Redner(in): k.A.
Datum: 07.08.2002
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/19/429119/multi.htm
Die Ausstellung "Beispiele zeitgenössischer Kunst aus den Neuen Ländern" im Bundeskanzleramt zeigt Arbeiten von 14 Künstlerinnen und Künstlern, die zumeist in den letzten Jahren entstanden sind. Das Konzept der Ausstellung ist ausdrücklich auf die Neuen Länder begrenzt, es setzt den Schwerpunkt auf Malerei und Grafik und ist generationsübergreifend in seinem Anliegen.
Zum ersten Mal kommt eine solche Ausstellung ins Bundeskanzleramt. Eine unmittelbare Berührung von Kunst und Politik, im Zentrum der Politik. Das allein ist Ereignis, das Vergleiche sucht. Dabei soll hier in Berlin genauso wenig wie auf der Documenta in Kassel die Frage, welche Art von Räumen zeitgenössische Kunst denn brauche, zur Diskussion stehen. Der Raum braucht die Kunst und die Kunst den Raum.
Das Bundeskanzleramt wurde gebaut und auch mit Kunstwerken ausgestattet, als die aktuelle Kunstrezeption um die Bedeutung der Kunst aus den Neuen Ländern noch nicht abgeschlossen war - und ja auch immer wieder neu diskutiert oder einseitig betrachtet wird. Die Künstlerinnen und Künstler indes gingen entweder ihren Weg konsequent weiter oder befanden sich längst in aktuellen Auseinandersetzungen, in denen Neue Impulse und Entwicklungen aus der Freiheit nach innen und außen sich artikulierten.
Fast 13 Jahre nach dem Fall der Mauer stellt für viele Zeitgenossen die Kunst in den Neuen Ländern noch immer eine Terra incognita dar. Ein gutes Stück Unvoreingenommenheit und Neugier sollte jedoch helfen, Berührungsängste und Vorurteile abzubauen und so manche Entdeckung zu Tage zu fördern! Den Künstlern aus den Neuen Ländern mangelt es weder an Mut, Tatendrang und künstlerischer Perfektion, sondern oft am notwendigen Goodwill innerhalb der gesamtdeutschen Kunstszene. Wie in den alten Bundesländern forcieren und begleiten sie politische Veränderungen, reflektieren auf gesellschaftliche Verhältnisse und hinterleuchten das Zeitgeschehen kritisch. Als persönliche Chance und Herausforderung betrachten sie die Möglichkeiten der Neuen Freiheit, die der Arbeit der Künstler Neue Impulse verlieh und deren Entwicklung aus räumlicher und gesellschaftlicher Enge ermöglichte. Hier sind einigen Kritikern die Bezugspunkte und die Orientierung abhanden gekommen. Man könnte für sie auch sagen: "Am Nordpol ist alles Süden".
Die Reflexionen und Veränderungen sollen in der Ausstellung sichtbar werden. Sie sind nicht repräsentativ, aber fern vom Medien- und Kulturbetrieb exemplarisch für das Neue und die Vielfalt der Kunst in den Neuen Ländern, unverwechselbar, einmalig. Sie hat nicht nur insofern nationale Bedeutung und internationale Ausstrahlung.
Augenfällig ist diese Spiegelung gesellschaftlicher Realität bei Gerlinde Creutzburg, die in vielen Arbeiten literarische Texte einbezieht, beispielsweise von Ingeborg Bachmann, Friederike Mayröcker, Annett Gröschner, Lutz Rathenow und Oskar Pastior und sich damit auch mit dem Politischen nach der Revolution in der DDR auseinandersetzt. Seit Jahren zeigt sie was geschieht, wenn Worte und Bilder aufeinander treffen. In ganz anderer Weise erscheint Sabine Herrmanns Schritt zur Avantgarde mit ihrer Poesie der Farben. Oder Moritz Götze, der mit seinem deutschen Pop uns den eigenen Spiegel einfach und manchmal auch ironisch vor Augen hält.
Hanspeter Bethkes farbige Blätter, die Stahlkonstruktion von Thomas Nicolai, der Zeitschnitt von Wolf Bertram Becker und die Kompositionen des Bildhauers Hannes Schulze sind ebenso Ausweis für eine veränderte Zeit. für eine Zeitenwende der Kunst in den Neuen Bundesländern. Einige Künstler haben Beiträge geleistet, die in ihrer Vielfalt an die Caprichos von Goya erinnern. Auch hier setzen sie sich mit allem auseinander, das Menschen berührt. Sie erzählen uns Geschichten in der Geschichte und lassen uns Gefühle erleben. Die Kunstwerke sind nicht nur ein ästhetischer Gewinn, sie sind gleichermaßen Hinweise für das Suchen und Finden Neuer künstlerischer Ausdrucksformen. Exemplarisch für eine Region sind das aus dem Vogtland die Grafiker Bernd Hieke. Lothar Rentsch und Veit Larisch, Textilgestalterin Elke Wolf sowie die Maler Fredo Bley, Hartwig Fischer und Hermann Geyer.
Die Arbeiten der Ausstellung zeigen, dass sich in den letzten zwölf / dreizehn Jahren die Kunst in den Neuen Bundesländern zu einer vielgestaltigen Szene des gesamtdeutschen Kunstlebens entwickelt hat. Wer sie mit eigenen Erwartungen und Maßstäben betrachtet, wird sich mancher Herausforderung stellen müssen. Beispiele dieses Reichtums, den wir nicht festlegen und in Schemata einordnen sollten, sind nun erstmals so zusammengeführt im Bundeskanzleramt. Es ist ein Beitrag für alle, die im kritischen Sehen Orientierungspunkte in den Neuen Ländern, in der Kunst und in unserer Gesellschaft suchen. Davon nehme ich auch die großen Kulturinstitutionen nicht aus: Eine schöne Aufgabe wäre es für das Haus der Geschichte oder die Bundeskulturstiftung, von der ich hoffe, dass sie bald mit der Kulturstiftung der Länder vereinigt und so zu einer Nationalstiftung des Bundes und der Länder wird.
Die Kunst lässt unser Land nach innen und außen leuchten - unabhängig und oft ihrer Zeit voraus. Sie zeigt uns Glanzlichter und Beispiele für die Kreativität in unserem Land. In dieser Ausstellung zeigt sie uns, dass Kontinuität, Veränderung oder Weiterentwicklung Ausdruck einer lebendigen Kunstszene sind, die den Vergleich nicht zu scheuen braucht.
Die Ausstellung belegt dies stellvertretend für viele Künstlerinnen und Künstler in den Neuen Ländern und für unser ganzes Land. Sieh überall mit deinen eigenen Augen " hat Lessing gefordert. Ich füge hinzu. dass dies ein Horizont sein kann, an dem wir messen können, wo zeitgenössische Kunst und wir selbst uns heute befinden.