Redner(in): Christina Weiss
Datum: 11.06.2003

Untertitel: "Berlin sollte an der Spitze dieses Umbaus unserer Kulturlandschaft stehen. Der Bund wird diesen Prozess nach Kräften unterstützen, zusätzlich übrigens zu seinem sonstigen Engagement. Die Hauptstadtkulturförderung wird künftig auch Strukturpolitik sein müssen. Ich weiß wohl, dass sich der Bund nicht zum Retter der Berliner Kultur aufschwingen kann, aber er vermag zu Veränderungen im System anzustacheln."
Anrede: Liebe Frau Kiesler, lieber Herr Sühlo, sehr geehrte Mitglieder des Kulturforums, meine sehr verehrten Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/09/492909/multi.htm


vor Ihnen steht eine Neu-Berlinerin, die vor einigen Monaten Neugier und ziemlich klare Vorstellungen in den Koffer gepackt hatte, um auf einer Drehscheibe zwischen Ost und West zu kreisen, in einer verrückten Metropole zu siedeln. Doch die hochfliegenden Hauptstadt-Träume waren schon längst abgestürzt. Heute könnte ich Ihnen erzählen, wie man sich fühlt, wenn man kurz vor Ladenschluss an den Kassen im Supermarkt noch mit der anherrschenden Klasse zusammenprallt und an welchen Ecken dieser Stadt man wieder Trost findet. Lassen Sie uns bitte heute nicht von der Metropole reden, wir wollen doch aufrichtig miteinander sein! Wer den Glitzervorhang der weltfremden Imageschinderei beiseite zieht, entdeckt eine liebenswürdige Unübersichtlichkeit und blühende Landschaften hoch oben auf den Balkonen. Wir blicken in das fein verlebte Antlitz einer stolzen, aber bettelarmen Stadt, die sich den Masken ihrer Herrscher stets verweigerte, die überlebte, weil sie auf Behauptungen nichts gab. Wir sehen aber auch Narben in diesem Gesicht, die noch nicht überall verheilt sind, die Stadt lobt gern ihren abgepellten Charme, weil ihr die Spuren der Geschichte immer noch viel Kapital bedeuten. Aber Geschichte kann auch falsche Beruhigung und fatale Bedrückung bedeuten."Die Zeitachse des gegenwärtigen Kulturbetriebs", so schreibt Mark Siemons heute in der F. A. Z. ,"weist ganz erwartungslos in die Vergangenheit." Man misst, so könnte man ergänzen, den Stand der Kultur nach Glanzpunkten. Man wartet auf den Glanz und behauptet, dass die Gegenwart dieser Stadt erst in zehn Jahren beginnt. Das Neue müsse erst so gut werden wie das Alte, um aufgeführt zu werden. Dabei negiert man das Eigene, die selbstschöpfende Potenz, die zu Unbekanntem, Unerhörtem fähig ist.

Nachdem der Feuerstrom der Reden, die auf Berlin am Ende des vergangenen Jahrhunderts gehalten wurden, verglimmt ist, beginnt die Gegenwart. Berlin ist wieder auf sich zurückgeworfen, wie oft genug in seiner Geschichte. Willkommen im Tal der überschminkten Sorgen. Die Tünche hält nicht mehr, aus allen Ecken wispert es Übel, täglich droht neues Ungemach. Und wenn es nur 6,65 Millionen Euro an Schuldzinsen sind, die auch heute wieder wie täglich fällig gestellt werden. Man fragt sich, wer in dieser Stadt seine Miete eigentlich noch selber zahlt, wenn sechzig Prozent aller Berliner von Arbeitslosenhilfe, Sozialhilfe oder Rente leben. In dieser Stadt wollen wir uns heute abend umschauen und versuchen, eine Antwort auf Hans Magnus Enzensberger zu geben, der vor einem Jahr den Sieg der Currywurst über die Künste herausposaunt hat: "Die deutsche Hauptstadt ist nämlich ein leuchtendes Beispiel nicht nur beim Schuldenmachen, sondern auch beim Abbau intellektueller Altlasten." Man braucht nicht Enzensberger bemühen, um zu begreifen, dass Theater, Opernhäuser und Museen in sonnigen Zeiten gepriesen werden, in düsteren aber als Luxusgüter diffamiert werden. Gern wird an Tenören oder Ballerinen die Sparentschlossenheit der Regenten exekutiert, als könnten die etwas für den größten Bankenskandal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Meist lässt der Finanzsenator die Sense kurz aufblitzen, erntet dann ein Aufjaulen in den Feuilletons und lässt sich kurz darauf mit der Gewissheit zurückfallen, dass man mit dem Schließen einer Oper gerade mal sechs Tage lang die Zinsen bezahlen könnte. Berlin sitzt in der Schuldenfalle, hat seiner Kultur seit zehn Jahren bereits einige bittere und einige weniger bittere Schließungen abgerungen, über die heute kaum noch gesprochen wird, hat gespart, doch das Haushaltsloch wurde immer größer. Niemand störte sich daran, dass mit den Einsparungen bei der Kultur auch Symbolpolitik befriedigt wurde. Von den wirklich dicken Brocken, von den "heiligen Kühen", konnte so vortrefflich abgelenkt werden. Am Ende all der Operationen steht ein Schuldenberg von 48 Milliarden Euro. Die Zeit sind nicht mehr danach, immer neue Abziehbilder zu erfinden, es ist die Zeit, endlich mit dem langen Weg aus der Subventionsoase zu beginnen. Das trifft übrigens nicht nur auf Berlin zu, aber auf diese Stadt in besonderer Weise. Weil sie aus ihrer Geschichte Kapital schlagen konnte. Um es ganz klar zu sagen: Die Zeiten, in denen die ungedeckten Schecks einfach an die Bundesregierung weitergereicht werden konnten, sind endgültig vorbei. Der Bund selbst ist alles andere als in seliger Lage. Das ökonomieferne Berlin muss damit beginnen, tiefgreifende, seit Jahren verschlafene Reformen im Kulturbereich anzugehen, zu verbessern, anstatt zu schließen. Mir als ehemaliger Hamburger Kultursenatorin ist sehr wohl bewusst, dass man von subventionierten Häusern keine Rentabiliät erwarten kann und soll, aber das finanzielle Anspruchsdenken muss zur wirtschaftlichen Lage eines Staates in einem gewissen Verhältnis stehen. Insofern sind Theaterfusionen oder Schließungen immer nur das Ergebnis von kunstfeindlicher Denkfaulheit. Am Ende erstickt man die Künste, um die Verwaltungen am Leben zu lassen. Berlin spricht gern von seinem Standortfaktor Kultur, unternimmt aber zu wenig, um den Touristen von morgen dieses Angebot auch zu garantieren. Im Gegenteil. Es ist ein elendes Spiel, bei dem jeden Tag neuen Bühnen das Lied vom Tod gespielt wird. Vielleicht hat Thomas Ostermeier recht, wenn er davon spricht, dass die "permanenten Giftspritzen" den kreativen Arbeitsprozess in einem Theater lahmlegen. Das dauernde Gerede über die Überflüssigkeit von Bühnen kann sich nur leisten, wer die Wurzel des Übels nicht antasten mag. Berlin hinkt in seiner Reformfreudigkeit anderen deutschen Städten um Jahre hinterher. Aus diesem Grunde brächte es auch nichts, wenn der Bund die Staatsoper samt Staatskapelle übernehmen würde. Probleme, die Berlin zu lösen hat, lassen sich nicht mit Geld zukleistern. Deshalb können wir nur zu Reformen anstiften. Berlin könnte Modellfall für ein ganze Land sein. Was hier gelingt, kann auch anderswo beispielgebend sein, wenn hier geschlossen wird, sinkt auch anderswo die Hemmschwelle. Jetzt müssen wir in Deutschland umsteuern. Nicht nur in der Kultur, aber auch hier. Bundeskulturpolitik, wie ich sie verstehe, wird in den nächsten Jahren Reformpolitik sein müssen. Wir haben damit begonnen. Als Beispiele mögen die Novelle des Filmförderungsgesetzes oder die Reform der Deutschen Welle dienen. Natürlich werden nie immer alle für Reformen zu begeistern sein, nötig aber sind sie. Ich weiß wohl, dass der Bund nicht für Theater zuständig ist und wir den Ländern und Gemeinden nicht vorschreiben, wofür sie ihr Geld auszugeben haben. Gleichwohl kann er auf all diesen Feldern freier und unbelasteter agieren. Ich bitte schon jetzt um Verständnis, dass ich mich überall dort einmischen werde, wo Theater und Museen geopfert werden, nur weil man nicht bereit ist, den steinigen Weg der Reform zu gehen, weil man sich schnelles Geld für die Sparbüchse erhofft und sich damit aber an der Kultur, am Geist, ja am Gedächtnis eines ganzes Landes versündigt. Ich werde mich dort zu Wort melden, wo Kultur als Symbol herhalten muss. Deshalb muss für uns alle gelten: Ein wirklich starke Politik muss eine starke Kulturpolitik vertragen und ertragen. Es ist eben nicht wahr, dass sich die Künste in der Krise befinden, die Strukturen sind es, die es auszuwechseln gilt, die die Künste mit in den Abgrund reißen.

Meine Damen und Herren,

ich möchte Ihnen gern aus Zeitungsberichten eines Tages zitieren. Darin findet sich ein Bericht über das Theater Nordhausen, dem die örtliche Kommunalpolitik nach der Schauspielsparte nun auch noch die Intendantenstelle nehmen will. Stattdessen soll künftig ein Kaufmann über den Spielplan befinden. Dem Autor des Artikels drängt sich der Verdacht auf, ob sich vielleicht sogar die Politik mit dieser Absicht trägt? "Künstlerische Freiheit ist zur Verhandlungssache geworden", heißt es bitter im Bericht. Auf der nächsten Seite lese ich eine Nachricht über neue Vorschläge zur Dresdner Theaterlandschaft. Dort geht es um Fusionen, Generalintendanzen, die Privatisierung einer Bühne. Beim Umblättern entdecke ich einen letzten Nachruf auf das geschlossene Weimarer Stadtmuseum. All diese Nachrichten verdeutlichen, dass leere Stadtkassen immer gedankenloser auf dem Rücken der Kultur saniert werden. Ich frage mich, warum die Vorkämpfer der schönen Künste dies zulassen. Wer, wenn nicht die Kreativen sind in der Lage, ungewöhnliche Wege einzuschlagen, wenn Verhältnisse zu ändern sind. Warum, so frage ich mich, ist das Weimarer Modell in unserem Land ein Einzelfall geblieben, warum streben nicht mehr Theater nach Haustarifverträgen, vertrauen auf ihre eigenen Stärken und setzen den ideenlosen Streichkonzerten mehr Selbstbewusstsein entgegen und bringen die Belegschaft hinter sich? Pauschale Abwehrhaltungen oder Verteidigungsreden reichen nicht mehr aus, es geht darum, in der Krise auch wirklich Kreativität zu entwickeln. Nur so lässt sich für viele der Kopf aus der Schlinge ziehen. Natürlich werde ich gleichzeitig der Reform der Gemeindefinanzierung das Wort reden und mich für klug tarierte Kulturraumgesetze engagieren.

Lassen Sie mich bitte einige grundsätzliche Ausführungen zu den drängendsten Reformen in unserem Kulturbetrieb machen. Ich unterstütze von Herzen die Haltung der Intendantengruppe im Deutschen Bühnenverein, die mehr Eigenverantwortlichkeit für den Einsatz der Mittel fordern. Zudem ist eine "Entbürokratisierung" der Gesetze und Verordnungen, die für Theater gelten, sicher sinnvoll. Am Anfang allen Handelns muss jedoch eine Vereinheitlichung des Tarifvertrages "Bühne" für alle am Theater Beschäftigten stehen. Was der Bühnenverein bereits beim künstlerischen Personal erreicht hat, muss auch für den nichtkünstlerischen Bereich gelten: mehr Flexibilität, bitte! 17.000 künstlerische Theatermitarbeiter sind seit dem 1. Januar 2003 mit dem Tarifvertrag NV Bühne beschäftigt. Sechs ( ! ) , in Worten: sechs, Tarifverträge wurden mit diesem neuen Konstrukt abgelöst. Ein gewaltiger Schritt nach vorn, der eben jetzt auch für das nichtkünstlerische Personal dringend erforderlich ist. Hier gelten immer noch Tarifverträge aus der Mottenkiste des öffentlichen Dienstes, die für Theaterverhältnisse völlig ungeeignet sind und die Arbeitsabläufe seit Jahrzehnten massiv behindern. Damit muss endlich Schluss sein. Die generelle Beharrung auf Altem muss aufgebrochen werden, und zwar schnell.

Erlauben Sie mir ein paar Anmerkungen zu unserer Orchesterlandschaft. Von der Deutschen Orchestergewerkschaft geht die Rede, dass sie seinerzeit die komfortabelsten Tarifverträge für ihre Musiker ausgehandelt hat. Doch die verhältnismäßig hohen finanziellen Hürden, die die DOV z. B. gegen Kündigungen wegen Auflösung oder Verkleinerungen von Orchestern im Tarifvertrag errichtet hat, haben die Orchesterlandschaft keineswegs davor bewahrt, in den letzten zwölf Jahren weit über 1000 Arbeitsplätze verloren zu haben. Insbesondere - aber nicht nur - in den neuen Bundesländern wurden Orchester geschlossen, zusammengelegt, verkleinert. Heute zählen wir in Deutschland noch immer die auf die Bevölkerung umgerechnet weltweit wohl einzigartige Zahl von 82 öffentlich finanzierten Opernorchestern, 35 Konzertorchestern, 7 Kammerorchestern und 14 Rundfunkorchestern.

Doch dieser kulturelle Reichtum droht angesichts der Finanznot der Kommunen weiter zu schrumpfen. Aktuelle Beispiele: In München sollen die Zuschüsse für die Symphoniker bis 2005 eingestellt werden. Das Theater Zeitz und sein Orchester sollen zum 31. August 2004 geschlossen werden. Leere Haushaltskassen führen auch beim Theater Vorpommern zu einer Verkleinerung des Orchesters von 79 auf 68 Musiker. In solchen Fällen werden die nicht mehr finanzierten jährlichen Tarifsteigerungen als ein Grund für die Entscheidungen benannt. Sind also Tarifverträge Schuld an der Misere? Doch selbst da, wo es schon Sondertarifverträge ohne automatische Tarifsteigerung gibt, wie im Falle des preußischen Kammerorchesters Prenzlau, sehen sich die Zuwendungsgeber wegen explodierender Sozialkosten gezwungen, 500.000 Euro zu streichen. Der Gesamtzuschuss beträgt 1,174 Millionen Euro. Wird die Entscheidung umgesetzt, kommt das der Auflösung dieses Orchesters gleich.

Die musikalische Landschaft hat sich in den letzten fünfzig Jahren deutlich verändert. Sehen Sie die riesigen Pools von Musikern, die nicht mehr in Orchestern angestellt sind, dafür aber Kammermusik anbieten und unterrichten. Sehen Sie die vielen Festivals, die dem Bedürfnis nach musikalischen Erlebnissen Rechnung tragen. Sehen Sie die veränderte Medien- und Freizeitwelt! Zudem muss man realistisch feststellen, dass einige Orchester dramatische Besucherrückgänge und eine Überalterung des Publikums verzeichnen. Für wen und warum schaffen wir eigentlich Musikangebote? Und die zweite Frage ist dann, wie kann man Angebote mit besten künstlerischen Ergebnissen und zugleich einem vernünftigen Einsatz finanzieller Ressourcen schaffen? Wo es nicht gelingt, junge Menschen für das Konzertleben zu gewinnen, wird man bald keine Orchester mehr brauchen. Die kulturelle und musikalische Bildung befindet sich in einem beklagenswerten Zustand, Unterrichtsstunden werden gern gestrichen, der Wert des Sehens und des Hörens nicht recht erkannt, selbst das Lesen hat rapide abgenommen. Der Bund sieht seine Aufgabe vor allem darin, für eine Verbesserung der musikalischen Bildung einzutreten. Der Bundespräsident hat seinen Appell bereits verkündet, ich schließe mich dem gern an. Ich könnte auch erweitern: für eine Verbesserung der ästhetischen Bildung, also ein Training der Wahrnehmung. Unsere Kinder sollten lernen, Bilder zu sehen, Filme zu verstehen, Sprache zu begreifen, Musik zu hören. Dies muss man nicht nur in der Schule leisten, dies ist auch eine ureigene Aufgabe der Kulturinstitutionen.

Meine Damen und Herren, so alt wie das deutsche Stadttheatersystem, so alt ist auch die Forderung der Intendanten nach finanzieller Planungssicherheit. Natürlich ist es für ein Theater oder ein Opernhaus komfortabler, in größerem Zeitrahmen als von Jahr zu Jahr planen zu können. Hier in Berlin hatte man Mitte der neunziger Jahre mit dem Theaterfinanzierungskonzept ein durchaus kluges Instrument geschaffen, das jedoch die erste Haushaltsklausur nicht überlebte und von ahnungslosen Politikern zu den Akten gelegt wurden, weil ebensolche Perspektive auch für Schulen und Kindertagesstätten nicht existierten: Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Niemand scherte sich darum, dass eine Oper vielleicht nach anderen Gesetzen funktioniert als eine Kita. Und doch: Bei den Berliner Privattheatern schnürte man schließlich Zuwendungspakete und auch den Berliner Universitäten waren Hochschulverträge vergönnt, die sie vor überfallartigen Sparklausuren bewahrten. Ich mache mich gern für Theaterverträge stark, frage mich aber, wie das leidige Thema der Tarifsteigerungen zu lösen ist. Der Staat kann sie kaum mehr ausgleichen, die Theater sie nicht finanzieren, ohne an der Kunst zu streichen. Vielleicht wäre ein Solidarpakt möglich, wonach die Bühnen Zuwendungsverträge über fünf Jahren bekommen, wenn sie im Gegenzug garantieren, Löhne einzufrieren, statt des Tarif- nur noch einen Inflationsausgleich zu zahlen, möglicherweise gar Abstriche am Urlaubsgeld hinzunehmen. Lässt es sich nicht vielleicht über ein paar Jahre mit einer Plafondierung leben, wenn im Gegenzug das Theater oder die Oper erhalten bleibt? Vielleicht gelingt es sogar, dass Berlin hier Modellfall wird? Damit sie mich recht verstehen: Eine GmbH braucht ein festes Budget von Seiten der Politik, am besten für einen überschaubaren Zeitraum. Mit einer GmbH geht die klare Verantwortung und Kompetenz auf die über, die die Arbeit leisten und beurteilen können. Kompetenz und Verantwortung wird konzentriert, und zwar in einen künstlerischen und in einen kaufmännischen Sektor. Unter einer solchen Konstruktion kann der Aufsichtsrat eben nicht akzeptieren, dass die Auslastung ohne Gegensteuerung bei fünfzig Prozent dahindümpelt. Hier herrscht Kontrolle. Viermal im Jahr.

Wie Sie wissen, bin ich nicht Berliner Kultursenatorin und strebe dies auch gar nicht an. Dennoch war es mir vergönnt, am runden Tisch mit den Opernintendanten verhandeln. Was ich an diesem Nachmittag erlebte, war eben gerade keine Runde der Verweigerer, sondern eine Mischung aus ausgesprochen kooperationswilligen Herren, die naturgemäß hin und wieder an ihre Versprechen erinnert werden sollten. Ich will das heute gern tun. Die Berliner Intendanten wissen aus schmerzlicher Erfahrung mit dem Metropol-Theater, wie eine GmbH á la Berlin besser nicht funktionieren soll, also als Instrument, um Beschäftigte kalt abzuservieren und den Staat aus der Verantwortung zu entlassen. Solche Handstreich-Aktionen haben den Glauben der Beschäftigten an eine moderne Rechtsform schwer erschüttert. Es muss aber nicht falsch sein, nur weil es in Berlin noch nicht funktioniert hat. Dennoch stehen die Intendanten zur Berliner Opernstiftung, wenn sie drei eigenständige GmbHs ohne Quersubvention eint, die von einem flachen Stiftungsdach geschützt werden. Was ich an diesem Nachmittag nicht für möglich gehalten hätte, wurde manifest: Man versprach, im Sinne einer Imageaufbesserung der Berliner Opernhäuser zusammenzuarbeiten. Und zwar bei einer gemeinsamen Spielzeitpressekonferenz, einem gemeinsamen Spielplanheft ebenso wie bei einer möglichen "Langen Nacht der Oper", wo der geneigte Besucher zum Beispiel die drei Akte von "La Traviata" an drei verschiedenen Orten in drei verschiedenen Inszenierungen erleben kann. Mögen die Puristen auch spotten, ein Anfang wäre mit einer solchen Aktion gemacht, denn nichts ist für ein funktionierendes Opernhaus schädlicher, als in der Öffentlichkeit bereits abgeschrieben zu sein. Warum mit diesem berühmten "Dreiklang" nicht wuchern? Berlin muss dringend etwas für sein Image tun, ein Land wartet darauf, Kultur und Wissenschaft in der Hauptstadt wieder für sich zu entdecken. Das gilt gerade auch für die Opern, über die Otto Klemperer 1931 in der Deutschen Tonkünstler-Zeitung schrieb: "Sind nicht drei Opernhäuser für Berlin zuviel? Meine Antwortet lautet: Ich glaube, dass das Berlin von heute und morgen nicht nur drei Opern füllen wird. Allerdings nur unter einer Bedingung - einer conditio sine qua non: nur dann, wenn alle drei Opernhäuser künstlerisch ersten Ranges sind."

Was für Opern gut ist, muss für die Museen nicht schlecht sein. Auch hier gilt es, nachgeordnete Behörden in Stiftungen umzuwandeln. Dieses Modell ist aus mehreren Gründen ein fruchtbares: Zum einen gelangen die Museen aus der Umklammerung einer Behörde. Zum anderen kann die starre Kameralistik durch eine kaufmännische Buchführung abgelöst werden. Dies benötigt kaufmännische Geschäftsführer an der Seite der Museumsdirektoren. Die Museen geraten zudem an Experten aus der Wirtschaft, die sie zum einen beraten können, zum anderen aber auch als Multiplikatoren für ein Haus werben können. Überhaupt sollten wir für unsere Museen ein Mehr an Werbung und Marketing zu wagen. Wenn ein Museum Schätze hütet, von denen niemand erfährt, sind diese Schätze vertan. Was nützt eine schöne Ausstellung, wenn keiner weiß, das sie stattfindet. Museen müssen sich wie Theater nach außen öffnen. Dies kann ganz differenziert passieren und reicht von Viertelstundenbetrachtungen in der Mittagspause bis zur Langen Nacht der Museen. Wer noch nie einen Kindergeburtstag in einer Gemäldegalerie mitgemacht hat, weiß nicht, was ihm entgeht. Werbung schadet der Kunst keineswegs. Ganz im Gegenteil. Und wenn wir es auf der Museumsinsel auch irgendwann geregelt bekommen, dass der amerikanische Tourist mit seiner Kreditkarte bezahlen kann, was das Bundesfinanzministerium noch immer nicht gestattet, wäre ich wahrhaft glücklich. Und noch glücklicher wäre ich, wenn es das Bundesfinanzministerium zulassen würde, dass eine Tochter-GmbH einen effektiven Museumsshop betreiben könnte.

Meine Damen und Herren, ich singe Ihnen heute abend nicht den Berlin-Blues, ich rechne Ihnen auch nicht vor, dass diese Stadt für 150.000 Beamte und Bedienstete etwa 90 Prozent der Steuereinnahmen ausgibt, erwarten Sie keine neuen Projektionen! Berlin kann zum Reformlabor für ein ganzes Land werden, wenn es gelingt, die Strukturschwächen zu beheben. Für die Kultur bedeutet dies, Ansprüche zurückzuschrauben, die kameralistisch-bürokratischen Fesseln zu zerschneiden, wirtschaftliche Eigenverantwortung zu üben. Theater, Opern und öffentlicher Dienst passen nicht zusammen, wer in sich das Sicherheitsbedürfnis eines Staatsdieners verspürt, darf nicht an einer Bühne arbeiten. Ich sage es noch einmal: Ohne tiefgreifende Strukturreformen sind unsere Kulturinstitutionen nicht überlebensfähig. Wir brauchen Mut, Mut und nochmals Mut, Neues zu wagen und uns von alten Sicherheiten zu verabschieden. Gelingt das nicht, werden wir behäbig untergehen. Berlin sollte an der Spitze dieses Umbaus unserer Kulturlandschaft stehen. Der Bund wird diesen Prozess nach Kräften unterstützen, zusätzlich übrigens zu seinem sonstigen Engagement. Die Hauptstadtkulturförderung wird künftig auch Strukturpolitik sein müssen. Ich weiß wohl, dass sich der Bund nicht zum Retter der Berliner Kultur aufschwingen kann, aber er vermag zu Veränderungen im System anzustacheln. Erwarten Sie keine weiteren Sahnehäubchen, erwarten Sie Arbeit! Ich weiß aus meiner Hamburger Zeit, wie lange Reformen dauern, mindestens fünf Jahre.

Für Nostalgie ist in dieser Stadt kein Platz mehr, für Stillstand auch nicht und den champagnerseligen Berlin-Schwärmern höre ich erst dann wieder zu, wenn sie mit mir nicht ständig über Geld reden wollen. Und wem das immer noch nicht hilft, den tröste ich mit Gottfried Benns "Für Berlin" :

Wenn die Tore, aufgespalten

von den Wüsten, nicht zu halten

und die Burg im Sand verrinnt,

Jeder sieht hier etwas enden,

Jeder sieht sich hier was wenden

Keiner sieht, was hier beginnt

Ich danke Ihnen.