Redner(in): Christina Weiss
Datum: 06.03.2003

Untertitel: "Es war der Glauben, durch den der Mensch zur Freiheit verpflichtet wird": Kulturstaatsministerin Christina Weiss erinnert in ihrem Grußwort an den "Lutherschen Akt der Befreiung" und betont die nachhaltige Wirkung, die Luther heute noch besitzt.
Anrede: Verehrter Herr Minister Olbertz, sehr geehrter Herr Landesbischof Kreß ,verehrte Damen und Herren Abgeordnete, meine sehr geehrten Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/26/470526/multi.htm


welchem wachen Geist ist dieser Tage zuzumuten, die Abendnachrichten zu überstehen? Ohne dass man es will, wird von einem gefordert, einen starken Glauben zu entwickeln. Glaubt unserer Mühe, die Raketen zerstören zu wollen, heißt es aus dem Irak. Glaubt ihnen kein Wort, kontern die Vereinigten Staaten. Glaubt an eine Lösung mit friedlichen Mitteln, heißt es bei uns. Auch wenn ich Ihnen nicht zu erklären brauche, warum ich am ehesten an friedliche Mittel glaube, Ihnen Vertrauen und volle Sympathie schenke, sind dies doch alles Beispiele dafür, wie mit dem Begriff des Glaubens umgegangen wird. Sie sind eine Folie für den Verfall des Glaubensbegriffs. Wer heute Glauben mit blindem Gehorsam übersetzt, verhilft damit dem Anpassertum zu neuer Blüte. Wer unbedingte Gefolgschaft einklagt oder die gewissenlose Übernahme fremder Ideen, ringt das eigene Denken nieder. Dieser Glauben hat nichts mit dem Glauben zu tun, wie ihn Martin Luther predigte. Wie zum Beispiel in der Schrift: "Von der Freiheit des Christenmenschen". Es war der Glauben, durch den der Mensch zur Freiheit verpflichtet wird, als freier Geist über allen Dingen und eben niemandem untertan. Wenn wir nun heute hier stehen, um die neue Dauerausstellung in diesem reformationsgeschichtlichen Museum zu eröffnen, sollten wir an diesen Lutherschen Akt der Befreiung erinnern. Wir wissen wohl, dass der ursprüngliche Gedanke der Glaubensfreiheit später gern verfälscht wurde. Es ging nicht mehr darum, Freiheit aus dem Glauben zu erfahren. Man forderte Freiheit für den Glauben ein. Sie kennen alle die verhängnisvollen Folgen in den totalitären Heilswelten, die im zurückliegenden Jahrhundert mit einem Glauben verbunden waren, der völlig unfrei machte. Der sich durch seine Zwanghaftigkeit in sein Zerrbild verkehrte. Was waren das für Mächte, die sich aufschwangen, im Namen eines neuen Herrn, eines Götzen von zweifelhaftem Ruf die Welt zu bessern?

Meine Damen und Herren, ich halte es sehr mit dem Friedensnobelpreisträger Willy Brandt, der stets betonte, dass es für Politiker nur ein "vorletztes Handeln gibt und der Staat nicht die Stelle göttlicher Macht beanspruchen darf". Daran sollten wir uns erinnern, wenn heute leichtfertig darüber gestritten wird, ob Regierungen heilig sind, ob Freunde auch dann besonders wertvoll sind, wenn sie nicht einfach pauschal die vorherrschende Meinung übernehmen, sondern zu ihren eigenen Überzeugungen stehen. Gelingt es uns also, mit Luther ein freier Geist über allen Dingen zu sein? Sind wir fähig, zu differenzieren? Ich finde gut und richtig, dass wir unser Herz nicht a priori an etwas hängen, von dem wir meinen, es sei von göttlicher Provenienz. Luther lehrt uns, zwischen Gott und Abgott zu unterscheiden, zu überprüfen, worauf wir uns verlassen können und wo wir doch stärker hinterfragen sollen. Geschieht nicht im Namen einer Religion, im Namen einer Ersatzkirche, im Namen eines religiösen Führers viel zu viel Unheil auf dieser Welt? Sollten wir nicht immer wieder daran gemahnen, dass niemals das Recht des Stärkeren obsiegen darf, sondern immer nur die Stärke des Rechts? Und wäre es nicht angezeigt, den diktatorischen Abgöttern dieser Welt das Handwerk mit friedlichen Mitteln zu legen? Mit den Mitteln des Glaubens sogar?

Diese Gedanken, meine Damen und Herren, gehen mir durch den Kopf, wenn wir heute hier bei Luther sind, zu Gast in einem Gebäude, das viele Metamorphosen durchlebt hat. Aus dem ehemaligen Augustinerkloster, das Luther zwischen 1508 und 1546 zunächst als Mönch, später als Professor und Familienvater bewohnte, wurde 1883 die Lutherhalle und damit ein Museum, dessen Bestände bis 1918 so rapide wuchsen, dass es als größtes reformationsgeschichtliches Museum der Welt galt. Die neue Ausstellung trägt den Namen "Martin Luther - Leben, Werk und Wirkung", und es wäre mir sehr recht, wenn wir überprüften, welche nachhaltige Wirkung der deutsche Reformator heute noch besitzt, wo er uns hilft, das Phänomen des Lebens zu verstehen. Ich stelle mir ein lebendiges Museum vor, in dem es Diskussionen über all das gibt, was wirklich Gott und die Welt zusammenhält. Besonders spannend erscheint mir, dass es gelungen ist, auch dem Kurzbesucher mit knappen Vorkenntnissen ein Bild über Luthers Leben zu vermitteln. Eine Herausforderung bietet wahrlich der Ausstellungsteil zum Thema "Reformation als Medienrevolution". Vielleicht sind es ja gerade die Medien, die immer wieder neue Abgötter produzieren, Superstars und Alltagshelden auf das Fernsehfließband werfen, Verheißungen suggerieren und den Glauben profanisieren.

Meine Damen und Herren, ich habe davon gesprochen, dass die Regierung eines Staates nicht für sich beanspruchen darf, für göttlich gehalten zu werden, aber sie darf die Schatulle öffnen, um mit den Luthergedenkstätten eine Institution mitzufinanzieren, der die Gedanken über Glauben und Verständnis schärft, der uns im besten Fall zu Weitblick verhilft. Das wird auch so bleiben, obgleich Geld naturgemäß noch kein Konzept ersetzt. Deshalb danke ich an dieser Stelle stellvertretend dem Direktor der Luthergedenkstätten, Herrn Dr. Rhein. Sie haben mit schmaler Börse ein kleines Wunder vollbracht! Möge es sich weiter herumsprechen, dass es sich lohnt, nach Wittenberg zu kommen. Auch für Katholiken.

Denn die Frage des Glaubens, der manchmal auch ein Irrglaube sein kann, stellt sich jeden Tag. Ein Szenenwechsel. Für göttlich gehalten wird auch der Held des neuen Films von Steven Spielberg "Catch Me If You Can", der Hochstapler Frank Abagnale, gespielt von Leonardo DiCaprio. Als er sein wahres Ich entblättern muss, nimmt seine beflunkerte Verlobte hin, das er kein Pilot ist, kein Arzt und auch kein Lehrer. Eines allerdings kann sie nicht verzeihen: dass er kein Lutheraner ist. In diesem Sinne Ihnen allen einen schönen Abend.