Redner(in): Christina Weiss
Datum: 10.05.2003

Untertitel: "Das Deutsche Museum ist leuchtendes Beispiel dafür, wie ein Bildungsauftrag modern und interessant verstanden wird": Kulturstaatsministerin Weiss würdigt in ihrem Grußwort zum 100jährigen Jubiläum den Anspruch des Deutschen Museums, Wissenschaft mit Anschaulichkeit zu verknüpfen. Das Haus in München, das jährlich über 1,3 Millionen Besucher zählt, beherbergt die weltweit größte Technik- und Wissenschaftsausstellung.
Anrede: Sehr geehrter Herr Bundespräsident, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, sehr geehrter Herr Staatsminister, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrter Herr Prof. Riesenhuber, sehr geehrter Herr Generaldirektor, meine sehr verehrten Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/91/484991/multi.htm


wir feiern heute ein stolzes, ein seltenes Jubiläum: 100 Jahre Deutsches Museum. Ich könnte ihnen jetzt von der Faszination berichten, von vielen Vätern, die am Wochenende nichts lieber tun, als mit ihren Söhnen in Technikmuseen zu gehen. Meist führt dann der Filius dem Vater etwas vor. Ich möchte stattdessen aber eine kleine Rückschau halten, zu rekapitulieren, wie Museen überhaupt entstanden sind. Wir besitzen heute, um mit Augustinus zu sprechen, weite Hallen des Gedächtnisses. Wir durchschreiten diese ausgedehnten, unermesslichen Gemächer und begegnen, schon allein sprachlich, immer wieder der Muse. Im Palast der Erinnerungen wohnt also Musa, genau genommen: die Sinnende, die Nachsinnende. Die griechische Mythologie schenkte uns eine Schutzgöttin der Künste, die sich um das Gedächtnis und das weite Feld der Erinnerung zu kümmern hatte. Die moderne Muse allerdings hält meist als Inspirationsquelle für Kreative her, bei denen das Denken erlahmt ist. Merkwürdigerweise tauchen in unserem heutigen Musenbild immer wieder feenartige, durchschimmernde Gestalten auf, die den Dichter auf die verschwitze Stirn küssen. Die ursprünglichen Göttinnen aber bewahrten, was künstlerisch überliefert wurde und stellten ihren Namen für Ansammlungen von Kunstschätzen in Tempeln, Palästen und Hainen zur Verfügung.

Die Museen dienten dem Herrscherkult, die Museions regten die wissenschaftliche Debatte und den philosophischen Diskurs an. In der Bibliothek von Alexandria ist all dies exemplarisch zu bestaunen.

Durchschreiten wir die Geschichte. Es dauert lang, bis die Museen keine Statussymbole mehr für die Macht sind und Kunstschätze lediglich vom Reichtum zu künden haben. Mit der einsetzenden Renaissance in Italien und in Frankreich zieht die Aufklärung in die Orte des Gedächtnisses ein. Rationalität und Vernunft gelten etwas, das Fundament heutiger Naturwissenschaften wird gelegt. Und doch vergehen noch zwei Jahrhunderte, bis Naturwissenschafts- und Technikmuseen ihre Pforten für alle öffnen können.

Die französische Revolution demokratisiert die Museen, macht sie für die Öffentlichkeit zugänglich und lässt jeden am Bildungsgut teilhaben. In Deutschland begleitet ein Bildersturm die Revolution und die Säkularisierung. Die Geschichte des Sammelns bewegt sich in der Dialektik von Bewahren und Zerstören. Doch wo zerstört wurde, dort wurde auch exzessiv gesammelt. Das junge Bürgertum beklagt einen Verlust der Tradition und gründet zahlreiche Museen. Das 18. Jahrhundert geht zu Ende, das neunzehnte klopft an die Tür.

Industrialisierung, Technisierung und Globalisierung füllen die Museen mit Bergen von neuem Wissen. Die Museen werden als verlässliche Informationsquellen benötigt und sollen das abstrakte Wissen anschaulich machen. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Das Wissen lebt von der Einzigartigkeit der Exponate. In Vitrinen sind Zeugnisse ausgebreitet, die im Konsens geadelt wurden. Museen beruhigen auch, weil sie von der Kontinuität einer kulturellen Gesellschaft künden. Museen existieren im Spannungsfeld zwischen Selbsthistorisierung und Bildungsauftrag, sie müssen die neuen Anforderungen an die Vermittlung von kulturellen, historischen, naturwissenschaftlichen und damit verbundenen gesellschaftlichen wie ethischen Fragen genau kennen.

Das Deutsche Museum stellt ein Grundverständnis von Wissenschaft und Technik her. Es ist vielen Besucherinnen und Besucher ein Leitfaden in einer immer komplizierter werdenden Welt. Denn Metaphysik ist nichts ohne Physik, Naturwissenschaft nichts ohne Philosophie.

Das hundertjährige Haus hier in München darf als leuchtendes Beispiel dafür gelten, wie ein Bildungsauftrag modern und interessant verstanden wird. Die Besucherzahlen sprechen für sich. Lassen Sie mich eine Facette besonders herausgreifen. Man fühlt sich hier dem public understandig of science verpflichtet. Dies meint den Anspruch, Wissenschaftlichkeit unbedingt mit Anschaulichkeit zu verknüpfen. Ein Grundkanon über naturwissenschaftlich-technische Zusammenhänge wird somit nicht nur spannend, sondern auch ausgesprochen populär vermittelt. Noch haben wir keineswegs angelsächsische Verhältnisse erreicht, aber es setzt sich die Erkenntnis durch, dass es sich spielerisch und interaktiv leichter lernt. Die Vermittlung naturwissenschaftlichen Wissens muss uns besonders am Herzen liegen. Die Nachgeborenen wie wir selbst benötigen eine Kultur der ganzheitlichen Reflektion, die auf einem soliden naturwissenschaftlichen Fundament fußt. Dies erlangen wir auch in Museen, die uns zur Einkehr bewegen, zur Konzentration animieren. Das Deutsche Museum bietet ein Forum, das über Natur und Technik kompetent wie sachlich diskutiert und nicht zuletzt auch noch Vergnügen am Ausprobieren bereitet.

Ich gratuliere dem Deutschen Museum von ganzem Herzen zu diesem Jubiläum. Dem Generaldirektor und seinen Mitarbeitern wünsche ich auch für die folgenden Jahre Glück und Erfolg und den Mut, den eingeschlagenen Weg mit aller Konsequenz fortzusetzen.