Redner(in): Julian Nida-Rümelin
Datum: 12.09.2002

Untertitel: Anläßlich des 5-jährigen Bestehens des Deutschen Übersetzerfonds e.V. würdigt Kulturstaatsminister Nida-Rümelin die interkulturelle und die künstlerische Leistung der Literaturübersetzer und stellt eine Erhöhung der Fördermittel des Bundes in Aussicht.
Anrede: Sehr geehrte Frau Tietze, sehr geehrte Frau von Welck, meine sehr geehrten Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/28/441228/multi.htm


Sie haben das ja sehr eindrucksvoll dargestellt, und es wird Ihnen auch niemand widersprechen, dass die Übersetzerinnen und Übersetzer eine ganz zentrale Rolle spielen für unsere kulturelle Entwicklung. Um Roman Herzog noch einmal zu zitieren: Es erscheint skandalös, wie Übersetzerinnen und Übersetzer vergütet werden und welche geringe Rolle sie in der Außenwahrnehmung spielen. Nun eignen sich unterschiedliche Umgebungen unterschiedlich gut, um das deutlich zu machen. Nehmen Sie das jetzt nicht zu ernst, was ich sage, aber die Opulenz an diesem Ort hier steht in einem gewissen Kontrast dazu. Ich bedanke mich auch beim Gastgeber dafür, dass diese Veranstaltung hier stattfinden kann. Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich das erste Mal hier bin. Aber es wird nicht das letzte Mal sein, ganz egal wie die Wahl am 22. September ausgeht.

Wenn Sie erlauben, komme ich später noch mal auf diese Themen zu sprechen. Jetzt möchte ich einen ganz kurzen philosophischen Exkurs machen.

Der Philosoph, der meiner Arbeit wohl am nächsten steht, ist Ludwig Wittgenstein, wobei ich sagen muss - und das ist ein interessantes Phänomen - , ich habe gar nicht viel Wittgenstein gelesen, sondern erst im Laufe der Zeit Parallelen festgestellt und dann gemerkt: Ach, jetzt versteh' ich erst, was er etwa in den Philosophischen Untersuchungen dargestellt hat. Den Zugang hat mir sozusagen nicht die Lektüre selbst geöffnet, sondern erst die eigene Erarbeitung einer Position, die dann erkennbar eine gewisse Nähe hatte zu dem, was Wittgenstein entwickelt. Für Wittgenstein ist, wie es so schön heißt bei ihm, eine Sprache eine "Lebensform". Das ist etwas kryptisch, wie viele andere Formulierungen auch; etwa die Bedeutung eines Ausdrucks sei sein Gebrauch. Wenn man das ein wenig zu umschreiben versucht, dann geht es um folgende These, die man zwar mit guten Argumenten bestreiten kann, doch mir erscheint sie ziemlich plausibel. Die These lautet: Sprachliche Verständigung ist in einen Handlungskontext eingebettet bzw. repräsentiert diesen Handlungskontext. Wenn man verstehen will, was bestimmte Äußerungen bedeuten, muss man letztlich verstehen, welche Rolle sie innerhalb dieses Handlungskontextes spielen. Wenn man diese Wittgensteinianische Perspektive einnimmt, dann wird unmittelbar deutlich, dass es ein Übersetzungsproblem geben muss, weil Handlungskontexte kulturell verfasst sind und in unterschiedlichen Kulturen unterschiedlich verfasst sind. Wenn man hingegen die alte, in den Philosophischen Untersuchungen mit Augustinus verbundene, Auffassung zugrunde legt, nämlich dass die Sprache die Welt abbildet, dann gibt es keine Übersetzungsprobleme, dann haben wir dort die Welt, und hier die Sprache, die die Welt abbildet, und dann muss es ja irgendwie möglich sein, die Zuordnungen hinzubekommen, d. h. Isomorphien zu bilden, wie es Wittgenstein noch im Tractatus angenommen hatte..

Aber wenn die Wittgensteinsche Perspektive der Philosophischen Untersuchungen richtig ist, oder, vielleicht vorsichtiger ausgedrückt, überwiegend zutrifft - außer in Kunstsprachen, z. B. in den Naturwissenschaften - , dann leuchtet es sofort ein, dass es im strengen Sinne keine Übersetzung - im Sinne von schlichter, bedeutungsgleicher Übertragung - geben kann, jedenfalls dann nicht, wenn sich die Handlungskontexte unterscheiden. Und je nach Nähe und Ferne der Kultur unterscheiden diese sich zum Teil sehr deutlich. Das ist das eigentlich Faszinierende - ich will Ihnen jetzt nicht zu nahe treten, ich habe schließlich nur eine einzige Übersetzung eines wissenschaftlichen Textes in meinem Leben aus dem Italienischen gemacht, ich bin kein professioneller Übersetzer - , dass man manche Zugänge nicht findet in der Übersetzung. Jedoch muss man sich möglichst annähern, und wenn ich das recht sehe, dann heißt das, dass eine Übersetzung nur möglich ist, wenn auch das jeweilige Einfühlungsvermögen vorhanden ist und die jeweiligen kulturellen Kontexte, aus denen diese Sprache kommt und aus denen übersetzt wird, vertraut sind. Damit sind wir bei den Aktivitäten, die vom Auswärtigen Amt insbesondere gefördert werden, nämlich Stipendien, die es Übersetzerinnen und Übersetzern ermöglichen, in das jeweilige Land noch mal zu gehen, gewisse Dinge nachzurecherchieren. Es ist völlig klar, dass der persönliche Hintergrund der meisten, die Übersetzen zu ihrem Beruf oder Nebenberuf gemacht haben, eine intime Vertrautheit mit der Kultur geschaffen hat, aus der übersetzt wird.

Ich will das hier einfach mal abbrechen, ich wollte nur sagen: die Wertschätzung oder Nicht-Wertschätzung hängt vielleicht auch ein bisschen damit zusammen, wie man die Rolle des Übersetzers oder der Übersetzerin definiert. Und wenn man sie als eine große interkulturelle Leistung begreift, die uns nicht nur Texte zugänglich macht, sondern Handlungskontexte mit anderen Handlungskontexten in eine Verbindung bringt, dann wäre vielleicht auch die kreative, eigenständige und künstlerische Rolle leichter plausibel zu machen, die Übersetzerinnen und Übersetzer tatsächlich spielen.

Jetzt haben Sie - ich komme wieder zurück zum Ausgangspunkt - geschildert, wie schwierig diese Situation ist und in der Tat, der Deutsche Übersetzerfonds ist in Hinsicht auf die finanziellen Dimensionen ein bescheidenes Projekt. Allerdings gehört hierbei der Zusatz hinzu, dass im Jahre 2001 die Mittel des Bundes - das heißt, die Mittel meiner Behörde, da kommen ja noch die Mittel des Auswärtigen Amtes hinzu - sich verdoppelt haben. Jetzt sage ich Ihnen rundweg: ich wäre bereit, sie ab 2003 noch mal um ein Drittel zu erhöhen, wenn Ihnen das entgegenkommt. Es würde mich übrigens freuen - aber das ist nicht Bedingung, Frau von Welck - wenn die Länder auch ihrerseits diesen Weg mitgingen, das muss man in Gesprächen klären.

Aber eines ist dennoch ganz klar, das wird an der prekären, sozialen und ökonomischen Lage jedenfalls derjenigen, die das nicht nur nebenbei machen, nichts grundlegend ändern, das ist letztlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Da bitte ich Sie auch ein bisschen darum, dass man keine falschen Erwartungen weckt. Ich komme ja selber aus einer Künstlerfamilie und rede nicht einfach nur aus zweiter Hand. Wir können über Ausstellungshonorare reden, wir können das Urhebervertragsrecht verbessern, wir können, wie geschehen, eine Künstlersozialversicherung einführen - Dieter Lattmann, immerhin ein Schriftsteller, ein Sozialdemokrat, hat das begonnen- , wir können es novellieren, wie wir es jetzt gemacht haben, wir können die steuerlichen Rahmenbedingungen verbessern usw. Es wird nichts daran ändern: Kunst ist ein Risikoberuf und Übersetzen ist Kunst.

Ich wünsche dem Deutschen Übersetzerfond weiterhin alles Gute!