Redner(in): Christina Weiss
Datum: 30.01.2003

Untertitel: Am 30. Januar 2003 wurde die Ausstellung "Widerstand und Opposition in der DDR" mit einem Grußwort der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Christina Weiss, eröffnet.
Anrede: Sehr geehrte Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/89/464989/multi.htm


auf dem Kalenderblatt der Politik springt in diesem Jahr der 17. Juni besonders ins Auge. Der Tag des brutal niedergeschlagenen Arbeiteraufstandes in der DDR jährt sich zum fünfzigsten Mal und wir werden dieses Jubiläum mit würdigen wie ritualisierten Gesten begehen. Wir werden Gedenkreden halten, Kongresse veranstalten und Kränze an den Gräbern der Opfer niederlegen.

Und doch hat dieser Tag im Gedächtnis der Deutschen leider keinen festen Platz mehr. Manche Historiker sprechen gar von einem verblichenen Datum, das sperrig und schwierig geblieben sei. Im Osten lange tabuisiert und als Angriff der Konterrevolution verfälscht, im Westen oft als Feiertag mit Badeausflug missverstanden, so schrieb sich das vielleicht wichtigste Datum ostdeutschen Freiheitsdranges ins kollektive Bewusstsein.

Seit nunmehr elf Jahren ist der 17. Juni kein Feiertag mehr. Er wurde einfach abgeschafft. Noch immer existiert kein Denkzeichen in der Berliner Karl-Marx-Allee, wo der Aufstand einst begann und wo sich heute für Schulklassen etwas Authentisches über die Ereignisse, die vor fünfzig Jahren ein ganzes Land erschütterten, in Erfahrung bringen ließe.

In diesem Jahr bietet sich die Chance, den Deutschen diesen wichtigen Tag zurückzugeben. Mit Stolz sollte man sich dieses unbewaffneten Aufstandes erinnern, der gegen eine Regierung gerichtet war, die ihrem Volk das sozialistische Elysium versprach, die sich schön an die Regeln hielten. Aber die Demonstranten wollten nicht mehr gehorchen, sondern verlangten freie Wahlen und hofften auf ein geeintes Deutschland."Kollegen, reiht euch ein, wir wollen freie Menschen sein", erscholl der Ruf auf der Stalinallee und wurde durch ein ganzes Land getragen. Der Streik war in diesem Staat, das behauptete, für die Arbeiter und Bauern geschaffen zu sein, nicht vorgesehen, sondern verboten. Um so mehr sollten wir nicht nur in diesem Jahr den außergewöhnlichen Mut der Männer und Frauen des 17. Juni rühmen, von denen viel zu viele zu Unrecht vergessen oder namenlos geblieben sind.

Die Wanderausstellung "Widerstand und Opposition in der DDR", die vom Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig in enger Zusammenarbeit mit dem Haus der Geschichte in Bonn vorbereitet wurde, zeigt ein Land im Ausnahmezustand, bettet das Datum aber ein in die Geschichte des Aufbegehrens gegen das kommunistische Regime in Ostdeutschland. Gerade weil der 17. Juni das Fundament für die friedliche Revolution von 1989 und für die deutsche Einheit darstellt, darf das, was sich vor einem halben Jahrhundert in Ost-Berlin, Magdeburg, Leipzig, Halle oder Jena ereignete, nicht nur die Ostdeutschen angehen. Die Chronik der SED-Diktatur ist Teil unserer gemeinsamen Geschichte. Dafür sind nicht nur die neuen Länder zuständig. Ich kann es daher nur begrüßen, dass auch einige westdeutsche Städte diese Ausstellung zu sich eingeladen haben.

Ich wünsche dieser Ausstellung ein breites wie aufgeschlossenes Publikum und uns, dass wir die namenlosen Aufständischen nicht nur in Sonntagsreden oder Schulstunden rühmen. Der 17. Juni 1953 zeigt uns, was es bedeutet, Demokratie zu wagen.