Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 22.09.1999
Anrede: Sehr verehrte Frau Barak, Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, Sehr geehrter Herr Stolpe, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/22/11722/multi.htm
Wir stehen an einem Ort, der zum Symbol geworden ist für etwas, das zu beschreiben eigentlich keine Sprache der Welt ausreicht.
Alles, was uns Sprache mitteilen kann, ist doch immer eine verharmlosende Beschreibung für das, was in den Stätten des Grauens vor sich ging, von denen Sachsenhausen nur eine war.
Es fällt mir nicht leicht, an diesem Ort tiefster Demütigung und Qual zu sprechen. Der Name Sachsenhausen steht, zusammen mit vielen anderen Lagernamen, für das schlimmste Verbrechen in der deutschen Geschichte.
Er steht wie Auschwitz, Treblinka, Majdanek, Buchenwald und die vielen anderen Lager für die planmäßige Vernichtung von Millionen von Juden und anderen Opfern.
Es gibt nur einen Weg, mit dem Unvorstellbaren dieser Verbrechen umzugehen: Wir müssen uns und alle anderen wieder und wieder daran erinnern.
Wie Elie Wiesel, selbst Überlebender von Auschwitz, gesagt hat: "Man kann es nicht erzählen, aber man darf es nicht verschweigen." Der Toten wegen, aber auch für die heutige und vor allem für die künftigen Generationen.
Ja, Herr Ministerpräsident, es darf nie wieder Sachsenhausen, nie wieder Auschwitz, nie wieder Treblinka geben - an keinem Ort der Welt!
Dass wir dies heute mit Blick auf die Zukunft sagen können, verdanken wir unseren Partnern, verdanken wir vor allem den Menschen in Israel.
Durch die Bereitschaft, uns Deutsche wieder in die Völker-Gemeinschaft aufzunehmen, ist es gelungen, eine Demokratie aufzubauen, die auf einem sicheren moralischen Fundament beruht und die es als ihre besondere Verpflichtung ansieht, ihre Politik an den Menschenrechten auszurichten.
Dieses Fundament ist die Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte und die Fähigkeit, sie anzunehmen.
Es macht mich zuversichtlich, dass die Mehrheit der Deutschen heute diese Auseinandersetzung sucht.
Wir, und damit meine ich die deutsche Politik und die deutsche Gesellschaft, werden alles daran setzen, dass bereits den Anfängen von Engstirnigkeit und Intoleranz, von Diskriminierung und Fremdenhass, von Ausgrenzung und Verletzungen der Würde und der Rechte anderer gewehrt wird.
Und wir werden eine Form der Erinnerung finden, die zuverlässig und verantwortungsvoll in die Zukunft wirkt.
Die guten und vielfältigen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern, sehr geehrter Herr Barak, unsere enge Zusammenarbeit bilden eine unverzichtbare Brücke auf diesem Weg.
Wir sind es den Toten, aber auch uns selbst und unseren Kindern schuldig, dass wir den Kampf gegen Haß und Menschenverachtung gewinnen, dass wir sichere Grundlagen für eine friedliche Zukunft unserer Völker legen.