Redner(in): Hans Martin Bury
Datum: 24.06.2002

Untertitel: "Ohne Euch und die Arbeit der Gewerkschaft im Betrieb, wäre der schnelle Wandel von der Behörde zum wettbewerbsfähigen Dienstleistungsunternehmen nicht möglich gewesen. Dafür möchte ich Euch - auch im Namen von Gerhard Schröder - danken."
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/41/85841/multi.htm


Liebe Maggy Wend, lieber Rolf Büttner, liebe Kollginnen und Kollegen, Danke für die Einladung. Ich bin gerne zu Eurer Betriebsrätekonferenz gekommen.

Am 12. Juli wird der Bundesrat über das Postgesetz entscheiden. Der vom Deutschen Bundestag mit den Stimmen der Regierungskoalition beschlossene Gesetzentwurf sieht eine weitere schrittweise Öffnung des deutschen Postmarktes vor. Wir setzen damit die in Brüssel verabschiedete Postdiensterichtlinie um. Ihr wißt, dass es der Bundesregierung zuvor nach langen Verhandlungen gelungen war, innerhalb der EU einen für uns akzeptablen Gemeinsamen Standpunkt zu den weiteren Liberalisierungsschritten durchzusetzen. Eine auseinander driftende Entwicklung in der europäischen Postpolitik, die zu Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten der Deutschen Post AG führt, war - und ist - für uns nicht akzeptabel.

Mit der am 12. Juli zur Abstimmung stehenden Novellierung des Postgesetzes setzen wir den ersten Schritt der Postdiensterichtlinie um. CDU / CSU und FDP haben im Deutschen Bundestag gegen dieses Gesetz gestimmt, weil sie den für die Deutsche Post reservierten Monopolbereich schon jetzt weiter abbauen wollen. Im Deutschen Bundestag sind sie an der Mehrheit von Sozialdemokraten und Grünen gescheitert. Jetzt versuchen sie durch eine entsprechende Bundesratsinitiative des Landes Hessen ihre Pläne durchzusetzen.

Eine solche Politik der Liberalisierung des Postmarktes mit der Brechstange wird es mit einer sozialdemokratisch geführten Bundesregierung nicht geben.

ich erinnere mich noch gut an die vielen - auch kritischen - Diskussionen mit den Kollegen Kurt van Haaren, Michael Sommer und anderen über die Postreformen I und II und die nachfolgenden Telekommunikations- und Postgesetze in den 90er Jahren. Weil SPD-Bundestagsfraktion und Gewerkschaften - trotz Unterschieden im Detail - gemeinsam für unser Ziel einer schrittweisen Öffnung des Postmarktes stritten, konnten wir mit der Unterstützung der sozialdemokratisch geführten Bundesländer verhindern, dass sich die Liberalisierungsideologen aus FDP und CDU / CSU damals durchsetzten.

Wir haben einen Rechtsrahmen durchgesetzt, der der Post ermöglichte, sich Schritt für Schritt auf den Wettbewerb vorzubereiten. Wir haben erreicht, dass in der Postpolitik nicht nur wettbewerbliche, sondern auch infrastrukturelle und soziale Gesichtspunkte verankert wurden. Wir haben durchgesetzt, dass für den Universaldienst eine flächendeckende Versorgung der Bürgerinnen und Bürger mit Postdiensten vorgeschrieben wurde. Und wir haben sichergestellt, dass die Interessen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Post bei der Umstrukturierung ihres Unternehmens angemessen berücksichtigt wurden und werden.

Wer sich die Ausgangssituation der Post zum Beginn der 90er Jahre vor Augen hält, der weiß, welche Veränderungen es in den letzten Jahren gegeben hat. Damals schwankten die Prognosen für die Zukunft der Post und des deutschen Postmarktes zwischen Horrorszenarien und Blütenträumen. Ich war immer davon überzeugt, dass die Post mit ihrem Potenzial an motivierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, einer ausbaufähigen Infrastruktur und einem hohen Kundenvertrauen die Anforderungen des Wettbewerbs meistern wird.

Eine Einschätzung, die sich heute bestätigt hat. Die Deutsche Post AG ist heute ein leistungsfähiges kundenorientiertes Dienstleistungsunternehmen, das nicht nur in seinen klassischen Geschäftsfeldern erfolgreich ist, sondern sich auch in den Zukunftsmärkten durchgesetzt hat. Und längst vom nationalen Dienstleister zum Global Player avanciert. Gut gerüstet für die Aufgaben von morgen.

Dass dies so ist, ist der Erfolg einer Postpolitik, die im Sinne Karl Schillers so viel Wettbewerb, wie möglich, schafft, und so viel Regulierung, wie nötig, garantiert. Es ist aber vor allem ein Verdienst der Deutschen Post selbst und insbesondere ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ich weiß aus vielen Gesprächen, dass manch einem das Tempo der Veränderung zu schnell geht. Dass aber trotzdem die Belegschaft der Deutschen Post die gravierenden Veränderungen im Unternehmen positiv unterstützt und gestaltet, das ist insbesondere ein Verdienst von Euch, den Betriebsräten.

Ohne Euch und die Arbeit der Gewerkschaft im Betrieb, wäre der schnelle Wandel von der Behörde zum wettbewerbsfähigen Dienstleistungsunternehmen nicht möglich gewesen. Dafür möchte ich Euch - auch im Namen von Gerhard Schröder - danken.

Anrede,

gerade in Phasen des Strukturwandels zeigt sich die Stärke des deutschen Systems der betrieblichen Mitbestimmung. Ein System, das ja in diesen Tagen wieder einmal von den Unternehmerverbänden und den ihnen nahestehenden Parteien als "Wettbewerbsnachteil" Deutschlands diskreditiert wird. Das Gegenteil ist richtig. Und weil das so ist, haben wir im letzten Jahr das Betriebsverfassungsgesetz modernisiert.

Die Novellierung des Betriebverfassungsgesetzes zählt zu den Reformvorhaben unserer Regierung, die die anderen zurücknehmen wollen. Dasselbe gilt für die Neuregelung der 325- € -Jobs, die Regelungen zur Scheinselbständigkeit oder das Gesetz zur Sicherung des Rechtsanspruchs auf Teilzeit. Überall dort wollen sie die Uhr auf das Jahr 1998 zurückdrehen. Wer den Parteitag der CDU vor einer Woche verfolgt hat, der weiß, warum sie sich in die Kohl-Ära zurücksehnen. Die CDU von heute ist eben noch immer die CDU von damals. Diese Partei hat sich in den letzten vier Jahren weder personell noch programmatisch verändert. Sie wollen heute damit fortfahren, wofür Kohl 1998 abgewählt worden ist. Aber wir werden die Probleme von heute nicht mit dem Personal von gestern und den Rezepten von vorgestern lösen können.

CDU und FDP haben einfach nicht begriffen, dass die alten Regelungen aus der klassischen Industriegesellschaft heute am Übergang zur modernen Wissens- und Informationsgesellschaft nicht mehr ausreichen. Man kann nicht über tiefgreifenden ökonomischen Strukturwandel reden und gleichzeitig in den Betrieben alles lassen wollen, wie es ist. Auch die betrieblichen Strukturen haben sich geändert.

Deutschland hat gut ausgebildete, flexible und selbstbewusste Arbeitnehmer. Wenn es stimmt, dass das größte Kapital eines Unternehmens seine Mitarbeiter sind, dann ist es nur folgerichtig, diesen Mitarbeitern auch unter gewandelten betrieblichen Rahmenbedingungen die Teilhabe am Haben und Sagen zu sichern.

Wir befinden uns zur Zeit inmitten eines dramatischen Wandels. Wer wüßte das besser als Ihr. Und Ihr wißt auch, dass die Menschen bereit sind zu Veränderungen. Aber sie müssen darauf vertrauen können, dass es bei der Gestaltung dieses Wandels fair zugeht. Erneuerung und soziale Gerechtigkeit können eben nicht voneinander getrennt werden.

Wir wollen, dass alle am Wachstum und Wohlstand teilhaben. Unter Kohl gingen die Nettoeinkommen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zwischen 1994 und 1998 real um 924 Euro zurück. Seit Gerhard Schröder Bundeskanzler ist, sind die Reallöhne netto um 530 Euro gestiegen.

Mit unserer Steuerreform haben wir Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer spürbar entlastet. Diesen Kurs setzen wir fort.

Konservative und Neoliberale planen dagegen schon wieder Steuergeschenke für Spitzenverdiener auf Kosten der Arbeitnehmer. Erst letzte Woche haben sie angekündigt, den Spitzensteuersatz auf 35 % zu senken, und dafür Steuervergünstigungen für Schichtzuschläge komplett abzuschaffen. Da soll die Krankenschwester die Steuersenkung für den Chefarzt bezahlen, die Postler, die in Brief- und Frachtzentren Nacht für Nacht Millionen von Sendungen auf den Weg bringen, die Steuergeschenke für Millionäre.

Aber wer Steuergeschenke für wenige mit neuen Lasten für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bezahlen will, trifft auf unseren Widerstand.

Seit zwölf Jahren besuche ich regelmäßig Menschen, die nachts arbeiten müssen. Krankenschwestern, Rettungssanitäter, Kraftwerker, Polizeibeamte, - vor kurzem war ich bei einem nächtlichem Betriebsbesuch bei den Kolleginnen und Kollegen im Briefverteilzentrum Heilbronn:

Sie alle tragen dazu bei, dass es sich in unserem Land gut und sicher leben lässt. Wer Nacht- und Schicht arbeitet, nimmt hohe Belastungen in Kauf - für die Gesundheit, für die Familie.

Diese Menschen für Ihren Einsatz noch zu bestrafen, hat weder etwas mit sozialer Gerechtigkeit noch mit Leistungsprinzip zu tun. Das ist schlicht unanständig.

Wir machen Steuerpolitik nicht für einige wenige, sondern für alle, die mit ihrer Arbeit täglich zu Wachstum und Wohlstand in Deutschland beitragen.

Und wir treten dafür ein, dass gleiche Arbeit am gleichen Ort auch gleich bezahlt wird. Die Ablehnung des Tariftreuegesetzes durch die unionsgeführten Länder zeigt, was die von Arbeitnehmerrechten und Gerechtigkeit halten. Von "Tarifanwendungszwang" lamentiert die Union in der Begründung ihrer Blockade. Das verheißt nichts Gutes.

Anrede,

am 12. Juli geht es um viel - für die Zukunft der Deutschen Post und ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Auch am 22. September geht es um viel - für uns alle und unser Land. Dann geht um eine Entscheidung zwischen: Zukunft oder Vergangenheit, Teilhabe für alle oder Vorteile für wenige, Erneuerung oder Stagnation, Zusammenhalt der Gesellschaft oder Spaltung. Nur wir sind der Garant dafür, dass es bei den notwendigen Veränderungen gerecht zugeht, dass niemand unter die Räder kommt. Nur wir verbinden Innovation und Gerechtigkeit, geben Sicherheit im Wandel, stehen für Erneuerung und Zusammenhalt.

Laßt uns gemeinsam kämpfen: Für ein modernes und gerechtes Deutschland.