Redner(in): Christina Weiss
Datum: 24.06.2003

Untertitel: "Doch das Neue Museum ist alles andere als ein nur zweitrangiges Gebäude, dessen Verlust uns nicht schmerzen müßte. Im Gegenteil: mit den nun endlich beginnenden Arbeiten wird es gelingen, einen der großartigsten Museumsbauten des 19. Jahrhunderts zu sichern und für eine künftige Nutzung tauglich zu machen."
Anrede: Sehr geehrter Kollege Stolpe, sehr geehrter Herr Professor Lehmann, sehr geehrter Herr Mausbach, sehr geehrter Herr Professor Schuster, meine sehr verehrten Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/11/495611/multi.htm


beim "letzten Blick" auf das Neue Museum mag zunächst der Eindruck entstehen, das Haus stünde noch immer im Schatten von Schinkels Altem Museum, das mit seiner großartigen Fassade einst den Dreiklang von Museum, Dom und Schloss ordnete. Ohne die monumentale Geste, der sich auch die Alte Nationalgalerie, das Bodemuseum und das Pergamonmuseum bedienten, wirkte das Haus neben den Gebäuden des Packhofs geradezu bescheiden. Seit 1945 entschwand die Kriegsruine dem öffentlichen Bewusstsein zudem immer schneller.

Doch das Neue Museum ist alles andere als ein nur zweitrangiges Gebäude, dessen Verlust uns nicht schmerzen müßte. Im Gegenteil: mit den nun endlich beginnenden Arbeiten wird es gelingen, einen der großartigsten Museumsbauten des 19. Jahrhunderts zu sichern und für eine künftige Nutzung tauglich zu machen. Erst mit dem Neuen Museum nämlich haben die Preußen das eingelöst, was die Inschrift an Schinkels Kunsttempel programmatisch verspricht: "STUDIO ANTIQUITATIS OMNIGENIAE ET ARTIUM LIBERALIUM" - "Dem Studium der Künste und Altertümer der ganzen Welt". Erst mit dem zwanzig Jahre nach dem Alten errichteten Neuen Museum durchbrach sein Architekt Friedrich August Stüler den Kanon der klassischen Kunstausstellung, den die Skulpturen der Antike und die Gemälde der Renaissance und des Barock bildeten. Erst im Neuen Museum waren die heterogenen und zwischenzeitlich in enzyklopädischer Vielfalt gesammelten Ethnografica, die prähistorischen Zeugnisse und die Denkmäler der alten Ägypter zu sehen. Hier entfaltete sich der bis in unsere Tage wegweisende Gedanke eines umfassenden Bildungsauftrags der Museen, den wir in Zukunft mit dem Humboldt-Forum abrunden wollen.

Es gibt also gute Gründe, die eigentliche Geburtsstunde der Museumsinsel an das Wirken von Friedrich August Stüler, den Baumeister des Neuen Museums, zu binden. Er war es, der die Vision von Friedrich Wilhelm IV. , hinter Schinkels Museum eine "Freistätte für Kunst und Wissenschaft" zu errichten, in eine zukunftsweisende Architektur überführen konnte. Er war es, der den "ersten Masterplan der Museumsinsel" schuf. Darum ist es um so erfreulicher, dass sein Haus nach fast sechzig Jahren Zerstörung und Verfall nun für die Museumsinsel zurückgewonnen wird.

Trotz der Rettung des Neuen Museums wird ein Schatz für immer verloren bleiben, meine Damen und Herren. Ich meine die unzähligen Wandmalereien und die ursprünglich so kunstvollen Dekorationen der Ausstellungsräume. Allein Fotos von den Innenräumen sind uns erhalten geblieben, die die Raumgestaltung und die Bemalungen der Wände, der Decken und der Säulen zeigen und uns deren Ansinnen aufzeigen: die Raumdekoration war im Neuen Museum stets als Anleitung zum Verständnis der fernen Kulturen gedacht. Der Besucher war eingeladen, in die Welt einer untergegangenen Epoche einzutauchen.

Heute sind uns diese Raumausstattungen selbst zum historischen Zeugnis einer vergangenen Zeit geworden. Was davon erhalten blieb, wird in einer sorgsamen, konzeptionell und handwerklich fein austarierten Restaurierung gesichert und in ein zeitgemäßes Ausstellungskonzept integriert. David Chipperfield, Julian Harrap und Pro Denkmal stehen dafür ein. Das haben sie in den kontroversen und letztlich konsensfähigen Diskussionen und Planungen, die den Bau- und Restaurierungsarbeiten vorangingen, unter Beweis gestellt. Der Leitgedanke ist hier nicht die Rekonstruktion, sondern das behutsame Weiterbauen, das die Spuren der Zeit dennoch sichtbar bleiben lässt und die Erinnerung an die Kriegszerstörung wach hält.

Bei all diesen Diskussionen ist es für mich von besonderer Wichtigkeit, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass wir die Museumsinsel nicht auf dem Stand des 19. Jahrhunderts konservieren. Sie muss den Anforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht werden. Heute, mit Millionen von Besuchern jährlich, bedeutet es etwas anderes als vor 150 Jahren, wo es verstärkt noch dem Bildungsgedanken gerecht zu werden galt. Der 1999 verabschiedete Masterplan hat fast die Quadratur des Kreises geschafft: die Gebäude als historisches Erbe zur Geltung zu bringen, die Besucherströme vernünftig zu lenken und eine moderne Infrastruktur mit Museumsshop, Café , Restaurant, mit Medien- und Veranstaltungsraum bereit zu stellen. Zum Masterplan mit all seinen Elementen gibt es keine Alternative.

Ich freue mich daher besonders, dass gerade für das Neue Museum ein so schlüssiges Ausstellungskonzept gewählt wurde, das die Sammlungen des Ägyptischen Museums, die Papyrussammlung und die Schätze des Museums für Vor- und Frühgeschichte vereint. Einer der Höhepunkte soll dabei die "Bibliothek der Weltliteratur der Antike" sein, die die Originaltexte der altorientalischen, altägyptischen, griechischen und römischen, der frühchristlichen und islamischen Literatur im vorzüglich erhaltenen Niobiden-Saal präsentiert. Audioführungen in mehrsprachigen Übersetzungen und in der Originalsprache begründen dabei jenen interkulturellen Ansatz, der sich in der Archäologischen Promenade fortsetzen wird, wo Zeugnisse unterschiedlicher Kulturen und Zeiten einige zentrale Themen der Menschheit anschaulich entwickeln.

Soweit der Plan, meine sehr verehrten Damen und Herren. Bis er umgesetzt ist, wird es aber noch mindestens bis 2009 dauern. Der fast wehmütig-melancholische Klang, den der Titel dieses Festakts verströmt, ist jedoch eher der romantischen Grundstimmung des Neuen Museums entsprungen, nicht dem Pessimismus. Denn dem "Letzten Blick" wird sicher in wenigen Jahren ein "Erster Blick" folgen. Und darauf können wir uns zu Recht freuen!

Vielen Dank