitalisierung wird in absehbarer Zeit zu einer weitreichenden Konvergenz der Übertragungswege und am Ende möglicherweise auch der Medieninhalte führen.

Den im Antrag vor diesem Hintergrund beschriebenen Herausforderungen hat sich die Bundesregierung gestellt. Sie teilt die Einschätzung, dass die geltenden medienrechtlichen Regulierungen nicht mehr passgenau sind: Vorhandene sektorspezifische Regulierungsansätze müssen überdacht werden, weil sie angesichts einer konvergierenden Medienlandschaft zunehmend fragwürdig werden.

Die Bundesregierung hat sich seit Beginn der Legislaturperiode mit besonderem Nachdruck daran gemacht, in enger Abstimmung mit den Ländern die Defizite der gegenwärtigen Struktur zu beseitigen - die Reform der Medienordnung ist auch eine Bewährungsprobe für den kooperativen Föderalismus. Im August des vergangenen Jahres haben wir durch die Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Ministerpräsidenten der Länder einen wichtigen Schritt getan. Sie sieht die gemeinsame Verwirklichung einer Reform der Medienordnung vor, insbesondere auf den Gebieten, die beiderseitige Interessen und Kompetenzen berühren. Dabei geht es vorrangig um den Jugendschutz, aber auch um die Bereiche Datenschutz und Medienkonzentration sowie eine verbesserte Regelung der Nicht-Rundfunkdienste. Gerade hier haben die Parallelregelungen zu großen Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Telediensten und Mediendiensten geführt. Erfreulicherweise ist es im Jugendschutzgesetz bereits gelungen, mit dem Begriff der Telemedien und eindeutigen Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern zu einer ganz erheblichen Verbesserung zu kommen. Die maßgeblich von meiner Behörde vorbereiteten "Eckpunkte einer Neuregelung des Jugendschutzes" lagen im Dezember 2001 beschlussreif vor und sehen einen einheitlichen Schutzstandard in allen elektronischen Medien vor. Allein den Sonderwünschen der bayerischen Staatsregierung ist es zu verdanken, dass diese Eckpunkte erst im März dieses Jahres von der Ministerpräsidentenkonferenz und der Bundesregierung beschlossen werden konnten.

Mit diesem Ergebnis haben wir ein zentrales Ziel erreicht: Die Länder regeln das materielle Jugendschutzrecht für alle elektronischen Online-Medien. Auf Länderebene wird eine einheitliche Aufsichtstelle geschaffen, die Kommission für den Jugendmedienschutz. Sie wird in einer institutionalisierten Zusammenarbeit mit der Bundesprüfstelle für ein wertungsgleiches Schutzniveau bei jugendgefährdenden und jugendbeeinträchtigenden Angeboten führen. Dies ist ein ganz wesentlicher Fortschritt und ich bin froh, dass sich hier letztlich ein breiter Konsens gebildet hat. Mit den Beschlüssen vom März dieses Jahres wurde zugleich das Prinzip der regulierten Selbstregulierung im Jugendmedienschutz eingeführt - ich werde auf diesen Ansatz noch zu sprechen kommen.

Die Umsetzung der Eckpunkte ist auf Bundesebene rasch und umfassend in Angriff genommen worden: Die Koalitionsfraktionen haben unter Mithilfe der Bundesregierung und insbesondere meiner Behörde ein Bundesgesetz eingebracht, das neben dem Jugendschutz in der Öffentlichkeit auch die Bundesprüfstelle regelt und den verabredeten Regelungsspielraum für die Länder offen hält. Der entsprechende Staatsvertrag der Länder wird derzeit vorbereitet.

Mit dieser Verbesserung des Jugendschutzes im Medienbereich wird zum einen das materielle Recht vereinheitlicht. Zum anderen wird aber auch eine gestraffte Aufsichtsstruktur geschaffen, die für eine schnellere und homogenere Durchsetzung des materiellen Rechts sorgt. Weitere Verbesserungen - insbesondere mit Blick auf die Wahrung publizistischer Vielfalt - sind zu erreichen, wenn wir uns, eventuell erst in der nächsten Legislaturperiode, darauf verständigen können, einen Kommunikationsrat zu schaffen, wie ihn die sozialdemokratische Medienpolitik seit langem vorschlägt.

Das Konzept der regulierten Selbstregulierung wird auch im Antrag der Koalitionsfraktionen zu Recht hervorgehoben. Die Bundesrepublik verfügt über eine lange Tradition der Selbstregulierung - von der Einrichtung des Presserates im Jahre 1949 bis zur Schaffung der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen und der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia in den 90er Jahren. Dieser Ansatz ist nach meiner Überzeugung nach wie vor richtig. Jetzt geht es darum, ihn so weiter zu entwickeln, dass er den heutigen und den künftigen Rahmenbedingungen gerecht wird. Im Kern besteht die Herausforderung darin, die Beibehaltung größtmöglicher Autonomie der Anbieter von Inhalten auszubalancieren mit einer effektiven Durchsetzung des Rechts. Dieses Spannungsverhältnis besteht, und angesichts dessen sind weder radikale Liberalisierungsvorschläge noch weitreichende Forderungen nach möglichst vollständiger Kontrolle hilfreich.

Vor diesem Hintergrund habe ich eine Modernisierung des Konzepts der Selbstregulierung vorgeschlagen. Es geht dabei um die Weiterentwicklung vorhandener Modelle mit folgenden Merkmalen: Bereits im Vorfeld der Verbreitung soll durch die vom Staat auf gesetzlicher Basis überprüfbare - und insofern regulierte - Selbstregulierung auf Dauer ein hoher Standard normgerechter Angebote ex ante gewährleistet werden. Wenn das normverletzende Angebot verbreitet worden ist, liegt das Kind bereits im Brunnen. Ordnungspolitik aber ergibt nur Sinn, wenn sie die Verfassung und den normativen Grundkonsens einer Gesellschaft schützt - und dies tut sie nicht in erster Linie durch das Strafen begangener Verletzungen, sondern durch das Pflanzen von Hecken, die den zu beschreitenden Weg umsäumen. Genau darauf zielt die Einbindung der Selbstkontrolle in den staatlich sanktionierten Regulierungsrahmen.

Der Jugendschutz hat Verfassungsrang. Der Staat ist daher aufgefordert sicherzustellen, dass die Einrichtungen der Selbstkontrolle den rechtlichen Anforderungen genügen. Darum muss es eine hoheitliche Zertifizierung der Kontrolleinrichtungen mit Widerrufsmöglichkeit geben, darum muss die Organisation und Arbeit der Einrichtungen, ihre finanzielle Ausstattung und ihre inhaltliche Unabhängigkeit überprüft werden können. Dies sind die Hecken, die gepflanzt werden. Zwischen ihnen gibt es breite Korridore, innerhalb derer die Selbstkontrolle ihre Aufgaben eigenverantwortlich wahrnehmen kann.

Dieser Ansatz findet erfreulicherweise breite Zustimmung, von Seiten der Wissenschaft, aber auch und vor allem von Seiten der Marktteilnehmer. Wir präsentieren so ein Modell, das zukunftsfähig ist, weil es die Angebotsflut im Zeitalter der Digitalisierung bewältigen kann und für eine zeitgemäße Verschränkung von Staat und Gesellschaft sorgt. Das staatlich organisierte Verfahren stützt bestehende zivilgesellschaftlichen Strukturen und verleiht ihnen die notwendige Durchsetzungskraft.

Nicht nur die medienpolitische Diskussion steht noch immer unter dem Eindruck der schrecklichen Gewalttat von Erfurt. Mir kommt es vor allem darauf an, dass wir - bei allem Verständnis für die Besorgnis und die Erregung - nicht eine kurzatmige Debatte führen. Dabei müssen wir - mit Besonnenheit - auch die Zusammenhänge zwischen Gewaltdarstellungen in den Medien und der Entstehung realer Gewalt thematisieren.

Man liest immer wieder, dass die Medienwirkungsforschung uneins sei, welche Folgen der Konsum exzessiver Gewaltdarstellungen habe. Dies entspricht - man muss es deutlich sagen - nicht, oder nicht mehr, dem Stand der Forschung. Ego-Shooter-Games wurden von der US-Army entwickelt mit dem Ziel, die im Vietnamkrieg deutlich gewordene Hemmung, einem Gegner aus der Nähe ins Gesicht zu schießen, abzubauen. Tatsächlich ist erwiesen, dass der Prozentsatz der in dieser Weise Enthemmten nach Konditionierung durch entsprechende "Spiele" sich von ein Drittel auf etwa zwei Drittel verdoppelt! Ich kann nicht begreifen, warum die kommerziellen Anbieter solcher Spiele zulassen, dass die Seelen junger Menschen in dieser Weise Schaden nehmen.

Der Eingriff des Strafrecht ist ultima ratio, und das sollte so bleiben. Dem Eingriff der Politik über Rechtsnormen sind in jedem Falle im Rahmen einer freiheitlichen Demokratie enge Grenzen gezogen. Daher ist die Eigenverantwortung derjenigen gefordert, die die Medieninhalte bestimmen - sei es im frei empfangbaren Fernsehen, öffentlich-rechtlich oder privat, sei es im Kino-Film oder Video-Film, sei es im Video-Spiel oder Internet. Eine zivile, an humanen Werten orientierte Gesellschaft überlässt die Verantwortung nicht dem Staat allein. Diese gemeinsame, zivilgesellschaftliche Verantwortung zu stärken und das Ausmaß der Gewaltdarstellungen, ja die Gewaltfokussierungen in manchen Medien, zurückzudrängen, ist das Ziel des heute vom Bundeskanzler und den Ministerpräsidenten gemeinsam beschlossenen Runden Tisches, dem die Verantwortlichen für das Fernsehen und für die Offline- und Online-Angebote in zwei Gesprächen beim Bundeskanzler schon zugestimmt haben. Hier zeichnet sich ein - bei allen bestehenden inhaltlichen Differenzen - wichtiger Grundkonsens ab, den es für eine humane Entwicklung unserer Gesellschaft zu nutzen gilt.

Lassen Sie mich abschließend einige Bemerkungen zu den medienpolitischen Perspektiven für Europa machen. Das, was als Internationalisierung und Globalisierung beschrieben wird, hat zweifelsohne gravierende Auswirkungen auf den Medienbereich. Dennoch sind Medien immer auch auf die unmittelbare Lebenswelt bezogen - dies erklärt, zumindest zum Teil, warum die Märkte für Medien, insbesondere die Fernsehmärkte, in Europa überwiegend nationale Märkte geblieben sind.

Auch vor diesem Hintergrund ergeben sich neue Herausforderungen durch Digitalisierung und technische Konvergenz. Dem stellt sich die Bundesregierung. Mit Unterstützung übrigens der meisten Bundesländer arbeitet sie auf insbesondere auf die Realisierung der folgenden Ziele hin:

Bestand und Entwicklungsmöglichkeiten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks müssen gewährleistet bleiben, nicht zuletzt unter den Gesichtspunkten der Meinungsfreiheit und -vielfalt.

Die Grundregeln, innerhalb derer die privaten Medien agieren, bedürfen der weiteren Konkretisierung. Deutschland und Europa müssen für ausländische Investoren offen bleiben. Zugleich gilt es aber, die positiven Erfahrungen anderer Staaten mit der Begrenzung zulässiger Anteile ausländischen Kapitals zu berücksichtigen. Aus meiner Sicht spricht vieles dafür, die Anteile und Stimmrechte von Investoren aus Nicht-EU-Ländern an Fernsehunternehmen auf 25 % zu begrenzen.

Die Bundesregierung wird sich auch dafür einsetzen, den Grundsatz der Staatsferne des Rundfunks, wie er in Artikel 5 des Grundgesetzes verankert ist, innerhalb der EU verbindlich zu machen.

Darüber hinaus wird es darauf ankommen, ein europäisches Medienkonzentrationsrecht schaffen, um Konzentrationsentwicklungen in der Zusammenschau der EU-Mitgliedsstaaten beobachten und bewerten zu können.

Schließlich brauchen wir eine Fortentwicklung des europäischen Kommunikationsgrundrechts: Neben dem klassischen Medienrecht müssen auch das Wirtschafts- und das Telekommunikationsrecht auf den Grundsatz der Sicherung von Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt verpflichtet werden. Das zusammenwachsende Europa bedarf einer intakten Öffentlichkeit als kulturelle Basis - auch darin liegt die medienpolitische Herausforderung. Dankeschön.