Redner(in): Rolf Schwanitz
Datum: 07.11.2003
Untertitel: Rede von Staatsminister Rolf Schwanitz anlässlich der Übernahme der Präsidentschaft des Bundesrates durch den Ministerpräsidenten des Landes Thüringen.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/53/554553/multi.htm
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 17. Oktober Sie, Herr Ministerpräsident Althaus, für das neue Geschäftsjahr zu seinem Präsidenten gewählt. Ich gratuliere Ihnen dazu herzlich. Zugleich darf ich Ihnen die besten Wünsche des Bundeskanzlers und der gesamten Bundesregierung übermitteln.
Ich verbinde meinen Glückwunsch mit dem Angebot auf eine weitere gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Bundesregierung und Bundesrat.
Ebenfalls im Namen des Bundeskanzlers und der gesamten Bundesregierung danke ich Ihnen, Herr Ministerpräsident Böhmer, für die gute Zusammenarbeit während der vergangenen zwölf Monate.
Herr Präsident,
die zurückliegende Amtszeit des Bundesratspräsidenten stand, genauso wie Ihre künftige Amtszeit Herr Präsident Althaus, im Zeichen außergewöhnlicher Herausforderungen und Veränderungen:
Herr Ministerpräsident Böhmer hat in seiner Rede am 17. Oktober auf die politisch bedeutsamen Vorlagen hingewiesen, die der Bundesrat unter der letzten Präsidentschaft beraten hat.
Mit den Arbeitsmarktreformen Hartz I und Hartz II sowie der Gesundheitsreform wurden noch unter Ihrer Präsidentschaft, Herr Ministerpräsident Böhmer, wichtige Strukturreformen behandelt und die parlamentarische Umsetzung der Agenda 2010 begonnen. Die Beratungen über dieses gleichermaßen umfassende wie notwendige Reformprogramm werden nun unter der neuen Präsidentschaft fortgesetzt.
Gleichzeitig beginnen unter Ihrer Präsidentschaft, Herr Althaus, die Gespräche zwischen Bundesrat und Bundestag zu einem weiteren, überaus wichtigen Projekt. Die Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung.
Beide Amtsperioden der Bundesratspräsidenten können deshalb ohne Übertreibung gleichsam als "Reformpräsidentschaften" angesehen werden.
Die vor uns liegenden Aufgaben haben eine besondere Qualität und bringen eine neue Verantwortung der gesetzgebenden Körperschaften des Bundes mit sich, gerade in Zeiten unterschiedlicher Mehrheitsverhältnisse.
Sowohl Ihr Amtsvorgänger, Herr Ministerpräsident Böhmer, als auch Sie, Herr Präsident, haben in diesem Zusammenhang stets zu überparteilichem Denken und gesamtstaatlicher Verantwortung aufgerufen. Für diese Haltung bin ich dankbar.
Sie stimmt auch zuversichtlich im Blick auf die nicht einfachen Beratungen der nächsten Wochen.
Hier wird es vor allem um die großen gesellschaftspolitischen Reformen gehen, die sich mit der Agenda 2010 verbinden.
Die Reformen zur Erleichterung der Selbständigkeit und zur Modernisierung des Arbeitsmarkts, das Zusammenführen von Arbeitslosen- und Sozialhilfe sowie die nachhaltige Reform der Gemeindefinanzen - dies alles darf nicht zerredet werden, sondern muss jetzt im Interesse des Landes entschieden werden.
Eine zentrale Rolle wird dabei auch dem Vermittlungsausschuss zukommen.
Da der Vermittlungsausschuss zuletzt mehrfach kritisiert worden ist, lassen Sie mich einige kurze Anmerkungen zu seiner Funktion machen. Natürlich soll und darf der Vermittlungsausschuss kein Ersatzparlament sein.
Die Einschätzung, ein Vermittlungsverfahren sei grundsätzlich von Übel, ist jedoch falsch und muss korrigiert werden:
Zur Demokratie gehören der Wille und die Fähigkeit zum Kompromiss. Ein von allen Seiten ernsthaft unternommener Versuch für einen Einigungsvorschlagist deshalb allemal besser als das Beharren auf einmal eingenommenen Positionen.
Die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland erwarten, dass in der aktuellen Lage alle Beteiligten den notwendigen Willen zur Zusammenarbeit erkennen lassen und konstruktive Lösungen suchen. Ich verspreche Ihnen: Soweit die Bundesregierung zu einem positiven und konstruktiven Klima beitragen kann, wird sie dies auch tun.
Zweite große Herausforderung im Blick auf die eben beschriebene "Reformpräsidentschaft" ist die Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung. Bundestag und Bundesrat haben dazu vor drei Wochen eine - wie ich finde - sehr gute und fruchtbare Debatte geführt und breiten Konsens darüber erzielt, dass die bisherigen Strukturen verbessert und zeitgemäß ausgestaltet werden müssen.
Ich will diese Diskussion nicht wiederholen, aber eine besondere Dimension des Themas noch einmal ansprechen.
Die Reform der bundesstaatlichen Ordnung in Deutschland ist keine Aufgabe technischer Art, bei der es nur darum geht, Schnelligkeit und Effizienz der Gesetzgebung zu verbessern. Oder bei der lediglich die Kompetenzen des Bundestages, des Bundesrates und der Bundesregierung besser voneinander abzugrenzen sind.
Natürlich spielen all diese Fragen dabei eine wichtige Rolle.
Aber es geht bei diesem Thema um mehr:
Es geht nicht nur um mehr Effizienz, es geht vor allem um mehr Transparenz und damit um mehr Akzeptanz von Politik in Deutschland überhaupt. Dies ist für mich die eigentliche Dimension dessen, Herr Präsident, was in den nächsten Monaten vor uns liegt.
Das heutige Bild des Zusammenwirkens von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat im Gesetzgebungsprozess ist für viele Bürger das eines unlösbaren Knäuels von Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten, bei dem die Nichtentscheidung scheinbar zum Normalfall wird.
Dabei ist es unwichtig, wie gerecht eine solche Bewertung ist. Allein der Befund muss uns alle beunruhigen.
Eben deshalb ist ein Erfolg bei der Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung nicht nur notwendig, um die Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit von Bund und Ländern zu verbessern.
Sondern er ist auch wichtig für die Identifikation unserer Bürgerinnen und Bürger mit ihrem Staat und seiner Gesetzgebung und damit letztlich für den freiheitlich-demokratischen Grundkonsens in der Gesellschaft insgesamt.
So gesehen ist das Reformprojekt, Herr Präsident, dem sich Bundestag und Bundesrat gemeinsam in der Zeit Ihrer Präsidentschaft stellen, eine echte Demokratie-reform im besten Sinne.
es ist vielleicht kein schlechtes Omen, dass beide "Reformpräsidentschaften" - wenn ich diesen Begriff noch einmal strapazieren darf - von Präsidenten wahrgenommen werden, die aus den neuen Ländern kommen.
Um nicht missverstanden zu werden: Ich halte nichts von einem automatischen Vorzug einer Himmelsrichtung, so wie dies leider in allen Regionen Deutschlands ab und zu diskutiert wird.
Allerdings bringen die neuen Länder einen besonderen Blick aus ihrer eigenen Entwicklungsgeschichte ein in die Reformdebatten, die in der Zeit der neuen Präsidentschaft vor uns liegen. Das gilt sowohl für europäische als auch für föderale Fragen.
Bekanntlich haben sich die neuen Länder quasi über Nacht, im Schatten der deutschen Einheit in die Europäische Union und in den Mechanismus der bundesstaatlichen Ordnung gestellt.
Es gab dafür keinen längeren Prozess des Kennenlernens, des allmähligen Erlebens oder der gemeinsamen Entwicklung und Gestaltung dieser Mechanismen.
Es kann deshalb nicht verwundern, dass die Herstellung transparenter Gesetzgebungsprozesse und grundlegender Reformen der bundesdeutschen Wirklichkeit gerade in den neuen Ländern als besonders dringlich empfunden werden.
Dies ist, Herr Präsident Althaus, keine schlechte Ausgangsbedingung für eine erfolgreiche Präsidentschaft in Zeiten wichtiger gesellschaftlicher Reformdebatten.
Meine Damen und Herren,
für mich steht fest, dass nur in einem verantwortungsvollen Zusammenwirken von Bund und Ländern der Schlüssel für unsere Zukunft liegt.
Wir sollten deshalb die aktuellen Schwierigkeiten gemeinsam überwinden und weit über diese Legislaturperiode hinaus die Kräfte und das Können unseres Landes für ein in jeder Hinsicht reicheres Leben der Menschen mobilisieren.
Hierfür wünsche ich Ihnen, Herr Präsident Althaus, und uns alles Gute und gutes Gelingen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.