Redner(in): Christina Weiss
Datum: 09.04.2003

Untertitel: Mit einem Festakt haben Prominente aus Politik und Kultur den Geburtstag des Präsidenten der Berliner Akademie der Künste, György Konrád, gefeiert, der am 2. April 70 Jahre alt geworden war. Kulturstaatsministerin Weiss würdigt den ungarischen Schriftsteller in ihrem Grußwort als moralische und intellektuelle Instanz, der stets seine geistige Unabhängigkeit bewahrt habe.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/32/478832/multi.htm


Verehrter Herr Konrád,

liebe Geburtstagsgesellschaft,

wir haben in den vergangenen Tagen in den Gratulationen und Huldigungen viel über den Europäer Konrád erfahren, über einen Mann, der nichts unversucht ließ, damit der Name dieses Kontinents zu mehr taugt, als zur Beschriftung von Institutionen oder Normen für Wasserrohre. Europa, so haben Sie gesagt, lieber Herr Konrád, sei ein Prozess. Geben wir uns skeptisch, könnte diese Aussage einen Triumph der Ökonomie über den Geist suggerieren. Verstehen wir sie herausfordernd, also als Auftrag, das Unfertige zu vervollkommnen, bleibt viel, sehr viel zu tun. Wir kennen zwar die Umrisse dieses neuen Europa, auch die Koordinaten, aber streben wir auch nach einer gemeinsamen Wertegemeinschaft? Der vernünftige Westen ruht zum Beispiel stolz auf dem Konsens der Demokratie, der auch in den giftigsten Debatten unangetastet bleibt. Im Osten aber wird um diesem Konsens immer noch hart gerungen, er ist nicht überall selbstverständlich und er erleidet auch herbe Rückschläge. Den Mut aber, an diesem gemeinsamen Wertesystem zu arbeiten, hat György Konrád durch sich und sein Tun schon dokumentiert, als der Versuch, Demokratie zu wagen noch mit Arbeitsverbot, Ausweisung oder Arrest bestraft wurde. Seinen Mut, die Meinung zu sagen und sich vom Duckmäusertum im uniformen Staatssozialismus abzusetzen, konnte dies nicht brechen. Durch Sie haben wir erfahren, dass der ungarische "Gulaschkommunismus" keineswegs von so behaglicher wie spießiger Gemütlichkeit war, wie das Synonym suggerieren sollte. Wir erfuhren von verbogenen Identitäten, von Korrumpierung und Denunziantentum, von Seelenverkäufen und Zwangsjacken für das Denken. Was war zu gewinnen, wenn man verriet? Ein besseres Leben, eine Datsche, ein kleines Auto, etwas mehr Geld? Wird man dafür zum Lumpen?

György Konrád wies auf das Eis, wo andere schon das Tauwetter spürten. Wo andere sich für die Ewigkeit einzurichten begannen, Reförmchen für das höchste Zugeständnis der Macht hielten, glaubte er an die Vergänglichkeit der Diktatur. Er träumte davon, wie es sein könnte, wenn Literatur, Musik und Film ohne Zensur und ohne Bevormundung möglich wären. Er glaubte an die Freiheit und definierte sie später so: "Ein gesundes Individuum hat Freiheiten von Freiheiten für etwas. Darum ist das Leben dieses Individuums geöffent für Begegenungen, für Herausforderungen, für Entdeckungen." Konráds Utopie von einem Europa freier Völker, in dem auch die Freude und die Lebenslust Menschenrechte sind, ist Wirklichkeit geworden. Dabei sah er aber andere Diktaturen, wo immer es sie noch auf dieser Welt geben mag, keineswegs in milderem Licht. Jegliches Tun, verbrecherische Regime zu stabilisieren, stößt bis heute auf seinen Widerspruch. György Konrád bleibt in allem, was er tut, ein autonomer Geist. Er beweist Mut zu freiem Denken. Wenn er Europa einen Prozess nennt, dann meint er damit auch einen Denkprozess. Konrád hat seine geistige Unabhängigkeit, vielleicht einer der größten Werte überhaupt, stets bewahrt. Wer diese moralische wie intellektuelle Instanz vor irgendeinen Karren spannen wollte, erlebte oft heftige Überraschungen. Man hätte es wissen können, weil er sagt, dass die "Revolution der Autonomie damit beginnt, dass es Menschen gibt, die ihr Gewissen der Staatsstruktur nicht unterordnen." Das galt bei ihm vor wie nach dem Umbruch in Osteuropa. Wir alle konnten an diesem Denken partizipieren, ob in seinen Büchern, seinen Reden als Akademiepräsident oder seinen Sätzen als mündiger Bürger. Dafür sind wir dankbar und hoffen, dass Sie, lieber Herr Konrád, uns auch zu denken geben werden, wenn Sie nicht mehr Akademiepräsident sind. Ihr Mut ist unsere Freiheit. Sie sollen hochleben! Herzlichen Glückwunsch!