Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 07.10.2003

Untertitel: Rede von Bundeskanzler Gerhard Schröder anlässlich der Eröffnung des Gipfels der arabischen Medien zum Thema "Krieg und die Medien" am 7. Oktober 2003 in Dubai
Anrede: meine sehr verehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/79/537979/multi.htm


Hoheit, Exzellenzen,

Ich danke Ihnen, Hoheit, für die Einladung, den diesjährigen arabischen Mediengipfel eröffnen zu können. Das ist eine große Ehre für mich, und ich habe das sehr gerne getan.

Die Vereinigten Arabischen Emirate sind ein hoch effizientes und ein modernes Land, geprägt von Dynamik und von Aufbruch. Wer, wie ich, zum ersten Mal durch die großen Städte der Vereinigten Arabischen Emirate fährt, der kann sehen, was sich in diesem Land bewegt hat und was in diesem Land in den letzten 20 Jahren geleistet worden ist. Ich hatte gestern Gelegenheit, ein sehr intensives Gespräch mit dem Präsidenten dieses Landes zu führen und habe gespürt, wie sehr er sich nicht nur der Aufgabe widmet, das Land voranzubringen und zwischen Moderne und Tradition eine Brücke zu schlagen, sondern wie sehr er sich auch der Aufgabe verpflichtet fühlt, einerseits den erwirtschafteten Reichtum seines Landes gerecht einzusetzen und zum anderen dafür zu sorgen, dass die natürlichen Lebensgrundlagen erhalten bleiben.

Diese Dynamik gilt auch für den Mediensektor. Das Emirat Dubai ist inzwischen zu einem bedeutenden Medienzentrum geworden, übrigens nicht nur für den arabischen Raum, sondern auch weit darüber hinaus. Journalisten verfügen in Dubai über eine hervorragende Infrastruktur, und sie können vor allen Dingen frei von Beschränkungen arbeiten. Das ist, wie wir alle wissen, die bedeutendste Voraussetzung für journalistische Arbeit.

Von hier aus werden im Übrigen auch Programme dorthin gesendet, wo die Arbeitsbedingungen von Journalisten nicht so sind, wie sie sein sollten, wo Meinungen auch unterdrückt werden. Das ist von großer Bedeutung für uns alle, denn eine freie Berichterstattung mobilisiert auch die Entwicklungsmöglichkeiten für jede Gesellschaft. Eine freie Berichterstattung ist Voraussetzung dafür, dass die Menschen nicht nur am erarbeiteten Wohlstand, sondern auch an der Meinungsbildung und an den Entscheidungen in der Gesellschaft teilhaben können. Ich finde es übrigens bemerkenswert, dass hier auch die Rolle der Frauen in den Medien betont wird.

Zugleich fördert eine freie und qualitativ hochwertige Aufklärung durch die Medien die Toleranz und das Verständnis für andere Kulturen und Lebensweisen. Auch das ist wichtig - gerade bei krisenhaften Entwicklungen in der Welt. Verständnis für die unterschiedlichen Lebensweisen, geprägt durch unterschiedliche Traditionen, Verständnis und Toleranz gegenüber unterschiedlichen Religionen, ist gewiss eine Bedingung dafür, dass Konflikte gelöst werden können und ein Mehr an Stabilität in der Region einkehrt. Damit wird auch ein Mehr an Stabilität für die ganze Welt erreicht.

Arabische Medien nutzen mit großem Erfolg die Chancen, die sich durch die Kommunikationstechnologien und die Stärke einer weit verbreiteten Sprache ergeben. Viele Fernsehzuschauer können zum Beispiel wählen, ob sie Sender aus Marokko, Ägypten, dem Libanon oder auch aus Dubai einschalten. Dieser Wettbewerb unter den arabischen Sendern ist aus meiner Sicht ein wichtiger Beitrag zur Stärkung der demokratischen Entwicklung und zur Festigung dessen, was in den letzten Jahren und Jahrzehnten erreicht worden ist.

Aber es ist natürlich auch eine Herausforderung. Es ist eine Herausforderung an die Regierenden, die sich mit - gelegentlich sogar unsachlicher - Kritik auseinander setzen müssen. Es ist eine Herausforderung an die gesellschaftlichen, kulturellen und religiösen Eliten, die ihre Wertvorstellungen und ihre Ideen des sozialen Zusammenlebens gegen andere, eben über die Medien verbreitete Entwürfe verteidigen müssen. Das werden sie nur dann können, wenn diese Vorstellungen gewissen universellen Wertvorstellungen entsprechen. Dieser Wettbewerb ist nicht zuletzt auch eine Herausforderung an die Medien selbst, die von der ihnen eingeräumten oder ihnen einzuräumenden Freiheit in verantwortlicher Weise Gebrauch machen sollen und sich eben nicht demagogisch und agitatorisch verhalten dürfen.

Für die Politik wie für die Medien gilt: Wir dürfen nicht zulassen, dass ein Keil zwischen die arabische und die westliche Welt getrieben wird. Sie werden verstehen, dass ich mich als deutscher Bundeskanzler sehr darüber freue, dass unser deutsches Auslandsfernsehen, die Deutsche Welle, mit Abu-Dhabi-TV einen starken und angesehenen Partner in der arabischen Welt gefunden hat. Gestern haben beide Sender eine strategische Vereinbarung unterzeichnet. Die tägliche Zusammenarbeit wird - darin bin ich mir ganz sicher - dem Verständnis unserer beider Kulturen dienen und zu noch mehr Respekt vor eben diesen kulturellen Errungenschaften beitragen, als ohnehin schon vorhanden ist.

In der nächsten Woche wird es in unserer Hauptstadt Berlin einen weiteren deutsch-arabischen Mediendialog geben. Für diesen Dialog bringen Beauftragte der Bundesregierung bereits seit vielen Jahren regelmäßig arabische und deutsche Medienvertreter zusammen. Anfang nächsten Jahres wird dieser Dialog in Abu Dhabi stattfinden. Die Bundesregierung ist weiterhin sehr an dieser Art des freien Meinungsaustausches interessiert. Dabei geht es um inhaltliche und politische Fragen, aber auch um die jeweiligen Arbeitsbedingungen der Journalisten und auch der Medienmacher. Wir sind davon überzeugt, dass solche Dialoge ein gutes Forum sind, um gegenseitige Vorurteile abzubauen, aber eben auch, um einander zu helfen. Dies liegt vor allem im Interesse besserer Information, von der die Gesellschaften überall profitieren können.

Die arabische und die westliche Welt blicken auf eine lange und auch gemeinsame Geschichte zurück. Der zivilisatorische Beitrag der islamischen Kultur ist bis heute an vielen Orten Europas zu spüren. Genau an diese Tradition gilt es nicht nur zu erinnern, sondern an diese Tradition gilt es auch - insbesondere in Krisenzeiten - anzuknüpfen. Denn uns verbinden gemeinsame Werte: Der Wunsch nach Frieden, nach Gerechtigkeit und eben auch nach Toleranz.

Ich halte das für besonders wichtig; denn genau wie in Europa steht die Politik auch in Ihren Ländern vor der schwierigen Aufgabe, Sicherheit und damit Stabilität nicht nur im Ökonomischen, sondern auch im Politischen zu garantieren. Veränderungen, wie sie unter den Vorzeichen der Globalisierung immer rascher vonstatten gehen, können viele Menschen verunsichern, ja, ängstigen, und dies kann sie für Ideologen und Fanatiker empfänglich machen.

Deshalb gilt, wenn wir den Blick in die Region richten, auch für den Irak: Die Schaffung einer freien Medienlandschaft muss wesentlicher Bestandteil des demokratischen Wiederaufbaus sein. Darüber hinaus brauchen die Menschen im Irak eine politische und wirtschaftliche Perspektive. Wir - damit meine ich die gesamte Staatengemeinschaft - haben ein Interesse am raschen Wiederaufbau des Landes, weil er Voraussetzung für die Stabilität in der Region ist. Aber genauso klar muss sein: Dazu braucht man einen realistischen Zeitplan für die schrittweise Übergabe der Regierungsverantwortung an die irakischen Instanzen und Institutionen. Ein solcher Zeitplan muss als zentrale Wegmarken die Ausarbeitung einer Verfassung und die Abhaltung freier Wahlen zum Inhalt haben. Vor allem müssen die Vereinten Nationen in diesem Prozess eine tragende Rolle spielen.

Mein Land ist bereit - unabhängig von der Frage, wie es zur Notwendigkeit des Krieges stand, und die Position Deutschlands ist Ihnen bekannt - , seinen Beitrag bei der humanitären und technischen Hilfe zu leisten. Wir wollen zudem durch die Ausbildung irakischer Sicherheitskräfte zur Verbesserung der Sicherheitslage beitragen. Die arabischen Staaten bleiben als räumliche und kulturelle Nachbarn des Irak aufgerufen, in ihrem Engagement nicht nachzulassen.

Als führende Vertreter internationaler Medien tragen Sie eine herausragende Verantwortung. In der Flut der täglichen Bilder und Meldungen brauchen die Menschen Lotsen, und sie brauchen auch Interpreten. An den Medien liegt es, dieser Rolle mit der gebotenen Sachlichkeit und Nüchternheit nachzukommen. Ich weiß natürlich, dass das nicht immer einfach ist, ganz besonders für diejenigen unter Ihnen, die von den Plätzen kriegerischer Auseinandersetzungen zu berichten haben. Aber ich denke, diese zweitägige Konferenz wird den professionellen Austausch zwischen Ihnen fördern und Sie von den Erfahrungen Ihrer Kollegen profitieren lassen.

Dabei ist mir eines wichtig: Medien können Feindbilder abbauen. Damit leisten sie auch einen spezifischen Beitrag zur Überwindung des Nahostkonfliktes und beim Kampf gegen Terror und Gewalt. Gerade die Medien können durch die Wahl der Worte, durch die Auswahl der Bilder und der Themen helfen, einen Ausweg aus der Gewaltspirale aufzuzeigen. Es ist Ihre Berichterstattung, die die Einsicht wachsen lassen kann, dass viele Probleme eben nicht durch Gewalt, sondern nur durch internationale Zusammenarbeit bewältigt werden können.

Dabei können gerade grenzüberschreitende Sender das Zusammengehörigkeitsgefühl der Menschen fördern. Ich freue mich deshalb, dass es im arabischen Raum hoffnungsvolle Ansätze für eine verstärkte und auch regionale Kooperation gibt. Die Europäische Union sucht starke Partner und ist daher sehr an der Weiterentwicklung des Golfkooperationsrates und anderer Regionalorganisationen interessiert. Die Europäer hoffen, dass auch die Völker des Nahen und Mittleren Ostens bald - ähnlich wie wir - die Aussöhnung einstmals verfeindeter Staaten werden erleben können. Das geeinte Europa ist kein Modell für andere in dem Sinne, dass man es einfach kopieren könnte. Aber nach Jahrhunderten grausamer Auseinandersetzung weist es vielleicht einen Weg, wie es durch Partnerschaft, durch Zusammenarbeit im Ökonomischen und Politischen und im Respekt vor nationalen Eigenständigkeiten und kulturellen Traditionen gehen könnte.

Wir sollten versuchen, auch für diese Region gemeinsam auf die Realisierung eines solchen Zieles hinzuarbeiten, jeder in seinem Wirkungskreis. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass den Medien dabei eine besondere Verantwortung zukommt.