Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 01.10.2003
Untertitel: "Nachhaltigkeit ist etwas, das alle Politikbereiche betrifft", so Bundeskanzler Gerhard Schröder anlässlich der Jahresveranstaltung des Rates für Nachhaltige Entwicklung. Der Anspruch der Nachhaltigkeit richte sich an die Wirtschaftspolitik, an die Sozialreformen, an den Umgang mit öffentlichen Finanzen, aber eben auch an die internationale Politik. In deren Mittelpunkt stehe nach wie vor das Streben nach Frieden und nach einer gerechten Weltordnung.
Anrede: Lieber Volker Hauff, meine sehr geehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/19/535219/multi.htm
der Anspruch der Nachhaltigkeit richtet sich im Grunde an alle Politikbereiche, an das gesamte gesellschaftliche Leben, also an die Wirtschaftspolitik, an die Sozialreformen, an den Umgang mit öffentlichen Finanzen. Es geht aber auch - wir haben den WTO-Gipfel in Cancún hinter uns - um die internationale Politik, nämlich eine Politik, in deren Mittelpunkt nach wie vor das Streben nach Frieden und nach einer gerechten Weltordnung steht.
Dabei geht es naturgemäß auch um das Denken nicht in kurz- oder mittelfristigen, sondern in langfristigen Orientierungen. Im Mittelpunkt steht die Frage, wer die Verantwortung für die zukünftige Entwicklung unserer Gesellschaft wie in richtiger Weise wahrnehmen kann. Das alles hat mit dem Begriff der Nachhaltigkeit zu tun, einem Begriff, der ausgefüllt werden muss. Wie werden wir, die wir heute leben und agieren, also den künftigen Generationen gerecht?
Dabei findet unsere Debatte nicht ausschließlich in diesem Kreis statt. Die Diskussion über Nachhaltigkeit und darüber, was davon realisiert oder auch nicht realisiert worden ist, findet in einer Mediendemokratie statt - mit all den Kontroversen und all den Aufgeregtheiten. Diese sind häufig dazu angetan, das, was wir mittel- und langfristig auf den Weg bringen und auch das, über das wir aktuell entscheiden, zu verdecken. Erschwerend kommt hinzu, dass wir in sehr komplizierten Entscheidungs-strukturen zu agieren haben.
Darüber, dass wir langfristige Orientierung und substanzielle Strukturreformen für eine nachhaltige Entwicklung brauchen, ist schnell ein breiter Konsens hergestellt. Das ist übrigens keine Frage nur eines Teils der politischen Gesellschaft, sondern bezüglich dieses Prinzips bekommt man in Deutschland sehr schnell 80 Prozent oder 90 Prozent an Zustimmung mobilisiert. Aber wenn es darum geht, für diese Ziele auch Abstriche an eigenen Interessen, eigenen Ansprüchen und gar an eigenen Privilegien zu machen, dann wird der Chor schon vielstimmiger, als er gelegentlich sein sollte. Viele von denen, die am lautesten visionäre Zielvorgaben und durchgreifende Reformen einfordern, sind die Ersten, die schon bei der kleinsten Veränderung des Status quo lautstark protestieren.
Nachhaltige Entwicklung ist also eine gemeinsame Aufgabe aller Akteure, nicht nur eine Aufgabe der Politik, sondern eben eine Aufgabe der Zivilgesellschaft und der in ihr wirksamen Kräfte. Das sind auch die Verbände, die entlang unterschiedlichster Interessen organisiert sind. Aber diese organisierten, unterschiedlichen Interessen und die hinter ihnen stehenden Akteure müssen begreifen, dass Verantwortung für nachhaltige Entwicklung eine Verantwortung der ganzen Gesellschaft ist.
Eine solche Sicht der Dinge macht - jedenfalls nach meinem Selbstverständnis - die Bedeutung des Rates für Nachhaltige Entwicklung aus. Deswegen ist nichts von dem abzustreichen, was Pate bei der Gründung stand. Und es ist nichts von dem in Frage zu stellen, was die Bedeutung und die Wichtigkeit dieses Rates als einem Gremium angeht, das gesamtgesellschaftliche, zukünftige Interessen definiert und sie hoffentlich den - auch massiv geäußerten - Einzelinteressen und der vielleicht nicht immer dynamisch agierender Politik gegenüberstellt.
Bei den Reformvorhaben der "Agenda 2010" - damit rede ich über nachhaltige Entwicklung in einem Bereich, der möglicherweise nicht der unmittelbare Bereich dieses Gremiums ist - befinden wir uns in einer wichtigen Entscheidungsphase. Die Diskussion über Details der Gesetzgebung, die notwendig ist - auch und gerade im Parlament - , darf nicht überdecken, dass es hierbei um eine Kursbestimmung in der ersten Dekade und für die erste Dekade des neuen Jahrhunderts und darüber hinaus geht. Mit den Strukturreformen im Sozialsystem, einer Senkung der Lohnnebenkosten und mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt schaffen wir die Voraussetzungen für nachhaltiges Wachstum und für neue Beschäftigung. Die Reformen bei Renten und Gesundheit werden der demografischen Entwicklung Rechnung tragen. Sie entsprechen damit unserer Verantwortung für die heutigen, mehr noch aber für die künftigen Generationen. Dass denen klar zu machen, die in der Konsequenz dieser Reformen auch Einbußen werden hinnehmen müssen, ist die eigentlich schwierige Aufgabe.
Das ist der eine Aspekt der Nachhaltigkeit in diesem Reformpaket. Der andere ist der eines grundsätzlichen Umsteuerns in der staatlichen Ausgabenpolitik. Wir müssen weg von manchen Vergangenheits-Ausgaben und hin zu mehr Zukunfts-Aufgaben.
Mir liegt daran, dass gerade in diesem Kreis ein Zusammenhang vielleicht noch mehr kommuniziert wird: Die Sozialreformen werden nicht nur durchgeführt, um die Systeme angesichts radikaler Veränderungen an der ökonomischen Basis unserer Gesellschaft und angesichts ebenso radikaler Veränderungen, was den Altersaufbau unserer Gesellschaft angeht, finanzierbar zu halten. Sie werden durchgeführt und müssen durchgeführt werden, um Ressourcen für die wirklichen Zukunftsaufgaben frei zu bekommen, die vor uns liegen. Auch das hat mit dem Begriff der Nachhaltigkeit zu tun. Diese Zukunftsaufgaben werden mit drei Punkten exakt beschrieben:
Wir brauchen erstens Ressourcen für Investitionen in Bildung, und diese Ressourcen müssen völlig unabhängig von formalen Zuständigkeiten mobilisiert werden. Das ist eine Aufgabe, die die gesamte Gesellschaft angeht und die wir nicht im Dschungel föderalistischer Zuständigkeiten sich verirren lassen dürfen.
Wir müssen zweitens massiv in das investieren, was man im weitesten Sinne des Wortes die Betreuung unserer Kinder nennt. Das müssen wir nicht nur, weil es einen Anspruch darauf gibt - wenn man über Zukunft redet, dann muss man über Kinder reden - , sondern wegen eines anderen gewichtigen Gesichtspunkts: Nur wenn wir es schaffen, in dieser ersten Dekade dafür zu sorgen, dass viele Ressourcen in diesen Bereich umgelenkt werden, werden wir dem Anspruch, eine wirklich emanzipatorische Gesellschaft zu werden, gerecht werden können."Emanzipatorische Gesellschaft" bedeutet in diesem Zusammenhang, dass Frauen die gleichen Lebenschancen wie Männer auch haben müssen. Davon sind wir - nicht in der Theorie oder in den Gesetzen, aber in der gesellschaftlichen Praxis - noch weit entfernt. Ich weiß nicht, ob man mir das nachsehen wird oder ob daraus wieder eine neue Diskussion entstehen wird, aber ich will in diesem Zusammenhang ausdrücklich Mao Tse-tung zitieren, der gesagt hat: "Nicht nur die Hälfte des Himmels, auch die Hälfte der Erde den Frauen."
Das Dritte sind die Investitionen in Forschung und Entwicklung. Dabei müssen wir auch neu diskutieren, ob wir in den Bereichen, um die es dabei geht - zum Beispiel die Kommunikationstechnologien und die Biotechnologien - , wirklich immer die richtigen Rahmen gesetzt haben.
Deutschland verfügt für die Erfüllung dieser Aufgaben über ein wirklich hervorragendes Potenzial. In Wissenschaft und Technik, in der Industrie und im Export nehmen wir ungeachtet dessen, was wir uns gelegentlich selber an Diskussion auferlegen, nach wie vor weltweit eine Spitzenstellung ein. Innovative Unternehmen und ein hohes Niveau bei Forschung und Entwicklung sorgen nach wie vor für eine ausgezeichnete Ausgangsposition. Aber wir müssen diese Stärken entwickeln und auf ihnen aufbauen.
Wenn wir Gerechtigkeit, für die wir alle miteinander streiten, in unserer Gesellschaft realisieren wollen, dann müssen wir uns miteinander klar machen, dass wir sie auf einem weiterhin hohen Wohlstandsniveau realisieren wollen. Das bedeutet, dass die Verteilung - ich bin nach wie vor dafür, dass Verteilungsgerechtigkeit ein Aspekt politischer Aktion bleiben muss - auf einem hohen wirtschaftlichen Niveau zu geschehen hat. Ansonsten werden wir auf Dauer keine Legitimation für eine solche Politik erhalten.
Es ist also unsere Aufgabe, wirtschaftlichen Erfolg, technologische Spitzenleistungen, starken sozialen Zusammenhalt und wirksamen Schutz der Umwelt zusammenzubringen. Das ist die Aufgabe, die uns gestellt worden ist, der Politik zuallererst, aber - ich sage es noch einmal - nicht allein der Politik.
Mir liegt daran, dass dabei auch und in diesem Kreis klar wird: Das Fundament dieser Leistungsfähigkeit ist und bleibt die industrielle Produktion, nicht zuletzt in Deutschland. Allein auf die Entwicklung von Dienstleistungen zu setzen, die wichtig sind, wird auf Dauer nicht das Fundament schaffen können, das wir brauchen. Eine sich nachhaltig gebende Strategie, die meint, wir könnten einzig mit den "weichen" Wirtschaftsfaktoren die Zukunft gewinnen, geht nach meiner Auffassung in die Irre. Darüber, was das im Einzelnen heißt, wie das Verhältnis sein soll und wie das miteinander in Balance gebracht wird, lassen Sie uns gerne streiten. Aber mir liegt daran, dass wir - auch die Interessenverbände, die sich dem Umweltschutz verpflichtet fühlen - nie das eine gegen das andere ausspielen.
Was wir brauchen, ist also beides: eine Stärkung der industriellen Basis und eine Verdichtung dessen, was man "gesellschaftlichen Überbau" nennt. Wir brauchen sowohl eine konsequente Industriepolitik - übrigens auch auf europäischer Ebene - als auch die Förderung unserer intellektuellen und damit nicht zuletzt unserer wissenschaftlichen Ressourcen. Dies gelingt nur durch eine nachhaltige Bildungs- und Sozialpolitik, die Eigenverantwortung stärkt, in der der Begriff der Freiheit im Mittelpunkt steht und - das ist übrigens eine alte Position der deutschen Arbeiterbewegung - die Chancen für jeden offen hält, indem sie den Zugang zu Bildung verbessert und auf diese Weise Gerechtigkeit realisiert.
Unter der Überschrift "Perspektiven für Deutschland" hat die Bundesregierung noch vor Beginn der Weltkonferenz in Johannesburg die nationale Strategie für eine nachhaltige Entwicklung vorgelegt. Das Konzept mit seinen klaren Zielen fand national und auch international Beachtung.
Ich will hierzu einige Punkte nennen:
Die Bundesregierung hat sich ganz im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung maßgeblich für eine Reform der europäischen Agrarpolitik eingesetzt. Ich will hier ausdrücklich betonen, weil es auch darüber gelegentlich rückwärts gewandte Debatten gegeben hat: Ich unterstütze die Landwirtschaftsministerin, wenn sie deutlich macht, dass die Agrarwende eine zentrale Aufgabe der Politik dieser Regierung ist und bleiben wird. Das liegt im wohlverstandenen Interesse nicht nur von Millionen Verbraucherinnen und Verbrauchern, das liegt auch im wohlverstandenen Interesse einer Landwirtschaft, die darauf angewiesen ist, ländliche Kulturräume zu erhalten. Das wird nur funktionieren, wenn man zum einen dem Leitbild eines bäuerlich ausgerichteten Betriebs folgt und zum anderen, wenn die Bereitschaft geweckt wird, für gesunde Nahrungsmittel einen angemessenen Preis zu zahlen.
Wir haben dabei - das ist bei den europäischen Verhandlungen deutlich geworden - durchaus Fortschritte erzielt, auch zusammen mit unseren Freunden, die anderen Leitbildern folgen. Die Kompromisse, die im Vorfeld der europäischen Erweiterung und im Vorfeld von Cancún gemacht worden sind, machen durchaus Hoffnung und zeigen, dass wir Nachhaltigkeit nicht nur in der nationalen, sondern auch in der internationalen Politik Ernst nehmen.
In der Umweltpolitik - und auch darauf bin ich stolz - hat die Bundesregierung übrigens eine gute, von den Umweltverbänden anerkannte Bilanz vorzuweisen. Wir begreifen das nicht nur als Unterstützung, sondern auch als Auftrag, in kritischer Solidarität über diese Fragen weiter miteinander zu reden, aber den Pfad, den wir eingeschlagen haben, auch nicht zu verlassen.
Das Maßnahmenprogramm der Nachhaltigkeitsstrategie setzen wir um. Gleichzeitig wird die Konzeption nicht zuletzt mit Hilfe des Rates für Nachhaltige Entwicklung weiter entwickelt. Im Herbst 2004 werden wir in einem "Fortschrittsbericht" die Umsetzung unserer Nachhaltigkeitsstrategie bewerten. Ich denke, wir werden dann wieder Gelegenheit haben, darüber kritisch miteinander zu reden.
Der Rat für Nachhaltige Entwicklung leistet dabei wichtige Beiträge: Unter anderem haben Sie zugesagt, Vorschläge zu machen, wie wir die gesellschaftlichen Akteure noch besser in diese Strategie einbeziehen können. Das ist ein wichtiger Aspekt, der nicht nur auf Tagungen wie dieser deutlich werden darf.
Im Rahmen dieser Strategie der Nachhaltigkeit halte ich das Problem der nachhaltigen Energieversorgung für besonders dringlich und zwar aus zwei Gründen:
Erstens bewirkt die Liberalisierung der europäischen Energiemärkte einen verschärften Wettbewerb der Energieerzeuger und der Energieversorger.
Zweitens brauchen die Unternehmen Planungssicherheit für die anstehende Erneuerung der Kraftwerke.
Drittens stellt uns die Integration der erneuerbaren Energien in die bestehende Struktur der Energieversorgung wirklich vor neue Herausforderungen. Das gilt übrigens nicht zuletzt für die Anforderungen des Klimaschutzes, denen wir gerecht werden müssen.
Die Diskussion um die Energiepolitik darf allerdings die gegenwärtigen Realitäten nicht aus dem Auge verlieren. Eine Überschätzung der Potenziale erneuerbarer Energien ist nicht besonders hilfreich. Natürlich ist eine etwa einseitige Fixierung auf alle primären Energieträger auch nicht hilfreich - und sei es die Kohle. Für mich sind daher einige Leitlinien einer nachhaltigen Energieversorgung maßgebend:
Wir haben aus guten Gründen die Kernenergie verlassen. Der Ausstieg ist gemacht. Das bleibt so. Wir haben nicht die Absicht, das, was wir seinerzeit vereinbart haben, wieder in Frage zu stellen. Diese Entscheidung wird auch von denen, die ihr skeptisch gegenüber stehen, in ein paar Jahren ganz anders bewertet werden, als das früher der Fall gewesen ist und zum Teil gegenwärtig noch der Fall ist.
Das sage ich jetzt auch an die verehrten Kritiker in den Umweltverbänden: Es wird gelegentlich durchaus unterschätzt, was diese Entscheidung an Kraft gekostet und was sie an politischen Veränderungen in diesem Sektor bewirkt hat.
Wir können aber - und das ist genauso klar - nicht gleichzeitig aus der Kernenergie und aus der Kohle aussteigen. Noch für viele Jahre werden wettbewerbsfähige Braunkohle- und Steinkohlekraftwerke das Rückgrat der heimischen Energieproduktion bilden. Durch höhere Wirkungsgrade und Investitionen in eine saubere Kohletechnologie wollen wir auch auf diesem Gebiet vieles tun. Wir leisten also auch auf diesem Gebiet durch die Technologie, die wir entwickeln, anbieten und auf den Märkten der Welt verkaufen, einen sehr wichtigen Beitrag zum Klimaschutz.
Ich begrüße es sehr, dass der Rat für Nachhaltige Entwicklung dieses Thema - vor allem auch in seiner internationalen Dimension - aufgegriffen hat. Wir müssen es schaffen, die hohen Effizienzraten moderner Kohletechnologien für eine Energieversorgung nicht nur bei uns, sondern auf der ganzen Welt nutzbar zu machen. Dies gilt vor allem für Länder, die bei ihrer Energieversorgung auf absehbare Zeit überwiegend auf Kohle angewiesen sein werden.
Die erneuerbaren Energien werden in Zukunft einen wachsenden Anteil an der Energieversorgung übernehmen. Damit sind Innovationen und Beschäftigung verbunden. Und es hilft uns, unsere Klimaschutzziele zu erreichen. Ich will das hier ausdrücklich auch vor dem Hintergrund aktueller Diskussionen feststellen: Es gibt überhaupt gar keinen Grund, diese sehr erfolgreiche Strategie prinzipiell in Frage zu stellen und zu verändern. Aber genauso klar muss sein, dass der Ausbau auch auf diesem Sektor ökonomisch vernünftig vonstatten gehen muss. Es hat niemand etwas davon, wenn dieser Ausbau diskreditiert werden kann, weil er wirtschaftlich unvernünftig erfolgt. Damit könnte das Ziel und nicht nur einzelne Instrumente diskreditiert werden.
Nur wenn wir klarstellen, dass durch den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien ein übermäßiger Anstieg der Strompreise nicht stattfindet, werden wir die notwendige gesellschaftliche Legitimation für diesen so wichtigen Aspekt einer Energieversorgung auf Dauer erhalten können. Daher darf der Effizienzgedanke in diesem Sektor nicht verloren gehen.
Unsere Ziele sind klar: Sie heißen Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit. Die zentralen Anliegen einer solchen Strategie bleiben:
die Stärkung der heimischen Energieversorgung und der damit verbundenen Wertschöpfung,
eine auch wirtschaftlich vernünftige Nutzung der innovativen Potenziale der erneuerbaren Energien,
die Steigerung der Energieeffizienz ebenso wie ein wirksamer Klimaschutz.
Das ist die Herausforderung, vor der wir stehen. Der Staatssekretärsausschuss für nachhaltige Entwicklung arbeitet mit Hochdruck an einer neuen Energieversorgungsstruktur unter Einbeziehung der erneuerbaren Energien. Auch international machen wir uns stark für eine nachhaltige Energiepolitik. Auf dem Weltgipfel in Johannesburg im September 2002 hatte ich angekündigt, dass Deutschland zu einer internationalen Konferenz über dieses Thema einladen wird. Diese Konferenz wird nun im Juni nächsten Jahres in Bonn stattfinden.
Ich verspreche mir davon eine Dynamik über unser Land hinaus. Wenn wir Erfolg haben wollen, brauchen wir eine Bewegung in die internationale Politik hinein. Ich hoffe, dass die Konferenz einen Beitrag dazu leisten wird. Die Botschaft wird sein: National wie international sind effiziente Energienutzung und der Ausbau der erneuerbaren Energien entscheidende Elemente einer nachhaltigen Energieversorgung.
Eine weitere zentrale Herausforderung an nachhaltige Politik ist der demografische Wandel unserer Gesellschaft. Wir müssen auch durch unsere Sozial- und Gesellschaftspolitik nachfolgenden Generationen ihre Lebenschancen sichern. Auch das hat mit diesem Auftrag zu tun. Im Übrigen ist die Ursache des demografischen Wandels nicht nur die erfreulich gestiegene Lebenserwartung, sondern auch der Umstand - und ich hatte darauf hingewiesen - , dass es in dieser Gesellschaft zu wenige Kinder gibt. In dieser Legislaturperiode wird neben dem, was wir jetzt mit der "Agenda 2010" umzusetzen haben, die Familienpolitik im Mittelpunkt stehen. Es gibt in Deutschland in diesem Bereich zu viele Defizite. Wir haben daher das Programm "Zukunft, Bildung und Betreuung" aufgelegt.
In der Familienpolitik sind wir - mit den vier Milliarden Euro, die wir in dieser Legislaturperiode in Betreuung investieren wollen - auf einem richtigen Weg. Damit werden wir, was die Gleichheit von Lebenschancen zwischen Frauen und Männern angeht, weiter vorankommen. Es ist so, dass ein Kinderwunsch auch mit einem durchaus berechtigten gleichrangigen Wunsch nach der Realisierung von Lebenschancen im Beruf zu tun haben kann. Auch deshalb müssen wir die Anstrengungen in diesem Bereich verstärken.
Ich will aber in diesem Zusammenhang noch einen weiteren Punkt ansprechen:
Auf mittlere Sicht lässt sich an den Tatsachen der demografischen Entwicklung wenig ändern. Daher wird in einigen Jahren nicht die Arbeitslosigkeit, sondern der Mangel an qualifizierten Fachkräften ein zentrales Thema unserer Gesellschaft sein. Die Menschen haben heute eine höhere und steigende Lebenserwartung. Sie sind länger gesund und aktiv.
Daher ist eine neue Einstellung nötig. Ältere Menschen bieten mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung für die Gesellschaft durchaus Entwicklungschancen. Vor diesem Hintergrund muss die Debatte über Altersversorgung geführt werden. Sie darf nicht geführt, instrumentalisiert und nur auf eine Frage fixiert werden, nämlich die, wann das nominale Renteneintrittsalter erreicht ist. Viel wichtiger als das nominale Renteneintrittsalter - das ist auch wichtig, und wir werden dazu in diesem Monat entsprechende Vorschläge machen - ist mir jedenfalls das reale Renteneintrittsalter.
Wir haben es uns in den letzten 20, vielleicht sogar 30 Jahren erlaubt, Menschen ab über 50 Jahren im Grunde aus dem Erwerbsleben herauszudrängen. Angesichts der Veränderungen im demografischen Aufbau unserer Gesellschaft wird das nicht mehr funktionieren. Im Übrigen ist es auch nicht gerechtfertigt. Ich halte es jedenfalls für falsch.
Deswegen muss im Mittelpunkt der Anstrengungen, die vor uns stehen, nicht die Debatte über einzelne Instrumente stehen, sondern die Frage: Wie schaffen wir es - und das geht nur mit Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften und anderen gesellschaftlichen Gruppen zusammen - , das reale Renteneintrittsalter dem nominalen anzugleichen?
Die zentrale Frage ist: Wie halten wir die Leute - auch, weil sie etwas können - länger in Beschäftigung und vermindern dadurch mittelbar auch den Druck auf die Finanzierbarkeit der Systeme? Das Thema "Potenziale älterer Menschen in Wirtschaft und Gesellschaft" ist daher ein zentraler Schwerpunkt bei der Weiterentwicklung der Nachhaltigkeitsstrategie und ein wichtiges Arbeitsfeld. Um hier voran zu kommen, brauchen wir Partner:
In den Betrieben muss - auch für die heute 30 bis 40-Jährigen - berufliche Qualifizierung im Sinne von "Lebenslangem Lernen" organisiert werden. Dem kann sich die Wirtschaft nicht entziehen. Auch die Wirtschaft hat eine Gemeinwohlorientierung und darf das nicht nur Anderen überlassen.
Die Personalentwicklung in den Betrieben muss dem entsprechen. Natürlich ist das auch eine Herausforderung für Schulen und Hochschulen. Sie sind gefordert, die Bildung und Qualifizierung von Erwerbstätigen als eine neue wichtige Aufgabe mit zu übernehmen. Wir wollen mit den Arbeitgebern und Gewerkschaften sowie mit anderen gesellschaftlichen Gruppen in Form von Modellprojekten auf diesem Feld weiterkommen. Denn wir brauchen das für die Entwicklung unserer Gesellschaft. Wenn wir - wie es der Titel der heutigen Veranstaltung nahe legt - Kurs nehmen und Deutschland nachhaltig verändern wollen, dann muss Verantwortung übernommen werden. Dazu ist jeder von uns bereit.
Nur wenn Unternehmer und Verbraucher, wenn alle Akteure in Wirtschaft und Gesellschaft das Thema in ihrem jeweiligen Bereich zu ihrer eigenen Sache machen und es nicht auf den jeweils Nächsten abschieben, dann werden wir die notwendigen Veränderungen umsetzen können. Das ist übrigens der Grund, warum wir nicht zuletzt auf den Dialog mit Ihnen so viel Wert legen. Er ist hilfreich und nützlich.