Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 05.10.2003

Anrede: Verehrter, lieber Herr Präsident Mubarak, sehr geehrter Herr Premierminister Ebeid, Herr Ministerpräsident Teufel, Herr Professor Abdel-Kader, Herr Professor Mansour, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/20/535920/multi.htm


Rede von Bundeskanzler Gerhard Schröder anlässlich der Eröffnung der Deutschen Universität am 5. Oktober 2003 in Kairo

Eines ist schon deutlich geworden: Wir schlagen heute ein neues Kapitel in den ägyptisch-deutschen Beziehungen auf. Die Universität, die wir heute einweihen, ist die erste deutsche Privatuniversität, die es überhaupt im Ausland gibt. Ich fand es schön und bemerkenswert, dass der Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg die uralten kulturellen Austauschbeziehungen an den Anfang seiner Rede gestellt hat. Es gibt nämlich kaum einen Ort, der besser für diesen Campus geeignet wäre, als Kairo, die Hauptstadt Ägyptens, oder, wie man in diesem Land zu Recht sagt,"die Mutter der Welt."

Ich danke allen, die geholfen haben, diese Universitätsgründung möglich zu machen. Herr Präsident Mubarak, Sie haben diese Initiative von Anfang an konsequent und mit großem Elan unterstützt. Ich erinnere an manches Gespräch, in dem wir neben den Problemen in der internationalen Politik, die wir zu erörtern hatten, darüber miteinander gesprochen haben. Es gab keines unserer Zusammentreffen, in dem Sie nicht auf die Bedeutung dieses Vorhabens hingewiesen haben. Dafür, wie auch für die Einladung, diese Universität heute gemeinsam mit Ihnen zu eröffnen, danke ich Ihnen von ganzem Herzen.

Diese Neugründung der Deutschen Universität Kairo spiegelt die Ziele der Kooperation in unseren beiden Ländern geradezu beispielhaft wider.

Es geht uns erstens um die weitere Stärkung der engen und freundschaftlichen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern. Aber wir wollen auch unseren beiden Völkern die Teilhabe an den Chancen der Globalisierung eröffnen. Wissen und wissenschaftliche Errungenschaften spielen dabei mehr denn je eine Rolle.

Zweitens geht es uns um die Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung unserer Völker. Wir wollen gerade in dieser, von Krisen und Konflikten so schmerzhaft geprägten Region, unsere Überzeugung zum Ausdruck bringen, dass Frieden und Entwicklung einander bedingen, sie gleichsam zwei Seiten einer Medaille sind. Ohne Frieden - wir beide, Herr Präsident, sind davon überzeugt - gibt es keine Entwicklung. Aber ohne Entwicklung, ohne spürbare Verbesserung der Lebenschancen und des Wohlstands der Menschen, und zwar aller Menschen, ist auch der Frieden immer wieder in Gefahr.

Zur Sicherheit, wie wir sie gerade in dieser Region so dringend herbeisehnen, gehört eben auch soziale und kulturelle Sicherheit sowie die langfristige Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen. Herr Ministerpräsident, wir haben heute sehr intensiv über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Umweltschutzes und der Entwicklung regenerativer Energieträger miteinander geredet und auch die Verstärkung unserer Zusammenarbeit gerade auf diesem Gebiet ins Auge gefasst. Deshalb unterstützen wir mit dieser Universität auch den Weg des Friedens und des Ausgleichs, den Ägypten unter der Führung des Herrn Präsidenten immer wieder gegangen ist; dies umso mehr, als der nach wie vor ungelöste Nahost-Konflikt Sicherheit und Stabilität nicht nur in dieser Region - aber natürlich in erster Linie in dieser Region - bedroht.

Ein schrecklicher Anschlag hat gestern in Haifa erneut viele unschuldige Opfer - darunter auch Kinder - gefordert. Unser Mitgefühl gilt den Angehörigen und den Menschen, die um sie trauern. Terror und Gewalt im Nahen Osten - das muss immer wieder die Konsequenz sein - müssen ein Ende haben. Sie sind durch nichts zu rechtfertigen. Wir arbeiten gemeinsam dafür, dass Israelis und Palästinenser aus dem Teufelskreis der Gewalt herausfinden, damit zwei Staaten - Israel und Palästina - in sicheren, anerkannten Grenzen und friedlicher Nachbarschaft leben können. Darin sind sich die Regierungen von Ägypten und Deutschland einig, und Ihre Stimme, Herr Präsident, findet unsere Unterstützung. Sie ist noch notwendiger denn je.

Wir wollen den kulturellen und wissenschaftlichen Dialog zwischen unseren Gesellschaften fördern. Wir brauchen auf beiden Seiten junge Menschen, die neben ihrer Fachkompetenz auch eine fundierte kulturelle Bildung haben. Deshalb ist es besonders zu begrüßen, dass allen Studenten dieser Universität der Zugang zur deutschen Sprache und zur deutschen Geistesgeschichte eröffnet werden soll.

Mir ist wichtig, dass der wissenschaftliche und kulturelle Austausch keine einseitige Beziehung sein darf. Der Ministerpräsident hat darauf hingewiesen: Im Mittelalter waren es arabische, muslimische und nicht-muslimische Gelehrte, die der Welt den Schlüssel zu Medizin und Astronomie, zu Chemie und Mathematik, aber eben auch zur Wiederentdeckung der klassischen Philosophie geliefert haben. Seit mehr als 1.000 Jahren gilt die Kairoer Al-Azhar-Universität als die bedeutendste Stätte islamischer Gelehrsamkeit. Später waren es Forscher und Gelehrte aus dem Westen, die Ägypten mit den Errungenschaften der industriellen Revolution vertraut machten. Hier, in den ägyptischen Labors, entdeckte Robert Koch entscheidende Hinweise auf die Ursachen der Cholera. Es wurde darauf hingewiesen, dass deutsche Archäologen und Literaturwissenschaftler wertvolle Beiträge geleistet haben, um das kulturelle Erbe des Landes zu erschließen.

Aber genauso muss betont werden, dass ägyptische Studenten seit Anfang des letzten Jahrhunderts in wachsender Zahl an deutschen Universitäten studiert haben. Von den späteren Absolventen deutscher Hochschulen will ich beispielhaft nur den amtierenden Minister für religiöse Angelegenheiten nennen. Die Deutsche Evangelische Oberschule in Kairo hat sich bereits kurz nach ihrer Gründung - übrigens vor 130 Jahren - für junge Ägypter geöffnet. Heute ist sie mit mehr als 1.200 Schülern eine der größten deutschen Auslandsschulen. Wie mir der Herr Ministerpräsident anvertraut hat, sind sogar zwei Enkel von ihm Schüler dieser Schule. Zusammen mit der intensiven und umfassend angenommenen Arbeit des Goethe-Instituts, des Deutschen Akademischen Austauschdienstes und des Deutschen Archäologischen Instituts in Kairo ergibt das eine ganz solide Grundlage für Bildungs- , Wissenschafts- und Kulturaustausch.

Es ist zukunftsweisend, dass in dieser Universität nicht nur gelehrt werden soll, sondern hier auch geforscht werden wird. Herr Professor Mansour hat mir von sehr ehrgeizigen Plänen berichtet und das eben auch deutlich gemacht. Besonders bemerkenswert finde ich, dass von Anfang an neben den wichtigen Ingenieurwissenschaften eine der Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts, die Biotechnologie, auf dem Lehr- und Forschungsplan stehen wird.

Auch auf einem anderen Gebiet moderner Technologieforschung wird diese Universität wichtige Beiträge leisten. Ich meine das Gebiet der regenerativen Energieträger. Ägypten hat mit Wind, Sonne und Nilwasser geradezu ideale Voraussetzungen für die Nutzung erneuerbarer Energien. Die ägyptische Regierung hat bereits sehr viel getan, um das wertvolle Potential an Wasser- und Windkraft, das es hier gibt, zu erschließen und die Erschließung zu unterstützen. Wir sind dabei, das auch und gerade auf die Solarenergie auszudehnen. Damit wird der Beitrag Ihres Landes, Herr Ministerpräsident, zum Klimaschutz deutlich. Er verdient höchste Anerkennung. Gemeinsam mit Industrie und Nicht-Regierungsorganisationen, wird meine Regierung Ägypten, wie schon in der vergangenen Zeit, tatkräftig zur Seite stehen.

Die Wissenschaft kann der Gesellschaft bekanntlich die Entscheidungen nicht abnehmen. Aber sie kann Klarheit über die Entscheidungsgrundlagen vermitteln und damit das Bewusstsein für Verantwortung wecken. Das ist die große Chance dieser Universität, ihrer Forscher, Lehrer und Lernenden, dass sie möglichst viele andere am Wissen teilhaben lassen, damit sie rationale Entscheidungen treffen können, die zu mehr Wohlstand und mehr Gerechtigkeit in unseren Gesellschaften führen. Eine aufgeklärte wissenschaftliche Führungsschicht, die in die Gesellschaft hinein wirkt und für das Gemeinwohl Verantwortung übernimmt, ist ein mächtiger Verbündeter im Kampf gegen Fanatismus, Ideologie und Demagogie.

Für die Zukunft gerade eines Landes wie Ägypten, aber auch Deutschlands, ist es entscheidend, dass möglichst viele Menschen Zugang zu hochwertiger Bildung bekommen. Es ist die Basis, aber auch der Inhalt von Demokratie, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklung, dass die Menschen ihre Begabungen und Fähigkeiten frei zu ihrem eigenen Wohle und zum Wohle der Gesellschaft entfalten können. Den wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Führungskräften von morgen kommt in diesem Entwicklungs- und Reformprozess eine besondere Bedeutung zu.

In den ohnehin engen Beziehungen zwischen Ägypten und Deutschland wird die Deutsche Universität Kairo ein weiterer und ein außerordentlich starker Pfeiler sein. Der Universität und allen ihren Angehörigen wünsche ich einen guten Start und viel Erfolg für ihre zukünftige Arbeit.

Aber bei den Wünschen soll es nicht bleiben. Als Anerkennung für das Geleistete und als Ansporn für die Zukunft stifte ich für die Jahre 2003 bis 2006 jeweils zehn Preise für herausragende Studierende. Die Preisträger erhalten je ein Stipendium für einen Hochschulsommerkurs in Deutschland. Ich bin sicher, sehr geehrter Herr Professor Abdel-Kader, dass es an geeigneten Kandidatinnen und Kandidaten an dieser Universität nicht mangeln wird, und ich freue mich bereits, dass diese jungen Menschen in Deutschland studieren werden.