Redner(in): Julian Nida-Rümelin
Datum: 14.06.2002

Untertitel: In seiner Rede begründet Kulturstaatsminister Nida-Rümelin den unter gemeinsamer Federführung des Bundeswirtschaftsministers und des Kulturstaatsministers eingebrachten Gesetzentwurf zur Sicherung der Buchpreisbindung.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/16/84516/multi.htm


Die Buchkultur in Deutschland nimmt international eine Spitzenstellung ein. Wir haben ein dichtes Netz von Buchhandlungen mit hochqualifiziertem Fachpersonal auch in kleineren Städten, die Verlagsangebote sind Jahr für Jahr durch ein breites Spektrum von Neuerscheinungen geprägt. Trotz einiger Konzentrationserscheinungen können sich auch kleinere und mittlere Verlage behaupten. Diese Charakteristika der Buchbranche bilden ein Kulturgut ersten Ranges. Natürlich ist das Buch auch ein Wirtschaftsgut, das produziert, vertrieben und konsumiert wird. Aber es ist nicht nur ein Wirtschaftsgut, wie es beispielsweise die Schraube darstellt. Auf dem Markt der Schraubenanbieter müssen wir darauf achten, dass nicht übermäßige Konzentrationsvorgänge die Konkurrenz aushebeln und damit zu verbraucherfeindlichen Strukturen führen. Wir können dabei darauf vertrauen, dass die Nachfrage durch den Marktmechanismus allein im Großen und Ganzen gedeckt werden wird. Im Gegensatz dazu hat das Buch neben seiner Rolle für die individuelle Bedürfnisbefriedigung weitere kulturelle Zwecke zu erfüllen, die nicht nur eine individuelle, sondern auch eine öffentliche Angelegenheit sind. Wir wünschen uns eine Gesellschaft, in der sich jeder in nahegelegenen Buchhandlungen von gutem Fachpersonal informieren, bilden und beraten lassen kann. Das nachvollziehbare Interesse, Bestseller zu einem möglichst günstigen Preis zu erwerben, muss abgewogen werden gegen das kulturelle Ziel, die Vielfalt des Buchangebotes, die Dichte von Buchhandlungen, die Qualität des Fachpersonals und die besonderen Bindungen von Autor und Verleger zu erhalten. Von daher gibt es eine kulturpolitische Legitimation für ein ungewöhnliches Instrument, nämlich das eines nationalen Preisbindungsgesetzes.

Mancher mag sich wundern, dass zum Teil die gleichen Personen, Verbände und Institutionen, die sich bei der Diskussion um das Urhebervertragsrecht vehement gegen jeden weitergehenden Markteingriff gestellt haben und das hohe Lied der Marktfreiheit gesungen haben, in diesem Fall nun einen weitgehenden Eingriff des Staates in das Marktgeschehen gefordert haben. Ich will diese scheinbare Widersprüchlichkeit wohlwollend interpretieren: Hier handelt es sich nicht um bloße Artikulationen materieller Interessen, sondern um ein Verantwortungsgefühl für das Kulturgut Buch, das in diesem Fall ein Abgehen von der reinen Lehre der Marktfreiheit begründet. Es kann kein Zweifel bestehen, dass ohne das Instrument der Preisbindung, das über 100 Jahre in Deutschland durch freiwillige Branchenabsprachen gesichert wurde, die kulturelle Rolle des Buches Schaden nehmen würde: Es gäbe mehr Konzentration, das Netz an Buchhandlungen würde rasch ausdünnen, die Angebotsvielfalt der Verlage zurückgehen. Aber auch umgekehrt gilt: Nur, wenn die Buchpreisbindung nicht nur als ein ökonomisches Instrument, sondern als eine kulturpolitisch motivierte Maßnahme verstanden wird, und wenn alle Beteiligten dies als moralische Verpflichtung empfinden, lassen sich diese kulturellen Ziele auch in Zukunft erreichen. Ohne Quersubventionen im Verlag verliert die Buchpreisbindung ihre segensreiche Wirkung auf die Vielfalt des Angebots. Wenn Verlage auf breiter Front diese Quersubventionierung der vielen weniger erfolgreichen Titel durch die wenigen sehr erfolgreichen Bücher auf dem Markt nicht mehr praktizierten - und das ist bei einigen Verlagen offizielle Politik geworden - , dann ließe sich durch Preisbindung die Vielfalt des Angebots nicht befördern.

Schon mein Vorgänger hatte vehement für die Aufrechterhaltung der Preisbindung gestritten und zur Sicherung der Preisbindung eine Initiative zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen veranlaßt. Die Kommission hatte diese Änderung des § 15 GWB, die am 1. Juli 2000 in Kraft gesetzt wurde, zunächst offiziell begrüßt. Im weiteren Verlauf gab es jedoch nicht den angekündigten "Letter of Comfort", im Gegenteil: Die Beschwerde des österreichischen LIBRO-Konzerns führte zu den mit großer Medienaufmerksamkeit durchgeführten, spektakulären Durchsuchungen bei einigen führenden Verlagen und beim Börsenverein des Deutschen Buchhandels selbst. Als ich Anfang des Jahres 2001 mein Amt antrat, verfestigte sich bei mir rasch der Eindruck, dass wir in Deutschland um ein nationales Buchpreisbindungsgesetz nicht herumkommen. Allerdings schien zu diesem Zeitpunkt in der Verlagsszene noch Unsicherheit zu herrschen, ob dieser Weg beschritten werden soll. Ich habe den Vorschlag, ein nationales Buchpreisbindungsgesetz zu etablieren, zum ersten Mal öffentlich im März 2001 bei einer Podiumsdiskussion anlässlich der Eröffnung des Salon du Livre in Paris gemacht. Auch in zwei Gesprächsrunden beim Bundeskanzler wurde diese Thematik angesprochen und schließlich vereinbart, dass ein solches Gesetz von der Bundesregierung auf den Weg gebracht wird, wenn der Börsenverein einen weitgehenden Konsens für eine nationale Buchpreisregelung in der Branche herstellen kann. So ist es dann auch gekommen. In gemeinsamer Federführung des Bundeswirtschaftsministers und des Kulturstaatsministers haben wir einen Gesetzentwurf eingebracht, der das bewährte Instrument der Buchpreisbindung auf Dauer sichern soll. Er wurde vom Kabinett am 20. März dieses Jahres beschlossen.

Die genannten Ziele werden mit diesem Gesetz erreicht: Zunächst wird endlich Rechtssicherheit im Verhältnis zur EU hergestellt. Wie in unseren Nachbarstaaten, z. B. in Frankreich und Österreich, räumt das nationale Buchpreisbindungsgesetz EU-kartellrechtliche Bedenken aus. Es stützt sich insoweit auf die gefestigte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, wonach nationale Buchpreisbindungen mit dem EU-Kartellrecht vereinbar sind. Und die Realisierung der kulturpolitischen Ziele - Vielfalt und hohe Qualität des Buchangebotes in Deutschland, flächendeckende Versorgung durch kompetente Buchhandlungen und Existenzsicherung kleiner Verlage und noch nicht etablierter Autorinnen und Autoren - ergibt sich durch die mit dem Gesetz auf Dauer gewährleistete Preistransparenz.

Bei den Vorarbeiten zur Erarbeitung des Gesetzentwurfs sind wir auf bemerkenswerte Vergleichszahlen gestoßen: So sind beispielsweise entgegen dem, was man vielleicht prima facie erwarten könnte, die Verbraucherpreise für Verlagserzeugnisse in den Ländern ohne Preisbindung, z. B. in Finnland und Schweden, vergleichsweise höher als in Ländern mit bestehender Preisbindung. Auch in Großbritannien, wo 1995 die Buchpreisbindung suspendiert wurde, hat sich dies nach anfänglichem Preisrückgang gezeigt. Darüber hinaus ist die Zahl lieferbarer Bücher in den Ländern mit Preisbindung deutlich höher als in den Staaten ohne diese Bindung. Beispielsweise hat ein Vergleich des deutschen Sprachraums, also einschließlich Österreichs und der deutschsprachigen Schweiz, mit dem englischen Sprachraum gezeigt, dass dort pro eine Million Einwohner über 40 % weniger lieferbare Titel angeboten werden. Und die durchschnittliche Anzahl von Buchhandlungen in mittleren Ortschaften zwischen 20.000 und 50.000 Einwohnern beträgt z. B. in Schweden im Verhältnis zu Deutschland etwa ein Drittel, in den USA nahezu nur ein Fünftel. Ähnliches können wir bei dem Vergleich der Verlagskonzentration feststellen. Unter dem Gesichtspunkt des Erhalts eines breiten und vielfältigen Buchangebots legitimieren die empirischen Befunde eindeutig den mit einer Preisbindung verbundenen Eingriff in den freien Markt. Und für die Verbraucherinnen und Verbraucher wird sich auch nach Inkrafttreten des Gesetzes so gut wie nichts ändern: Bereits heute sind rund 90 % der erscheinenden Buchtitel preisgebunden, wenn auch auf vertraglicher Grundlage.

Ich möchte abschließend noch auf zwei Aspekte eingehen, die zur Beurteilung dieses Vorhabens wichtig sind: Da ist zum einen die Frage nach dem Internet. Das Gesetz betont in § 4 ausdrücklich, dass die Preisbindung nicht für grenzüberschreitende Verkäufe innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraumes gilt. Das entspricht dem vorrangigen Recht der Europäischen Union, wonach grenzüberschreitende Handelshemmnisse unzulässig sind. Aber Absatz 2 dieser Vorschrift schützt im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs die nationale Buchpreisbindung vor Umgehungsgeschäften. Wenn also der Verkauf deutscher Bücher auch über das Internet vom Ausland aus ausschließlich auf deutsche Abnehmer gerichtet ist, diese Bücher de facto jedoch die Grenze nicht überschreiten, ist auch insoweit die Preisbindung einzuhalten. Gleiches gilt, wenn jemand Bücher ausführt, um sie von vornherein aufgrund eines einheitlichen Plans wieder nur an Letztabnehmer in Deutschland zu verkaufen.

Der zweite Punkt betrifft den Bereich der Zeitungen und Zeitschriften. Wir hatten ursprünglich die Vorstellung, dass wir mit dem Preisbindungsgesetz alle Verlagserzeugnisse, also auch die Presse, erfassen und dabei gleichzeitig die bisherige Regelung im GWB aufheben. Die intensiven Gespräche mit der Pressebranche haben uns jedoch überzeugt, dass in diesem Bereich mehr Flexibilität notwendig ist. Ich darf hier erneut auf das Beispiel der überwiegend in englischer Sprache erscheinenden wissenschaftlichen Zeitschriften verweisen. Sie müssen sich auf dem internationalen Markt behaupten, was mit zwingender Preisbindung kaum zu realisieren wäre. Das Gesetz beschränkt sich somit lediglich auf die notwendige Anpassung des § 15 GWB; die insoweit zulässige Preisbindung für Zeitungen und Zeitschriften wird von der EU-Kommission nicht in Frage gestellt.

Ich freue mich besonders, dass dieses kulturpolitische Vorhaben von eminenter Bedeutung weite, fraktionsübergreifende Zustimmung findet. Der bis zuletzt intensive Beratungsprozess - Stichworte: Buchgemeinschaften, Schulbuchsammelbestellungen - hat nach meinem Eindruck nunmehr zu einem Ergebnis geführt, das alle relevanten Interessen angemessen und fair berücksichtigt. Ich danke allen, die an der Erarbeitung des Gesetzes mitgewirkt haben, und ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.