Redner(in): Rolf Schwanitz
Datum: 11.11.1999

Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/49/11849/multi.htm


Rede von Staatsminister Rolf Schwanitz, Beauftragter der Bundesregierung für Angelegenheiten der neuen Länder, vor dem Bundestag in der Debatte zum "Jahresbericht 1999 der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit" am 11. November 1999

Genau vor einem Jahr hat Bundeskanzler Schröder seine erste Regierungserklärung nach dem Regierungswechsel abgegeben. Der Titel war "Weil wir Deutschlands Kraft vertrauen".

Deutschlands Kraft ist vor allem die Kraft der Menschen im vereinigten Deutschland, ihre Leistungsfähigkeit, ihre Kreativität und nicht zuletzt ihre Bereitschaft zur Solidarität.

Leistungsfähigkeit, Kreativität und Solidarität sind auch die Schlüsselbegriffe für die großen Aufbauleistungen, die vor allem die Menschen in den neuen Ländern erbracht haben. Die Fortsetzung des Prozesses der Angleichung der Lebensverhältnisse in ganz Deutschland ist deshalb eine lohnende Investition in die Zukunft des ganzen Landes.

Diese Bundesregierung lässt sich an dem messen, was sie versprochen hat. Versprochen haben wir: Der Aufbau Ost hat Priorität. Dieses Versprechen haben wir eingelöst. Im Bundeshaushalt 1999 und 2000 wird der wirtschaftliche und infrastrukturelle Aufbau, wird die aktive Arbeitsmarktpolitik stärker gefördert als zuvor unter der Regierung Kohl.

Die Kassandrarufe der Opposition, die Arbeitsmarktpolitik würde zusammengekürzt, sind widerlegt. Im Gegenteil, nach 1999 haben wir die Leistungen im nächsten Jahr für den Osten nochmals gesteigert.

Unser Ziel ist, dafür über 21 Milliarden Mark bereitzustellen. Das bedeutet konkret: Das Auf und Ab der Arbeitsmarktpolitik der Regierung Kohl ist endgültig beendet. Die Förderzahlen bei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, bei Strukturanpassungsmaßnahmen liegen im Jahresdurchschnitt sogar über den Zahlen des Wahlkampfjahres 1998. Das ist verantwortete Politik für arbeitslose Menschen, Sicherheit statt Wechselbäder, sehr verehrte Damen und Herren.

Wir haben, wie versprochen, die Förderpräferenzen für die neuen Länder gesichert und die Förderung zielgenauer gestaltet, um mit gleichem Geld mehr zu bewirken.

Die Stichworte dafür lauten: 40 % der Mittel des Sofortprogramms gegen Jugendarbeitslosigkeit fließen in die neuen Länder. Ich werde dafür sorgen, dass das auch im nächsten Jahr so bleibt.

Das Ergebnis ist, dass der Ausbildungskonsens, der im Rahmen des Bündnisses für Arbeit vereinbart wurde, jedem ausbildungsplatzsuchenden Jugendlichen eine Perspektive zu bieten, kein leeres Versprechen bleibt, sondern für die jungen Menschen zu einem Stück erfahrbarer Politik wird.

Wir haben im Rahmen der Verhandlungen über die Finanzverteilung in der Europäischen Union erreicht, dass die Förderpräferenzen der neuen Länder im europäischen Vergleich nicht nur gesichert werden, sondern die Mittel sogar um 700 Millionen pro Jahr aufgestockt werden. Und wir haben die Interessen der ostdeutschen Landwirtschaft bei diesen Verhandlungen in einem Umfang gewahrt, wie es selbst die Regierungen der neuen Länder nicht erwartet hatten.

Und ein letztes Beispiel: Der Infrastrukturausbau bei Verkehr, Wohnen und Städtebau wurde von uns für die nächsten Jahre auf eine sichere und planbare Grundlage gestellt.

An die Stelle Ihrer Luftbuchungen im Verkehrswegeplan stellen wir ein verlässliches und in der Finanzplanung abgesichertes Investitionsprogramm Verkehr. Rund 50 % der gesamten Mittel fließen in die neuen Länder. Darin enthalten: ein Sonderprogramm Ost, das für die Wirtschaft der neuen Länder bedeutsame Projekte beschleunigt fertigstellt.

Sie von der Opposition haben zu Ihrer Zeit die Altschuldenhilferegelung für die ostdeutschen Wohnungsunternehmen nach langem Zögern verabschiedet. Wir haben nach dem Regierungswechsel durch notwendige Erleichterungen bereits 1000 ostdeutschen Wohnungsunternehmen einen Freistellungsbescheid erteilt, damit es mit den Investitionen weiter vorangeht: wohnungspolitisch bei der Erneuerung des Bestandes, ökologisch bei der Modernisierung und beschäftigungssichernd im Baugewerbe. Das ist eine wirkliche Erfolgsbilanz, auf die wir stolz sein können, meine sehr verehrten Damen und Herren!

Die Beispiele ließen sich fortsetzen. Vom Aufbauprogramm Kultur bis zur Sportförderung. Das schüttelt man doch nicht alles aus dem Ärmel.

Und da kommen Sie und fragen: Wo ist die Chefsache Ost? Meinen Sie etwa, das alles sei eine Selbstverständlichkeit? Ein Selbstläufer, angesichts der von Ihnen ruinierten Bundesfinanzen? Wenn wir im Haushalt 2000 30 Milliarden DM einsparen müssen, um die Staatsfinanzen wieder auf Kurs zu bringen? Nein, das muss man in jeder Regierung durchboxen. Und Sie wissen das auch ganz genau. Genauso wie die Wirtschaftsminister der neuen Länder, die auf ihrer letzten Konferenz ausdrücklich und dankbar festgestellt haben, dass der Aufbau Ost trotz dieser schwierigen Lage Priorität behalten hat. Und genau das ist die Wahrheit.

Die Menschen in den neuen Ländern können sich darauf verlassen, dass wir auch weiterhin ein Aufbaukonzept umsetzen, das die besonderen Probleme der neuen Länder aufgreift und Antworten auf Zukunftsfragen gibt.

Ostdeutschland ist mittlerweile, nach 10 Jahren, ein integraler Teil der gesamtdeutschen Wirtschaft. Deshalb liegt die Antwort auf die wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Ostens in einer Doppelstrategie. Sie liegt einerseits in der Verbesserung der gesamtstaatlichen Rahmenbedingungen hin zu mehr Wachstum und Beschäftigung, so wie wir sie mit dem Zukunftsprogramm 2000 vorgelegt haben.

Sie besteht andererseits in einer besonderen Politik im Interesse der Zukunft des Ostens.

Das Zukunftsprogramm 2000 schafft nicht nur die finanziellen Voraussetzungen für die weitere Unterstützung des Ostens in den nächsten Jahren. Die von uns vorgesehene Unternehmenssteuerreform, die Abgabensenkung bei den Lohnnebenkosten und auch die Entlastung von Familien sowie kleinen und mittleren Einkommen sind gerade wichtig für Ostdeutschland. Dies führt zu größeren Spielräumen für die Unternehmen und zu zusätzlicher Nachfrage durch die Bevölkerung. Das ist zutiefst im Interesse der neuen Länder und deren Bürgerinnen und Bürgern.

Neben dem Zukunftsprogramm 2000 steht unser Aufbaukonzept für Ostdeutschland. Es verbessert infrastrukturelle Bedingungen, gleicht Standortnachteile aus und verbessert die Innovationsfähigkeit der Wirtschaft.

In den ostdeutschen Städten und Gemeinden, bei der Innenstadtsanierung, bei der Modernisierung der Wohnungssubstanz gibt es in den nächsten Jahren noch viel zu tun. Deshalb war es richtig, das zentrale Förderinstrument für die Sanierung des Wohnungsbestandes, das KfW-Wohnraummodernisierungsprogramm, anders als von der Vorgängerregierung geplant, nicht in diesem Frühjahr auslaufen zu lassen. Die Bundesregierung hat 1999 mit 9 Mrd. DM die Fortsetzung des Programms ermöglicht und mit einer Summe von 10 Mrd. DM wird gemeinsam mit den neuen Ländern ein Wohnraummodernisierungsprogramm II für die nächsten 3 Jahre auf den Weg gebracht. Das bedeutet auch eine Stabilisierung von Tausenden von Arbeitsplätzen in der Bauwirtschaft und im ostdeutschen Handwerk. Dieser politische Einsatz war nicht nur richtig, er war eine gute Entscheidung für den Osten, sehr verehrte Damen und Herren.

Unsere Entscheidung, bei der Investitionszulage künftig zwischen Erst- und Ersatzinvestition zu unterscheiden, schafft nicht nur freie Fahrt in Brüssel für dieses wichtige Gesetz, was eigentlich die Vorgängerregierung hätte leisten müssen, aber vier Jahre lang nicht fertiggebracht hat. Nein, durch diese Veränderung und die damit verbundene Erhöhung der Investitionszulage für Erstinvestitionen um 25 % werden auch Mitnahmeeffekte verringert. Vor allem aber setzen wir stärkere Anreize auf Zukunftsinvestitionen, auf die Investition in neue Erzeugnisse und neue Technologien und Verfahren. Denn gerade das braucht der Osten am nötigsten.

Von zentraler Bedeutung für die Zukunft des Ostens ist aber noch etwas anderes: nämlich die regionale Profilbildung für den weiteren Aufbau Ost, die stärkere Förderung und Entwicklung regionaler Entwicklungspotentiale.

Viele Regionen Ostdeutschlands haben sich über besondere Profilbildung zu Kompetenzzentren entwickelt: Der Raum Potsdam ist heute ein Synonym für ein Netzwerk zukunftsorientierter Unternehmen der Medien und Telekommunikationswirtschaft. Allein auf dem ehemaligen Gelände der DEFA arbeiten mittlerweile wieder mehr Mitarbeiter als vor 1990. Weit über 3.000 Fachkräfte.

In Dresden und Freiberg sind neue Hochtechnologiestandorte der Mikroelektronik entstanden, die bis heute 350 neue innovative Unternehmen angezogen haben.

Um das thüringische Institut für Textil- und Kunststoffforschung in Rudolstadt-Schwarza haben sich bereits 50 innovative Unternehmen niedergelassen.

Solche und ähnliche regionale Entwicklungsprofile zu schaffen und Innovationspotentiale vor Ort zusammenzuführen, ist die eigentliche Aufgabe der Zukunft. Deshalb investieren wir gezielt in die regionalen Stärken. Und auch das ist eine richtige Entscheidung, sehr verehrte Damen und Herren.

Dafür ist unser neues Programm "InnoRegio" nicht nur ein neuer Förderansatz, der sich durch seinen Wettbewerbscharakter vom Gießkannen-Prinzip verabschiedet und eine enorme Multiplikatorenwirkung für viele parallele innovative Prozesse erzeugt. Nein, wir zielen damit auch und gerade auf eine Grundvoraussetzung für die Entwicklung der ostdeutschen Unternehmen, die vor allem aus den kleinen Betriebsstrukturen erwächst: nämlich auf den Aufbau von Netzwerken und hilfreichen Verbindungen und Kooperationen untereinander. Gerade diese Netzwerke, die das Engagement von Unternehmen, Hochschulen, öffentlicher Verwaltung und sonstige Privatinitiativen zusammenführen, sind für kleine und mittelständische Unternehmen lebensnotwendig. Wir werden deshalb in den nächsten Jahren 25 Modellprojekte voranbringen und setzen hierfür rund eine halbe Mrd. DM ein. Das ist gut verwendetes Geld, denn es wird in die Zukunft der Menschen und in die Zukunft der ostdeutschen Unternehmen investiert.

Deshalb investieren wir in die Ausbildung, in die Hochschulen, in die Zukunft der Regionen. Ebenso wichtig ist es uns, die Gründung von technologieorientierten Unternehmen zu fördern. Deshalb werden wir das von der alten Regierung nur bis 1999 vorgesehene Programm "FUTOUR" bis 2003 verlängern. Auch das ist eine gute Nachricht für den Standort Ostdeutschland.

Dafür, dass die Bundesregierung seit 1998 die richtigen Schritte gegangen ist und sich auf dem richtigen Kurs befindet, spricht auch das Herbstgutachten der Wirtschaftsinstitute. Sie haben der gesamtwirtschaftlichen Produktion in Ostdeutschland für das nächste Jahr zum ersten Mal wieder ein gleich großes Wachstum wie in den alten Ländern vorhergesagt. Dies ist ein großer Schritt nach vorn, nachdem in den Jahren 1997 und 1998 nur der Osten langsamer gewachsen ist und der Spalt zwischen Ost und West sich wieder geöffnet hatte. Und ich nehme die Aufforderung der Institute an die Bundesregierung gerne an, an unserem bisherigen Kurs gegenüber Ostdeutschland festzuhalten, denn dies ist Beleg für eine richtige Entwicklungsrichtung.

Ja, wir sind auf dem richtigen Weg, und werden ihn deshalb entschlossen fortsetzen.