Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 15.09.2003

Untertitel: "Der Erfolg der vergangenen Asien-Pazifik-Wochen zeigt, dass das politische, aber auch das ökonomische Gewicht der Asien-Pazifik-Wochen in den letzten Jahren wirklich eindrucksvoll gewachsen ist. Asien ist damit gleichberechtigt zu einem bedeutenden Wirtschaftsraum neben Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika geworden", so der Bundeskanzler zur Eröffnung der Asien-Pazifik-Wochen im Schauspielhaus am Gendarmenmarkt.
Anrede: Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister, Exzellenzen, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/60/526460/multi.htm


Der Regierende Bürgermeister hat Recht, wenn er nicht nur für Berlin, sondern für ganz Deutschland auf die besondere Bedeutung der Asien-Pazifik-Wochen hinweist. Diese Wochen eröffnen einmal mehr den Zugang zu einer Region, in der bekanntlich mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt. Es ist im Übrigen, wie wir hören und sehen konnten, eine Region, die eine große Kultur hat und die zugleich voller ökonomischer und politischer Dynamik ist.

Der Erfolg der vergangenen Asien-Pazifik-Wochen zeigt, dass das politische, aber auch das ökonomische Gewicht der asiatisch-pazifischen Staaten in den letzten Jahren eindrucksvoll gewachsen ist. Asien ist damit gleichberechtigt zu einem bedeutenden Wirtschaftsraum neben Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika geworden. Asien hat sicher einen der wachstumsstärksten Märkte der Zukunft und ist damit natürlich insbesondere auch für die deutsche Wirtschaft von hohem Interesse.

Der bilaterale Außenhandel und die deutschen Investitionen in Asien haben nach der erfreulich raschen Überwindung der Finanz- und Wirtschaftskrise von 1997 enorm zugenommen.

Verehrte Frau Präsidentin, wir haben eben darüber geredet: Bezogen auf Indien kann und muss das wechselseitig noch besser werden. Ich denke, es ist unsere gemeinsame Aufgabe, dafür die institutionellen und politischen Voraussetzungen zu schaffen.

Nur um deutlich zu machen, wie wichtig der Asien-Pazifik-Raum für uns ist, sei daran erinnert, dass der Handel mit den ASEAN-Staaten, den Deutschland betreibt, bereits heute den Handel mit den Vereinigten Staaten von Amerika übersteigt. Umgekehrt - und das finden wir gut und wichtig - ist Deutschland für die meisten asiatischen Länder der wichtigste Wirtschaftspartner in Europa.

Das wollen wir mit allen Kräften ausbauen. Die erfolgreichen wirtschaftlichen und die sehr guten und meist problemfreien politischen Beziehungen zwischen den Staaten Asiens und Europas - ich nenne hier insbesondere Deutschland - wollen wir weiter ausbauen. Dabei ist sicherlich von großer Bedeutung, dass man im Rahmen von Asien, aber auch darüber hinaus erkannt hat, dass die Zusammenarbeit der asiatischen Staaten untereinander eine ganz wichtige Voraussetzung ist, die Attraktivität der dortigen Märkte zu stärken und damit zur Förderung von Handel und Investitionen aus Europa, zumal aus Deutschland, beizutragen.

Die Europäische Union wird gemeinsam mit den ASEAN-Staaten im nächsten Jahr eine transregionale Handelsinitiative ins Leben rufen, weil das Potenzial, das wir haben, bei weitem nicht ausgeschöpft ist. Verehrte Frau Präsidentin, Sie haben ganz Recht, dass das auch für den wissenschaftlichen Austausch, der deutlich verbessert werden kann, gilt. Daran müssen wir arbeiten.

Genauso wollen wir erreichen, dass die privaten Investitionen aus Deutschland, etwa bezogen auf Indien, aber auch auf die anderen ASEAN-Staaten, gestärkt werden können. Aber das beruht natürlich auch auf Gegenseitigkeit. Wir sind ein offenes Land mit offenen Strukturen. Deswegen ist Deutschland ein interessantes Land für Investitionen aus Indien.

Wir bedauern, dass auf der WTO-Konferenz in Cancún kein umfassender Erfolg erzielt werden konnte. Die "TRIPS" -Initiative, also die Möglichkeit für die ärmsten Länder der Welt, für die Bekämpfung großer Seuchen wichtige Medikamente ohne ausgebauten Patentschutz zu bekommen, ist ein beachtlicher Fortschritt - nicht zuletzt im Interesse von Menschlichkeit und Hilfe für diese Länder. Ich glaube nicht, dass dieser Erfolg zu Lasten hiesiger pharmazeutischer Unternehmen geht, jedenfalls nicht gehen muss.

Gleichwohl wurde in Cancún eine Chance vertan - das muss man wohl so sagen - , jetzt weltweit einen Impuls für mehr Wachstum und Beschäftigung zu setzen. Die Probleme indessen kann man relativieren und im Griff behalten, wenn man sich klar macht, dass das Ende von Cancún natürlich nicht das Ende der Welthandelsrunde bedeutet, die unter dem Namen Doha-Entwicklungsagenda nicht zuletzt auch einen Beitrag zur besseren Integration der Entwicklungsländer in die Weltwirtschaft bedeutet.

Deutschland hat nach wie vor größtes Interesse an einem Abschluss der Welthandelsrunde. Wir werden gemeinsam mit unseren Partnern in der Europäischen Union nachdrücklich dafür eintreten, dass die Verhandlungen so schnell wie möglich wieder aufgenommen werden.

Vielleicht macht es Sinn, zunächst eine hochrangige Verhandlungsgruppe aus den Experten der beteiligten Länder arbeiten zu lassen. Aber ausschließen sollte man auch nicht, dass man, um das Ergebnis von Cancún zu überwinden, sehr schnell und recht bald wieder auf höchster Ebene zusammentritt. Ich hoffe also auf die Bereitschaft aller WTO-Partner, die begonnenen Projekte so schnell wie möglich zu einem erfolgreichen Abschluss zu führen.

Ohne Zweifel stellt die Globalisierung und die Öffnung der Märkte viele Länder vor schwere Herausforderungen, und zwar nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch. Die Bewahrung des Friedens, der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, die Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität sowie die Eindämmung bedrohlicher Krankheiten sind Anliegen, für die wir gemeinsam Verantwortung tragen.

Ich erwähne das, weil ich zugleich deutlich machen möchte, dass Asien zahlreiche Beispiele dafür bietet, dass es möglich ist, Modernisierung der Wirtschaft und Armutsbekämpfung, technologischen Fortschritt und soziale Entwicklung erfolgreich miteinander zu verbinden. Nur ein Beispiel: Beim Kampf gegen SARS haben asiatische Staaten überzeugend unter Beweis gestellt, wie schnell und präzise sie schwer wiegenden Herausforderungen begegnen können.

Eine Bedrohung, der wir alle unvermindert ausgesetzt sind, ist der internationale Terrorismus. Die Anschläge von Bali, Jakarta und Bombay haben uns das auf schreckliche Weise erneut deutlich gemacht.

Wir können dem internationalen Terrorismus nur dann mit Erfolg entgegentreten, wenn wir zwei Dinge beachten:

Erstens eine enge politische Zusammenarbeit in diesem Kampf - zum Beispiel in Afghanistan, aber durchaus auch anderswo - und

zweitens die Bereitschaft der entwickelten Staaten der Welt, die die gleichen Werte mit uns teilen, dafür zu sorgen, dass die andere Seite der Medaille auch funktioniert, nämlich der Wiederaufbau und eine Friedensdividende für die Rückkehr in die Staatengemeinschaft und die gemeinsame Bekämpfung des internationalen Terrorismus.

Deshalb hat Deutschland deutlich gemacht, dass es in diesem Kampf gegen den internationalen Terrorismus mit einem Schwerpunkt in Afghanistan nicht nur für Sicherheit in Kabul an allererster Stelle mit sorgen will und sorgen wird, sondern auch und gerade diese Möglichkeiten - bei sicher begrenzten Ressourcen - über Kabul hinaus ausdehnen will. Aber die Ressourcen, die wir haben, wollen wir auch einsetzen.

Der im letzten Jahr auf dem Asien-Europa-Gipfeltreffen in Kopenhagen vereinbarte Aktionsplan ist ein wichtiger Schritt, sich nicht nur mit der militärischen Seite des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus zu beschäftigen, was sicher nötig ist, sondern die zivile Aufbauarbeit mit gleicher Entschiedenheit in den Mittelpunkt von Politik treten zu lassen. Diese Treffen zwischen den ASEAN-Staaten und Europa haben sich übrigens zu einem wichtigen Forum entwickelt. Sie demonstrieren nachhaltig das Interesse an einer Verbesserung der kontinuierlichen Zusammenarbeit auf beiden Seiten.

Im letzten Jahr lag das Schwergewicht bei den Asien-Pazifik-Wochen auf China. Wie ich finde, steht in diesem Jahr völlig zu Recht Indien im Mittelpunkt. Das ist der Grund, warum ich mich sehr freue, dass so zahlreiche Gäste aus Indien hier in Berlin sind. Auch für die Bundesregierung heiße ich Sie sehr herzlich willkommen.

Deutschland und Indien sind einander freundschaftlich verbunden. Das hat eine gute und lange Tradition. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Ländern hat in den vergangenen Jahren eine erfreuliche Entwicklung genommen. Indessen - wir haben, verehrte Frau Präsidentin, mit ihrer Delegation darüber geredet - kann und muss das noch besser werden. Das muss auch deshalb besser werden, weil Indien auch uns unserer Sicht gegenwärtig einen erfreulichen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt. Die Grundlage dafür ist sicherlich auch das enorm hohe Qualifikationsniveau der Menschen in Indien. Junge Ingenieure und Wissenschaftler aus Ihrem Land sind nicht nur in Deutschland, sondern weltweit gesuchte Kräfte für die Unternehmen, die Spitzentechnologien produzieren.

Ich will gerade hier auf einen Aspekt hinweisen, der bislang noch zu wenig beachtet worden ist: Indien hat sich zu einer der führenden Nationen bei der Nutzung erneuerbarer Energien entwickelt. Deutschland bietet weltweit führend auf diesem Technologiesektor Spitzenprodukte an. Das ist der Grund, warum wir uns miteinander dafür einsetzen sollten, das sich hier bietende Potenzial zum Nutzen unserer beiden Länder auszubauen und weiter zu entwickeln.

Indien verdankt seine erfolgreiche Entwicklung nicht zuletzt dem Umstand, dass die Grundlage dafür im eigenen Land gelegt worden ist. Verlässliche Rahmenbedingungen, insbesondere Rechtssicherheit für Investitionen, haben dafür gesorgt, dass viele, auf den Weltmärkten erfolgreiche Unternehmen entstanden sind. Hinzu kommt ein politischer Aspekt, der auch für die Wirtschaft von erheblicher Bedeutung ist: Indien steht beispielhaft dafür, dass ein demokratisches Umfeld, das die individuelle Kreativität zu freier Entfaltung kommen lässt, die wirtschaftliche und technologische Entwicklung eines jeden Landes begünstigt.

Wer Ihr Land kennt, verehrte Frau Präsidentin, weiß, wie schwer es ist angesichts unterschiedlicher Ethnien, unterschiedlicher Religionen, unterschiedlicher Sprachen - der Regierende Bürgermeister hat darauf hingewiesen - , eine in dieser Weise beispielhaft funktionierende Demokratie immer wieder zu entwickeln. Gerade diesen Aspekt muss man in der gegenwärtigen internationalen Diskussion in besonderer Weise hervorheben.

Ich habe gelernt, dass nicht nur das Brandenburger Tor, verehrter Herr Bürgermeister, in Berlin steht, sondern auch das Tor nach Asien. Das ist auch gut so. Das, was Sie hier mit den Asien-Pazifik-Wochen angefangen haben, ist außerordentlich erfolgreich und sucht seinesgleichen und kann durchaus ein Beispiel für andere weltoffene Städte in Deutschland sein. Ihnen, dem Land Berlin, ist dafür zu danken, dass Sie mit den Asien-Pazifik-Wochen die Initiative zu einem breit gefächerten Dialog mit diesen außerordentlich wichtigen und aufstrebenden Staaten in diesem Kontinent gesucht und gefunden haben.

Was bleibt mir? Der Regierende Bürgermeister hat auf viele wichtige und schöne kulturelle Events hingewiesen. Mir bleibt, Ihnen, den Teilnehmern der Asien-Pazifik-Wochen hier in Berlin, nicht nur einen erfreulichen Aufenthalt, sondern auch viele, möglichst gute geschäftliche Kontakte zu wünschen. In jedem Falle sage auch ich Ihnen ein herzliches Willkommen hier in Berlin, in Deutschland!