Redner(in): Christina Weiss
Datum: 10.04.2003

Untertitel: "Kulturbetrieb selbst ein aktiver Teil der wirtschaftlichen Struktur unserer Gesellschaft": Kulturstaatsministerin Christina Weiss betont in ihrer Rede die Verbindung von Kunst und Wirtschaft und würdigt das Engagement von Stiftern, die als "Werbeträger unschlagbares Argument für die Notwendigkeit kultureller Einrichtungen" sind.
Anrede: Sehr geehrter Herr Dr. Großmann, sehr geehrter Herr Lüpertz, meine sehr verehrten Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/99/479699/multi.htm


ich könnte auf das Thema des heutigen Abends lapidar mit dem Kerkermeister Rocco aus "Fidelio" kontern: "Hat man nicht auch Gold beineben, kann man nicht ganz glücklich sein; traurig schleppt sich fort das Leben, mancher Kummer stellt sich ein." Oder weiter: "Wenn sich nichts mit nichts verbindet, ist und bleibt die Summe klein, wer bei Tisch nur Liebe findet, wird nach Tische hungrig sein." Damit wäre der Zustand der öffentlichen Kulturhaushalte über die Maßen präzise beschrieben. Ich könnte über die Sinnlichkeit des Geldes reden, darüber, welche melancholische Faszination es entfaltet, wenn es verschwindet. Ich könnte vom Wert des Geldes reden, das ja nur eine Verabredung ist, seit wir nicht mehr in Gold und Glasperlen bezahlen. Vielleicht würde ich meinen, Geld sei eine große Suggestion, also ein Kunstprodukt an sich. Ich könnte von Kopf oder Zahl sprechen, von dem Rätsel, der Verheißung oder von Dagobert Duck und den Dollarzeichen in seinen Pupillen. Ich könnte ihnen aber auch pauschale Minderausgaben erklären oder strukturellen Absenkungen. Doch was nützt es, wenn ich Ihnen das Klagelied der Dezernenten vorjammere, in deren Taschen es schon lange nicht mehr "fein klingelt und rollt". Einige unter Ihnen werden vielleicht wissen, dass ich höchst ungern über Geld rede, dass ich nicht dafür bekannt bin, fetten Zeiten nachzutrauern, sondern dass mich der kulturelle Ertrag in einer Gesellschaft interessiert. Dieser scheint bei uns im Schwinden begriffen, weil wir ihn systematisch aushöhlen. Und das geht so: Die Sparpolitik, die allein genommen, für mich noch keine Politik im eigentlichen Sinne ist, hat das Synonym von der "auskömmlichen Armut" in den Sprachgebrauch getragen. Halten Sie sich gut fest: Wir leisten uns Theater und Museen, pflegen brav Bestand und Mauern, streichen aber wie wild an Aufführungen und Ausstellungen herum. Das heißt: Die Kunst ist besiegt, es lebe die Verwaltung. Walter Grasskamp formuliert es böser: "Man lässt also weiterhin den in besseren Jahren angeschafften Rolls-Royce vor der Haustür renommieren, löhnt sogar den Chauffeur, der ihn täglich wienert, aber den Sprit für die gemeinsame Ausfahrt soll der doch, bitte schön, bei Shell erbetteln."

Damit sich der Kummer nicht einstellt, lenken wir unser Streben auf das Umkippen des Hauptschalters. Kurz: auf den radikalen Umbau unserer Kulturlandschaft. Der gewaltige Reformstau hat bereits zu einigen schweren Unfällen geführt, allein die Karambolagen werden nicht weniger. Vielleicht erinnern Sie sich noch daran, als in Berlin das Schiller-Theater geschlossen wurde und die Intendanten dieser Republik von einem Fanal sprachen, das nur auf schmerzliche Weise vor Augen geführt habe, dass sich die subventionsverwöhnte Kulturlandschaft anders organisieren sollte. Das ist nun zehn Jahre her! Wenig hat sich getan. Eine Erkenntnis ist geblieben. Jede Institution, die heute geschlossen wird, bringt erstens nicht schnell genug das erforderliche Geld für die anderen und zweitens ist sie voraussichtlich auf Dauer verloren. Solange noch irgendeine Strukturreform denkbar und realisierbar ist, kommt deshalb für mich die Schließung von lebendigen, erfolgreichen Kulturinstitutionen nicht in Frage. Es ist eine bittere Erfahrung der Praxis, dass diejenigen, die über monströse, in Überflusszeiten aufgeblähte Strukturen klagen - meistens handelt es sich um die Geschäftsführer der kulturellen Unternehmen - , wenn es dann ihrerseits darum geht, mit dem Staat gemeinsam die nötigen Strukturschnitte vorzunehmen, wenigstens sie zu planen, nichts mehr damit zu tun haben wollen, denn es trifft ja die eigene Familie. Wenn wir unseren Schatz der kulturellen Vielfalt wahren wollen, dann brauchen wir jetzt den Mut zu den Veränderungen, die auch jedes Unternehmen realisieren muss. Das betrifft im übrigen auch die öffentlichen Unternehmen: Wohltaten sind nur sinnvoll, solange der Arbeitsplatz überhaupt gehalten werden kann. Jenseits dieser Grenze heißt recht haben dann nur noch verloren haben. Geld, das nicht da ist, kann nicht ausgegeben werden, auch nicht für noch so heftig erkämpfte Privilegien aus Zeiten, als der Staat aus den Steuereinnahmen noch Rücklagen bilden konnte. Der gesamte Bereich der öffentlichen Unternehmen braucht eine Reform, die ihn mit privatwirtschaftlichen Firmen konkurrenzfähig macht. Theater und Museen verlangen nach flexibleren Modellen, nach Planungssicherheit und auf sie zugeschnittenen Tarifverträgen. Wir brauchen eine Kooperationskultur zwischen Staat und Wirtschaft. In meinem speziellen Fall bedeutet dies eine Verpflichtung: Kunst durch alle.

Die gesellschaftliche Wertschätzung des privaten Engagements wird immer größer. Inzwischen erblüht auch eine besondere Form der Zuneigung zwischen Künstlern und Unternehmern. In einigen Zeitungen ist gar von einem Kuschelkurs die Rede, Wirtschaft will Kunst besser verstehen lernen. Heißt es. Laut "Capital" schmücken rund 70 Prozent der Top-Manager und sogar 85 Prozent der Politiker ihren Arbeitsplatz mit moderner Kunst. Man nennt sie Statussymbole. Und der Kunsthistoriker und Unternehmensberater Wolfgang Ullrich versteigt sich gar zur These: "Was nämlich könnte in einer Zeit, in der jeder Erdteil in Reiseführern, Fernsehfeatures und Bildbänden bekannt gemacht und adrett vermittelt wird, befremdlicher wirken als das Gemälde eines jungen Wilden." Dies passiert in einer Zeit, die den Namen Krise trägt, und die das Mäzenatentum offenbar verknappt hat. Und doch: Wer heute bei Anlegern und Kunden punkten will, achtet nicht nur auf ökonomische Stimmigkeit, sondern auch auf die Unternehmenskultur in jeder Hinsicht. Hier liegt die Chance für den selbstbewussten Künstler und sein autonomes Denken. Unternehmen nutzen Kunst, heißt es längst. Man trifft auf Vokabeln aus dem Wörterbuch der Geistreichen. Die Sinfonie, der Rhythmus, die Bildhauerei, also der Umgang mit Widerständen, dies sind inzwischen Instrumente, mit denen Controller nach ihrem Kreativpotential graben. In London, so habe ich gelesen, spielten 3000 Mitarbeiter von Anderson Consulting drei Tage lang leidenschaftlich Theater, um mit der Kunst ihr eigenes Unternehmen zu verstehen. Verschwimmen also die Grenzen zwischen freiem Geist und kalkulierter Abhängigkeit? Ruft die Wirtschaft schon die Künstler? Lässt sich die kunstvolle Fotografie eines Helmut Newton noch trennen von seinen Aufnahmen, die Damenstrumpfhosen bewerben soll? Tyler Cowen schreibt in seinem neuen Buch "In Praise of Commercial Cultur" : "Zeitgenössische Kunst ist heute Kapitalismus". Und Wolfgang Ullrich ergänzt: "Wo noch vor einigen Jahren Autonomie zum unveräußerlichen Glaubensbekenntnis der Kreativen gehörte, orientieren sich viele Künstler inzwischen an Leitbildern aus kunstfernen Berufssparten wie der Wirtschaft." Bildende Kunst habe sich zum attraktivsten Feld der wirtschaftlichen Kulturförderung entwickelt. Rund 90 Prozent der Bruttowertschöpfung des Kulturbereichs sollen heute in kommerziellen Unternehmen erwirtschaftet werden. Hat also Walter Grasskamp recht, wenn er frohlockt, dass bald die "Lila Kuh" auf den "Blauen Reiter" trifft? Ist die staatliche Kulturförderung ein Auslaufmodell, weil bei ihr eben die Summe klein bleibt? Kann sich der Staat lässig zurücklehnen?

Wir sind weit davon entfernt, dass sich die Kunst an die Wirtschaft verkauft. Sie bleibt in ihrem Sinne frei und unabhängig. Das garantiert schon das wichtigste deutsche Kulturgut, unser Grundgesetz. Ich glaube, dass das Interesse bei Käufern rapide abnehmen würde, sollte Kunst in Gefahr geraten, sich anzubiedern. Sie würde sich selbst ins Verderben stürzen. Allerdings ist der Kulturbetrieb selbst ein aktiver Teil der wirtschaftlichen Struktur unserer Gesellschaft, und nur, wenn er auch aktiv an den Spielregeln mitwirkt, kann er Einfluss und Wirkung geltend machen. Und zwar im eigenen Sinne. Es steht also dem Kulturbetrieb gut an, die Regeln und Gesetze gut zu studieren, das Interesse der Partner aber immer wieder auf die wache, sperrige, kritische Kunst zu lenken. Noch immer lassen sich zu wenige Unternehmen fachlich beraten, aber die Angst vor dem Unbekannten in der Kunst die Begegnung mit dem Neuen, dem Zeitgenössischen weicht langsam. Auf der anderen Seite macht das neue Leitbild Wirtschaft den Künstler manchmal etwas blind, was eine Anekdote beweisen soll, die aus einem deutschen Autohaus stammt. Dort erteilte man der Autorin Val McDermid den Auftrag, einen "Mission Mini" -Kriminalroman zu schreiben. Die Kommunikationsabteilung schickte der Schriftstellerin das Manuskript zurück. Begründung: Zu viele "Mini" -Zitate. Wir wollen einen Roman, keine Werbebroschüre. Der gescheite Verbraucher will also intelligent umworben werden. Auch hier gibt es also Entwicklung.

Meine Damen und Herren, das Verhältnis des Staates zu seiner Kultur wird sich nicht ändern, nur weil die Mittel dafür knapper werden und sich die Firmen für Künstlerköpfe statt nur für ihre Aura zu interessieren beginnen. Wir sind, ich kann Sie beruhigen, keineswegs auf dem Weg in den "Nachtwächterstaat", wie die Spötter des 19. Jahrhunderts zu scherzen pflegten, weil der Staat eben nur die Nachtruhe seiner Bürger zu garantieren hatte. Der Staat stiehlt sich nicht aus seiner Verantwortung, allerdings sollte die Bürgergesellschaft wachgeküsst werden. Wir brauchen mehr bürgerschaftliches Engagement, wollen wir Kultur, laut Grasskamp "das traditionelle Waffenstillstandsgebiet der bürgerlichen Gesellschaft" bewahren. Ich weiß wohl, wie die Zeiten sind und dass wir uns nicht in England oder Frankreich befinden, dass uns wenige "elitäre" Gemeinschaften der Privilegierten zur Verfügung stehen und schon gar keine Adelskultur britischer Provenienz, aber wir haben eine Tradition des Gemeinsinns. Schon im 18. Jahrhundert gründeten sich Lesegesellschaften als Gegenkultur zum Feudalismus. Im 19. Jahrhundert hat das erstarkende Bürgertum sich in Kulturvereinen zusammengeschlossen, die Museen und Theater gründeten. Daran sollten wir uns erinnern, wenn in manchen Stadtparlamenten während der Haushaltsdebatten wieder nach simpelsten Muster gefeilscht wird. Dann nämlich, wenn es wieder zum Streit darüber kommt, ob der Kämmerer lieber das Schwimmbad, die Kita oder doch lieber das Theater schröpfen sollte. Gemeinhin kommt es dann hier und da zu einem Vergleich, wonach Oper elitär, Sportstadien aber demokratisch seien. Jüngst konnte man den Berliner Finanzsenator wieder so vernehmen, als es darum ging, ob die deutsche Hauptstadt drei Opernhäuser vertragen kann oder nicht. Er sprach von Oper als Luxusgut, das nun wirklich nicht die Masse anspreche. Ich empfinde eine solche Auseinandersetzung in hohem Maße undemokratisch, weil es das Publikum unterschätzt, ja sogar herabwürdigt. Hans Mayer bemerkte schon vor Jahren: "Denkt man das Prinzip zu Ende, so heisst das: Die Groschenhefte sind Ausdruck einer demokratischen Kultur, aber die Gedichte eines Peter Huchel oder Günter Eich sind elitär." Sollten die Wählerinnen und Wähler, die wissen, welches Fundament eine Gesellschaft durch Kultur und Kunst erhält, nur eine so verschwindend geringe und unwichtige Gruppe bilden, dass die Politik sich schämen muss, sich zu ihren zu bekennen? Wenn dem so wäre, hätte Kulturpolitik als Vermittlerin komplett versagt. Denn die Argumente auf der Seite der Kultur sind einleuchtend und klar genug, sie brauche nur die Brücken zu denjenigen, die bisher nicht daran gedacht haben, wie wichtig ihnen alles, was sie immer für zugriffsbereit und verfügbar gehalten haben, wirklich ist. Natürlich gibt es auch viele Beispiele, die genau das Gegenteil belegen, einen gewissen Stolz der Bürgerschaft und Kommunalparlamente auf ihr Theater oder ihr Museum. Zum Stolz noch ein Wort. Ohne Freundeskreise und Stiftungen wäre die Kultur arm - nicht nur an Geld, sondern auch an Mediatoren. Die Freunde und die Stifter sind es, die ihr Engagement weitertragen als menschliche Werbeträger eines Hauses, einer Veranstaltung. Sie erzeugen die Aura der Akzeptanz, sie sind ein unschlagbares Argument für die Notwendigkeit kultureller Einrichtungen und für die Aufrechterhaltung des staatlichen Bekenntnisses dazu.

Meine Damen und Herren, wenn ich den Kerkermeister Rocco aus "Fidelio" recht verstanden haben, soll ja das Gold Macht und Liebe verschaffen, das kühnste Verlangen stillen. Für die Kunst wäre eine solche Abhängigkeit fatal. Hier ist die Grenze zu ziehen zwischen käuflichen und unverkäuflichen Werten. Die Grundwerte unserer Welt, die Kultur der Völker, seine besondere Lebensweise, die Art, wie sich Menschen zueinander verhalten, welche Sprache sie im Umgang miteinander wählen, die Kunst, die dort produziert wird, all dies darf weder von einer Macht vereinnahmt, noch von einer Wirtschaft instrumentalisiert werden. Der Mensch bleibt ein freier Geist auf freier Scholle, er sollte seine Egoismen bändigen und statt nur auf schnelle Gewinne zu starren, einen Teil seiner Zeit und seines Goldes in die Kultur investieren. Es wäre fatal zu glauben, dass Kultur und insbesondere die Kunst nur etwas Zweitrangiges seien, etwas, dem man sich auch später widmen könnte, nachdem man die ökonomischen Probleme einer Nation in den Griff bekommen hat. Es wäre fatal, weil Demokratie eine kulturelle Errungenschaft ist und Kunst ihre Dynamik widerspiegelt, ihre Zukunft somit auch vom künstlerischen Antrieb geprägt wird. Denn Kunst ist eine Form des Widerstandes gegen die Unvollkommenheit in dieser Welt und zugleich der Versuch, alternative Realitäten zu kreieren, die uns Hoffnung geben auf eine bessere Welt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Ich danke Ihnen sehr für die Einladung und Ihre Aufmerksamkeit. Vielen Dank.