Redner(in): Christina Weiss
Datum: 07.04.2003
Untertitel: Bei dem Symposium "Musikalische Vielfalt im Hörfunk" diskutierten Vertreter der Medien und der Wirtschaft über die Möglichkeiten für die Bewahrung musikalischer Vielfalt im Hörfunk und bessere Chancen für den künstlerischen Nachwuchs. Kulturstaatsministerin Christina Weiss sprach über Quote, Nachwuchskünstler und die Qualität von Musik.
Anrede: Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/18/478318/multi.htm
ich freue mich, dass Sie unserer gemeinsamen Einladung gefolgt sind. Das Interesse an dieser Veranstaltung zum Thema "Musikalische Vielfalt im Hörfunk" war schon im Vorfeld sehr groß. Aber wir, Herr Ministerpräsident Beck, dem ich für das gemeinsame Engagement und die Gastfreundschaft in seiner Landesvertretung herzlich danke, und ich waren uns einig, die öffentliche Diskussion zuerst in einem kleinen Expertenkreis zu beginnen, um dann besser beurteilen zu können, in welche Richtung man weiterdenken und handeln kann.
Vor Jahren waren es die Interpreten, die sich beim Bund und bei den Ministerpräsidenten der Länder für eine staatliche Regulierung der Musik im Rundfunk einsetzten. Heute ist es die Musikwirtschaft, die in der Sache eine ähnliche, im Detail aber etwas abweichende Forderung erhebt. Kritisiert wird allgemein die zunehmende "Formatierung" in den privaten und einigen öffentlich-rechtlichen Hörfunkprogrammen. Man konstatiert eine Charts-Gläubigkeit. Dadurch würden sich die Chancen für einheimische Künstler und Musikproduktionen erheblich verringern, über das Radio bekannt zu werden.
Ob dies so ist, ob dies so sein muss, wo man umsteuert, was man gemeinsam für die Musikszene und deren Wirtschaftlichkeit machen kann - darüber wollen wir mit Ihnen diskutieren. Der Bund kann im wesentlichen nur die Rolle des Moderators zwischen den verschiedenen Interessengruppen spielen. Die Zuständigkeit für die Rundfunkangelegenheiten liegt bis auf einige technische Aspekte und für den Auslandsrundfunk bei den Ländern. Doch wenn das Werk von Künstlern betroffen ist, dann geht das Bund und Länder gleichermaßen an. Dies erklärt auch die Zusammensetzung unseres heutigen Forums.
Die Diskussion um Quotierungen im Radio polarisiert erreicht immer wieder emotionale Höhen. Ich erinnere daran, wie Heinz-Rudolf Kunze 1996 nach einem Spiegel-Artikel völlig ungerechtfertigt unter den Vorwurf der "Deutschtümelei" geriet und man ihn gar in die nationalistische Ecke stellen wollte. Mit dem Begriff der Rundfunk- und Programmfreiheit wurde damals eine sachliche Diskussion vielleicht zu schnell abgewürgt. Die heutigen Forderungen der Musikwirtschaft werden dagegen in der Öffentlichkeit gern zuerst nach dem Motto "Quote soll selbstverschuldete Krise überwinden" belächelt, um dann mit der Forderung zu kontern, die Industrie solle in interessantere Musik und in den künstlerischen Nachwuchs investieren. Auch diese Reaktion scheint mir unangemessen. Der "Schwarze Peter" wird zu schnell verteilt.
Inzwischen hat die Musikwirtschaft mehr oder weniger selbstkritisch zugegeben, dass ihr der schnelle Erfolg zum Teil näher ist als der langfristige Aufbau von Künstlern. Sie kündigt trotz der wirtschaftlich schwierigen Zeit Taten an, über die wir vielleicht einiges heute hören werden. Wird aber allein durch eine Initiative für den künstlerischen Nachwuchs alles gut? Kämen die Sendeplätze tatsächlich automatisch, wenn es nur genug junge kreative Musik gäbe? Hat kreative Musik überhaupt eine Chance im Radio?
Seit der Einführung des Privatrundfunks in Deutschland hat es gravierende Veränderungen in der Programmlandschaft gegeben. Die Machart ist eine andere geworden. Vielfältigste Hörerinteressen können weitflächig abgedeckt werden. Es gibt Angebote für Freunde der Klassik und Modernen Kunst, für Freunde des Schlagers und der volkstümlichen Weisen. Wir kennen einige überregionale und regionale Sender für Jazz, HipHop, Soul und R&B. Dennoch lässt sich aus den hörerstärksten Programmen quer durch die Republik eine zunehmende Uniformität des Musikangebotes heraushören.
Im Hörfunk buhlen private und öffentlich-rechtliche Programme um die Gunst der gleichen Zuhörer. Die Sorge um die Akzeptanz, die sich in den quartalsweise ermittelten Reichweiten ausdrückt, führt offenbar sowohl unter den privaten als auch bei einigen öffentlich-rechtlichen Programmen zu ähnlichen Musikkonzepten. Die Hörfunkdirektorin des WDR, Frau Monika Piel, hat dies im vergangenen Oktober vor der Generalversammlung des Deutschen Musikrates sehr klar begründet: "Kulturprogramme, deren Ziel es nicht ist, ( und nicht sein kann ) , Massen zu erreichen, müssen sich auch nicht mit den Maßstäben von Massenprogrammen - also an festen Quoten - messen lassen. Die Programme aber, deren Ziel es ist, ein Massenpublikum anzusprechen und sich auf einem umkämpften Radiomarkt zu behaupten, müssen dies sehr wohl tun." Das warf bei manchem Zuhörer die Frage auf, ob der Kulturauftrag, der den öffentlich-rechtlichen Sendern mit den Landesmediengesetzen ins Stammbuch geschrieben wurde, nicht mehr auf jedes einzelne, sondern nur noch auf die Gesamtheit aller Programme eines Senders bezogen wird. Denn in der Konsequenz heißt das doch - ich sage das bewusst etwas zugespitzt - , dass die Musik in den Programmformaten, die sich als reines "Tagesbegleitmedium" verstehen, ähnlich wie bei den privaten Programmen nicht primär als "Kultur" eingesetzt wird, sondern vorrangig als Mittel zum Zweck. Und der Zweck heißt bei mindestens einem Programm aller öffentlich-rechtlichen Sender: Hörerquote. Und dieser Quotendruck entsteht u. a. - das hat der Programmleiter von NDR2, Torsten Engel, sehr deutlich in der Zeitschrift Musikermagazin ausgesprochen - dadurch, dass auch die öffentlich-rechtlichen Programme inzwischen wie die privaten Sender Werbung verkaufen müssen und deshalb einen breiten Musikgeschmack treffen wollen. Liegt also hierin ein Grund für die zunehmende Uniformität der Musik? Ist sie tatsächlich unabänderbar und welche Folgen hat das für die künftige Gebührendiskussion?
Für mich ist der Umgang mit Musik im Hörfunk eine sehr weitreichende Frage, die in der letztlich bis zur Problematik der illegalen Kopie reicht. Es geht nämlich um den Wert von Musik und um ein Bewusstsein dafür! Gilt Musik nur noch als Beiwerk, als Hintergrund - wie kann dann Verständnis für diesen Wert, für die Qualität von Musik, für den Text befördert werden? Warum werden z. B. Titel in vielen Programmen kaum noch anmoderiert? ( Dass man Modern Talking schon nach ein paar Takten erkennt, dürfte eher die Ausnahme sein! ) Warum nimmt die Musik nur noch selten Bezug auf die Textbeiträge, wo es doch auch intellektuellen Spaß macht, sich solche Zusammenhänge zu erschließen? Sicherlich ist das nicht in jeder Situation angezeigt und es mag auch ein etwas altmodisches Verständnis von Radio sein, aber ich bin überzeugt, dass die Hörer vom Radio, ja auch vom sogenannten Formatradio, eine Art qualitative Orientierung in Sachen Musik erwarten.
Ich misstraue dem Spruch: "Wir spielen nur, was die Hörer wollen". Ich weiß natürlich, dass in einigen Fällen tatsächlich Call-Center damit betraut sind, den Geschmack der erklärten Zielgruppe zu erforschen und neue wie alte Titel zu testen. Aber dennoch gilt genauso, dass die Hörer das Grundvertrauen, dass sie dem Rundfunk, also "ihrem" Programm entgegen bringen, auch auf die Musikkompetenz beziehen. Deshalb ist es durchaus möglich, nicht nur Hits zu spielen, sondern auch zu machen.
Aber es geht mir hier nicht in erster Linie um Hits. Es geht um Vielfalt und um die ausgewogene Widerspiegelung der Musikszene der Region, des Landes, Europas, der Welt. Die sogenannte Programmfreiheit bezieht sich - so jedenfalls der Eindruck - bei einigen Programmen nicht mehr darauf, zu entscheiden, welche Musik für gut und sendefähig gehalten wird, sondern nur darauf, wie oft ich einen erfolgreichen Titel der Airplaycharts wiederhole. Dass dies keine theoretische Frage ist, zeigen unsere Untersuchungen: In privaten Programmen, die Werbung verkaufen und nicht Musik, werden täglich rund 300 Titel gespielt, die zuvor durch Tests ausgewählt wurden. Unter diesen 300 sind bekanntermaßen zahlreiche Wiederholungen. Die Spitzentitel aus den Airplaycharts bzw. Titel, die als potentielle Spitzentitel von der Musikwirtschaft beworben und als solche von den Sendern eingeschätzt werden, kommen in der Regel im Abstand von 4 - 5 Stunden zum Wiedereinsatz, d. h. in einem rotierenden Verfahren innerhalb eines Tages bis zu 6 mal, innerhalb einer Woche bis zu 40 mal. Weitere Titel rotieren in längeren Abständen. So liegt die Anzahl der in der Woche gesendeten verschiedenen Titel im Privatrundfunk schließlich nur zwischen 250 und 350. Das Überraschende ist, dass auch einige öffentlich-rechtliche Programme diese Rotation stark praktizieren. In einem von uns anhand der im Internet abrufbaren Playlists untersuchten Programm wurden am Tag ebenfalls rund 300 Titel, in der Woche damit rund 2.100 Titel gesendet. Die Anzahl der verschiedenen Titel betrug jedoch auch nur rund 500 in der Woche. Das heisst, dass im Wochendurchschnitt jeder Titel etwas mehr als 4 mal gesendet wurde. Tatsächlich betraf die Wiederholung vor allem die Titel der Airplaycharts, deren Spitzengruppe bis zu 32 mal ( u. a. Deutschland sucht den Superstar ) wiederholt wurde.
Das computergestützte Rotationsverfahren schränkt demnach in dieser Extensität die musikalische Vielfalt tatsächlich erheblich ein. Würde die Anzahl der Wiederholungen auf maximal zwei am Tag, d. h. 14 in der Woche beschränkt werden, bekäme man Sendeplatz für rund 200 weitere Titel ( insgesamt 700 ) . Und würde man die Wiederholung gar auf maximal eine am Tag begrenzen, also 7 in der Woche, dann würden im konkreten Fall fast 500 Sendeplätze in der Woche mehr zur Verfügung stehen ( insgesamt bis zu 1.000 ) . Das würde unbestreitbar mehr Chancen für nationale und internationale Künstler bedeuten, über das Medium Radio Gehör zu finden. Die computergesteuerte Planung des Musikeinsatzes an sich ist dabei nicht das Problem, sondern nur, mit welcher Intension man dieses Hilfsmittel nutzt, welche Regeln man eingibt, welchen musikalischen Anspruch man zugrunde legt. Ist also wo ein Wille ist, auch ein Weg?
Die Musikwirtschaft verhält sich dabei durchaus janusköpfig. Denn einerseits feiert sie die Spitzenposition in den Airplaycharts als Ausdruck des Erfolges und nimmt damit die Dauerwiederholung billigend in Kauf. Andererseits kritisiert sie den Mangel an Sendeplätzen für Newcomer und einheimische Produkte. Ich glaube, dass die Musikwirtschaft die steuernde Wirkung ihrer Charts noch einmal überdenken sollte.
Ich habe Quotierungen immer abgelehnt und doch habe ich in den letzten Monaten auch verstanden, dass man diesen Interessenkonflikt nicht einfach nur aussitzen kann. Es würde den Künstlern nicht helfen, die nicht oder nicht mehr im Rundfunk vorkommen. Es würde der Musikwirtschaft nicht helfen, deren Engagement für das nationale Repertoire von den ausländischen Mutterkonzernen sicher nur begrenzt geduldet würde. Es würde auch dem Rundfunk nicht helfen, dessen Faszination immer auch von der aktuellen Musik, von dem Gefühl der Identifikation lebt.
Ich beobachte zudem eine zunehmende Aufgeschlossenheit, über neue Konzepte zu reden. Rundfunk und Musikwirtschaft schmieden gar gemeinsame Projekte, z. B. bei der Nachwuchsförderung. Bevor man über Quoten spricht, sollte man sich in der Tat zuerst mit der Frage beschäftigen, auf welche Weise man zu besseren Angeboten für die Hörer kommt. Und zwar von beiden Seiten. Das wäre auch mein Wunsch, meine Hoffnung für die heutige Veranstaltung.