Redner(in): Joschka Fischer
Datum: 07.03.2003

Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/76/470876/multi.htm


Herr Präsident, Ich danke Dr. Blix und Dr. El Baradei für die Erläuterungen zu dem Quartalsbericht. Beide können auf die volle Unterstützung Deutschlands zählen.

Das Ziel der internationalen Gemeinschaft bleibt die vollständige Abrüstung - und nur die Abrüstung - des Irak, um die internationale Bedrohung durch irakische Massenvernichtungswaffen endgültig zu beseitigen. So ist es in allen relevanten SR-Resolutionen festgelegt.

Jetzt geht es um die Einheit der internationalen Gemeinschaft. Unsere Haltung beim Kampf gegen den internationalen Terrorismus ist geschlossen. Gemeinsam bekämpfen wir die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen. Und wir sind uns einig bei der Verurteilung des irakischen Regimes. Unterschiedlicher Meinung sind wir bei der Strategie, wie die wirksame und vollständige Abrüstung des Irak erzielt werden kann. Der Sicherheitsrat darf nichts unversucht lassen, einen gemeinsamen Ansatz zur Erreichung unseres gemeinsamen Ziels zu finden.

Die Darlegungen von Dr. Blix und Dr. El Baradei haben erneut deutlich gemacht: Die Kooperation des Iraks mit UNMOVIC und IAEO entspricht den VN-Vorgaben immer noch nicht in vollem Umfang. Bagdad hätte viele der unlängst getroffenen Maßnahmen früher und bereitwilliger ergreifen können. In den letzten Tagen hat sich die Kooperation allerdings spürbar verbessert. Dies ist eine positive Entwicklung. Umso weniger ist es zu verstehen, wenn diese Entwicklung jetzt abgebrochen werden soll.

In der Sache gibt es bei der Umsetzung der relevanten Sicherheitsratsresolutionen auf allen Gebieten Fortschritte zu verzeichnen:

Im Bereich der Trägertechnologie gibt es deutliche Fortschritte. So hat der Irak die Inspekteure über seine Al-Samoud-Raketen informiert. Nach der Überprüfung durch UNMOVIC wurde festgestellt, dass ihre Reichweite zu groß war. Nachdem Dr. Blix dem Regime in Bagdad eine Frist zur Zerstörung gesetzt hat, begann der Irak fristgerecht mit der Vernichtung der Raketen. Dies ist ein wichtiger Fortschritt. Er zeigt, dass eine friedliche Entwaffnung möglich ist, dass es eine tatsächliche Alternative zum Krieg gibt. Diese positive Entwicklung zeigt auch, dass die Methode von Hans Blix, dem Regime in Bagdad konkrete Zeitvorgaben zu geben, zum Erfolg führt. Sie sollte auch bei anderen offenen Problemen Anwendung finden.

In der Frage eines eventuellen irakischen Nuklearpotentials können wir große Fortschritte feststellen. Dies hat Dr. El Baradei uns bestätigt. Die vom Irak vorgelegten Darstellungen sind plausibel und verifizierbar. Die Kooperation bei den Inspektionen ist gut. Die IAEO ist zuversichtlich, in Kürze zu abschließenden Ergebnissen zu kommen.

Bei den Biowaffen gab es in Einzelbereichen ebenfalls Fortschritte: So etwa bei der Ausgrabung zahlreicher R-400 -Bomben, die nun von UNMOVIC bewertet wird. Bagdad hat einen umfassenden Bericht zu offenen Fragen im Bereich biologischer und chemischer Waffen angekündigt.

Die Interviews mit irakischen Wissenschaftlern finden mittlerweile ohne Kontrolle oder Bandaufzeichnung statt. Die Durchführung von Interviews im Ausland wird vorbereitet.

Herr Präsident, Frankreich, Russland und Deutschland haben dem Sicherheitsrat am 24. 2. ein Memorandum vorgelegt, das ein straffes Regime intensiver Inspektionen vorschlägt. Auf Grundlage dieser Vorschläge könnten die Inspektionen jetzt verstärkt und beschleunigt werden. Dafür müssen die noch ausstehenden Probleme einzeln spezifiziert und Prioritäten festgelegt werden. Für die Lösung eines jeden Problems sollte dabei eine Zeitschiene vorgegeben werden.

Deshalb sollten Dr. Blix und Dr. El Baradei uns ein detailliertes, umfassendes Arbeitsprogramm vorlegen, das klärt, wie sie und ihre Teams die von den VN geforderte vollständige Entwaffnung des Irak angehen wollen. Es ist von großer Bedeutung, dass dieses Arbeitsprogramm dem Sicherheitsrat ohne Verzögerung vorgelegt wird. Schon für heute wünschen wir uns eine Aussage der Inspekteure, welches die "remaining key disarmament issues" in dem bereits fertiggestellten Cluster Report sind.

Die Inspektionen können nicht endlos fortgesetzt werden. Das Ziel der Abrüstung des Irak muss energisch und systematisch verfolgt werden. Die irakische Regierung muss in vollem Umfang mit den Inspekteuren zusammenarbeiten.

Aber angesichts der aktuellen Lage und der laufenden Fortschritte sehen wir keinerlei Notwendigkeit für eine zweite Resolution. Warum sollte man den eingeschlagenen Weg gerade jetzt verlassen, wo die Inspektionen auf Grundlage der Resolution 1441 tragfähige Ergebnisse zeigen?

Herr Präsident, zum dritten Mal innerhalb eines Monats kommt der Sicherheitsrat jetzt auf Ministerebene wegen der Irakkrise zusammen. Dies beweist die Dringlichkeit, die wir der Entwaffnung des Irak und einer drohenden Kriegsgefahr beimessen. Die Krise im Irak bewegt unsere Regierungen, sie bewegt die Menschen in unseren Ländern. Sie bewegt die gesamte Region des Nahen und Mittleren Ostens. Gerade angesichts dieser Dramatik müssen wir uns immer wieder eindringlich vor Augen führen, was ein Krieg bedeuten würde. Welches unendliche Leid er für zahllose unschuldige Menschen bringen würde. Welche katastrophalen humanitären Folgen er nach sich zöge. Sind wir wirklich in einer Situation, die die "ultima ratio", das allerletzte aller Mittel, zwingend erforderlich macht? Ich meine nein, denn die friedlichen Mittel sind keineswegs erschöpft.

Der Sicherheitsrat, wir alle stehen vor einer wichtigen Entscheidung, wahrscheinlich einem historischen Wendepunkt. Die Alternativen sind klar: Abrüstung des Iraks durch Krieg oder Abrüstung durch Ausschöpfung aller friedlichen Mittel. Die Risiken der militärischen Option stehen uns allen vor Augen. Vieles spricht dafür, dass dieRegion durch einen Krieg nicht stabiler, sondern noch instabiler wird - und zwar für eine lange Zeit; dass der internationale Terrorismus stärker und nicht geschwächt wird; dass unser gemeinsames Bemühen um eine Lösung der Regionalkonflikte weiter erschwert wird.

Hingegen die Alternative: Gelingt es uns, die effektive und vollständige Abrüstung des Irak mit friedlichen Mitteln durchzusetzen, werden sich die Voraussetzungen für einen regionalen Prozess der Stabilität, der Sicherheit und Zusammenarbeit verbessern, aufbauend auf Gewaltverzicht, der Rüstungskontrolle und eines kooperativen Systems vertrauensbildender Maßnahmen.

Herr Präsident, die Resolutionen 1441 und 1284 zeigen dem Sicherheitsrat einen klaren Weg auf. Sie müssen weiterhin Grundlage unseres Handelns bleiben. Die Fortschritte der letzten Tage haben es klar gemacht: Wir haben wirksame Alternativen zum Krieg. In dem wir diesen Weg gehen, werden wir die Relevanz der Vereinten Nationen und des Sicherheitsrats stärken.

Ich danke Ihnen.