Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 08.11.2002

Untertitel: Bundeskanzler Schröder spricht vor dem Bundesrat anlässlich der Übernahme der Präsidentschaft des Bundesrates durch den Ministerpräsidenten des Landes Sachsen-Anhalt, Professor Dr. Wolfgang Böhmer zu Reformen auf dem Arbeitsmarkt, strukturellen Veränderungen in den Sozialsystemen und von der Aufgabe der Politik, Gerechtigkeit im Zeitalter der Globalisierung zu definieren und zu erreichen.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/32/448332/multi.htm


Verehrter Herr Präsident,

ich hatte doch glatt vergessen, wer 1997 Bundesratspräsident war. Sollte ich es gewesen sein, so zeigt das eigentlich nur, was Ihr Zitat angeht, dass jener berühmte Satz von KarlMarx, dass das gesellschaftliche Sein das Bewusstsein bestimme, nicht ganz falsch sein kann. Aber wie auch immer: Ich muss, was das Vorhalten des Zitats angeht, verehrter Herr Präsident, bei Ihnen auf jene Lernfähigkeit und Lernwilligkeit setzen, die ich mir habe zu Eigen machen müssen, als ich in das jetzige Amt gekommen bin. Ich hoffe, das funktioniert.

Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 18. Oktober Herrn Ministerpräsidenten Professor Böhmer für das neue Geschäftsjahr zu seinem Präsidenten gewählt. Ich gratuliere Ihnen, verehrter Herr Böhmer, auch im Namen der gesamten Bundesregierung sehr herzlich zu Ihrer Wahl. Ich verbinde diesen Glückwunsch durchaus mit der Hoffnung, dass wir die im Wesentlichen bewährte Zusammenarbeit zwischen Bundesregierung und Bundesrat auch in Ihrer Amtszeit fortsetzen können und - dessen bin ich mir sicher - fortsetzen werden.

Ebenfalls im Namen der Bundesregierung möchte ich Herrn Regierenden Bürgermeister Wowereit für seine erfolgreiche Arbeit in den vergangenen zwölf Monaten danken. In der Amtszeit des Regierenden Bürgermeisters im Bundesrat sind zahlreiche wichtige Entscheidungen für die Zukunft unseres Landes gefallen.

In dieser Legislaturperiode liegen große Aufgaben vor uns. Für die Reformen auf dem Arbeitsmarkt und die strukturellen Veränderungen in den Sozialsystemen braucht es mehr als nur die vorhandene Entschlossenheit der Bundesregierung und ihrer parlamentarischen Mehrheit im Deutschen Bundestag. Für die notwendigen Entscheidungen und ihre Umsetzung brauchen wir die Zusammenarbeit aller verantwortlichen Kräfte: in den Unternehmen und Gewerkschaften, bei den Sozialversicherern, bei Ärzten, Patienten und den Beschäftigten im Gesundheitswesen, aber natürlich auch in den Parteien, soweit das möglich ist, und vor allen Dingen im Bundesrat.

Wir können uns dabei durchaus ein Beispiel an der Verantwortungsbereitschaft und der Solidarität unserer Bürgerinnen und Bürger nehmen, wie sie bei der Flutkatastrophe vorbildlich zum Ausdruck gekommen sind. Das Hochwasser im August 2002 hat die schwersten Schäden angerichtet, die unser Land in seiner Nachkriegsgeschichte erlitten hat. In einigen Regionen - verehrter Herr Präsident, Sie wissen sehr gut, wovon ich rede - sind Entwicklung und Aufbauleistungen um Jahre zurückgeworfen worden.

Aber der Umgang mit der Flutkatastrophe hat auch gezeigt: Aus der deutschen Einheit ist die Einheit der Deutschen geworden - eine Einheit in den Köpfen und in den Herzen. Herr Regierender Bürgermeister Wowereit hat gesagt - ich zitiere ihn - ,"der Welle der Verwüstung" sei "eine Welle der Solidarität, des Zusammenstehens und der gegenseitigen Hilfe gefolgt". Ich denke, er hat Recht; wir müssen an die Solidarität und das Zusammenstehen anknüpfen.

Auch der Bundesrat hat bei der Bewältigung der Hochwasserfolgen positiv agiert. So ist er auf Bitten der Bundesregierung am 13. September unter Zurückstellung aller üblichen Beratungsfristen zusammengekommen, damit das Flutopfersolidaritätsgesetz schnell in Kraft treten konnte. Dafür möchte ich mich auch an dieser Stelle bei den Mitgliedern des Bundesrates namens der Bundesregierung ausdrücklich bedanken.

Unsere Verfassung weist dem Bundesrat als Vertretung der Länder eine bedeutende Aufgabe bei den Gesetzesvorhaben zu. Diese Aufgabe - das ist klar - erfordert ein hohes Maß an Verantwortung, eine Verantwortung - ich sage das ausdrücklich - , die der Bundesrat in der Vergangenheit immer wieder wahrgenommen hat. Dabei hat stets das Prinzip zu gelten: "Erst das Land - dann die Partei."

Ich verlasse mich darauf, dass dies auch in Zukunft so ist. Ich gehe sogar einen Schritt weiter und werbe ausdrücklich um die Mitarbeit der Länder im Rat bei den anstehenden großen Reformvorhaben der Bundesregierung.

In meiner Regierungserklärung vom 29. Oktober dieses Jahres habe ich von der historischen Aufgabe gesprochen, Gerechtigkeit im Zeitalter der Globalisierung nicht nur zu definieren, sondern auch zu erreichen. In diesem Zusammenhang habe ich zu einer echten Verantwortungspartnerschaft aufgerufen. Das betrifft natürlich auch und insbesondere den Bundesrat. Gemeinsam können wir die aktuellen Schwierigkeiten überwinden und weit über diese Legislaturperiode hinaus die Kräfte und das Können unseres Landes für ein in jeder Hinsicht reicheres Leben der Menschen in unserem Land mobilisieren.

Dazu brauchen wir eine Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik aus einem Guss. Sie umfasst folgende Kernbereiche: strategische Investitionen in Bildung und Forschung, Infrastruktur, für die Familien und zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie für die ökologische Erneuerung; Fortsetzung der Haushaltskonsolidierung und Einsparungen bei den konsumtiven Staatsausgaben, aber auch bei den Subventionen; Strukturreformen am Arbeitsmarkt, bei Rente und Gesundheit, um die sozialen Sicherungssysteme zukunftsfähig zu machen, und Abbau unnötiger Bürokratie.

Die dazu notwendigen Maßnahmen und Reformansätze werden gewiss nicht einfach sein. Wir werden allen etwas abverlangen müssen, auch den Parteien und dem Bundesrat.

Oberste Priorität hat weiterhin die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Deshalb beginnen wir mit der schnellen und vollständigen Umsetzung der Vorschläge der Hartz-Kommission. Das Ergebnis wird nichts weniger sein als die größte Arbeitsmarktreform in der Nachkriegszeit. Mit dieser Reform erheben wir das Prinzip des "Forderns und Förderns" zur Leitlinie der Arbeitsmarktpolitik. Zum einen fördern wir Arbeitslose durch schnellere Vermittlung in Arbeit, zum anderen fordern wir von ihnen mehr Verantwortung und mehr Mitwirkungspflichten als bisher.

Die Rahmenbedingungen für Zeitarbeit beispielsweise werden wir auf internationale Standards bringen. Gleichzeitig werden wir die Schwarzarbeit durch steuerliche Begünstigung haushaltsnaher Dienstleistungen bekämpfen und die Selbstständigkeit durch so genannte Ich-AGs fördern.

Die Gesetzentwürfe, mit denen die Vorschläge der Hartz-Kommission umgesetzt werden sollen, wurden bereits gestern in erster Lesung im Bundestag beraten. Sie sollen in den Ausschüssen zügig behandelt werden.

Ich bin, verehrter Herr Präsident, zuversichtlich, dass die Länder diese Gesetze gewiss kritisch, aber vor allem sachlich beurteilen. Ich bin mir sicher, dass wir bei den zustimmungsbedürftigen Teilen trotz aller notwendigen Auseinandersetzungen eine einvernehmliche Lösung zum Wohle des Ganzen finden. Ich denke, dass wir in der Debatte in diesem Hause parteipolitische Voreingenommenheit zurücknehmen müssen.

Auch bei der Gesundheit und bei der Rente stehen weitere Reformen der sozialen Sicherungssysteme an. Dabei geht es uns darum, die Systeme angesichts des veränderten Altersaufbaus in der Bevölkerung und angesichts gewandelter Erwerbsbiografien zukunftstauglich zu machen, also die hohe Qualität der sozialen Sicherungssysteme zu erhalten und gleichzeitig die Arbeitskosten auf Dauer und nachhaltig zu senken.

Wir haben im Gesundheitssektor mit einem Sofortprogramm die notwendigen Schritte zur Ausgabenbegrenzung bei der gesetzlichen Krankenversicherung eingeleitet. Dies ist - es kommt mir darauf an, das deutlich zu machen - nur ein erster Schritt; grundlegende und grundsätzliche Strukturreformen werden folgen. Es ist unser Ziel, nicht nur den Kostenanstieg im Gesundheitswesen zu begrenzen, sondern auch mehr Wettbewerb in die Systeme zu bringen. Wir brauchen mehr Transparenz und Entscheidungsmöglichkeiten für Patienten und Kassen, um den Weg für eine Begrenzung und, wo immer es möglich ist, für eine Absenkung der Sozialbeiträge freizumachen.

Die ungünstige Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage hat nicht nur Konsequenzen für das Gesundheitswesen, sondern notwendigerweise auch für das Rentensystem. Einnahmeausfälle - jeder in diesem Hause weiß das - drücken auf die Beiträge, und das, obwohl wir unser Rentensystem mit einer umfassenden Strukturreform vor zwei Jahren auf die langfristigen demografischen Veränderungen umgestellt haben. Die zweite Säule der Altersvorsorge ist im Aufbau. Damit ist die Gerechtigkeit zwischen den Generationen gewahrt.

Aber: Alle aktuellen, durch die weltweite Wirtschaftslage veranlassten Finanzprobleme lassen sich dadurch allein nicht ausgleichen. Deshalb haben wir die notwendigen gesetzlichen Maßnahmen in die Wege geleitet. Sie verhindern einen noch dramatischeren Anstieg der Beiträge und schaffen eine konsolidierte Einnahmesituation für die Rentenkassen.

Ich appelliere an den Bundesrat, diese schnell wirkenden Reformgesetze so zügig wie möglich zu beraten, damit sie bereits ab Januar 2003 greifen können; ich denke, die Bürgerinnen und Bürger im Lande erwarten dies von uns. Sie sind notwendig, um die sozialen Sicherungssysteme in Ordnung zu halten.

Dies gilt auch für die notwendige Haushaltskonsolidierung, die wir nicht nur durch weitere Einsparungen auf der Ausgabenseite betreiben. Wir werden auch ungerechtfertigte und ökonomisch fragwürdige Subventionen abbauen.

Dazu gehört der Abbau steuerlicher Privilegien. Ich habe den Eindruck, dass es breite Übereinstimmung darüber gibt, für eine gerechtere Besteuerung vor allem im Unternehmensbereich zu sorgen. In diesem Zusammenhang steht unser Vorhaben, Verlustverrechnungen zu begrenzen. Wir wollen damit dafür sorgen, dass auch international tätige Unternehmen ihren Beitrag für unser Gemeinwesen leisten. Dabei werden Verluste auch weiterhin angemessen verrechnet werden können, so dass insbesondere der Mittelstand keinen Schaden nimmt.

Es gibt einen weiteren wichtigen Faktor, der sowohl für unseren Arbeitsmarkt als auch für die Kultur unseres Gemeinwesens von entscheidender Bedeutung ist: Ich meine die Bildung.

Bildung und Forschung - das ist gewiss richtig - sind der Schlüssel zur Sicherung von Wohlstand sowie zur Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen. Bildung ist zugleich die wichtigste Voraussetzung für demokratische Teilhabe, für eine Kultur des Miteinanders, für Chancengleichheit und nicht zuletzt für ein selbstbestimmtes Leben.

Ein zukunftsfähiges Schulsystem muss sich an der Verwirklichung persönlicher Lebenschancen jedes Einzelnen, aber genauso an seinem Beitrag zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes messen lassen.

Die PISA-Studie hat erhebliche Schwächen des deutschen Bildungssystems aufgedeckt. Ihre Ergebnisse haben deshalb Schule und Bildung in Deutschland wieder zu einem zentralen Thema der gesellschaftlichen Debatte, aber auch der Diskussion über das föderale System und das Selbstverständnis der Länder gemacht. Diese Herausforderung verlangt von allen staatlichen Ebenen - vom Bund, den Ländern und den Gemeinden - entschlossenes Handeln.

Ziel der Bundesregierung ist es deshalb, Deutschland bei der Bildung in den nächsten zehn Jahren wieder an die internationale Spitze heranzuführen, jedenfalls einen Beitrag dazu zu leisten. Ich sage das natürlich in Respekt vor der mir bekannten Kompetenzverteilung gerade in diesem Bereich.

Was jetzt Not tut, ist eine gemeinsame Anstrengung, um unser Bildungssystem umfassend zu modernisieren. Das Angebot meiner Regierung steht: Wir stellen in den Jahren 2003 bis 2007 vier Milliarden Euro für den Ausbau von Ganztagsschulen zur Verfügung. Ganztagsschulen - das ist unsere Überzeugung - erleichtern die individuelle und gezielte Förderung unterschiedlicher Begabungen. Sie schaffen mehr Raum für kreative, fantasievolle Unterrichtskonzepte und im Übrigen - das wird häufig übersehen - für die persönliche Begegnung zwischen Schülerinnen und Schülern und Lehrkräften.

Auch die Kultusministerkonferenz hat Ganztagsangebote als vordringliches bildungspolitisches Ziel bezeichnet. Ich begrüße es, dass in diesem Punkt große Übereinstimmung besteht.

Viele Länder haben auf diesem Gebiet bereits enorme Anstrengungen unternommen. Das will ich ausdrücklich anerkennen; denn der Ausbau von Ganztagsschulen bedeutet eine erhebliche finanzielle Belastung für sie. Aber es geht um nicht weniger als die Chancen und die Lebensperspektiven künftiger Generationen. Daran erweist sich - übrigens weit mehr als bei der ausbalancierten Verteilung nötiger Lasten - unsere Fähigkeit, nachhaltig für Gerechtigkeit zu sorgen.

Chancengleichheit und Leistungsorientierung im Bildungssystem beinhalten auch, dass alle Kinder unabhängig von Wohnort und Einkommen ihrer Eltern gleiche Ausgangsvoraussetzungen haben sollen. Deswegen brauchen wir zügig bundesweit verbindliche Bildungsstandards. Ich bin sehr froh darüber, dass dies auch die Länder so sehen.

Wenn wir gemeinsam handeln, beginnt sich also etwas zu bewegen. Wir können uns auf dem Erreichten aber nicht ausruhen. Deutschland braucht exzellente Fachkräfte; das ist das A und O unseres Wohlstands. Vernünftige Konzepte liegen auf dem Tisch, so denke ich. Es gilt nun, sie rasch und entschlossen gemeinsam umzusetzen. Gerade in diesem Bereich steht unser föderales System vor einer grundlegenden Herausforderung.

Auch aus anderen Gründen müssen wir unsere bundesstaatliche Ordnung überprüfen; darauf hat auch der Herr Präsident heute hingewiesen. Genauso wie Bund und Länder in Europa in Anwendung des Subsidiaritätsprinzips fordern, dass möglichst jede Entscheidung eindeutig der ihr angemessenen Ebene zugewiesen wird, sollten wir im eigenen Land prüfen, ob unsere Zuständigkeiten klarer zugeordnet werden können. Denn die klare und erkennbare Zurechenbarkeit politischen Handelns ist die elementare Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie. Nur auf diese Weise kann ein Auseinanderfallen von Entscheiden-Können und Verantworten-Müssen verhindert werden. Den Bürgerinnen und Bürgern muss deutlich sein, wer politische Entscheidungen trifft, und damit, wer sie zu verantworten hat.

Diese Überlegungen sind nicht neu; das weiß ich wohl. In den letzten 15 Jahren haben diverse Verfassungs- und Enquete-Kommissionen Vorschläge unterbreitet, die zu kleineren Veränderungen geführt haben. Doch an den Grundstrukturen der politischen Verflechtung von Bundesrat und Bundestag, von Bundes- und Landeskompetenz hat sich wenig geändert. Dass das, was geändert worden ist, nicht genug ist, haben inzwischen alle Parteien erkannt. Auf diesem parteiübergreifenden Konsens möchte ich aufbauen. Die Modernisierung unseres föderalen Systems setzt voraus, dass wir in Ziel und Richtung übereinstimmen.

Die Reform unserer föderalen Ordnung hat - auch darauf hat der Herr Präsident hingewiesen - eine wichtige europäische Dimension. Angesichts der bevorstehenden Erweiterung der Europäischen Union um zehn Mitgliedstaaten muss der Konvent einen Verfassungsentwurf vorlegen, der auch die erweiterte Europäische Union politisch führbar erhält. Deshalb muss die neue europäische Verfassung eine klarere Kompetenzverteilung zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten vorsehen.

Von entsprechender Bedeutung sind die vom Konvent diskutierten Mechanismen zum Schutze des Subsidiaritätsprinzips. Wir müssen Gewissheit haben, dass es nicht zu einer schleichenden Kompetenzausweitung der europäischen Institutionen zu Lasten von Bund und Ländern kommt.

Es geht bei den europäischen Reformen aber auch und vor allem um mehr Europa. Spätestens seit den Verbrechen des 11. September 2001 wissen wir, dass Europa im Bereich der äußeren und inneren Sicherheit besser als in der Vergangenheit zusammenarbeiten muss. So werden zum besseren Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger vor Kriminalität und Terror der Ausbau von Europol, die Schaffung einer europäischen Staatsanwaltschaft sowie eine Mindestharmonisierung in ausgewählten Bereichen des Strafrechts ganz und gar unerlässlich sein. Dies ist angesichts der Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern nicht unproblematisch. Aber wir müssen es schaffen. Eine verstärkte europäische Zusammenarbeit in der Kriminalitätsbekämpfung muss auch unter Bewahrung der Länderkompetenzen möglich bleiben.

Sehr geehrter Herr Präsident, bei vielen Gesetzgebungsvorhaben arbeiten Bundesrat, Bundestag und Bundesregierung reibungslos zusammen. Ich denke, das gilt es gerade dann zu unterstreichen, wenn es in dem einen oder anderen Fall zu Kontroversen, gelegentlich auch zu deutlich ausgetragenen Kontroversen, kommt. Allerdings hat es immer wieder Veranlassung gegeben - ich erinnere an Willy Brandts mahnende Worte 1973 vor diesem Haus - , ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass der Bundesrat nicht etwa politisches Gegenstück des Bundestages ist. Das war wohl auch der Inhalt jener bedeutenden Rede eines niedersächsischen Ministerpräsidenten 1997. Schon ErnstBendahat dafür 1969 den Begriff des kooperativen Föderalismus geprägt und die gemeinschaftliche Verantwortung für eine im Geist der Bundestreue abgestimmte Gesamtpolitik betont. Der Bundesrat - so hat es einer Ihrer ehemaligen Kollegen Ministerpräsidenten formuliert - ist kein Konfrontationsorgan, sondern ein Integrationsorgan. Das im Grundgesetz angelegte Spannungsverhältnis zwischen politischen Parteien und Bundesstaat darf eben nicht dazu führen, dass das parteistaatliche Prinzip die föderative Struktur auch nur partiell außer Kraft setzt. Ich will an dieser Stelle meinen dringenden Wunsch nach einer Zusammenarbeit von Bund und Ländern im Rahmen einer neuen Verantwortungspartnerschaft unterstreichen.

Herr Präsident, die Fülle und die Komplexität der vor uns liegenden gemeinsam zu bewältigenden Aufgaben sind beträchtlich. Ich wünsche Ihnen daher für Ihr neues Amt Mut, Tatkraft und eine glückliche Hand. Sie gelten als versierter Streiter. Als früherer Finanz- und als Sozialminister von Sachsen-Anhalt kennen Sie die Wünsche der Bürgerinnen und Bürger, aber eben auch deren finanzielle Grenzen.

Ich fand es wohltuend, dass Sie darauf hingewiesen haben, dass neben mir drei ehemalige Ministerpräsidenten im Bundeskabinett sitzen und deswegen die Arbeitsweise des Rates in besonderer Weise kennen. Wer, so denke ich, schon hinter jedem Busch gesessen hat, weiß zumindest, wie es dahinter aussieht. Aber er weiß auch diejenigen leichter aufzufinden, die sich dahinter verstecken wollen.

Auch das ist ein wichtiger Gesichtspunkt, der unsere gemeinsame Arbeit bewegen wird.

Wir alle wissen, dass die Erwartungen der Menschen an die Politik nicht immer in vollem Umfang erfüllbar sind. Unser Ziel muss es jedoch sein, diesen Ansprüchen der Bürgerinnen und Bürger an die Politik so nahe wie möglich zu kommen und vor allem die Zukunft unserer Kinder und deren Kinder zu sichern. Daran werden wir uns letztlich messen lassen müssen. Auch in diesem Sinne, verehrter Herr Präsident, wünsche ich Ihnen und uns allen eine erfolgreiche Präsidentschaft.