Redner(in): Christina Weiss
Datum: 23.05.2003
Untertitel: In ihrer Rede zur Eröffnung des neuen Wechselausstellungsgebäude des Deutschen Historischen Museums in Berlin verweist Kulturstaatsministerin Weiss auf die über die Architektur hinausweisenden Qualitäten des Pei-Baus.
Anrede: Sehr geehrter Herr Kollege Stolpe, sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister, sehr geehrter Herr Ottomeyer, verehrter Herr Professor Kocka, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Deutschen Historischen Museums, meine sehr verehrten Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/37/488537/multi.htm
ich freue mich außerordentlich, dass Sie heute so zahlreich auf die Baustelle des Deutschen Historischen Museums gekommen sind. Ihr ungebrochenes Interesse an diesem Haus beweist mir eindrücklich, welches Ansehen sich das DHM seit seiner Gründung erarbeitet hat. Es beweist, wie wichtig dieses Haus für die Öffentlichkeit und für die Wissenschaft ist, wie sehr Sie sich alle nach seiner Wiedereröffnung sehnen - und nicht zuletzt: wie nötig sein Erweiterungsbau war, dessen Eröffnung wir heute feiern. Gemeinsam erleben wir einen wirklich großen Tag für die Museumslandschaft, die Geschichtsforschung und die Architektur unseres Landes. Einen jener raren Tage, an dem Ideen greifbar werden, an dem man Grenzen hinter sich lässt und Vergangenheit auf Zukunft trifft. Nichts scheint dabei passender, als das längst "Pei-Bau" getaufte Wechselausstellungsgebäude mit einer prächtigen Ausstellung zur "Idee Europa" zu eröffnen, die uns zu eben jenen Fundamenten führt, auf denen auch die Architektur des Neubaus gründet. Zwischen Museumsinsel und Schinkel-Wache kann sich dank der Meisterschaft von Ieoh Ming Pei die Moderne als würdige Erbin der Baugeschichte beweisen, die selbstbewusst für Bewahrung und Neuanfang wirbt, und ich danke Ihnen, sehr verehrter Herr Pei, auch im Namen des Bundeskanzlers ganz ausdrücklich für dieses aufregende Museumsgebäude, das die deutsche Hauptstadt nicht nur schmückt, sondern künftig auch prägen wird.
Die architektonische Meisterschaft ist jedoch nicht die einzige Qualität des "Pei-Baus", meine Damen und Herren. Das Haus, das schon als reine Hülle ein Publikumsmagnet war, ist eine Verpflichtung für das Deutsche Historische Museum. Wir stehen vor einer Stein gewordenen Philosophie, der das Museum mit immer neuen Ausstellungen auch inhaltlich gerecht werden muss. Ich wünsche mir spannende Präsentationen, in denen die Rolle Deutschlands in Europa und der Welt aus immer neuen Perspektiven hinterfragt wird. Gemeinsam mit der Dauerausstellung geht es darum, die deutsche Geschichte mit all ihren Höhen und Tiefen darzustellen: ideologiefrei, vorurteilsfrei, aber nicht ironiefrei, sondern aufrüttelnd und aufklärend zugleich. Zwei Häuser verbindet dabei ein Gedanke: Auch wir Deutsche sind nicht Opfer der Geschichte, sondern deren Schöpfer, die die eigene Zukunft gestalten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die neue Architekturplastik von Ioeh Ming Pei ist nicht nur eine Herausforderung für jeden Museumsmann, sondern zugleich eine Verheißung: Die deutschen Museen haben Konjunktur. Gegen über einhundert Millionen Besucherinnen und Besucher verzwergen sich Bundesliga-Spiele zu Spartenereignissen. Hier braucht und soll sich auch das größte deutsche Geschichtsmuseum nicht zu verstecken, auch wenn es während der Umbauphase nur ein kleines Ersatzdomizil bespielen konnte. Die Energien, die sich dabei angestaut haben, können sich jetzt wieder entladen. Die Zeit des Jammerns ist vorbei, und das ist auch gut so.
Meine Damen und Herren, wir sind heute aber nicht nur zusammengekommen, um einen grandiosen Neubau zu feiern. Wir freuen uns zugleich auf die Ausstellung "Idee Europa". Hier geht es um "Entwürfe zum ewigen Frieden", die schon immer Motoren der europäischen Einheit waren. Wer sie begreifen, sie sogar leben will, muss mehr kennen als die große Politik und den Mythos. Er muss sich einlassen auf Gegensätze und Brüche, auf den Alltag und die Träume von einer besseren Zukunft, die alle Generationen seit der Antike begleiteten. Wir Deutsche sind zur Zeit besonders privilegiert, aus Träumen Wirklichkeit werden zu lassen: Nur wenige Kilometer östlich von hier verliert Europa seine letzten Schlagbäume, vereinigt sich ein gemeinsamer Kulturraum nach Jahrzehnten der Teilung. Bei der nahenden EU-Osterweiterung geht es aber nicht nur um wirtschaftliche Belange, um materiellen Wohlstand und die Neustrukturierung großer Warenströme. Die Geschichte der europäischen Kultur verpflichtet uns dazu, dem ganzen Kontinent einen einheitlichen Wertekanon zu geben, die kulturelle Vielfalt zu erhalten und in der europäischen Verfassung als Wert und als Ziel zu verankern. In diesen Prozess kann sich auch das Deutsche Historische Museum aktiv und engagiert einbringen, damit aus der Idee Europa ein Europa der Ideen wird.