Redner(in): Christina Weiss
Datum: 10.10.2003

Untertitel: Kulturstaatsministerin Weiss eröffnete im Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie eine Ausstellung mit Medienkunst aus der Sammlung Goetz.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/24/538924/multi.htm


es ist mir eine große Freude, heute eine Ausstellung zu eröffnen, die eine hervorragende Sammlung von Medienkunst an einem profilierten Ort der Kunst und der Medien vorstellt. Zwei Wegbereiter finden zueinander. Denn dass sie neuer Kunst Wege eröffnet haben, gilt für beide - für die Sammlerin Ingvild Goetz ebenso wie für den Leiter des Zentrums für Kunst und Medientechnologie, Peter Weibel.

Beider Wege verlaufen nicht parallel, sondern durchaus in verschiedene Richtungen. Um so spannender ist es, den Kreuzungspunkt der Wege etwas genauer zu betrachten.

Kunst stand und steht immer dann im Brennpunkt, wenn sie der Schauplatz eines Streits wird. Sei es, weil es Künstlern gelingt, die Differenzen der Welt aufzugreifen. Oder weil sich der Streit zwischen den Künsten entfaltet.

Mit dem Paragone, dem Streit zwischen den Künsten der Architektur, der Bildhauerei und der Malerei, beginnt die klassische Kunst der Neuzeit. Es war ein Streit um Medien, aber auch um Aufträge und um den Status des Künstlers.

Ein solcher Streit muss schwelen. Ein Streit in einer Debatte um künstlerische Prozesse ist immer wirksam, meist sogar fruchtbar. Es kommt darauf an, einen solchen Streit auf die richtige Weise auszufechten.

Wenn ab heute die Sammlung Goetz mit einem Teil ihrer Werke im ZKM zu Gast ist, erhält der Streit einen Schauplatz. Ich möchte den Konflikt an zwei Linien kurz nachzeichnen.

Die erste betrifft die Medien und die Kunst. Zwischen beiden gab es nie eine wirkliche Grenze. Kunst arbeitet immer in und mit einem Medium. Der Begriff "Medienkunst" drückte daher von Anfang an etwas Selbstverständliches aus. Ohne es wirklich zu benennen, setzt er eine historische Zäsur, er macht die Unterscheidung zwischen alten und neuen Medien stark.

Die Lage hat sich geändert. Heute wechseln Künstler souverän zwischen neuen und alten Medien. Sie fotografieren, filmen und malen. Sie schrecken nicht davor zurück, parellel mit dem Internet und mit Ölfarben zu arbeiten. Der Unterschied zwischen alten und neuen Medien taugt nicht länger als Fundament für eine Gattungsbezeichnung der Kunst.

Bei diesen Einwänden dürfen wir eines nicht vergessen. Es war ein langer Kampf, die Kunst den neuen Medien zu öffnen. Der Erfolg verdankt sich ganz maßgeblich Institutionen wie dem Zentrum für Kunst und Medientechnologie.

Zum zweiten Streitpunkt. Er betrifft ebenfalls die Kunst und die Medien, allerdings unter einem anderen Aspekt. Kultur in den Medien fällt nur zum geringsten Teil unter die Rubrik "Kunst". Mediale Kultur kursiert in anderen Kanälen. Sie unterliegt anderen ökonomischen Bedingungen und entsteht in anderen sozialen Betriebssystemen als Kunst. Die reichhaltige und breite kulturelle Produktion in den Medien wirft unweigerlich die Frage nach dem Stellenwert der Kunst auf. Wenn nicht sogar die Frage nach ihrer Existenzberechtigung. Wozu Kunst in und mit Medien, wenn die Medien ihre eigene Kultur hervorbringen und ihre eigenen Maßstäbe der Qualität setzen?

Dagegen sage ich, dass es sehr gute Gründe gibt, Medienkunst zu erhalten und zu fördern.

Im Kern geht der neue Streit nicht um Medien. Es handelt sich nicht um einen Paragone im alten Stil. Es geht nicht darum, einzelne Medien oder Künste gegeneinander auszuspielen. Strittig ist das Verhältnis der Kunst zu Medien. Und strittig ist ebenfalls die Position der Kunst zur medialen Kultur.

Die wenigsten der in der Ausstellung vertretenen Künstler würden sich als "Medienkünstler" bezeichnen. Sie definieren ihre künstlerische Position nicht durch den Umgang mit bestimmten Medien. Statt dessen verfügen sie souverän über ein Repertoire unterschiedlichster Technologien. Das Medium definiert nicht mehr den Ausgangspunkt eines Werks. Es wird taktisch gebraucht.

Auch der Schwerpunkt der Sammlung Goetz liegt nicht bei der "Medienkunst". Es geht um eine Weltsicht, um das Verhältnis zwischen Aussage und Material und Medium. Darum, wie Jean-Christophe Ammann sagt,"das Grenzenlose aus der eigenen Begrenztheit heraus entgrenzen."

Im Vordergrund der Sammlung Goetz stehen inhaltliche und thematische Interessen der Sammlerin. Feministische Positionen spielen ebenso eine Rolle wie künstlerische Aussagen zu sozialen und politischen Verhältnissen. Dass nun ausgewählte Werke der Sammlung Goetz als Medienkunst gezeigt werden können, hängt schlicht und einfach mit dem taktischen Einsatz verschiedenster Techniken zusammen. Künstler, die sich der Welt öffnen, verschließen sich nicht den Medien.

Das hat für das Verhältnis von Kunst zur medialen Kultur grundlegende Auswirkungen. Auch wenn der künstlerische Einsatz von Medien selbstverständlich geworden ist, bleibt doch ein wesentlicher Unterschied zwischen Kunst und medialer Kultur. Kunst unterliegt einer anderen Ökonomie. Sie ist nicht nach Quoten, Verkaufszahlen, Marketing-Vorgaben und Werbeeinnahmen ausgerichtet. Zwar wirken auch im Kunstbetrieb eigene, oft versteckte und dennoch durchaus effektive Zwänge. Entscheidend aber ist, dass sie von denen der Medienkultur abweichen. Es ist die Andersheit der Kunst, die sie befähigt, der ökonomisch kontrollierten Kultur der Medien souverän gegenüber zu treten.

Beides - der taktische Gebrauch der Medien und die Souveränität der Kunst gegenüber der Medienkultur - zeigt sich beispielhaft an den Werken der Sammlung Goetz. Damit weisen sie der Kunst in einer von Medien bestimmten Welt einen Weg.

Ich wünsche dieser Ausstellung offene Besucher und einen erfrischenden Streit. Vielen Dank!