Redner(in): Christina Weiss
Datum: 03.11.2003
Untertitel: Gemeinsam mit dem französischen Kulturminister Jean-Jacques Aillagon hat Kulturstaatsministerin Weiss am 3. November 2003 im Institut Lumière in Lyon ein zweitägiges Treffen von rund 200 Produzenten, Regisseuren und Filmschaffenden aus Deutschland und Frankreich eröffnet.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/13/552413/multi.htm
ich freue mich, dass wir uns heute hier versammelt haben. Doch, und da sollten wir ehrlich sein, eine besonders originelle Idee ist das nicht. Ein Treffen von deutschen und französischen Filmschaffenden ist so naheliegend, dass man sich eigentlich fragen müsste, warum es erst jetzt dazu kommt.
Um zu bemerken, wie naheliegend unsere Zusammenkunft ist, braucht man nur auf den Ort zu schauen, an dem wir uns begegnen. Wir befinden uns in der ehemaligen Villa der Familie Lumière, deren bekannteste Mitglieder Auguste und Louis sind. 1895 führten die beiden Brüder in Paris erstmals einen Film vor, weshalb sie zumindest in Frankreich als die Erfinder des Kinos gelten. Im selben Jahr brachten jedoch auch zwei andere Brüder erstmals die Bilder zum Laufen. Das waren Max und Emil Skladanowsky, und die lebten und arbeiteten in Berlin. Und so keimte in Zeiten, da der Gedanke an Freundschaft zwischen unseren Länder noch fern lag, ein Kulturstreit auf. Aufgrund der Tatsache, dass die Berliner Vorführung im November, die Pariser Vorführung hingegen im Dezember 1895 stattgefunden hatte, blieb die Frage umkämpft, wer denn nun das Kino erfunden hatte.
Doch dieser Streit nährte sich an Daten und nicht an der Vision. Heute wissen wir, dass eine Antwort auf die Frage, wer das Kino "erfunden" hat, erstens unmöglich und zweitens völlig unproduktiv ist. Das Kino ist kein technischer Apparat, den irgendjemand zuerst gebaut hat. Das Kino ist vielmehr ein Kulturgut, das sich entwickeln musste und dabei immer auf Gemeinschaft, auch auf Gemeinsinn angewiesen war. Thomas Edison, der ja auch häufig genannt wird, wenn man nach den Erfindern des Kinos sucht, auch Thomas Edison hatte für sein Projektionsverfahren, das er 1891 patentieren ließ, bereits vieles erfunden, was heute noch gebräuchlich ist. Edisons Kinetoscope jedoch verfügte über einen entscheidenden Nachteil: Es handelte sich um einen Guckkasten für nur eine Person. Das, was sich später als Kino durchsetzen sollte, lebte aber gerade von dem Seherlebnis in der anonymen Gemeinschaft des dunklen Vorführsaales. Genauso wie die Produktion eines Filmes - im Gegensatz zu anderen Künsten - immer das Werk vieler war. Aber das brauche ich Ihnen ja nicht zu erklären.
Ich möchte Ihnen an diesem geschichtsträchtigen Ort damit nur eines verdeutlichen: Von heute aus betrachtet sollten wir uns die Gebrüder Lumière und die Gebrüder Skladanowsky nicht als Konkurrenten vorstellen, sondern als Pioniere, die beide zusammen entscheidenden Anteil an der Ausprägung des Kinos hatten.
Man könnte also sagen, dass das Miteinander zwischen französischem und deutschem Film von Beginn an bestand. Tatsächlich aber bedurfte es einer starken Persönlichkeit, um unsere Zusammenkunft heute möglich zu machen. Eines Menschen, der unermüdlich in Sachen Filmindustrie engagiert war, weil Kino für ihn Kunst bedeutete. Eines Visionärs, der sich nicht, wie von Hollywood praktiziert, dem Druck des Marktes beugte, sondern fest daran glaubte, dass nationale Kinematographien ein wichtiger Beitrag für die kulturelle Identität eines Landes sind. Sie wissen, von wem ich spreche: Daniel Toscan du Plantier, der als Initiator die Idee zu unserem Treffen in die deutsch-französische Filmakademie eingebracht hat.
Daniel Toscan du Plantier war ein Botschafter im besten Sinne. Bereits als Produzent bei der Gaumont beschränkte sich seine Arbeit nicht auf seine Heimat. Toscan du Plantier ermöglichte Filme von Regisseuren, die alle zur hohen Wertschätzung des europäischen Kinos beigetragen haben: Bergman, Fellini und Tarkowski genauso wie Pialat und Fassbinder, Herzog oder Truffaut, um nur einige zu nennen. Als Präsident der Unifrance hat er später eine Filmpolitik betrieben, die eine Stärkung des französischen Filmes zum Ziel hatte. Im Ausland wirkte Toscan du Plantier als Aushängeschild des französischen Kinos, wofür seine Festivalgründungen in aller Welt nur ein Beleg sind. Uns Deutschen, die wir ja eher zur Nüchternheit neigen, begegnete er mit seinem gnadenlosen Enthusiasmus, als es darum ging, eine engere Zusammenarbeit beim Film auf den Weg zu bringen.
Inzwischen sind bei dieser Kooperation mehrere Etappen erreicht - unsere beiden Länder verantworten zusammen den Fernsehsender Arte, wir betreiben in der Deutsch-Französischen Filmakademie einen intensiven Austausch bei der Ausbildung des Filmnachwuchses und auch dieses Treffen hier in Lyon bedeutet nicht die Beweihräucherung eines etablierten Miteinander, sondern vielmehr einen weiteren Anfang. Ich brauche Ihnen nicht mein Bedauern darüber auszudrücken, dass wir bei künftigen Kapiteln unserer Zusammenarbeit, aber gerade auch heute abend auf Daniel Toscan du Plantier verzichten müssen: auf seine Begeisterung, sein Engagement, seine Durchsetzungskraft. Sein plötzlicher Tod auf der diesjährigen Berlinale hat uns alle schwer getroffen.
Aber mit einigem Abstand erscheint mir der Umstand, dass der schillernste Förderer des französischen Kinos ausgerechnet auf dem größten deutschen Filmfestival von uns scheiden musste, wie ein Vermächtnis unserer gemeinsamen Sache: als vehemente Aufforderung zum Weitermachen. In einem französischen Nachruf habe ich damals gelesen, Toscan du Plantiers Abgang sei "eine Art letzte Unterschrift" gewesen,"eine Weise uns zu verlassen, die im völligen Einklang stand mit dem, was sein Leben war." In diesem Sinne sollten wir weiter zusammenarbeiten, als Gemeinschaft in seinem Sinne.
Ein vorzügliches Beispiel für die Idee vom europäischen Kino, wie sie Toscan du Plantier vertreten hat, ist der Film "L'Auberge espagnol - Barcelona für ein Jahr". Die französisch-spanische Koproduktion, die in Frankreich bereits über drei MillionenZuschauer erreicht hat, läuft in der nächsten Woche auch in Deutschland an. Cédric Klapisch ist der Regisseur: Der Film, der ihn bekannt gemacht hat, hieß "Chacun cherche son chat - Und jeder sucht sein Kätzchen". Darin ging es um die nachbarschaftliche Annäherung in einem Pariser Wohnviertel. Jetzt geht es - und das ist eine schöne Entwicklung, wie ich finde - um die nachbarschaftliche Annäherung in Europa: eine spanisch-italienisch-britisch-dänisch-belgisch-deutsch-französische Studenten-WG beim Studienjahr in Barcelona fungiert in dieser Komödie als ideale europäischen Gemeinschaft, in der sich ein jeder frei entfalten kann und vom Esprit der anderen beflügelt wird.
Und wenn wir gerade bei symbolträchtigen Filmen sind, dann möchte ich hier anfügen, wie sehr es mich freut, dass deutsche Filme im Ausland in letzter Zeit wieder gefragter sind. Gerade unsere beiden Länder haben ja in der Vergangenheit die Erfahrung machen müssen, dass ein heimischer Erfolg im Land des anderen nichts zählt. Wobei die Besucherzahlen für deutsche Filme in Frankreich meist noch unter denen für französische Filme bei uns lagen. Das ist zum Glück jetzt anders bei Filmen wie Margarethe von Trottas "Rosenstraße" oder Caroline Links Oscar-Gewinner "Nirgendwo in Afrika". Und vor allem natürlich bei Wolfgang Beckers "Goodbye Lenin", der für das deutsche Kino eine Art "Amélie" ist: ein Identität stiftendes Markenzeichen nationaler Kultur. Lassen Sie mich nach soviel Rückschau jetzt zu einigen Überlegungen Stellung nehmen, die in Frankreich und Deutschland derzeit diskutiert werden. Und um der Ausgewogenheit Rechnung zu tragen, erlauben Sie mir bitte auch, den zweiten Teil meiner Ansprache auf Deutsch zu halten.
Im Zentrum der aktuellen Debatte steht derzeit die Frage, was die Erweiterung der EU kulturpolitisch bedeutet und wie wir die jeweils nationale Filmpolitik stärken können.
In Deutschland geschieht dies durch die momentane Novellierung des Filmförderungsgesetzes, mit der die strukturellen und wirtschaftlichen Bedingungen der deutschen Filmwirtschaft verbessert werden sollen und von der ein positives Signal für die deutsche und europäische Filmpolitik ausgehen kann. In Frankreich führt man nach meinem Eindruck eine Debatte darüber, wie der französische Film vor fremden Einflüssen geschützt werden kann. Ich denke dabei an die momentane Diskussion in der französischen Filmbranche, ob der CNC ( Centre national de Cinematographie ) seine Fördermittel auch an eine französische Filiale der US-Firma Warner geben kann und soll. Anlass dieser Diskussion ist der Film "Un longue dimanche de fiancailles". In beiden Ländern wird überlegt, wie die jeweiligen Rahmenbedingungen für den Film verbessert werden können, indem etwa zusätzliche Finanzquellen gefunden werden: - Bei uns geschieht dies durch das neue FFG, nach dem die Kinoabgabe erhöht wird und die Fernsehsender mehr Mittel zur Verfügung stellen. Allerdings stoßen unsere Bemühungen, die deutschen Medienfonds zu mehr Investitionen in deutsche Produktionen zu bewegen statt nach Hollywood auf Widerstand des Finanzministers. - In Frankreich verhält sich das anders. Hier sollen ab 2004 erhebliche Steuererleichterungen für Medienfonds ( SOFICAS ) gelten sowie eine Befreiung von der Gewerbesteuer für Filmunternehmen, die in Frankreich produzieren. Dies entspricht den großen Anstrengungen, die Frankreich zur Zeit unternimmt, um die Filmindustrie zur Produktion im eigenen Land zu bewegen. Der Fall des Filmes "Colette", der durch den gewaltsamen Tod Marie Trintignants traurige Berühmtheit erlangte, hat die Filmbranche und Politik aufgeschreckt: Es handelt sich um ein typisch französisches Thema, aber gedreht wird in Litauen, weil es dort billiger ist. Interessant für uns sind die Bemühungen Frankreichs, die Abwanderung der französischen Filmindustrie in EU-Mitgliedstaaten mit niedrigeren Produktionskosten, wie etwa nach Osteuropa, dadurch zu verhindern, dass die Filmförderung stärker regionalisiert wird. Hier können die Förderanstalten der französischen Regionen und die der deutschen Bundesländer vorzüglich zusammenarbeiten und vielleicht auch voneinander lernen. Ein gutes Zeichen für diese Zusammenarbeit ist für mich bereits der Umstand, dass diese Veranstaltung von einigen Regionen Frankreichs sowie einigen deutschen Länderförderern mitfinanziert wird. Erfreulich für uns ist auch das EU-Notifizierungsverfahren, das sich auf die Filmförderpolitik aller anderen EU-Mitgliedstaaten auswirkt. Wir alle haben Interesse an einer wettbewerbsfähigen europäischen Filmwirtschaft. Deswegen ist es erfreulich, wenn die EU-Kommission unser FFG-Fördersystem akzeptiert hat, was im kommenden Jahr hoffentlich auch in Frankreich und den anderen EU-Mitgliedstaaten der Fall sein wird. Bei einer Bilanz unserer bisherigen Zusammenarbeit möchte ich schließlich auf zwei Projekte zu sprechen kommen. Ein positives Beispiel für die Kooperation unserer beiden Länder scheint mir die bereits erwähnte Master-class / L'Atelier innerhalb der deutsch-französischen Filmakademie zu sein. Durch den Austausch zwischen der Filmhochschule in Ludwigsburg und La Femis in Paris bekommen die künftigen Produzenten und Verleiher ein Eindruck von der jeweils anderen Filmkultur, werden mit der Breite europäischer Mentalitäten vertraut gemacht und bilden sich auf diesem Wege einen Begriff davon, was es heißt, europäisches Kino zu machen. Etwas problematischer scheint sich dagegen der Minitraité zwischen unseren beiden Ländern entwickelt zu haben. Bei der bisherigen Förderung ist ein spürbares Ungleichgewicht festzustellen, wenn von den bislang 13 geförderten Filmen 9 majoritär französische Produktionen sind bei nur 4 majoritär deutsche Projekten. Hier gibt es also Nachhol- und Diskussionsbedarf zugleich. Wie Sie sehen, gibt es für unser heutiges Treffen - und natürlich den künftigen Austausch zwischen Deutschland und Frankreich - ausreichend Diskussionsstoff. Lassen Sie mich aber auch noch einmal zum Ausdruck bringen, wie sehr es mich freut, dass wir uns heute erstmals in diesem Rahmen versammelt haben. In einer Runde, die die deutsche und die französische Filmbranche in großem Stil zusammenbringt, und zwar nicht nur die Politiker, sondern alle am Entstehen eines Films und seiner Verbreitung Beteiligten. Und wenn ich unserem Treffen unter ein Motto stellen müsste, dann wäre das zum einen das Vermächtnis von Toscan du Plantier. Und zum anderen die Verpflichtung des Instituts Lumière - in doppelter Hinsicht: wegen seiner historischen Bedeutung und seiner heutigen Nutzung, die es zum Musterhaus der Kinokultur machen. Vielen Dank!