Redner(in): Julian Nida-Rümelin
Datum: 06.07.2002

Untertitel: In der Bundestagsdebatte über die Einbringung von Anträgen zur zukünftigen Gestaltung des Schlossplatzes in Berlin würdigt Kulturstaatsminister Nida-Rümelin die Arbeit der Kommission "Historische Mitte".
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/47/83647/multi.htm


Die meisten Architektinnen und Architekten - unter Denkmalschützern ist das wahrscheinlich noch deutlicher - lehnen den Nachbau einmal ausgelöschter Gebäudeexistenzen ab. Renzo Piano hatte einmal vor dem Wiederaufbau des Stadtschlosses in Berlin mit den Worten gewarnt: "Die Vergangenheit zu kopieren wäre für mich Selbstmord". Auch die Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in Deutschland lehnte Anfang der 90ger Jahre den Wiederaufbau des Stadtschlosses ab, da die überlieferte materielle Gestalt als Geschichtszeugnis genauso unwiederholbar sei wie die Geschichte selbst. Einzelne Experten aus Architektur, Stadtplanung und Denkmalschutz haben in der nun über ein Jahrzehnt währenden intensiven Debatte mit beachtenswerten Gründen Gegenposition bezogen - dies blieb aber immer eine deutliche Minderheit. Außerhalb der Fachwelt allerdings scheint es zumindest innerhalb Berlins eine vielleicht nur relative, aber doch stabile Mehrheit für den Wiederaufbau des Stadtschlosses zu geben. Die von Fachleuten vorgebrachten Argumente, der Wiederaufbau eines vollständig zerstörten Schlosses sei historisch retrospektiv, politisch restaurativ, eine Geschichtsattrappe oder gar Las Vegas, ließen die Befürworter in der Bürgerschaft Berlins weitgehend unbeeindruckt. Wenn es nun lediglich darum gegangen wäre, die Stellungnahme von Expertinnen und Experten einzuholen, dann hätte man die internationale Kommission nicht einsetzen müssen - eine Vielzahl von schriftlichen und mündlichen Stellungnahmen lagschließlich schon Anfang Januar des vergangenen Jahres vor. Die Tendenz im Bereich der Architektur, der Stadtplanung und des Denkmalschutzes war ziemlich eindeutig. Sinn dieser Expertenkommission war ein anderer. Weder sollten vorgefasste Meinungen auf Seiten der Politik nachträglich durch eine Kommission bestätigt, noch lediglich die vorhandenen Urteile aus der Fachwelt dupliziert werden. Der Sinn dieser Expertenkommission war vielmehr aus der Sackgasse herauszuführen, in die die Diskussion geraten war. Das ist ihr gelungen. Sie hat die Frage der kulturellen Nutzung an den Anfang und nicht - wie dies zuvor geschehen war - an das Ende gestellt, . Sie hat einstimmig ein Nutzungskonzept beschlossen, das in Abstimmung zwischen der Stiftung Preussischer Kulturbesitz, darunter insbesondere den außereuropäischen Sammlungen, der Humboldt-Universität, den Wissenschaftssammlungen, und der Bibliothek, zuletzt unter meiner Federführung und in enger Abstimmung mit der Kultursenatorin Berlins entwickelt worden war. Diesen Konsens halte ich für eine der großen Leistungen dieser Kommission. Sie hat nämlich eine kulturelle und öffentliche Nutzungsvorstellung entwickelt, die an diesem Ort eine faszinierende Begegnung europäischer und außereuropäischer Kulturen, die Verbindung von Wissenschafts- und Kulturgeschichte und die tägliche Faszination des Lesens miteinander kombiniert.

Mit der Entscheidung für diese kulturelle Nutzung war allerdings auch die Entscheidung gegen eine 1: 1-Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses gefallen. Ein vollständiger Wiederaufbau des Stadtschlosses, der für die älteren historischen Schichten ohnehin schon technisch kaum machbar gewesen wäre, ist mit dieser Nutzungsidee unvereinbar.

Die Kommission hat sich mit überwältigender Mehrheit und nach intensiver Diskussion für die Orientierung des Neubaus an der Stereometrie des Hohenzollernschlosses entschieden. Dies war nach meinem Eindruck nicht nur eine Abfrage von vorab gebildeten Meinungen, sondern das Ergebnis von Abwägungen. Ich glaube, dass auch diejenigen, die sich einen modernen Bau vorgestellt haben, angesichts der städtebaulichen Gesamtsituation in der Mitte Berlins doch dafür plädierten, die topographische Rolle des alten Schlosses, und sei es in Gestalt eines modernen Baus, wiederherzustellen. Damit hat sie Alternativmodellen wie dem von Axel Schultes, so durchdacht diese auch sind, eine Absage erteilt.

Durch die intensiven Beratungen wurden unterschiedliche Sichtweisen gegeneinander gestellt und abgewogen. Gute Argumente hatten eine Chance zu überzeugen. Dies gilt sogar für den Umgang mit dem Palast der Republik. Auch die Befürworter einer kulturellen Kontinuität der DDR-Geschichte an diesem Ort - damit übertreibe ich jetzt etwas - haben sich den städtebaulichen Argumenten nicht verschlossen. So bitter dies für viele sein mag, die an dieses Gebäude persönliche Erinnerungen knüpfen, muß man doch feststellen: es kann keinen Bestand haben, obwohl es ein gemeinsames Anliegen der Kommission war, die "Volkshaus" -Tradition auf der Agora des Nutzungskonzepts in veränderter Form fortzuführen.

Gewollt oder nicht hat diese Kommission zur Entideologisierung beigetragen. Die Überhöhung des Konflikts zu einem Kampf um die kulturelle Identität dieser Republik gehört nach meinem Eindruck der Vergangenheit an. Die dritte deutsche Republik - nicht die vierte - wird sich weder in der Kontinuität der Hohenzollerndynastie restaurativ, noch in der Tradition von "Honeckers Lampenladen" nostalgisch, aber auch nicht angestrengt modernistisch definieren. Die dritte deutsche Republik sucht nicht erst nach ihrer Definition an diesem Ort - ihre kulturelle Substanz wird an diesem Ort weder geschaffen noch zerstört werden.

Der Streit hatte sich zuletzt - gewissermaßen verdünnt - auf die Frage konzentriert: Sollen in drei Himmelsrichtungen die Barockfassaden des Schlosses rekonstruiert werden oder nicht. Hierzu gibt es nicht zwei, sondern drei Positionen. Es gibt die Befürworter, die Gegner und diejenigen, die sagen: Wenn dies die beste Lösung ist, dann wird sie sich gegenüber anderen, in der Stereometrie des Schlosses gestalteten Lösungen beahupten. Sie wollen also diesen Teilkonflikt, der übrig geblieben ist, in eine Diskussion über die beste architektonische Lösung in dem von der Kommission vorgegebenen Rahmen zurückverlagern.

Es ist lange beraten worden. Die nächsten Schritte sollten zügig erfolgen. Sie können nur in enger Abstimmung zwischen Bund und Land, und zwar nicht nur wegen der vorgesehenen drei Hauptnutzer - gegangen werden. Es geht nicht um die Antwort auf eine Identitätsfrage, sondern um eine überzeugende Lösung eines städtebaulichen Problems in der Mitte Berlins. Dabei muss es uns um eine sinnvolle kulturelle Akzentuierung an diesem Ort und eine überzeugende ästhetische Gestaltung gehen. Es darf keine Illusionen bezüglich der Finanzierung geben. Zu oft wurden in den vergangenen Jahrzehnten Kulturbauten auf dem sicheren Fundament von Selbstsuggestion und Kalkulationsschwäche errichtet. Mein Vertrauen in Fachleute ist in dieser Hinsicht - auch aus Münchner Erfahrungen heraus - erschüttert. Ich will mir ein realistisches Bild machen. Das betrifft auch die Folgekosten für die vorgesehenen kulturellen Nutzungen und die Träger dieser Nutzungen. Zügig soll es voran gehen, aber nicht kopflos. Was ich dazu beitragen kann, will ich tun.