Redner(in): Christina Weiss
Datum: 04.12.2002

Untertitel: "Mehr Kultur wagen": Kulturstaatsministerin Weiss plädiert vor dem Deutschen Bundestag für eine nationale, partei- und länderübergreifende Kultur jenseits "elitärer Hinterzimmer"
Anrede: Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/96/452896/multi.htm


Als vor vier Jahren das Amt des oder nunmehr der Kultur- und Medienbeauftragten der Bundesregierung geschaffen wurde, war auch in diesem Haus eine gewisse Skepsis vorhanden. Die Erfahrungen und nicht zuletzt die Erfolge der vergangenen vier Jahre belegen jedoch, dass die nationale Verantwortung des Bundes für die Kulturentwicklung in Deutschland und das Amt der Staatsministerin für Kultur und Medien nicht mehr gerechtfertigt werden muss. Im Gegenteil: Die Erwartungen insbesondere der Kulturschaffenden sind immens. Zu lange fehlte Ihnen ein Ansprechpartner auf Bundesebene. Diese Lücke hat mein Haus geschlossen, das längst als Ideengeber, als Ansprechpartner und Interessenvertreter der Kultur und Medien in Deutschland und in Europa anerkannt ist und es wird diese Funktion - da bin ich mir ganz sicher - auch in der kommenden Legislaturperiode festigen.

Lassen Sie mich die Grundideen einer nachhaltigen Kulturpolitik an ein paar prominenten Beispielen erläutern: Allen voran an der Kulturstiftung des Bundes, die die Regierung Anfang diesen Jahres ins Leben rief.

Mit der KSB haben wir eine Institution geschaffen, die sich auf dem Weg zu einem geistigen Zentrum der Bundesrepublik befindet und sich viel mehr der Initiative verpflichtet fühlt als der Alimentation. Eine Institution, die Debatten anstoßen und organisieren kann, und die - allen Unkenrufen zum Trotz - die Vorteile förderaler Verfasstheit mit der Aufwertung zentraler Vorhaben durch den Bund vereinen kann. Die KSB wird das Engagement der Bürgerinnen und Bürger in die Belange von Kunst und Kultur fördern, die Kraftzentren kreativer und geistiger Entwicklung stärken und nicht zuletzt auf der europäischen Ebene sichtbar agieren. Zur Stärkung dieser Zukunftsaufgabe sieht der vorliegende Haushaltsentwurf vor, die Mittel für die Bundeskulturstiftung auf 25,6 Millionen Euro zu verdoppeln, womit die Stiftung in ihre zweite Entwicklungsstufe eintreten kann. Ab dem Jahr 2004 sind dann in der Endstufe 38,3 Millionen Euro per annum eingeplant.

Doch wir haben, meine sehr verehrten Damen und Herren, noch eine weitere Stiftung, die wie die KSB prädestiniert ist, das Miteinander von Bund und Ländern in Fragen von Kunst und Kultur zu repräsentieren, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz hier in Berlin. Noch genau vor einem Jahr wollten die Länder die SPK verlassen. Jetzt wollen sie sich weiter an der Finanzierung der SPK beteiligen. Das ist eine gute Entwicklung, für die mein Haus lange gekämpft hat. Sie ist zugleich ein gutes Zeichen für den Fortgang der Gespräche zur Systematisierung der Kulturförderung, in denen wir inzwischen weit vorangekommen sind.

Eines der wichtigsten, ja vielleicht sogar das wichtigste Projekt der SPK ist derzeit die Sanierung der Berliner Museumsinsel. Der Bund hat die Finanzierung dieser symbolträchtigen Aufgabe übernommen, besitzt sie doch wie kaum eine zweite nationalen Rang. Die Museumsinsel lässt sich doch nur mit so einmaligen Stätten wie dem Louvre oder dem British Museum vergleichen, weshalb der Bund rund 100 Millionen Euro zur Erhaltung dieses Weltkulturerbes zur Verfügung stellt.

Gerade Zeiten, meine Damen und Herren, in denen immer wieder von Abschwung, von Krise, gar von Depression die Rede ist, wo Menschen glauben, die Orientierung zu verlieren, brauchen wir eine große Vision wie dieses Museumsbauprojekt, das die Kraft der Kultur versinnbildlicht. Denn nur kulturelle Identität kann uns aufrichten.

Ohne sie wäre das geistige, seelische und soziale Überleben unserer Gesellschaft immanent gefährdet. Die Größe und Vielfalt unserer Kunst gibt uns Richtung und Maßstab vor. Sie hilft dem Einzelnen, sich zu orientieren und sich zu positionieren. Und sie hilft der Gesellschaft, die Gegenwart eben auch als Chance zu begreifen. Wie in einem Brennspiegel konzentrieren sich diese Aufgaben und Chancen von Kunst und Kultur auf der Berliner Museumsinsel. Ihr großer Sammlungszusammenhang, der durch die öffentliche Nutzung des geplanten Schlossneubaus ideal vollendet werden könnte, zeigt, dass Kunst und Kultur die besten Katalysatoren einer europäischen wie internationalen Integration sind, die sich sowohl nach Westen als auch nach Osten orientiert. Die Museumsinsel wird ein einmaliges Forum für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft werden.

Erlauben Sie mir, meine sehr verehrten Damen und Herren, Ihnen vier weitere Kernpunkte meiner Kulturpolitik knapp zu umreißen, die das förderale Engagement des Bundes unterstreichen.

Im vergangenen Jahr hat der Bund mit dem Land Berlin einen Vertrag zur Kulturfinanzierung in der Bundeshauptstadt geschlossen. Das bis dahin gültige System der pauschalen Förderung von Berliner Kultureinrichtungen mit hauptstädtischem Profil wurde abgeschafft, eindeutige Zuständigkeiten wurden definiert. - Dieses Prinzip hat sich bewährt, und wir führen mit dem Land Berlin bereits erste Gespräche zur Fortsetzung unserer Förderung nach dem Jahr 2004. Dabei kann und will sich der Bund jedoch auch weiterhin nicht als Retter des Berliner Haushalts etablieren! Im Gegenteil: Mein Haus versteht sich auch für Berlin als Vermittler und Moderator, der davon überzeugt ist, dass eine "Hilfe zur Selbsthilfe" noch immer die beste Unterstützung ist.

Ganz anders ist dieses Selbstverständnis dagegen mit Blick auf die verheerende Flut, die im letzten Sommer besonders Sachsen und Sachsen-Anhalt heimgesucht hatte, und die für uns alle ein großer Schock war. Jedem von uns sind die Bilder von den überfluteten Kulturstätten in Dresden oder Dessau noch in lebhafter Erinnerung. Semperoper, Kunstsammlungen oder der Park von Wörlitz - das waren und sind Symbole sowohl für historisch gewachsenes Selbstbewusstsein wie auch für die gemeinsame Arbeit nach 1990. Es ist deshalb wichtig, dass für die Wiederherstellung der schwer getroffenen Kulturstätten auf Initiative meines Hauses das "Kulturelle Fluthilfeprogramm" eingerichtet wurde, für das insgesamt 100 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Ich bin darüber hinaus stolz darauf, dass aus dem Budget meines Hauses kurzfristig 3 Millionen Euro und von der KSB nochmals 2 Millionen Euro Soforthilfe zur Verfügung gestellt werden konnten. Die privat organisierte Kunstauktion "Künstler helfen Alten und Neuen Meistern", die unter der Schirmherrschaft des Bundeskanzlers stand, erzielte vor wenigen Tagen nochmals die Rekordsumme von 3,4 Millionen Euro und das ist für mich das überzeugendste Beispiel der Macht eines bürgerschaftlichen Engagements, das ich mit allen Kräften fördern werde.

Erlauben Sie mir noch ein Wort zum Investitionsprogramm "Kultur in den neuen Ländern", das die Bundesregierung 1999 initiierte: Über 300 lebendige Kultureinrichtungen wurden seither um- und ausgebaut, wofür der Bund, die Länder, und Kommunen sowie unzählige Privatpersonen rund 385 Millionen Euro einsetzten. Auch das ist eine ermutigende Zahl, konnte doch der Nachholbedarf im investiven Bereich der Kultureinrichtungen deutlich verringert werden - verringert, jedoch noch nicht befriedigt. Das wird weitere Anstrengungen erfordern. Zukünftig werden wir uns jedoch nicht nur darum bemühen, dass die vielen kleinen und großen "kulturellen Leuchttürme" baulich erhalten werden. - Wir wollen nun vielmehr dazu übergehen, ihre Strahlkraft zu erhöhen, wie wollen sie einbetten in eine Kultur-Landschaft, die Ost und West verbindet.

Abschließend noch ein kurzer Ausblick auf die Zukunft unserer Medienpolitik: Noch in dieser Legislaturperiode werden wir Ihnen, sehr verehrte Damen und Herren, zwei inhaltsreiche Gesetzesentwürfe zur Beratung vorlegen, die sich mit der Reorganisation der Deutschen Welle und der Novellierung der Filmförderung beschäftigen. Ich wünsche mir sehr, dass wir diese Gesetze in guter Kooperation auf den Weg bringen können. Die in der Koalitionsvereinbarung festgelegte Einführung einer umfassenden Kulturverträglichkeitsprüfung werde ich mit Leben füllen. Wie ernst es mir dabei ist, habe ich bereits in meinen ersten Amtstagen unter Beweis gestellt. Und ich würde mich freuen, wenn der Ausschuss für Kultur und Medien dieses Hauses ein ähnlich gestärktes Mitspracherecht erhielte, wie ich es jetzt im Bereich der Bundesregierung habe.

In diesem Sinne möchte ich Sie, sehr verehrte Damen und Herren, auffordern, mit mir und mit dieser Regierung mehr Kultur zu wagen, eine Kultur jenseits elitärer Hinterzimmer - eine Kultur für unser Land: Partei übergreifend, Länder übergreifend und nicht zuletzt, und hier richte ich mich ganz besonders an Sie, sehr verehrter Herr Gauweiler, auch Stämme übergreifend.