Redner(in): Christina Weiss
Datum: 14.09.2003

Untertitel: Christina Weiss beim Berliner Denkmalsalon im Berliner Rathaus: Zukunft durch Vergangenheit. Wie der Denkmalschutz auch im 21. Jahrhundert bestehen kann.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/26/526426/multi.htm


glaubt man dem deutschen Feuilleton oder den FAX-Meldungen des Deutschen Kulturrats, dann gibt es in Deutschland zur Zeit nur noch zwei denkmalpflegerische Probleme: undichte Kirchendächer und marodes, von Schimmel zersetztes Fachwerk - beides vornehmlich in Ostdeutschland. Ausgerechnet die Zukunft des kleinsten Denkmalschutzprogramms des Bundes - ausgerechnet das so genannte "Dach und Fach" -Programm - ist zum Synonym für kulturellen Subventionsabbau geworden. Zu einem Schreckgespenst, das das natürliche Ende eines Sonderprogramms zum Ende der Denkmalschutz- , ja geradezu zum Ende der Kulturpolitik des Bundes stilisiert. - Und das zum Teil sogar wider besseren Wissens! - Sie werden daher verstehen, wenn ich den würdigen Rahmen dieses Abends gern auch dafür nutzen möchte, die Debatte mit ein wenig mehr Sachlichkeit zu bereichern.

Worum also geht es beim vermeintlichen Ende von "Dach und Fach", meine sehr verehrten Damen und Herren? In welchem Rahmen bewegen wir uns eigentlich, wenn wir über die Vergabe von 6,1 Mio Euro streiten?

Der Denkmalsbestand der Bundesrepublik wird auf rund 1,3 Millionen Einzeldenkmäler, bauhistorisch wertvolle Ensemble und schützenswerte Altstadtkerne geschätzt. Zwar gehört der Denkmalschutz zu den originären Aufgaben der Bundesländer, die ihre Kulturhoheit bekanntlich als ehernes Gut verteidigen. Spezielle Verwaltungsvereinbarungen, vor allem aber der Einigungsvertrag sichern dem Bund jedoch eine immer wieder gern gesehene - vor allem gern angenommene - Mitfinanzierungskompetenz, wobei sich das denkmalpflegerische Engagement des Bundes auf national bedeutsame Objekte beschränkt und in der Regel auch befristet bleibt.

Nichtsdestotrotz flossen zwischen 1991 und 2002 aus der Bundeskasse nicht weniger als 1,9 Mrd. Euro in den Denkmalschutz und die Denkmalpflege der Länder, von denen aus naheliegenden Gründen rund 1,8 Mrd. Euro den neuen Ländern zugute kamen. Wenn man bedenkt, dass der Bund auch in diesem Jahr 125 Mio. Euro nur für den Denkmalschutz ausgibt, wenn man sich daran erinnert, dass mein Haus für die so genannten "kulturellen Leuchttürme" in Ostdeutschland, die zum Teil ja sogar Weltkulturerbe sind, 32 Mio Euro jährlich ausgibt - und ich will hier gar nicht an die 100 Mio Euro erinnern, die in den nächsten Jahren in die Sanierung der Berliner Museumsinsel fließen - wenn man sich also die realen Zahlen vor Augen führt, dann jammert man gerade in den neuen Ländern um "Dach und Fach" wahrlich auf hohem Niveau.

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch!!

Ich will die Probleme der neuen Länder auf keinen Fall klein reden. Im Gegenteil! Bei mehreren Reisen habe ich mir ein gutes Bild der Lage und der Bedürfnisse machen können. Und ich habe deshalb auch seit meiner Ankündigung, das "Dach und Fach" -Programm auslaufen zu lassen, meine Beweggründe und meine Ziele stets auch öffentlich erläutert. Doch nur eine schlechte Nachricht galt hier als gute Nachricht... Die Wahrheit aber ist, dass ich überhaupt nicht daran denke, und niemals daran dachte, die 6,1 Mio Euro des "Dach und Fach" -Programms ersatzlos zu streichen!! Das Geld aus diesem investiven Förderprogramm wird vielmehr in einen neuen, dauerhaften Haushaltstitel überführt werden, damit es den neuen Ländern auch zukünftig zur Verfügung stehen kann. Das darf man auch mal zur Kenntnis nehmen!

Ein Widerspruch? Mitnichten! Wie lange wohl - und das frage ich alle Kritiker dieses Haushaltscoups ganz offen - wie lange wohl hätte ich in der aktuellen Finanzsituation meinen Kabinettskollegen noch erklären können, dass man auch 13 Jahre nach der Wende noch immer ein Notsicherungsprogramm für zerborstene Kirchendächer finanzieren müsse? Noch ein Jahr? Noch fünf Jahre? Noch sieben? Wann hört man auf, von Notsicherung zu sprechen? Wenn das Geld ersatzlos gestrichen ist? - Und außerdem: Hatte die Regierung Kohl nicht bereits beschlossen,"Dach und Fach" im Jahr 2000 zu beenden? Die rot-grüne Koalition hatte diesen Beschluss zwar rückgängig gemacht. Aber es liegt nun einmal in der Natur eines investiven Haushaltstitels, dass er sein natürliches Ende stets in sich trägt.

Um dieses bereits drohende Ende zu umgehen, um 6,1 Mio. Euro den neuen Ländern dauerhaft zu sichern, habe ich das investive "Dach und Fach" in ein strukturelles Förderprogramm für die neuen Länder umgewandelt, das mit einer entsprechenden Kofinanzierung durch die Länder national bedeutsamen Kultureinrichtungen in Ostdeutschland zugute kommen soll, die eben nicht zu den "kulturellen Leuchttürmen" zählen. Dass kann selbstredend auch eine märkische Backsteinkirche sein, die ein neues Dach benötigt.

Ich wiederhole es gern noch einmal: Der Denkmalschutz in den neuen Ländern verliert kein Programm! Er gewinnt ein ganz neues Förderinstrument, das sich nicht auf die Beseitigung von Bauschäden beschränkt, sondern auf den Erhalt und den Ausbau der kulturellen Infrastruktur zielt. Politik und Denkmalschutz bewahren sich durch diese Reform jene innovationsfördernde Handlungsfähigkeit, die allein erst zukunftsfähig ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Innovativ, handlungsfähig und zukunftsorientiert - mit diesen beinah tugendhaften Schlagworten lassen sich auch jene Werte umschreiben, an denen sich mein Denkmalschutzverständnis prinzipiell orientiert. Sie erweitern die klassische Trias von Entdecken, Sichern und Erhalten um das Moment der Nachhaltigkeit, das den Wert eines Gebäudes eben nicht allein nach Alter oder Schönheit misst. Die Geschichte - und Denkmäler sind ja ein bedeutender Teil davon - ist kein Steinbruch, aus dem sich jeder wahllos bedienen kann. Die Erfahrungen der Vergangenheit, die uns eben auch in Form der gebauten historischen Umwelt umgeben, verstehe ich als kritisches Potential, an dem wir unsere heutigen Entscheidungen immer wieder neu überprüfen können. Sie sind ein Teil jener Bühne, auf der wir agieren. Sie sind uns Erinnerung und Gegenwart zugleich und können sich als historisches Vermächtnis und Kompass für die Zukunft doch erst bewähren, wenn sie sich uns zur Verfügung stellen: materiell, ideell und nicht zuletzt auch intellektuell.

Eine nachhaltige Denkmalpflege schließt daher neben der Erhaltung immer auch sensible Nutzungskonzepte ein. Denn, so frage ich Sie: Was hat unsere Gesellschaft von einem fein restaurierten Palais, dessen Pforten stets verschlossen bleiben, weil kein Förderverein da ist, der sie öffnet? Weil kein Stifter da ist, kein Mäzen, der es - behutsam - zur Nutzung bereit hält? Wenn niemand kommt, darüber zu sprechen, niemand da ist, der sich daran erfreut, niemand, der es seinen Kindern zeigt?

Wie kann eine Stadt eine Fabrik aus der Gründerzeit erhalten, wenn sich dort kein Gewerbe, kein Kulturbetrieb neu ansiedelt?

Darf uns ein Landschaftspark die Zukunft verheißen, wenn ihn selbst die Kinder aus den umliegenden Schulen nicht kennen, nicht nutzen? Wenn niemand da ist, der ihnen Augen und Herz öffnet?

Moderne Denkmalpflege heißt deshalb für mich: Denkmalpflege für wen? , für welche Nutzung? , schlicht: für welche Zukunft?!

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

da ich weder der blinden Vermarktung unserer Denkmal-Landschaft das Wort reden will und auch nicht bereit bin, den Denkmalschutz dem freien Markt zu überlassen, möchte ich ihnen kurz jene drei Säulen vorstellen, die meiner Ansicht nach den Denkmalschutz der Zukunft tragen sollten: Bewahrung, Verständnis und Nutzung.

Über den ersten Bereich brauche ich an dieser Stelle sicher nur wenig sagen. Das Bewahren umfasst den klassischen Bereich der Denkmalpflege, den ich lediglich in Richtung Gegenwart erweitern möchte. Zwar weiß ich, dass manche Kommune bereits unter der Masse des historischen Erbes zu leiden glaubt - darauf komme ich später noch einmal zurück. Bei der Definition eines denkmalpflegerischen Kanons wird allerdings zu oft noch das "aktuelle Erbe" übersehen, das uns zum Beispiel die Nachkriegsmoderne hinterlassen hat. Allerorten werden Gebäude abgebrochen - hier in Berlin erinnere ich nur an den Abriss des Bewag-Verwaltungsgebäudes von Paul Baumgarten oder an das so genannte "Ahornblatt" - , weil ( nicht obwohl! ) weil die Gebäude erst dreißig oder vierzig Jahre alt sind. Gerade sie müssen den revitalisierten Vermarktungs- und Städtebauideen des 19. Jahrhunderts weichen, die sie selbst einst so verhöhnten. Mit dieser selektiven Vernichtung droht jedoch ein Kulturverlust, den wohl erst die nachfolgenden Generationen wirklich erkennen können und erleiden müssen, wenn wir nicht heute schon eingreifen.

Und daher gehört meines Erachtens zu einer modernen Denkmalpflege auch dafür zu sorgen, dass zumindest die in der Fachwelt unstrittigen Leistungen einer kaum vergangenen Epoche die Chance erhalten, in Würde zu altern. Mit dem Altern erhält das Gebäude einerseits die Möglichkeit, sich ästhetisch wie ideell zu bewähren, und man merkt relativ rasch - ein Blick zum Potsdamer Platz genügt - , dass sich allein durch das Altern bereits die Spreu vom Weizen trennt. Mit der "denkmalpflegerisch gewonnenen Zeit" erhält die Gesellschaft andererseits aber auch die Aufgabe, sich selbst an der Architektur zu bewähren, sich mit ihr auseinander zu setzen und diese neu zu werten. Ich erinnere hier nur daran, wie fruchtbringend in den letzten Jahrzehnten die Aufarbeitung der Architekturgeschichte des Nationalsozialismus war, während die Rezeption der zeitlich ja näher liegenden und durchaus agilen DDR-Forschung bislang eben marginal geblieben ist. Hier ist noch viel aufzuholen, baulich wie gedanklich - wohl auch emotional und politisch, und ich bin froh, dass sich ausgerechnet die Kulturstiftung des Bundes dem noch aktuelleren Phänomen der "schrumpfenden Stadt" angenommen hat. Damit zeigt die Stiftung, das ein sensibles städtebauliches Problem, das ja nicht auf Ostdeutschland allein beschränkt ist, unter sozialen wie künstlerischen Blickpunkten so zeitnah wie problemorientiert debattiert werden kann.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

aus meiner Erfahrung als Hamburger Kultursenatorin weiß ich sehr gut, dass der Abstand zwischen den Säulen "Bewahren" und "Verständnis" weit größer ist als der zwischen "Verständnis" und "Nutzen". Nicht nur, weil die Nutzung eines Denkmals idealerweise sein Verständnis voraussetzt. Wer die denkmalpflegerische Praxis kennt, weiß, dass die Auflagen der Denkmalschutzbehörde nur von wenigen Bürgern vom ersten Tag an mit großem Jubel aufgenommen werden, von den Denkmaleigentümern gar nicht erst zu sprechen. Hier tut sich die Kluft des Unverständnisses auf, in der Denkmalschutz eher als Last denn als Lust empfunden wird. Doch gerade Sie, die Denkmalpflegerinnen und Denkmalpfleger, müssen die Öffentlichkeit davon überzeugen, dass Sie auf der Basis ihrer Kenntnisse gleichsam "Hausärzte" sind, die für jedes Baudenkmal die angemessene und kostengünstigste Lösung für Erhalt und Nutzung finden können. Dies mag im Einzelfall auch einmal ein frommer Wunsch sein... Das Ziel aber darf man nie aus den Augen verlieren: eine Therapie, die auf Verständnis und Vertrauen fußt.

Gerade das Werben um Verständnis wird in nächster Zukunft die Denkmalspolitik um ihre klassischen Aufgaben bereichern. Dabei ist der Boden gut bereitet. Was fehlt, ist eine Aufbruchsstimmung, wie wir sie im Umfeld des Europäischen Denkmalschutzjahres erlebten. Und dennoch: Wenn wir die Resonanz ernst nehmen, die der "Tag der Denkmalpflege", vor allem aber der "Tag des offenen Denkmals" erzielen, dann ist Verzagtheit wahrlich fehl am Platze. Wir verfügen über gut eingespielte Instrumentarien der Öffentlichkeitsarbeit, Werbung und der inhaltlichen Aufklärung. Wir haben ein tief gestaffeltes System der Kommunikation, das selbst für strittige Grundsatzfragen eine Rückkoppelungsmöglichkeit bis in den politischen Raum bietet. Was noch fehlt, ist der Mut und leider auch die Professionalität, dieses Denkmalpflege-Management auch effektiv zu nutzen.

Ich bin mir sicher: Die Menschen wollen mehr wissen über ihr Haus, ihre Stadt, ihre gebaute Umwelt. Sie müssen nur die Möglichkeit erhalten, mehr zu erfahren! Die staatliche Denkmalpflege sollte sich meines Erachtens darum bemühen, das bürgerschaftliche Engagement und das Ehrenamt, das gerade im Denkmalschutz groß ist, noch viel stärker mit der eigenen Arbeit zu verzahnen. Warum sollen interessierte Laien zum Beispiel nicht in Seminaren und Workshops mehr noch an der "offiziellen" Denkmalpflege beteiligt werden? Warum soll man ihnen die Denkmale nicht öfter zugänglich machen, sie erklären und zur schonenden Nutzung überlassen? Und wäre es nicht längst angebracht, Denkmalschutz als Schulfach zu etablieren? Gerade bei der Jugend ist das Potential enorm, sich für die Gemeinschaft zu engagieren. 40 Jugendherbergen haben sich in alten Burgen und Schlössern eingerichtet, das reicht jedoch nicht aus, um dieses Potential sinnvoll zu nutzen. Vor allem die staatliche Denkmalpflege ist der geeignetste Ansprechpartner, der hier Ideengeber und Nutznießer in einem sein kann.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

wenn ich vor Ihnen so engagiert für einen vielschichtigen Denkmalschutz werbe, für den Wert einer möglichst bürgernahen Kommunikation und die Stärkung der Denkmalschutzbehörden, dann will ich eine Hoffnung nicht verhehlen: Ich glaube, dass die Denkmalpflege mit der in Gründung befindlichen "Stiftung Baukultur" einen weiteren starken Partner gewinnen wird, der genau an jener Schnittstelle zwischen gestalteter Umwelt und gestalterischer Zukunft agieren will.

Neben dem Deutschen Nationalkomitee für Denkmalschutz soll auch die Stiftung Baukultur zu einem Katalysator bewussten, kulturvollen Bauens aufsteigen, zur Anstifterin gebauter Kultur, die als Dolmetscherin nicht nur die Frage umtreibt, was wir zu einem Haus zu sagen haben. Sie wird - einer zukunftsfähigen, innovativen Denkmalpflege gleich - auch thematisieren wollen, was das Haus, der Raum, die Stadt zu uns, vor allem aber über uns zu sagen hat, über unsere gestalterischen Fähigkeiten, über unsere kulturelle Verfasstheit und über den Stand unserer Baukultur und unserer Stellung zu ihr. Die Denkmalpflege sollte sich der Stiftung Baukultur öffnen, sie unterstützen und als gleichwertigen Partner zu gewinnen suchen. Gemeinsam könnten sie nicht nur das Alte bewahren. Sie könnten dem Neuen auch so viel Qualität abverlangen, das mittelmäßige Architektur zumindest im historischen Kontext nicht mehr erduldet werden muss. Dass zum Beispiel zwischen Berliner Dom und Marienkirche nie wieder ein belangloser Betonklumpen ( gemeint ist das "Dom Aquaree" ) gesetzt werden kann, der die Sinne beleidigt anstatt sie zu betören.

Meine Damen und Herren,

während das bewahrende Element des Denkmalschutzes vor allem auf Wissen und Können beruht und die Vermittlung kultureller Werte in erster Linie Engagement und Inspiration erfordert, basiert eine kluge Denkmalsnutzung - so lehrt es zumindest meine Erfahrung - auf Kreativität und Visionen. Als dritte und wohl stärkste Säule einer innovativen, handlungsfähigen und zukunftsorientierten Denkmalspolitik entscheidet vor allem sie über das Wohl und Weh des Gesamtkonzeptes. Sie erst generiert einen neuen "Wert" des Denkmals. Und so freue ich mich besonders darüber, dass das Motto des diesjährigen "Tags des offenen Denkmals" : "GESCHICHTE UND KULTUR HAUTNAH - WOHNEN IM DENKMAL" ?! heißt. Wohnen, Mieten, Vermieten und Besitzen: das sind noch immer die besten Wege, ein Denkmal dauerhaft zu nutzen - hautnah zum Teil der Geschichte, zum Teil unserer Kultur zu werden.

Doch auch hier stellt sich erneut die Frage: Wohnen im Denkmal: was ist das nun: Lust oder Frust? Ich denke, es ist vor allem eine Herausforderung, und zwar für alle Seiten. Am Erfolg versprechendsten ist sie allemal für den Mieter, der sich bewusst für das Denkmal entscheidet, der an der historischen Aura partizipieren will, der die Architektur, die Lage, die Geschichte zu würdigen weiß. Für den Mieter ohne historisches Interesse dagegen tritt das Baudenkmal zuerst wohl nur als Beschränkung ins Bewusstsein. Die Nutzung und Gestaltung des Gebäudes ist gemeinhin reglementierter, und nicht immer ist der Denkmalpfleger in der Lage, den Vorurteilen und Bedenken Vorteile und Verständnis entgegenzusetzen. Gemeinsam mit dem Denkmalseigentümer sollte er aber genau das tun, denn ihnen muss es gemeinsam daran gelegen sein, die denkmalpflegerische Betreuung vor, während und nach der Sanierung auf einem möglichst hohen Niveau zu halten. Denkmalschutz muss es Mietern wie Besitzern ermöglichen, sich dem Denkmal hinzugeben, sich auf das Gebäude und seinen Kontext einzulassen. Nur diese Freiheit macht die Immobilie wirklich marktfähig. Und wir alle hier im Saal wissen: Hier gibt es noch großen Nachholbedarf. Viel zu oft wird auf Konflikte zwischen Nutzern, Markt und Denkmalschutz mit der Erhöhung der Regelungsdichte reagiert, was an den Bedürfnissen aller vorbeizielt. Wenn die Kommunen ihre Denkmäler in Nutzung erhalten wollen - und das gilt jetzt nicht nur für Wohngebäude - dann müssen sie im Konfliktfall darauf verzichten können, vorhandene Paragraphen oder Vorschriften immer wieder neu auszulegen und tief gestaffelte Genehmigungsstrukturen zu erzeugen. Sie müssen vielmehr die Stellung der Denkmalschützer stärken, damit sie Konflikte moderieren und selbstständig lösen können.

Konflikte verhindern Nutzung. Klug genutzte Denkmäler aber sind ein Standortfaktor! Historische Innenstädte sind ein Standortfaktor. Aber nur genutzte Gebäude, belebte Altstädte sind ein Kulturfaktor! Deshalb müssen alle Teile einer Verwaltung, in der Kommune, im Land und im Fall der Fälle auch im Bund, gemeinsam an Nutzungsstrategien arbeiten - und das möglichst noch vor einer umfassenden Sanierung. Wer zum Beispiel eine Fabrik aus der Gründerzeit als Industrie- und Kulturdenkmal erhalten will, muss sich darum kümmern, dass sich dort Gewerbetreibende und / oder Kulturbetriebe ansiedeln können und WOLLEN. Er darf sie nicht "zu Tode" sanieren, sondern muss die Gebäude variabel halten, um sie in einer möglichst bunten Nutzungsmischung zu beleben. Ich erinnere hier nur an den großen Erfolg der alten Baumwollspinnerei in Leipzig, bei deren Umnutzung man vor allem auf die Eigenleistungen der Nutzer setzte. Die preiswerten Fabriketagen fanden schnell Interessenten bei Architekten, Künstlern, und Studenten, die inzwischen eine bunt gemischte Mieterstruktur bieten. Wohnungen, Handwerk, Galerien und Gaststätten koexistieren friedlich und sind ein Garant für den dauerhaften Erhalt der Fabrik.

Nicht anders kann die Belebung einer historischen Innenstadt funktionieren. Hinter den historischen Fassaden müssen Möglichkeiten für moderne Dienstleistung, modernes Wohnen und Arbeiten geschaffen werden, ohne einem denkmalpflegerischen Schematismus zu verfallen. Die Denkmalpflege kann nur zukunftsfähig sein, wenn sie gemeinsam mit den Eigentümern in der Lage ist, historische Gebäude sich wandelnden Ansprüchen anzupassen. Die Denkmalpflege steht dabei immer in Konkurrenz mit "marktfähigen" Neubauten, gegen die sie nur durch Variabilität, Inspiration und die historische Aura bestehen kann! Die Aura, das Image, der inspirierende Impuls einer historisch gewachsenen Umgebung ist der entscheidende Wettbewerbsvorteil eines denkmalgeschützten Gebäudes, mit dem man nicht genug werben kann. Gerade in einer Zeit, die ja auch von der Globalisierung der Bilder geprägt ist, werden individuelle Gebäude, reale Geschichten und der kulturelle Background zum wichtigen, weil unverwechselbaren Standortfaktor.

Meine Damen und Herren,

moderne Technik, tragfähige, von der Wirtschaftspolitik flankierte Nutzungskonzepte und historische Aura: Die Denkmalpflege der Zukunft ist weit mehr als nur Stein gewordene Architekturgeschichte. Es kommt darauf an, eine kulturpolitisch und denkmalpflegerisch plausible Übereinstimmung zwischen dem Denkmal und seinem Innenleben zu schaffen und nach außen kenntlich zu machen. Die großen Erfahrungen, die wir zum Beispiel bei der Umnutzung von Wohngebäuden, Fabriken, Kirchen und Gewerbehöfen sammeln konnten, sind erst der Anfang, dem neue Nutzungsideen folgen werden. Dabei will ich sie gar nicht allein an die zahllosen Werbe- und Designbüros erinnern, die vornehmlich in alten Fabriken kreativ sind. Auch die öffentliche Verwaltung darf sich in Zukunft noch viel öfter historischer Ensembles bedienen. So wurde zum Beispiel die ehemalige Heeresbäckerei in Dresden zum Stadtarchiv umgebaut. Und die Rathausneubauten von Engelskirchen in Nordrhein-Westfalen bzw. die Kreisverwaltung in Grevesmühlen in Mecklenburg-Vorpommern fanden ihren Platz in einem ehemaligen Fabrikgebäude bzw. in einer ehemaligen Mälzerei. Durch eine langfristige, kreative Planung vermieden die Gemeinden dabei nicht nur Doppelinvestitionen. Die geretteten Baudenkmale dienen ihnen und ihren Bürgern nun auch als Selbstdarstellung, die neugierig macht auf mehr.

Das denkmalpflegerische Ideal "Erhaltung durch Nutzung" hat neben den Grundsätzen langfristige Planung, Interessenausgleich, Aufklärung und

Standortmanagement jedoch noch ein weiteres wichtiges Element, meine sehr verehrten Damen und Herren, das wiederum auf die Bürger zielt: ich spreche von der Werbung, von Öffentlichkeitsarbeit, von Marketing. Es berührt mich immer wieder sehr, wenn ich wundervoll sanierte Schlösser, Burgen oder Kirchen besuche, die der normale Bürger gar nicht kennt. Auf die er nicht hingewiesen wird, zu denen er nicht gelockt, ja auch verführt wird. Und dann ist man dort allein, findet weder ein informatives Faltblatt noch einen Spendenaufruf des Fördervereins... Eine aktuelle Untersuchung zum Kulturtourismus in den neuen Ländern zeigt zum Beispiel, dass die Kulturpolitik der Länder und Kommunen hier einen unglaublichen Nachholbedarf hat, weil die Zusammenhänge von Kultur und Wirtschaft, Kultur und Tourismus nicht oder nicht tiefgreifend genug erkannt worden sind. Weil es keine Koordinationsstellen, keine übergreifenden Konzepte gibt. In unserem Land schlummern kulturelle Potentiale, die man noch nicht einmal bemessen kann. Ich will Ihnen nur ein Berliner Beispiel nennen: Das äußerst aufwendig sanierte "Haus Lemke" in Hohenschönhausen ist das letzte Haus, das Ludwig Mies van der Rohe vor seiner Emigration in Deutschland bauen konnte - und es ist ganz gewiss nicht sein schlechtestes. Unter großen finanziellen Mühen wurde es in den letzten Jahren saniert, vorangetrieben vor allem von engagierten Kämpferinnen, die sich auch schon mal anhören durften, sie engagierten sich für "die teuerste Garage Berlins". - Und heute? Das Mies van der Rohe-Haus ist wunderbar saniert, arbeitet als bezirkliche Galerie, und nicht einmal schlecht. Aber kaum jemand kennt es! Man muss es am Ufer des Orankesees regelrecht aufstöbern und fühlt sich vor Ort schlicht allein. Ein Haus im Dornröschenschlaf, das vor allem eines braucht: ein Marketing. Ich verstehe, dass so etwas Geld kostet. Aber soll es in ganz Berlin keinen Freundeskreis geben, der für ein Mies van der Rohe-Haus wirbt? Der es vermarktet?

Das möchte ich kaum glauben, und komme mit diesem traurigen aber nicht hoffnungslosen Beispiel zum Schluss auf die besondere Bedeutung von Sponsoren und Stiftungen zu sprechen, die wir für eine zukunftsfähige Denkmalkultur in Deutschland dringend benötigen. Mit Freude habe ich gehört, dass die Spendenbereitschaft der Bevölkerung für die Stiftung Denkmalschutz im letzten Jahr von 4 auf 13 Mio. Euro gestiegen ist. Das ist sehr erfolgreich und hat gewiss viel mit dem Marketing der Stiftung zu tun. Doch wir dürfen uns nicht darauf verlassen, dass sich ein edler Spender immer dann einfindet, wenn es am nötigsten ist. Kommunen, Denkmalseigentümer aber auch Denkmalschützer müssen vielmehr zu Fundraisern in eigener Sache werden. Suchen Sie Spender, Stifter, Mäzene, Paten, Freundeskreise! Haben Sie keine Angst davor, Ihre Schätze zu vermarkten! Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz, die Wüstenroth-Stiftung und die Deutsche Bundesstiftung Umwelt zeigen uns unter vielen anderen erfolgreichen Stiftungen wie es geht! Der Blick über den fachlichen Tellerrand hinaus kann und wird dazu beitragen, noch mehr Gebäude noch besser zu erhalten - zum Vorteil unserer kulturellen Vielfalt und zum Nutzen der kommunalen Kassen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

wenn ich das zuvor Gesagte zusammenfassen sollte, würde ich mich auf folgendes beschränken: Denkmalschutz braucht Ideen! Ich will gar nicht so weit gehen, um Visionen zu fordern. Aber Ideen, Phantasie und bürgerschaftliches Engagement müssen hier noch viel mehr gefördert und gefordert werden als bisher. Ein enger Schulterschluss zwischen Fachleuten und Bürgern verhindert nicht nur halbherzige Sanierungsoffensiven nach dem Prinzip "Wo ist der nächstmögliche Fördertopf?". Er schützt unsere Denkmaldebatte auch vor den Argumenten der teuren Nutzlosigkeit wie der Beschränkung des Denkmalwertes auf den Begriff des guten Alten und des Schönen. Er erhält Denkmale in historischer wie stilistischer Breite, mobilisiert die private Unterstützung, wo sie gefordert ist, und rechtfertigt staatliche Unterstützung, wo sie nötig ist. Denkmalschutz, vor allem aber Denkmal-NUTZUNG stärkt die kulturelle Infrastruktur unseres Landes und ist damit ein wichtiger, nicht zu unterschätzender Standortfaktor - nicht nur im Bereich Tourismus. Denkmalschutzpolitik ist Strukturpolitik und nicht zuletzt Investitionspolitik. Haben Sie mit mir gemeinsam auch hier Mut zur Reform!

Vielen Dank