Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 15.05.2003

Untertitel: Schröder: "Im Namen meiner Delegation danke ich Ihnen sehr herzlich für den sehr freundlichen Empfang, den Sie mir hier bereitet haben. Ihre Hochschule, die Technische Universität Hanoi, spielt im wissenschaftlichen Austausch zwischen unseren beiden Ländern eine wirklich herausragende Rolle."
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/73/486173/multi.htm


Meine Herren Minister, Herr Rektor, meine sehr verehrten Professorinnen und Professoren, aber vor allen Dingen liebe Studentinnen und Studenten!

Im Namen meiner Delegation danke ich Ihnen herzlich für den sehr freundlichen Empfang, den Sie mir hier bereitet haben. Ihre Hochschule, die Technische Universität Hanoi, spielt im wissenschaftlichen Austausch zwischen unseren beiden Ländern eine wirklich herausragende Rolle. Ich denke, das kann und soll man noch verstärken, und wir arbeiten daran, dass eine solche Verstärkung stattfindet.

Mehr als 100 ihrer Dozentinnen und Dozenten haben in Deutschland studiert. Wir betrachten das als einen großen Schatz, den wir miteinander nutzen wollen, weil sie auf diese Weise sehr viel intensiver als durch kurze Aufenthalte mit der Kultur und mit der Sprache meines Landes vertraut geworden sind. Wer an einer der zahlreichen Partnerhochschulen der Technischen Universität studieren möchte, kann sich am Vietnamesisch-Deutschen Zentrum auf den Aufenthalt in Deutschland vorbereiten.

Mich persönlich freut ganz besonders, dass die Universität meiner Heimatstadt Hannover und demnächst auch meine frühere juristische Fakultät in Göttingen zu Ihren Partnern gehören. Dies zeigt, wie lebendig die deutsch-vietnamesischen Hochschul-beziehungen geworden sind und wie wichtig es ist, sie zu erhalten und auszubauen.

Diese engen Beziehungen - das soll gar nicht verschwiegen werden - basieren auch auf dem regen Austausch, den es zu Zeiten der ehemaligen DDR gegeben hat. Allein bis 1990 wurden etwa 7.000 vietnamesische Akademiker in Ostdeutschland, also in der früheren DDR, ausgebildet. Manche von Ihnen sitzen hier im Saal, ebenso wie andere Ehemalige, die bereits das wiedervereinigte Deutschland kennen gelernt haben. Sie alle - das will ich ausdrücklich sagen - bilden eine einzigartige Brücke zwischen Ihrem Land und Deutschland.

Gegenwärtig studieren 1.600 Vietnamesinnen und Vietnamesen an deutschen Hochschulen. Diese Zahl wollen wir weiter steigern, nicht zuletzt mit Hilfe der Stipendienprogramme, die wir heute für die besten Studenten der Technischen Universität ausloben. Auch die bevorstehende Eröffnung der DAAD-Außenstelle in Hanoi dient diesem Ziel der Verstärkung der Beziehungen auf wissenschaftlichem Gebiet.

Der Austausch mit Deutschland soll nach unser beider Auffassung einen wichtigen Beitrag zur weiteren Modernisierung Vietnams leisten. Ein wegweisendes Projekt ist die Gründung einer Fakultät der Technischen Universität Dresden an der Universität Hanoi. Dadurch können vietnamesische Studenten im eigenen Land einen deutschen Abschluss in Maschinenbau und Elektrotechnik erwerben. Das sind Gebiete, auf denen deutsche Hochschulen und deutsche Produkte einen international herausragenden Ruf genießen.

In den engen deutsch-vietnamesischen Hochschulbeziehungen liegt ein großes, nur zum Teil genutztes Potenzial für deutsche und vietnamesische Unternehmen; denn die hier studieren, werden künftig wichtige Rollen in diesen Unternehmen spielen. Im Interesse unserer beiden Länder sollten wir daher den bewährten Hochschulaus-tausch durch eine partnerschaftliche Wirtschaftszusammenarbeit stärken.

Deutschland ist innerhalb der Europäischen Union der größte Handelspartner Vietnams. Erfreulicherweise hat sich unser bilaterales Handelsvolumen seit 1996 mehr als verdoppelt, und wir arbeiten gemeinsam daran, dass das noch besser wird. Wir streben für die nächsten Jahre darüber hinaus eine ganz ähnliche, erfreuliche Entwicklung bei den Investitionen an. Wir ermuntern die deutschen Unternehmen ausdrücklich, in Vietnam zu investieren, weil es im Interesse beider Seiten ist.

Die Fortsetzung der Reformpolitik in Ihrem Land, aber auch der faire Austausch von Fachwissen und Erfahrungen, liefern ein gutes Fundament für diesen Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen. Die deutsche Wirtschaft hat bereits großes Interesse signalisiert, die Zusammenarbeit mit Vietnam auszubauen; ich denke, bevorstehende Ent-scheidungen für gemeinsame Projekte werden das auch zeigen. Ich bin also zuversichtlich, dass unsere Wirtschaftsbeziehungen weiterhin an Dynamik gewinnen werden.

Vietnam ist ebenso wie Deutschland Teil einer sich immer stärker vernetzenden Weltwirtschaft. Der studentische und akademische Austausch geht auf Zeiten zurück, in denen noch niemand ahnte, was Globalisierung bedeuten würde. Heute ist ein Studium im Ausland für einen jungen Menschen die beste Vorbereitung, flexibel auf die Herausforderungen der Globalisierung zu reagieren. Ein Land, das seinen Bürgern diese Möglichkeit eröffnet, ist geistig und wirtschaftlich deutlich besser für die Zukunft gerüstet, als sich vor äußeren Einflüssen abzuschotten. Internationale Zusammenarbeit zahlt sich aus: Die vietnamesische Regierung hat in enger Abstimmung mit der Weltgesundheitsorganisation den Kampf gegen die Krankheit SARS auf beeindruckende Weise gemeistert. Ich denke, das verdient ausdrückliche Anerkennung.

Meine Damen und Herren, Sie als Wissenschaftler wissen aus eigener Erfahrung: Innovation und Wirtschaftswachstum sind nur in einer offenen, kreativen Gesellschaft auf Dauer möglich, also in einer Gesellschaft, die von ungehindertem Informationsaustausch profitiert. Ein freies Internet fördert die wirtschaftliche, wissenschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung eines Landes, und zwar eines jeden Landes. Auch wir Deutschen wollen davon profitieren, dass durch dieses Medium die Leistungen der vietnamesischen Kultur für jeden Einzelnen jederzeit erfahrbar werden. Je besser wir einander kennen lernen, desto tiefer werden wir einander verstehen.

Eine der wesentlichen Ursachen für Konflikte, mit denen wir es weltweit zu tun haben, liegt in der Unkenntnis des anderen und seiner Kultur begründet. Offenheit nach innen wie nach außen trägt somit zu einer friedlichen Weltordnung bei, die auf der Gleichberechtigung aller Völker und auf der Durchsetzung des Rechts beruht. Ich möchte Sie ermutigen, Ihren ganz individuellen Beitrag zur Verständigung zu leisten. Deutsche und Vietnamesen, die im jeweils anderen Land studiert oder gearbeitet haben, können und sollten sich als Botschafter ihres jeweiligen Gastlandes fühlen.

Nicht nur an den Universitäten, auch in vielen anderen Bereichen der deutschen Gesellschaft können Sie Vietnamesen begegnen. Gerade in der Hauptstadt Berlin werden zahlreiche Geschäfte und Restaurants von Vietnamesen geführt. Es gibt auch deutsche Politiker vietnamesischer Herkunft. Ein erfolgreicher Fraktionsvorsitzender im Niedersächsischen Landtag ist in Vietnam geboren worden. Sein einziger Nachteil - aus meiner sehr persönlichen Sicht - liegt darin, dass er leider der falschen Partei angehört.

Dies zeigt: Die deutsche Gesellschaft ist offen und interessiert an Einflüssen fremder Kulturen. Immer mehr Menschen sehen die Einflüsse anderer Kulturen als eine Bereicherung an. Zudem wird oft erst durch die Auseinandersetzung mit einer bisher fremden Lebensweise manches wiederentdeckt, was einem selbst lange Zeit verborgen war. Mir ist berichtet worden, dass auch in Vietnam in letzter Zeit alte Traditionen neu belebt werden, etwa der Gang zur Pagode an den Festtagen Ihres Mond-kalenders. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass die Veränderungen unserer Zeit nicht mit einem Verlust an Identität einhergehen müssen.

Die Globalisierung ist keine Kraft, der wir hilflos gegenüberstehen. Wir können sie gestalten und beeinflussen, und wir müssen uns miteinander fest vornehmen, das auch zu tun. Eine der sicherlich besten Möglichkeiten ist es, ein Netzwerk aus persönlichen Kontakten zu knüpfen, die als Orientierungspunkte dienen können.

Vietnam - das ist meine feste Überzeugung - ist stark genug für eine weitere Öffnung nach außen und nach innen. Ihr Land hat seit Beginn der Reformpolitik "Doi Moi" seine Wirtschaft dynamisch entwickelt und den Lebensstandard seiner Bevölkerung deutlich verbessert. Das erfüllt uns mit hohem Respekt. Es beeindruckt durch sein kontinuierliches Wirtschaftswachstum, seine Erfolge bei der Armutsbekämpfung und die gute Aus- und Schulbildung breiter Kreise der Gesellschaft.

Damit möglichst viele Menschen in den Genuss von mehr Wohlstand und sozialer Sicherheit kommen, genügt es nicht, dass jeder in seinem Land die Voraussetzungen für mehr globales Wachstum schafft und stützt. Wir brauchen einen freien, aber auch gerechten Welthandel. Hierbei sind die Entwicklungsländer mit ungleich ungünstigeren Startbedingungen konfrontiert. Deshalb ist es eine verpflichtende Aufgabe der wohlhabenderen Volkswirtschaften, diese Länder auf ihrem Weg zu unterstützen. Wir werden erst dann einen nachhaltigen Erfolg haben, wenn die Entwicklungsländer mit ihren wettbewerbsfähigen Produkten auf den Weltmärkten - auch und gerade auf unseren Märkten - eine wirklich faire Chance erhalten.

Deutschland unterstützt daher den Beitritt Vietnams zur Welthandelsorganisation, der WTO. Wir möchten dazu beitragen, dass Ihr Land so weit wie möglich in die Weltwirtschaft integriert wird. In Deutschland setzen wir, stärker als bisher, auf die Partnerschaft mit einem leistungsfähigen und leistungsfreudigen Vietnam, zum beiderseitigen Nutzen und vor allem im Interesse der Menschen in beiden Ländern.

Ich danke Ihnen dafür, dass Sie mich hierhin eingeladen und mir Gelegenheit gegeben haben, einige Gedanken vorzutragen. Jetzt freue ich mich insbesondere auf die Diskussion mit Ihnen. Bevor wir dazu kommen, möchte ich als kleines Symbol für unsere Verbindung dem Herrn Rektor der Universität fünf Stipendien für besonders ausgezeichnete Studentinnen und Studenten für einen Aufenthalt in Deutschland überreichen. Denn es gibt bei uns ein schönes altes Sprichwort, das heißt: Ein Onkel, der auch etwas mitbringt, ist sehr viel besser als eine Tante, die nur zum Klavierspielen kommt.