Redner(in): Christina Weiss
Datum: 05.05.2003
Untertitel: "Museen künden von der Kontinuität einer kulturellen Gesellschaft": Kulturstaatsministerin Christina Weiss betont in ihrer Rede die Bedeutung von Museen und appelliert an die Zivilgesellschaft, diese auch in Zeiten "ausgedünnter öffentlicher Haushalte" zu schützen.
Anrede: Sehr verehrte Direktorinnen und Direktoren, Kustodinnen und Kustoden, sehr verehrte Vorsitzende, meine Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/78/485778/multi.htm
Es war eine Zeit der Beklommenheit vor einem Jahr. Als die Flut den Osten Deutschlands überspülte, ängstigten sich die Menschen nicht nur um das eigene Haus, den Hof ihres Lebens oder die gerade abbezahlte Gaststube. Sie zitterten auch um ihre Kunstschätze und stapelten Sandsäcke vor dem Dresdner Zwinger, vor dem Wörlitzer Park, vor dem Bauhaus in Dessau, vor dem Schloss in Pillnitz. Wer sich an diese Bilder erinnert, der kann diese Bilder zwar locker unter "emotionale Wiedervereinigung Deutschlands" abspeichern, er kann in ihnen aber auch das Bekenntnis einer Gemeinschaft zur Kunst und zu den Museen ablesen. Diese Bilder berührten uns, weil sie Kunde davon gaben, wie hoch der menschliche Einsatz für die Kunst sein kann, sollte er herausgefordert werden. Die nackte Angst des letzten Sommers galt also nicht nur dem eigenen Herd, sondern auch der Identität der eigenen Stadt.
Es wäre über die Maßen dumm, würde ich mit dieser kleinen Rückschau behaupten, die Museen in Deutschland rückten immer erst dann in das Licht der Öffentlichkeit, wenn ihnen das Wasser sprichwörtlich bis zum Hals steht. Die Besucherzahlen in den 6318 Museen lösen noch immer fast rauschhafte Zustände aus. Gegen über einhundert Millionen Besucherinnen und Besuchern verzwergen sich Bundesliga-Spiele zu Spartenereignissen. Kurz: Die Museen werden von einer stürmischen See medialer Reize umspült, sie stehen aber ungeachtet aller Wellen schäumender Ablenkung wie Gebirge in der Brandung. Woran liegt das? Warum gehen Menschen in Museen? Sie suchen, so glaube ich, nach den faszinierenden Dokumenten der Menschwerdung, sie graben in unserem Gedächtnis und reflektieren die Gesellschaft, aber auch den eigenen Staat. Das eigene Leben wirkt im Raster der Jahrtausende wie ein kleiner, winziger Streifen. Museen beruhigen, weil sie von der Kontinuität einer kulturellen Gesellschaft künden. Die authentischen Zeugnisse der Jahrtausende zwingen uns zur Einkehr, zur Konzentration. Sie lassen uns nachdenken über die Unendlichkeit des menschlichen Daseins durch die Weitergabe von Kultur.
Ein Museum macht das abstrakte Wesen Wissen anschaulich. Das Wissen wird aber nicht nur fassbar und plastisch, sondern durch die Aura des Ausstellungsgegenstandes zudem noch über die Maßen beflügelt. Das Wissen lebt von der Einzigartigkeit der Exponate. Das Museum breitet vor uns Zeugnisse aus, die im Konsens geadelt wurden. Wer die Bilder Mondrians liebt, sie aber nur von der Postkarte kennt, wird in einer Ausstellungshalle zwar die Farben und klaren Linien wiedererkennen, er wird aber auch die brüchigen Linien der Zeit entdecken. Vielleicht wird er darüber schmunzeln und die Zeit verfluchen, die hier die strenge Ordnung gewaltig durcheinanderbringt. Der Betrachter aber zieht erhellt von dannen.
Weshalb haben uns denn die Bilder vom geplünderten Nationalmuseum von Bagdad so berührt? Weil wir wissen - oder zumindest ahnen - welche unwiederbringlichen Schätze dort vor unseren Augen zerstört worden sind. Weil wir mit ansehen mussten, welche Folter dem Gedächtnis der Menschheit zugefügt wurde.
Und ich denke, die Bilder aus Bagdad berühren uns noch aus einem anderen Grund. Schon Thomas Jefferson hat gesagt: Museen stiften Identität. Und so ist es bis heute geblieben. Die Gegenstände in den Museen und das Wissen, welches sie transportieren, sind Teil der Sicht auf uns selber. Ich empfinde die Bilder aus Bagdad deshalb als so schockierend, weil sie einen katastrophalen Verlust dokumentieren. Und dieser Verlust geht weit über den Verlust eines kunstvoll gearbeiteten Gegenstandes hinaus. Es ist der Verlust der materiellen Vergangenheit eines ganzen Volkes. Und damit auch der Verlust von Identität. Damit der Schaden nicht noch größer wird, als er schon ist, sind wir, sind die Iraker auf die Mithilfe angewiesen.
Meine Damen und Herren, natürlich muss eine Zivilgesellschaft ihre Museen schützen. Und zwar zu jeder Zeit. Deutschland durchlebt eine Periode ausgedünnter öffentlicher Haushalte. Manchmal ist die Finanznot schon so groß, dass die Gesellschaft von düsteren Träumen heimgesucht wird, die sie dann als Verheißung missdeutet. Wir wissen alle, wie schnell Finanzpolitiker ins Schachern geraten. Nehmen wir ein Beispiel: Der Sturm deckt das Dach eines Museums ab. Der Kämmerer ist gefordert. Er hat die Verantwortung der Stadt zu demonstrieren. Die Kasse aber ist leer. Also verfällt er auf den Gedanken, dem Museumsdirektor Hilfe zur Selbsthilfe anzuempfehlen. Das geht so: "Verkauft etwas, dann können wir das Dach reparieren." In Gefahr und höchster Not sollen also Kunstwerke verscherbelt werden. Dies, meine Damen und Herren, dürfen wir auf keinen Fall zulassen.
Gleichwohl reicht es aber auch nicht, die Hände in den Schoß zu legen, nur weil die Zeiten eben ungute sind. Kein Museumsdirektor sollte sich damit begnügen, in das Tal des Jammers hinabzusteigen, um von dort aus so lange zu klagen, bis die Schatulle wieder geöffnet wird. In einem solchen Tal lauert die Angst, und wer Angst hat, der betäubt seine Kreativität. Daher glaube ich, dass die Krise keineswegs lähmend sein muss. Die Museen können damit auch produktiv umgehen. Nur Ignoranz führt in die Selbstisolierung und das Museum im schlimmsten Fall ad absurdum. Ich komme darauf später noch einmal zurück.
Es ist schon erstaunlich, dass unschätzbare, unverkäufliche Kunst als Tafelsilber für Sparklausuren herhalten muss. Folgt daraus die verhängnisvolle Gleichung: Ein Bild ist auch nur eine Immobilie? In Hessen geht es derzeit um die sogenannte Neue Verwaltungssteuerung, oder kurz: die NVS. Dies mag ein interessantes Instrument sein, die Einnahmen zu mehren, für die Kultur wird es zur Falle.
Denn hier wird das Unmögliche verlangt. Sie alle wissen, wie groß die Unwägbarkeiten und Preisschwankungen auf dem Kunstmarkt sind. Was mag Rembrandts "Saskia" denn wert sein? Zehn Millionen Euro? Oder zwanzig? Oder wenn es die Gunst der Stunde will: vielleicht sogar 50 Millionen Euro? Wer kann das schon mit Gewissheit sagen? In solchen Fällen von Kustodinnen und Kustoden exakte Bilanzberechnungen zu fordern, zeugt meiner Ansicht nach schlicht von Unkenntnis der Materie. Um nicht falsch verstanden zu sein: Natürlich bin ich sehr dafür, dass Museen ihre Bestandslisten recherchieren, ich bin aber völlig dagegen, eine monetäre Rankingliste für die Kunst einzuführen.
Und natürlich ist auch die Gefahr groß, dass solche "Kopfprämien" Begehrlichkeiten wecken. Für einen Finanzbeamten muss es eine faszinierende Vorstellung sein, durch den Verkauf eines einzigen Gemäldes x-Millionen Euro für die Staatskasse zu erlösen. Aber stellen Sie sich doch einmal vor, meine Damen und Herren, die "Saskia" würde nicht die erhofften fünfzig Millionen bringen, sondern - in Anführungsstrichen - nur zehn. Oder gar "nur" fünf. Was würde man dann tun? Trotzdem verkaufen? Auf bessere Zeiten warten? Und wer würde dafür die Verantwortung übernehmen? Sie als Museumsdirektoren? Es ist absurd.
Und selbst wenn man nicht soweit geht und das Schlimmste unterstellt, selbst dann bleibt die NVS für die Museen in Hessen eine heillose Angelegenheit, eine sinnlose Arbeitsbeschaffungsmaßnahme und Gängelung aller Betroffenen. Wir müssen verhindern, dass dieses Beispiel Schule macht. Und Hessen sollte diesen Unsinn lieber heute als morgen beenden.
Noch einmal: Mir liegt sehr am Herzen, dass die Museen Inventarisierung vorantreiben. Wenn man einem Laien erzählen würde, dass es Museen gibt, die nicht wissen, was sie alles besitzen, dann würde man möglicherweise ungläubiges Staunen ernten. Jeder, der einmal einen Einblick in den Museumsalltag gewonnen hat, jeder, der eine Vorstellung hat, wie Sammlungen entstehen, der weiß natürlich, dass dies an der schieren Menge der Bestände liegt - und mit Versäumnissen nichts zu tun hat.
Trotzdem muss jeder Wissenschaftlerin und jedem Wissenschaftler an einem Museum daran gelegen sein, forciert an Bestandskatalogen zu arbeiten. Auf die Gefahr hin, dass Ihnen das längst bekannt ist: Wenn man ein Museum schon als Hülle des kulturellen Gedächtnisses begreift, dann sollte man auch dafür Sorge tragen, dass die Erinnerung sich darin zurecht finden kann. Die Ausstellungen eines Museums sind das eine. Wir müssen die Museen aber auch darüber hinaus benutzbar machen. Und dazu gehört, dass die Dinge eine Zuordnung erfahren und auffindbar sind.
Ein Museum wird erst dann in seinem Potential ganz ausgeschöpft, wenn seine Bestände komplett erfasst sind. Erst dann wird eine Sammlung transparent, so dass man mit ihr arbeiten kann. Und zwar nach Möglichkeit nicht nur die Fachkolleginnen und Fachkollegen, sondern jeder Interessierte.
Damit wäre ich bei einem zweiten Anliegen, das ich an Sie habe: die Bestimmung und Auffindung von Besitz ungeklärter oder zweifelhafter Provenienz, gerade bei Stücken, die während der NS-Zeit erworben wurden. In den letzten Jahren wurden in der Hinsicht an vielen Museen in relativ kurzer Zeit bereits große Fortschritte erzielt. Dennoch dürfen die Bemühungen hier nicht erlahmen, sondern müssen im Gegenteil noch weiter verstärkt werden. Die NS-Zeit ist noch nicht so lange vergangen, dass in Besitzfragen Unrecht nicht wieder in Recht umgewandelt werden könnte. Deshalb muss die Restitution von unlauter erworbenen Kunstwerken unser aller vorrangiges Ziel sein.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir nun noch ein paar grundsätzliche Bemerkungen zur Zukunft der Museen in Deutschland. Sie haben Ihrer Tagung das Motto "Schatzhaus, Markenzeichen oder offenes Forum" gegeben. Meiner Meinung nach hätten sie das "Oder" auch gut durch ein "Und" ersetzen können. Denn im Idealfall ist ein Museum alles drei: ein Schatzhaus, ein Forum und ein Markenzeichen. Und das heißt wiederum, dass die Museen heute vor Herausforderungen stehen, die so groß sind wie nie zuvor.
Eine Bilanz wie die des Instituts für Museumskunde ist einerseits natürlich sehr eindrucksvoll. Man kann daran aber auch ablesen, dass sich das Museumspublikum in den letzten Jahren sehr geändert haben muss. Den typischen Museumsbesucher mit einem hohen Maß an Vorbildung, der genau weiß, was ihn im Museum erwartet und was er dort will, dieser Typus Museumsbesucher stellt nicht die Mehrheit dar.
Neue Besucherschichten sind dazugekommen. Diese neuen Besucher sind zum einen sehr interessiert. Und zum anderen ist für sie ein Museumsbesuch keineswegs eine Selbstverständlichkeit, die zu ihrem Lebensstil gehört. Wir verspüren eine Sehnsucht nach schönen, nach verbindlichen Dingen. Wer geht heute in eine Armani-Ausstellung: Der Design-Anbeter? Der Anzug-Träger? Oder gar der harte Frontarbeiter der Kulturkritik?
Meine Damen und Herren, diese Besucher wollen von Ihnen darauf hingewiesen werden, weshalb es sich lohnt, zu Ihnen ins Museum zu kommen. Darauf müssen sie reagieren. Wenn ein Museum Schätze hütet, aber niemand davon erfährt, sind diese Schätze vertan. Was nützt eine schöne Ausstellung, wenn keiner weiß, dass sie stattfindet? Die Museen müssen heute verstärkt auf sich aufmerksam machen.
Und natürlich gibt es da auch einige ganz elementare Probleme. Der internationale Ausstellungsbetrieb hat inzwischen ein so hohes Niveau erreicht, dass es immer schwieriger wird Großausstellungen zu produzieren. Das ist einer der Kehrseiten ihres Erfolges: dass ein Erfolg immer schon den nächsten nach sich ziehen muss. Sie wissen selbst am besten, dass manche Kunstwerke mehr auf Reisen sind, als für sie gut ist.
In dieser Situation ist wieder Kreativität gefragt. Sei es in Form von thematischen Sonderausstellungen aus eigenen Beständen, sei es bei der Suche nach Sponsoren und Kooperationen. In Frankfurt am Main zeigt das Museum für Moderne Kunst mit seinen "Szenenwechseln" seit Jahren die eigene Sammlung in immer wieder neuen Konstellationen. Auch in Düsseldorf holte die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen kürzlich Großformate aus dem Depot, die bisher noch nicht ausgestellt worden waren. Das sind auch Möglichkeiten, die Menschen in die Museen zu locken.
Das gleiche gilt für die Bereiche Werbung und Marketing. Das hat heute nichts mehr mit marktschreierischem Gebaren zu tun. Die Museen müssen sich nach außen öffnen. Sie können dies mit sehr differenzierten Angeboten tun. Dies reicht vom Viertelstundenrundgang in der Mittagspause bis hin zur Langen Nacht der Museen. Wer noch nie einen Kindergeburtstag in einer Gemäldegalerie mitgemacht hat, weiß nicht, was ihm entgeht. Diese Angebote sollen einladen zu einem Training der Konzentration, zur Schärfung der Sinne und dazu, sich in ein Kunstwerk wahrhaft hineinzusenken.
Was die Werbung betrifft, so würde ich gern eine Achse Frankreich-Deutschland etablieren. Wer Paris kennt, weiß, wovon ich rede. Dort sehen sie an großen Straßen an jeder Laterne Werbebanner der laufenden Ausstellungen. Da erfährt jeden Tag die ganze Stadt und das Umland noch dazu, was gerade geboten wird. Werbung schadet der Kunst keineswegs. Ganz im Gegenteil. Und wer kann schon etwas dagegen haben, dass in einem Museum eine passable Gastronomie anzutreffen ist. Beleidigt das saftige Wiener Schnitzel die Kunst? Das kann wohl ernsthaft niemand behaupten.
Wenn ich das sage, dann bin ich mir darüber im Klaren, dass die Museen hier schnell an ihre Grenzen stoßen. Und da nicht zu erwarten ist, dass die Länder und Kommunen ihre Kulturhaushalte in den kommenden Jahren substantiell erhöhen, muss man nach anderen Wegen suchen, um die Herausforderungen der Zukunft anzunehmen. Ich habe da eine Idee, die mich seit langem beschäftigt: Wir müssen an die Strukturen der Museen - und diese Strukturen müssen wir verändern. Auf der Tagung des Museumsbundes vor zwei Jahren in Hamburg war davon schon die Rede, aber ich möchte noch einmal darauf zurückkommen: die Umwandlung der Museen von nachgeordneten Behörden in öffentlich rechtliche Stiftungen.
Dieses Modell ist aus meiner Erfahrung aus mehreren Gründen ein fruchtbares:
Zum einen gelangen die Museen aus der Umklammerung einer Behörde. Zum anderen kann die starre Kameralistik durch eine kaufmännische Buchführung abgelöst werden. Dies benötigt kaufmännische Geschäftsführer an der Seite der Museumsdirektoren. Die Museen geraten zudem an Experten aus der Wirtschaft, die sie zum einen beraten können, zum anderen aber auch als Multiplikatoren für ein Haus werben können.
Außerdem genießen die Direktoren wie ihre Mitarbeiter auch die Sicherheiten des öffentlichen Dienstes, sie sind nach wie vor Angestellte der Freien und Hansestadt Hamburg. Ihre Verträge als Museumsdirektoren aber wurden in der Laufzeit auf fünf Jahre beschränkt. Ich erinnere mich an Diskussionen, die wir damals geführt haben, ob die Verträge nicht wenigstens für acht Jahre gelten sollten. Befürworter dieser Idee argumentierten, dass Aufbau und Pflege von Sammlungen und die Profilierung durch Wechselausstellungen langfristige Aufgaben seien, die eine bestimmte Zeit brauchen, um deutlich sichtbar zu werden. Wir haben das damals abgelehnt, weil wir die begrenzte Laufzeit der Direktorenverträge eben gerade nicht als Druckmittel verstanden haben. Es spricht überhaupt nichts gegen die Verlängerung eines Vertrages, solange der Direktor seine Arbeit gut macht.
Mit diesem Modell ist es möglich, die künstlerische Eigenverantwortung zu stärken und die kaufmännische Effizienzpflicht auf zwei Schultern zu verteilen. Kompetenz und Verantwortung wird dort angesiedelt, wo die Arbeit tatsächlich geleistet wird. Um nicht missverstanden zu werden: Dies alles kann aber nur glücken, wenn die Stiftungen einen verlässlichen Partner in der Politik finden. Die Politik muss also zu ihrer Verantwortung stehen. Die Budget- und Zielvereinbarungen müssen strikt eingehalten und dürfen nicht je nach Haushaltslaune aufgeweicht werden. Es geht mir mit dieser Stiftungslösung nicht um ein Sparmodell, sondern um das Entwickeln einer verantwortungsbewussten Handlungsfähigkeit der Museen.
Mitarbeiter identifizieren sich selbstverständlich stärker mit einem Museum, für das sie sich auch verantwortlich fühlen. von dem sie wissen, dass sie allein dafür zuständig sind. Von dem sie wissen, dass es mit dem Stiftungsrat ein Kontrollgremium hat, dessen Mitglieder sie persönlich kennen.
Die Eigenständigkeit in der Organisation bewirkt natürlich auch eine Eigenständigkeit im Handeln. Es ist eine kreative Herausforderung. Die Museen in Hamburg können nun ganz anders haushalten als früher. Sie können mit den öffentlichen Zuschüssen viel freier umgehen: Wenn sie in einem Jahr mehr ausgeben wollen, weil sie im Jahr davor gespart haben, dann können sie das tun, keine Kameralistik hält sie davon ab. Und natürlich werden bei einer Verfassung als Stiftung auch Zustiftungen von Unternehmen und Privatleuten einfacher. Es sollte also im Grunde Spaß bereiten, Geld zu verdienen, das man auch behalten darf. Wie Sie vielleicht wissen, zieht es mich oft magisch in Museumsshops, weil sich dort auf schönste Weise Ökonomie und Wissen vereinen, weil dort die Grundlagen einer wunderbaren Freundschaft zwischen Besucher und Museum gelegt werden.
Wie gesagt: Die Errichtung von Museumsstiftungen soll selbstverständlich nicht heißen, dass der Staat sich ganz aus der Verantwortung begibt. Um nur ein Beispiel zu nennen: Es hat sich herausgestellt, dass die Hamburger Stiftungen für die Tarifsteigerungen der Löhne ihrer Mitarbeiter nicht aus eigener Kraft aufkommen können. Hier muss nach wie vor der Staat einspringen, das ist ganz klar.
Ich denke, ich kann sagen, wir haben mit dem Stiftungsmodell in Hamburg innerhalb relativ kurzer Zeit schon guten Erfolg gehabt. Nehmen Sie nur einmal das kleine Jenisch-Haus. Früher war es eine etwas verschlafene Dependance des Altona-Museums. Heute ist das Jenisch-Haus immer noch eine Zweigstelle des Altona-Museums, aber plötzlich ist es im Stadtbild und in den Köpfen der Hamburger wieder durch ansprechende Wechselausstellungen präsent. Das zeigt, dass man Museen durchaus auch geistig ausputzen kann. Ich denke, da ist noch viel Potential.
Zum Schluss möchte ich mich noch einem Themenkomplex widmen, der zweifellose ein Reizthema ist. Und wie bei allen Reizthemen habe ich auch hier den Eindruck, dass die Diskussion darüber nicht immer mit der gebotenen Sachlichkeit geführt wird. Es geht um den Verkauf von Museumsbeständen. Ich hatte schon erwähnt, dass ich strikt gegen das Ansinnen bin, Stücke aus Museen zu veräußern, um damit die öffentlichen Haushalte zu entlasten. Das kann und darf nicht passieren. Und wenn ich höre, dass gegenwärtig zum Beispiel das Museum of Fine Arts in Boston die Versteigerung von drei Werken von Auguste Renoir und Edgar Degas vorbereitet, um damit den Ankaufsetat zu erhöhen, dann halte ich auch das angesichts der Bedeutung dieser Künstler für einen mehr als zweifelhaften Vorgang - obwohl die Erlöse hier immerhin der Sammlung selbst zugute kommen sollen.
Die Bewertung von Kunst, auch von musealer Kunst, kann nie ganz objektiv sein. Sie ist immer dem Zeitgeschmack unterworfen. Deshalb müssen Fragen nach der Entbehrlichkeit von Kunstwerken einer bestimmten Epoche oder eines Stils mit äußerster Vorsicht und Zurückhaltung beantwortet werden - wenn man sie denn überhaupt beantworten will.
Aber wogegen ich mich wehren möchte, ist ein grundsätzliches Verbot von Verkäufen aus Museumsbeständen. Unter bestimmten Voraussetzungen kann es meiner Ansicht nach sehr wohl sinnvoll sein, Stücke aus den eigenen Beständen wegzugeben, um damit andere Werke für die Sammlung zu kaufen. Das betrifft vor allem Duplikate, aber auch Kunstwerke und andere Gegenstände, die in einer Anzahl in den Depots vorhanden sind, die ihre Bedeutung übersteigt. Schon vor Jahren hat das Goethe-Museum in Frankfurt am Main Grafiken von Ernst Barlach, die man dort in mehreren Exemplaren besaß, verkauft, um andere, im Museum nicht vorhandene Barlach-Blätter zu kaufen.
Im Hamburger Stiftungsmodell verbirgt sich ein Lösungsansatz für solche Fälle: Wenn ein Museumsdirektor damit liebäugelt, ein Stück aus seinem Depot zu verkaufen, muss er einen einstimmigen Beschluss des Stiftungsrates herbeiführen. Zudem darf dies nur auf der Basis fachlicher Gutachten geschehen. Und nicht zuletzt darf der Erlös eines Verkaufes nur der Sammlung zugute kommen. Politische Vorgaben scheiden damit aus.
Aber behutsam. Dies ist keine Aufforderung an Sie, jetzt mal alle die Depots zu durchforsten, um zusätzlich Kasse zu machen. Ich denke, man muss die Sache andersherum betrachten: Niemand will sie zu Verkäufen überreden. Aber wenn Sie es selber für richtig halten, dann sollten Ihnen auch nicht unnötig Steine in den Weg gelegt werden. Und dass jeder einzelne Verkauf öffentlichen Eigentums parlamentarisch abgesichert werden muss, versteht sich meiner Meinung nach auch von selbst.
Ich sage das deshalb so ausdrücklich, weil es für mein Empfinden so gut zu der Stiftungsidee passt, die ich Ihnen eben vorgetragen habe. Denn die ganzen Änderungen und Neuerungen sollen eigentlich nur dem einen Ziel dienen: die Belange der Museen noch mehr als bisher in Ihre eigene Verantwortung zu legen. Zu viele Regeln können mehr Schaden anrichten, als Gutes bewirken. Sie, meine Damen und Herren, wissen am besten, was gut für Ihr Museum ist. Und deshalb ist es auch so wichtig, dass Sie in ihrer Urteilskraft möglichst unabhängig und frei bleiben. Sie sind die Fachleute. Alle anderen, die Museumsbesucher wie die Politiker, sind auf Ihr Urteil und Ihr Fachwissen angewiesen. Ihnen das zu ermöglichen, ist die wichtigste Leitlinie meiner Politik.
Denn in einem Ziel sind wir uns hoffentlich einig: Museen sind weite Hallen des Gedächtnisses. Das Gedächtnis ist ein ausgedehntes, unermessliches Gemach. Diese Definition traf Augustinus in seinem Bekenntnis. Sorgen wir nicht nur dafür, dass die von ihm beschriebenen Paläst der Erinnerungen erhalten bleiben, sorgen wir dafür, dass sie noch prächtiger werden, dass sie noch mehr Wissen anhäufen und wir ihren Reichtum häufig genug preisen können. Vielen Dank.