Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 09.07.2002

Untertitel: Schröder: "Dass das vereinigte Europa ... größer wird, ist ausgemacht und beschlossen. Die Auseinandersetzung, die uns miteinander interessiert, geht also nicht mehr um die Frage "Erweiterung - Ja oder Nein?", sondern vielmehr um die Fragen: "Welches Gesicht soll Europa haben? Was soll in diesem größer gewordenen Europa passieren - industriepolitisch, aber auch sozial?"."
Anrede: Lieber Robert!Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/86/88086/multi.htm


Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Wir erleben gerade zwei besorgniserregende Entwicklungen - industriepolitisch und politisch. Politisch wäre ich fast in Respekt vor alten Zeiten geneigt zu sagen: "Ein Gespenst geht um in Europa." Es ist diesmal nicht das Gespenst, das Karl Marx im Kommunistischen Manifest beschrieben hat, sondern ein anderes, nämlich das einer besorgniserregenden Entwicklung rechtspopulistischer und ganz rechter Kräfte, die teilweise Regierungseinfluss haben, die einer Renationalisierung Europas das Wort reden und sie durchzusetzen versuchen, die mit Fremdenfeindlichkeit bis hin zum Antisemitismus Spiele betreiben und versuchen, politischen Einfluss zu gewinnen. Das ist schon gespenstisch.

Ich denke, gegen diese Tendenz muss man das Europa der Aufklärung, das Europa unserer Werte, das Europa der Werte der Arbeitnehmerbewegung setzen und durchsetzen. Es geht um viel dabei. Es geht darum, ob Deutschland - das wird sich im September entscheiden - ein Bollwerk für eine Politik der Aufklärung und des sozialen Konsenses bleibt.

Kurzum: Ich bin dafür, dass wir miteinander alle Kräfte mobilisieren, um dieses größer werdende Europa auf Kurs zu halten, auf einem Kurs, der gekennzeichnet ist durch Teilhabe der arbeitenden Menschen an den Werten in der Gesellschaft, die sie schließlich selber schaffen, und an den Entscheidungen in unserer Gesellschaft. Diese Frage steht in Deutschland und über Deutschland hinaus in Europa zur Entscheidung.

Eine zweite Entscheidung betrifft das Thema des heutigen Tages. Sie handelt von der Frage, wie sich Europa industriell entwickeln soll.

Ich will, bevor ich auf die Chemiepolitik komme, eines - das ist dem Einen oder Anderen vielleicht noch nicht aufgefallen - ganz grundsätzlich sagen: Es gibt starke Kräfte bei uns im Land, in Europa und in der Kommission, die sagen: "Alles ist wunderbar, und Probleme auf dem Arbeitsmarkt und anderswo werdet ihr überhaupt nicht mehr haben, wenn ihr euch Amerika zum Vorbild nehmt." Das ist vielfach zu hören. Mir liegt aus einem ganz bestimmten Grund daran - ohne dass auch nur ein Anflug von Schadenfreude gestattet wäre - , auf jüngste Entwicklungen in den Vereinigten Staaten hinzuweisen, nämlich bei Enron, bei Worldcom und jetzt bei der amerikanischen - nicht zu verwechseln mit unserer - Merck. Das sind vermutlich nur die Spitzen eines Eisberges. Sie haben etwas mit einer industriepolitischen Unternehmenskultur zu tun, die so ganz anders ist als die, die hier gilt, einer Unternehmenskultur nämlich, in der der einzelne Arbeitnehmer und die einzelne Arbeitnehmerin nichts und der "Shareholder Value" alles gilt.

Erinnert euch, wie häufig uns von sehr forschen 28- bis 30-jährigen Leuten in den Wirtschaftsteilen der Zeitungen, und zwar aller Zeitungen, anempfohlen worden ist, das doch möglichst zu kopieren. Dann lebten zwar die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in größerer Unsicherheit, aber das müsse man im Interesse des Erfolges wohl hinnehmen. Gelegentlich wünschte ich mir, diejenigen, die das schreiben, hätten einmal erlebt, was Unsicherheit bedeutet. Ich glaube, sie kämen zu anderen Empfehlungen.

Jetzt setzt man sich damit auseinander, dass diese Form des auf die Spitze getriebenen betriebswirtschaftlichen Egoismus' nicht ausreicht, um dauerhaft volkswirtschaftlich Erfolg zu haben. Jetzt kommt das ganz große Erstaunen, dass so etwas möglich sein konnte. Es wird versucht, zu sagen: "Das sind einzelne Verfehlungen". Aber wenn sie sich so häufen, muss es ja vielleicht auch an der Struktur liegen und nicht nur an den einzelnen Verfehlungen.

Was haben wir dagegen zu setzen? Wir haben etwas dagegen zu setzen, was seit Gründung der Bundesrepublik gewachsen ist, von den einen erkämpft, von den anderen mal mit mehr, mal mit weniger Überzeugung praktiziert, aber von den einen wesentlich erkämpft, nämlich von euch, eine Unternehmenskultur also, die auf Teilhabe in des Wortes Bedeutung setzt. Auf einmal wird entdeckt, dass der auf die Spitze getriebene Egoismus unter dem Stichwort "Shareholder Value" volkswirtschaftlich, aber auch bezogen auf den einzelnen Betrieb, was dessen Substanzerhalt angeht, viel weniger tragfähig ist als ein System, das sich auf fairen Ausgleich zwischen Arbeitnehmer- und Unternehmensinteressen bezieht und Mitbestimmung in den Mittelpunkt auch unternehmerischen Verhaltens stellt.

Was mir an den Entwicklungen auffällt, ist, dass wir gelegentlich viel zu wenig selbstbewusst gesagt haben: "Das System der deutschen Mitbestimmung mit den Betriebsräten auf der Unternehmensebene ist mittel- und langfristig betrachtet eines, das auf Konsens und auf Fairness setzt, und es ist deswegen den anderen überlegen. Wir sind stolz darauf, und wir werden es verteidigen." Das sollten wir immer wieder sagen.

Mit dieser anderen Form der Unternehmenskultur und den daraus folgenden Entscheidungen hängt noch etwas anderes zusammen, und zwar auch bezogen auf konkrete Dinge, konkrete Ereignisse, gerade jetzt im Zusammenhang mit Babcock. Aber das ist ja nur ein Name für eine Entwicklung. Da wird uns vorgeworfen - dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten und mir partiell auch - , wir würden uns tatsächlich um Lebensschicksale von 10.000 Menschen, die in Oberhausen beschäftigt sind, kümmern. Das formulieren sie als Vorwurf, weil das wider den Geist der Marktwirtschaft sei.

10.000 Arbeitslose bei einer Arbeitslosigkeit in Oberhausen von ohnehin zehn Prozent wären dann 20 Prozent. Das soll uns nicht kümmern? Wozu sind wir denn eigentlich gewählt?

Über die Form, in der das geschieht, kann man ja immer reden. Aber wo kommen wir hin, wenn in der deutschen Arbeitnehmerschaft das Gefühl entstünde, bei der Beantwortung der Frage, ob das den Bach runter geht oder nicht, sagt die Politik: "Das geht uns nichts an, das regelt alles der Markt." Wir wissen, dass der Markt vieles regelt, aber über soziale Sensibilität wohl kaum verfügt, weil er darüber auch nicht verfügen kann. Deswegen passen wir schon auf, dass da keine Fässer ohne Boden aufgemacht werden, dass wir die uns anvertrauten Steuermittel - übrigens anders als die Bayerische Landesbank bei der Kirch-Pleite - sehr sensibel und sehr zurückhaltend einsetzen.

Aber die Milliarden Euro, die da im Unterschied zu den 200 Millionen Euro, die wir als Bürgschaft angeboten haben, verpulvert worden sind, sind ja auch einem Mittelständler gegeben worden, wie es geheißen hat. Das war nämlich Herr Kirch. Ein paar Milliarden Euro sind mal eben ausgestreut worden, und zwar letztlich mit dem Ziel, sich Medienunterstützung zu erkaufen.

Ich wollte das vor dem Hintergrund der Diskussion über Chemie-Politik, über "emission trade", als grundsätzliche Bemerkung vorweg sagen. Der entscheidende Punkt ist - und das habe ich in vielen Gesprächen mit der Kommission gemerkt - , dass die Kommission in Brüssel ein Problem hat. Sie hat das Problem, dass sie die sehr, sehr differenzierte Produktionsstruktur, die es in einigen großen Volkswirtschaften Europas gibt, nicht genau genug untersucht. Sie zieht zu wenig Schlüsse aus der Tatsache, dass die größte Volkswirtschaft Europas - und das ist die deutsche - die differenzierteste Produktionsstruktur hat und es deswegen nicht reicht, wenn man hergeht und sagt: Ich schaffe jetzt einmal einen integrierten Finanzmarkt in Europa in der Hoffnung, dass dieser dann ständiges Wohlergehen garantiert. Das kann man ja tun. Das muss und darf man auch nicht lassen. Aber das allein reicht nicht. Zu glauben, dass die europäischen Volkswirtschaften bei allem Respekt vor den Dienstleistungsorientierungen, die wachsen und nötig sind, auf eine differenzierte Produktionsstruktur verzichten könnten, ist eben falsch. Was soll finanziert werden, wer soll beraten werden, wenn nicht kräftige Produktionsbetriebe, und zwar bitteschön in allen Größenordnungen?

Das den Leuten klar zu machen, ist deswegen so schwierig, weil sie teilweise aus Ländern kommen, die eine so differenzierte Produktionsstruktur wie in Deutschland überhaupt nicht mehr haben oder nie hatten. Deswegen werden dort Entscheidungen getroffen, die an den Wirklichkeiten in den entwickelten Volkswirtschaften häufig vorbeigehen. Das muss dann gelegentlich zu Auseinandersetzungen führen.

Wir müssen dafür sorgen, dass diejenigen, die in Europa entscheiden, es vor den Menschen auch verantworten müssen. Wir haben gegenwärtig eine Situation - und das macht einen Teil unserer Schwierigkeiten aus - , dass da eine Kommission oder ein Kommissar irgendetwas entscheidet und Kurt Beck oder ich das vor dem Volk in Deutschland verantworten müssen. Die Kommissare kennt ja keiner. Sie sind ja auch gar nicht sichtbar in der politischen Auseinandersetzung über ihre eigenen Entscheidungen.

Das heißt, so weittragende Entscheidungen, die die Lebensschicksale vieler Menschen in den Industriegesellschaften berühren, können sie erst treffen, wenn sie sie gegenüber einem Parlament und damit gegenüber dem Volk oder den Völkern auch verantworten müssen. Denn sonst schreiben sie Lehrbücher, von denen niemand satt wird, wie wir wissen. Das ist ein Strukturproblem, das wir bei den Diskussionen um die Frage "Wie soll Europa organisiert, wie soll es politisch führbar gehalten oder gemacht werden?" angehen müssen.

Das vorausgeschickt, nun einige Bemerkungen, die belegen, was da in der Chemie-Politik falsch läuft. Ich beginne einmal mit dem, was "Weißbuch" genannt wird. Da hat Frau Wallström, die aus Schweden kommt und früher für Greenpeace gearbeitet hat, eine absolut ordentliche Arbeit gemacht. Das will ich gar nicht bestreiten. Sie hat ein Weißbuch vorgelegt. Das soll die zukünftige Chemie-Politik in Europa sozusagen anleiten, rechtlich fundieren, also den Umgang mit dem, was auch ihr herstellt. In diesem Weißbuch sind aber ein paar Dinge enthalten, die einfach nicht funktionieren - es sei denn, man will die gesamte europäische Chemieindustrie im Wettbewerb gegenüber Amerika, Japan und Asien überhaupt in den Nachteil setzen.

Wenn man das will, soll man das sagen. Dann kann man so verfahren. Aber man muss sich darüber im Klaren sein, dass das dann Folgen für die Wertschöpfung und für die Arbeitsplätze in Deutschland und in Europa hat.

Also was wollen wir? Es sind vor allem drei Punkte in dem Papier, das der VCI, die IGBCE und wir erarbeitet haben.

Erstens: Das, was insbesondere die Mittelständler aufregt - und das sind ja die meisten in eurer Branche - , ist eine totale Überbürokratisierung. Das heißt, das, was da genehmigt werden soll, muss durchschaubar sein, muss schnell gehen, muss unbürokratisch sein. Dann funktioniert das.

Zweitens: Wenn Kreisläufe da sind, die geschlossen sind, dann braucht man das, was in den Kreisläufen verarbeitet wird, gar nicht so zu zertifizieren, weil das ja beherrschbar ist und Gesundheitsschäden dann auch nicht auftreten können.

Drittens: Wenn man hergeht und bestimmte Stoffe aus gesundheitlichen, aus Umweltgründen genehmigt, kann sich das nicht alle sechs Wochen ändern. Dann muss das auf Dauer geschehen, weil in der Industrie Planbarkeit der industriellen Prozesse natürlich eine enorme Bedeutung hat.

Wenn man zwischen diesen drei Pflöcken Chemie-Politik entwirft, kann das, was gemacht wird, sogar hilfreich sein. Dann kann es auch helfen, Wettbewerbspositionen zu verbessern. Denn es ist keineswegs so, dass derjenige, der am meisten für umweltfreundliche Produktion tut, von vornherein wettbewerbliche Nachteile hätte. Schon mittelfristig kann das ein Riesenvorteil werden und ist es ja häufig auch geworden. Aber diese Dinge müssen klar gemacht werden, denn sonst funktioniert das für die ganze Industrie nicht.

Der zweite Punkt ist dieser berühmte Emissionshandel. Wir brauchen den eigentlich nicht in Deutschland. Das will ich einmal so sagen, weil es wirklich so ist, dass das, was für Europa an Reduzierungen der Emissionen festgelegt worden ist, zu 75 Prozent von Deutschland erbracht wird. Wir haben die 25 Prozent, die wir in Rio vereinbart haben und die in Johannesburg sicher wieder unterstrichen werden, im Grunde erfüllt, und zwar in einer Mischung aus freiwilligen Selbstverpflichtungen und staatlicher Ordnungspolitik. Das ist eine sehr vernünftige Mischung. Deswegen können wir den Partnern in Europa ganz selbstbewusst sagen: "Guckt euch das Beispiel Deutschland an. Dann könnt ihr lernen, wie man es macht." Denn alle anderen sind nicht so weit. Vor allen Dingen sind diejenigen, die uns jetzt die Vorschriften machen wollen, nicht so weit.

Jetzt besteht die Gefahr, dass das, was wir eigentlich nicht brauchen, mehrheitlich durchgesetzt wird. Ich will jetzt gar nicht über die Motive richten. Ich will nur hinzufügen, dass meine Erfahrung ist, dass das nicht immer nur sehr edle Motive sind, die da leiten, sondern häufig auch nach dem Muster verfahren wird: "Wenn es uns hilft, dann ist es jedenfalls nicht schlimm, wenn es den Deutschen schadet." Das ist kein gutes und auch kein sehr partnerschaftliches Prinzip, weswegen man gelegentlich daran erinnern muss, dass Solidarität keine Einbahnstraße ist, sondern wir, die wir verdammt viel Solidarität leisten - etwa auf dem finanziellen Sektor - , auch Anspruch darauf haben, dass die Bedingungen dafür, dass wir 25 Prozent des Haushaltes der Europäischen Union bezahlen, weiterhin stimmen müssen; sonst können wir das nämlich nicht. Auch das muss man klarmachen.

Wenn das schon kommen sollte, dann empfände ich es wirklich als einen Treppenwitz der europäischen Geschichte, wenn das, was wir bereits geleistet haben - jene 75 Prozent - nicht angerechnet würde.

Wir brauchen natürlich ein möglichst freiheitliches System. Das heißt, wir brauchen die Möglichkeit, mit den Selbstverpflichtungen, die wir einhalten, auch in Zukunft weitermachen zu können.

Mir kommt es darauf an, zu verdeutlichen, dass das auch, aber nicht nur die Chemie betrifft. Wir müssen aufpassen - ich habe das bei den Automobilproduktionen erlebt, und in anderen Bereichen werden wir das auch erleben - , dass nicht vor lauter edlen Motiven die harte Wirklichkeit ausgeblendet wird. Die harte Wirklichkeit ist nun einmal, dass wir eine differenzierte Produktionsstruktur brauchen, um die Beschäftigten in Lohn und Brot zu halten und weitere wieder in Beschäftigung zu bringen, und dass das auch in der Europäischen Kommission gesehen werden muss. Sonst, wenn es nicht anders geht, muss man auch organisatorische Konsequenzen ziehen und sich wehren, was wir tun werden. Aber so weit wie möglich wollen wir auf einen vernünftigen Dialog setzen.

Ich will in aller Kürze noch ein paar Dinge sagen, die über die europäische und die Chemiepolitik hinaus die Perspektiven unseres Landes in der nächsten Zeit betreffen.

Wir haben durch Studien - durch eine inzwischen berühmt gewordene Studie - herausbekommen, dass es im Bildungsbereich bei uns - und zwar generell - nicht so läuft, wie es laufen sollte. Welche Konsequenzen muss man daraus ziehen? Einige ziehen jetzt die Konsequenz zu sagen: "Die besten Leistungen im internationalen Vergleich erzielt man, wenn man zu den Hochschulen und Schulen möglichst wenige zulässt. Dann versammelt man an den großen Schulen des Landes eine Elite von hoch Leistungsfähigen, und beim Rest geht man abgestuft vor." Ich will sagen: Nach einer Studie der Bundesanstalt werden wir in Zukunft, um wettbewerbsfähig zu bleiben, viel mehr Menschen mit höherer Bildung und Qualifikation brauchen. Das bedeutet, dass das Sich-Beschränken auf relativ kleine Zahlen von Spitzenabsolventen wirtschaftlicher Unsinn und sozial ungerecht ist. Sozial ungerecht deswegen, weil ich sehr dafür bin zu überprüfen, ob die Leistungsstandards stimmen, aber gegen eines bin ich allemal: Ich bin dagegen, dass es in Deutschland wieder Mode wird, dass die Frage, ob jemand zu Deutschlands hohen oder höchsten Schulen gehen kann, von Papas oder Mamas Geldbeutel abhängt. Also: Überprüfung der Leistungsstandards gerne, aber "Königsweg für die Wenigen und Trampelpfad für die Kinder der Arbeitnehmerfamilien" ist nicht die Politik, die mit mir zu machen ist, sondern dagegen wird Widerstand geleistet, damit das völlig klar ist.

Wir brauchen darüber hinaus in diesem Bereich nationale Standards. Das heißt, dass sich jemand, der in Rheinland-Pfalz wohnt und nach Berlin ziehen muss, darauf verlassen können muss, dass seine Kinder nach gleichen Leistungsstandards unterrichtet und auch bewertet werden. Das werden wir durchsetzen müssen. Das ist nicht die Übernahme der Kompetenzen im Bildungswesen durch Berlin, aber es ist schon vernünftig, nationale Leistungsstandards zu setzen und sie auch im gleichen Maßstab einheitlich zu überprüfen.

Ich bin sehr dafür, dass die Schulen mehr Möglichkeiten und mehr Bewegungsfreiheit erhalten, aber wenn sie sie erhalten, dann muss auch überprüft werden, was in den Schulen geschieht.

Noch ein paar Bemerkungen zur Hartz-Kommission. Ich will sagen, worum es mir dabei im Kern geht. Es geht um eine neue Ordnung auf dem Arbeitsmarkt, die den Veränderungen an der ökonomischen Basis und auch den Flexibilitätserfordernissen der Unternehmen Rechnung trägt, die aber auf der anderen Seite die Betroffenen mit ihren Einzelschicksalen nicht außer Acht lässt. Deswegen reden wir davon, dass im Mittelpunkt dieser Reform die Fragen stehen müssen: "Was passiert, wenn jemand arbeitslos wird? Wie schnell - möglichst nach wenigen Tagen - bekommt man ihn in einen neuen Job, und was passiert in der Zwischenzeit?" Das sind die entscheidenden Fragen.

Dafür müssen wir mehr an Unterstützung und Förderung anbieten, als wir bisher angeboten haben, aber wir müssen auch etwas abfordern. Zum Beispiel geht es um die simple Geschichte, dass sich derjenige, der arbeitslos wird, noch am gleichen Tag beim Arbeitsamt meldet, damit der Arbeitsvermittler bereits während der Kündigungszeit - oder jedenfalls kurz danach - schauen kann, wie erfolgreich vermittelt werden kann. Weiter gilt: Wenn jemand eine zumutbare Arbeit aufnehmen soll, dann muss man einen Familienvater oder eine Familienmutter anders behandeln als einen Alleinstehenden. Solche Fragen stehen im Mittelpunkt der Arbeit dieser Kommission. Sie phantasievoll, aber eben auch mit sozialer Sensibilität zu behandeln und vorzuschlagen und uns dann an die Umsetzung zu machen, wird in den nächsten Wochen unsere Aufgabe sein.

Es gibt eine breite Debatte über die Frage, wie wir unser Gesundheitssystem gestalten wollen. Es gibt einen Punkt, über den man hierbei Einverständnis erzielen muss und für den es auch zu kämpfen lohnt. Ich bin sehr dafür, dass man schaut, wo wir in diesem System sparen können. Dazu müssen alle etwas beitragen.

Ein Prinzip werden wir nicht aufgeben, nämlich das, ob jemand das medizinisch Notwendige zur Wiederherstellung seiner Gesundheit bekommt oder nicht bekommt, nicht vom persönlichen Einkommen abhängen darf. Das ist ein wichtiger Punkt.

Um viele solcher Fragen, die das soziale Gesicht unseres Landes prägen, wird es am 22. September gehen. Dass ich mir wünsche, dass ihr alle helft, dass wir gewinnen, ist ja klar. Und ich sage euch: Am Ende werden wir erfolgreich sein.