Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 11.11.2003

Untertitel: Rede von Bundeskanzler Gerhard Schröder anlässlich des Deutschen Steinkohletags am 11. November 2003 in Essen.
Anrede: Lieber Werner Müller, meine Herren Ministerpräsidenten, verehrte Damen und Herren und - für die, die es sind - liebe Kolleginnen und Kollegen!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/07/557207/multi.htm


Mit dem Motto des Steinkohletages "Energie und Sicherheit" haben Sie nicht nur ein aktuelles, sondern auch ein für unsere Gesellschaft und für die gesamte Wirtschaft wichtiges, weil grundlegendes Thema gewählt.

Es ist richtig, worauf Werner Müller hingewiesen hat: Der Ausfall der Stromversorgung vor einigen Monaten in weiten Teilen Amerikas hat uns vor Augen geführt, welche dramatischen Störungen im Leben einer modernen Gesellschaft auftreten können, wenn die Versorgungssicherheit nicht gewährleistet ist.

Das hat uns die Wichtigkeit einer sicheren, aber auch zugleich preiswerten Energieversorgung deutlich gemacht. Man sollte ruhig einmal mit Stolz sagen, dass sie nicht überall vorhanden ist, auch nicht in allen hochentwickelten Ländern, aber in Deutschland wohl. Die Sicherheit in der Energieversorgung wird auch zentrales Anliegen unserer Politik bleiben.

Beim Thema Kohle und Sicherheit denken wir aber auch an das schwere Grubenunglück in Lengede, das sich vor wenigen Tagen zum vierzigsten Mal jährte.

Ministerpräsident Steinbrück hat deutlich gemacht, in welch anderer Situation wir auch insoweit sind: In Deutschland haben wir im Bergbau Unfälle des Ausmaßes wie in Russland oder China in den letzten Jahren glücklicherweise nicht erlebt. Die Grubenunglücke in jüngster Zeit anderenorts zeigen aber, dass Sicherheit im Bergbau in anderen Ländern noch längst keine Selbstverständigkeit ist.

Dass der Bergbau bei uns und, soweit wir daran beteiligt sind, auch anderswo weitestgehend störungsfrei verläuft, verdanken wir der eingesetzten Spitzentechnologie. Aber wir verdanken das auch einer wirklich sehr guten Ausbildung, dem Können und dem Gemeinschaftsgefühl der Bergleute.

Eine Gemeinschaft, wie es sie im Bergbau gibt, ist im Arbeitsleben ansonsten kaum anzutreffen. Das hat durchaus auch eine gesellschaftspolitische Bedeutung in einer Zeit der Individualisierung - gegen die nichts einzuwenden ist - , die bisweilen aber auch zur Vereinzelung führt. Deshalb sollte man solche Gemeinschaften nicht unbedingt in den Bereich von Traditionen oder gar verstaubten Traditionen verweisen.

Damit wird deutlich: Moderner Kohlebergbau ist aus Sicherheitsaspekten und aus Versorgungsaspekten heraus nicht wohlfeil zu haben. Wer das glaubt, der irrt. Aber ich würde mir wünschen, dass dies auch dann berücksichtigt wird, wenn etwa die Förderkosten deutscher Steinkohle mit denen anderer Länder verglichen werden.

Es macht auf diesem Steinkohletag Sinn, nicht nur darüber zu reden, wie die energiepolitischen Rahmenbedingungen in Deutschland sind. Ich bin vor allen Dingen gekommen, um ein paar Fragen zu beantworten, die Werner Müller in der ihm eigenen Art vornehm angedeutet hat. Denn wir haben ein paar wichtige und wegweisende Entscheidungen getroffen, die dem Bergbau in Deutschland eine klare Perspektive weit über dieses Jahrzehnt hinaus sichern.

Übrigens war an diesen Entscheidungen nicht nur das Unternehmen RAG, nicht nur der Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens, sondern daran war vor allen Dingen auch die Gewerkschaft beteiligt. Ohne die Arbeit von Hubertus Schmoldt und von Klaus Südhofer wäre das ebenfalls nicht möglich gewesen. Ich sage das mit großem Respekt vor dem durchaus kritischen und, was die Fördermengen angeht, euch schwer abgerungenen Beitrag. Ich sage das mit großem Respekt vor der Bereitschaft, die wirtschaftspolitischen und ebenso die finanzpolitischen Notwendigkeiten nicht nur zu sehen, sondern sie auch in die eigene Arbeit aufzunehmen.

Wir haben uns für die Zeit nach Auslaufen des Kohlekompromisses auf einen Finanzrahmen verbindlich geeinigt. Dabei haben wir bewusst einen längeren Zeitraum, nämlich von 2006 bis 2012, gewählt, weil die Menschen in dieser Region eine mittelfristige Planungssicherheit haben wollen und diese auch brauchen. Eine Verlässlichkeit für die Lebensplanung ist gerade bei denen, die abhängig beschäftigt sind, sehr wichtig. Das sollten wir uns immer wieder vergegenwärtigen, auch wenn wir über notwendige und wichtige Reformmaßnahmen reden.

Für diesen Zeitraum haben wir den Finanzrahmen auf insgesamt 17 Mrd. Euro abgesteckt. Das klingt gewaltig. Aber wenn man weiß, was damit abgedeckt ist, relativiert sich diese Summe. Ich denke, das ist im Übrigen gut angelegtes Geld. Die öffentliche Hand wird davon knapp 16 Mrd. Euro, exakt 15,87 Mrd. Euro, tragen. Die RAG wird einen Eigenbeitrag von über 1 Mrd. Euro, exakt 1,13 Mrd. Euro, zu erbringen haben. Die Zuwendungsbescheide für die erste Periode bis 2008 sind bereits in Vorbereitung. Ich gehe davon aus, dass die Vorbereitungszeit nicht allzu lange dauert.

Mein besonderer Dank gilt in diesem Zusammenhang Wolfgang Clement, aber auch dem Bundesfinanzminister Hans Eichel, die beide diesen Kompromiss mit ermöglicht haben.

Nach den Grußworten der Ministerpräsidenten bin ich mir sicher, dass wir uns sehr bald mit den Kohle produzierenden Ländern auf einen ansehnlichen und angemessenen Beitrag einigen werden. Ich bin fest davon überzeugt, dass es dazu im Interesse der Länder und im Interesse des Ganzen keiner langen Verhandlungen bedarf.

Wir erwarten, dass wir mit diesem Finanzrahmen im Jahr 2012 noch 16 Mio. Tonnen an deutscher Steinkohle fördern können. Gut 20.000 Beschäftigte sollen dann noch im Bergbau tätig sein.

Ich will unterstreichen, was Ministerpräsident Steinbrück gesagt hat, als er darauf hinwies, dass das keine kcaritative Veranstaltung ist, sondern - im Zusammenhang mit dem, was Herr Müller über die Versorgungssicherheit ausgeführt hat - einen Beitrag zu einer sicheren, stabilen Energieversorgung darstellt, einen Beitrag, den wir aus Deutschland heraus leisten können und leisten müssen.

Brüssel - das ist wichtig - muss diese langfristigen Planungen noch genehmigen. Ich gehe aber davon aus, dass eine solche Genehmigung erteilt wird. Dabei will ich mich wie in der Vergangenheit auch persönlich engagieren.

Wir können auf einer guten Tradition aufbauen, sowohl was den Beitrag des ehemaligen Bundeswirtschaftsministers und seiner Nachfolger, als auch was den Beitrag von Herrn Starzacher in der früheren Periode angeht. Ich bin sicher, dass das Geld, das wir in diesem Zusammenhang ausgeben, klug investiert wird. Dafür steht der Vorstandsvorsitzende und sein Team. Ich bin sicher, dass der Vorstand der RAG seinen Eigenbeitrag erwirtschaften wird. Auch das ist wichtig, öffentlich festgestellt zu werden.

Die Rückführung der Förderkapazität auf 16 Mio. Tonnen im Jahr 2012 bedeutet zwangsläufig weitere Anpassungen bei der Belegschaft. Daran führt kein Weg vorbei.

Wer immer über dieses Thema diskutiert, sollte sich die Zahlen des Abbaus der Fördermengen genauso vor Augen führen wie die Zahl der verlorengegangenen Arbeitsplätze und was in einem insgesamt störungsfreien, weil sozialverträglichen Prozess geleistet worden ist. Die Zahlen, die der Ministerpräsident hier genannt hat, müssen über die Reviere hinaus immer wieder erklärt werden, weil sie zeigen, dass man das Geld nicht in ein - wie man so schön sagt - Fass ohne Boden steckt. Vielmehr zeigen die Zahlen, dass mit diesem Geld Anpassungsprozesse sozialverträglich geleistet worden sind, die den sozialen Frieden und damit vernünftige Produktionsbedingungen in unserem Land gesichert haben. Wir wollen, dass das auch in Zukunft so bleibt.

Der Finanzrahmen ist so bemessen, dass die Anpassungen weiterhin sozialverträglich erfolgen können, das heißt ohne betriebsbedingte Kündigungen in einem gerade im nördlichen Ruhrgebiet ohnehin angespannten Arbeitsmarkt.

Übrigens auch deshalb wird die Bundesregierung das Anpassungsgeld für die Kolleginnen und Kollegen erneut verlängern. Das klingt beruhigend, und es klingt nach Privilegien für den Bergbau. Aber das ist in der Praxis schwierig durchzuführen. Alle die, die sich damit beschäftigen, wissen das wohl. Das ist verbunden mit schwierigen Überlegungen und Entscheidungen der Unternehmensleitungen, der Arbeitnehmervertreter, und - auch das gilt es herauszustellen - es erfordert Opfer von den Beschäftigten und ihren Familien. Das bedarf außerdem der Solidarität derer, die den Arbeitsplatz frei machen. Wir wollen diesen Prozess weiterhin sozialverträglich gestalten, und zwar in enger Zusammenarbeit mit den beteiligten Landesregierungen.

Meine Damen und Herren, die Sicherheit unserer Energieversorgung steht gleichberechtigt mit den Zielen der Wettbewerbsfähigkeit und der Umweltverträglichkeit im Vordergrund der Energiepolitik der Bundesregierung. Bei der Verwirklichung dieser Ziele stehen wir vor ganz erheblichen Herausforderungen.

Mit der Liberalisierung der europäischen Energiemärkte wird der Wettbewerb der Energiestandorte erheblich verschärft. Übrigens ist wirklich an einen europäischen Wettbewerb gedacht und nicht nur an einen Wettbewerb in Deutschland. Wir konkurrieren dabei nicht nur innerhalb der bisherigen Europäischen Union, sondern wir konkurrieren in Kürze auch mit jenen zehn Ländern, die ab dem nächsten Jahr der Europäischen Union beitreten werden.

Bei den energieintensiven Industrien sind auch die Energiekosten ausschlaggebende Faktoren im globalen Wettbewerb.

Erneuerbare Energien müssen in die bestehende Struktur der Energieversorgung integriert werden. Die anspruchsvollen Klimaschutzziele aus dem Kyoto-Prozess müssen erfüllt werden, und wir werden sie auch erfüllen. Das ist eine Erwartung der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land.

Hinzu kommt: Ein großer Teil unseres Kraftwerkparks muss modernisiert oder ersetzt werden. Experten gehen davon aus, das dies zwischen 2010 und 2020 auf bis zu 40.000 Megawatt Kraftwerksleistung in Deutschland zutrifft. Das bedeutet, wir stehen vor einem gewaltigen Investitionsbedarf. Das sind übrigens Investitionen, die Umsatz und Arbeitsplätze bei den Kraftwerksbauern, aber auch bei unzähligen Zulieferern sichern.

Das ist einer der Gründe, warum wir in den letzten Monaten einen sehr intensiven Dialog mit der Energiewirtschaft, den Gewerkschaften und den Stromverbrauchern geführt haben. Es geht um die Herausforderungen bis weit in das nächste Jahrzehnt, denen der Energiestandort Deutschland ausgesetzt ist.

Ich bin absolut einverstanden mit dem, was der Ministerpräsidenten dieses Landes sagt: Nordrhein-Westfalen war traditionell vor dem Hintergrund von Steinkohle und deren Förderung immer das Energieland Nummer 1, und das soll es auch bleiben. Auch auf diesem Gebiet wird es eine enge Zusammenarbeit, Herr Ministerpräsident, mit der Bundesregierung geben.

Diesen konstruktiven Dialog mit der Energiewirtschaft, der nicht ohne Kritik verlaufen ist, werden wir fortsetzen. Es ist übrigens ein Dialog, der gelegentlich positiv im Widerspruch zu dem steht, was an angeblich ideologisch motivierten Unterschieden da ist.

Eine Unvereinbarkeit etwa von Kohleverstromung und Windkraft zu konstruieren, ist falsch und erschwert das Aufzeigen vernünftiger Lösungen. Tatsache ist, das gerade ein breit gefächerter und deshalb intelligenter Energiemix die Sicherheit der Energieversorgung in der Vergangenheit geleistet hat. Ich will dafür arbeiten, dass das auch in Zukunft so bleibt.

Allerdings wird sich die Zusammensetzung des Energiemix in den nächsten Jahren ändern müssen. Wir wollen und müssen den Anteil erneuerbarer Energien weiter steigern. Das ist notwendig, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Mit der Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes werden wir die Voraussetzungen dafür schaffen. Über die Eckpunkte haben wir uns in der letzten Woche geeinigt.

Ich füge hinzu: Es wird dabei darauf geachtet werden, dass die Strompreise für die Privathaushalte, vor allen Dingen aber für die Wirtschaft der Wettbewerbsfähigkeit wegen bezahlbar bleiben. Darauf werden wir zu achten haben, und wir werden das auch tun.

Bei den stromintensiven Unternehmen, die wir im Land behalten wollen, weil wir in Deutschland eine ausdifferenzierte Produktionsstruktur haben und weiterhin haben wollen, werden wir durch eine Härtefallklausel Wettbewerbsnachteile vermeiden. Das gilt ausdrücklich nicht nur für die großen Unternehmen, sondern auch für den Mittelstand.

Ich bleibe bei meiner Auffassung, dass Deutschland nicht nur Energiestandort sein muss, sondern dass wir alle miteinander ein Interesse daran haben müssen, eine ausgewogene Produktionsstruktur in Deutschland zu erhalten. Das ist keine Absage an die Wissensgesellschaft oder an den Dienstleistungsstandort. Das ist vielmehr die Bestätigung dessen, was dieses Land stark gemacht hat und weiter stark hält: ein gesunder Mix zwischen Dienstleistungen, den modernen Technologien und deren Integration in das, was man gelegentlich - aber völlig falsch - "old economy" nennt.

Wenn manche in unserem Land und in Europa glauben, wir könnten in Zukunft nur von Dienstleitungen leben, ist das falsch. Nicht zuletzt deshalb habe ich gemeinsam mit dem französischen Staatspräsidenten und dem britischen Premierminister der Europäischen Kommission aufgeben, dass wir diese industrielle Struktur in Europa brauchen, wenn wir in der Konkurrenz innerhalb der Triade Europa-Amerika-Asien wettbewerbsfähig bleiben wollen. Eine starke Volkswirtschaft wie die unsere ist also auf eine wettbewerbsfähige Industrieproduktion angewiesen.

Dass wir bei dieser Frage auf dem richtigen Weg sind, beweisen auch die aktuellen Zahlen. Unser Weltmarktanteil ist nach Berechnungen der Bundesbank seit Mitte der 90er-Jahre gewachsen. Es ist uns gelungen, den Weltmarktanteil real von 9 Prozent auf 10,5 Prozent wachsen zu lassen. Das zeigt die Stärke der deutschen Volkswirtschaft.

Meine Damen und Herren, nicht nur der Ausbau erneuerbarer Energien verändert den Energiemix, sondern wir werden in den nächsten Jahren auch Schritt für Schritt aus der Kernenergie aussteigen. Die Schließung der ersten Kraftwerke steht an. Das ist mit den betroffenen Energieversorgern vereinbart, und so gilt es.

Wir können und wir wollen aber nicht aus der Kohle aussteigen; auch das ist ein wichtiger Punkt. Rund die Hälfte des deutschen Stroms wird auf Kohlebasis erzeugt. Stein- und Braunkohle liegen dabei annähernd gleich auf. Deshalb ist klar: Noch für viele Jahre werden umweltverträgliche Stein- und Braunkohlekraftwerke das Rückgrat der deutschen Energieversorgung bilden.

Vorraussetzung dafür ist, dass wir uns wie in der Vergangenheit dem Thema Klimaschutz stellen. Wir nehmen international einen Spitzenplatz ein. Wir haben mit Abstand den größten Teil der Reduktionsverpflichtungen bei den Treibhausgasen in Europa übernommen und realisiert. Seit 1990 haben wir die Immissionen um über 19 Prozent reduziert. Die meisten anderen Industrienationen sind dagegen noch weit von ihren Kyoto-Zusagen entfernt. Manche Länder sind überhaupt nicht bereit, Klimaschutzziele zu akzeptieren.

Klimaschutz kann aber nur dann erfolgreich sein, wenn aus der Vorreiterrolle, die wir gespielt und akzeptiert haben, kein Alleingang wird. Es kann und darf keine Situation in Europa geben, dass man einerseits uns ermuntert, die europäischen Ziele, die wir zu zwei Dritteln schultern, alle zu erreichen, und dass man andererseits sich selber zurückzieht. Das wird keine Politik sein, die in Europa funktioniert. Denn sie ginge allein zu Lasten der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Das kann und das werde ich nicht akzeptieren. Unsere Aufgabe ist es also, uns weiter dafür einzusetzen, dass die anderen Länder nachziehen.

Meine Damen und Herren, auch das ist angeklungen: Auf europäischer Ebene wurde entschieden, ab 2005 einen Emissionshandel einzurichten, um die Erfüllung der Klimaschutzziele zu erreichen. Darüber, ob das ein vernünftiges Instrument ist, haben wir alle massiv gestritten. Ich habe das - da musste ich aus meinem Herzen keine Mördergrube machen - für ein verzichtbares Element gehalten. Gleichwohl haben wir uns Mehrheitsentscheidungen in einem zusammenwachsenden Europa zu beugen. Deshalb haben wir dafür gekämpft, dieses Instrument so rational wie möglich zu gestalten.

Bei der Einführung dieses Systems werden wir also darauf achten, dass unser Energiemix erhalten bleibt. Eine Diskriminierung von Braun- und Steinkohle bei der Zuteilung von Emissionsrechten kann und darf es nicht geben.

Es wäre geradezu widersinnig, die gewaltigen Investitionen zum Beispiel in den ostdeutschen Kraftwerkspark oder auch in das moderne BoA-Kraftwerk in Niederaußem, das im letzten Jahr in Betrieb genommen worden ist, dadurch zu entwerten, dass man einen solchen Prozess zulässt. Das wollen wir nicht und das werden wir nicht akzeptieren. Im Gegenteil: Gemeinsam mit Ihnen und der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen wünschen wir, dass bald auch das BoA-II-Kraftwerk kommt.

Unser zentrales Ziel wird daher sein, auch beim Emissionshandel verlässliche Rahmenbedingungen für Investitionen, für Wachstum und für Beschäftigung herzustellen. Das bedeutet vor allem, dass der Emissionshandel im Rahmen der bestehenden Selbstverpflichtungen der Wirtschaft ausgestaltet wird. Das bedeutet weiterhin, dass die Emissionszertifikate kostenlos zugeteilt werden.

Das muss übrigens auch für neue Kraftwerke gelten, die infolge des Ausstiegs aus der Kernenergie gebaut werden müssen. Frühere Investitionen in CO2 -mindernde Maßnahmen, also das, was man "early actions" nennt, werden wir angemessen berücksichtigen.

Schließlich treten wir beim Emissionshandel auch dafür ein, flexible Instrumente zu nutzen, um mit deutscher Technik Klimaschutz auch in den Ländern zu betreiben, wo dies am kostengünstigsten ist. Man darf bei diesem globalen Problem nicht glauben, dies könnte man mit nationalen Anstrengungen alleine erreichen. Übrigens betrifft das nicht nur den Sektor der Energiepolitik. Das gilt in anderen Bereichen ganz genauso.

Damit erreichen wir eine höhere Flexibilität beim Emissionshandel im Inland, einen effizienten Klimaschutz und schaffen Chancen für deutsche Kraftwerkstechnologie.

Grundlage dieser Exportchancen sind die hier errichteten weltweit modernsten Kraftwerke. Man muss immer wieder daran erinnern: In den letzten 20 Jahren konnte Deutschland die Effizienz der Energienutzung bei der Kohle um rund 20 Prozent verbessern. Aber natürlich können und müssen wir noch besser werden und die so genannten "clean coal technologies" weiter vorantreiben. Auf Initiative des Bundeswirtschaftsministers wurde in den letzten 12 Monaten ein Forschungskonzept entwickelt, das zu weiteren drastischen Effizienzverbesserungen führen wird.

Allen, die die Kohleverstromung in Deutschland bekämpfen, sage ich: Wenn Sie das in dieser Entschiedenheit, wie das gelegentlich passiert, machen, bekämpfen Sie nicht nur Wachstum und Arbeitsplätze in Deutschland, sondern Sie vertun auch die Möglichkeit, die Umwelt in vielen Ländern der Welt nachhaltig zu verbessern. Denn diese Länder sind auf unsere Technologien angewiesen, wenn sie bei der Erreichung von Klimaschutzzielen vorankommen wollen. Diese Länder werden auch künftig Kohle in großem Umfang nutzen. Wenn wir ihnen diese Technologien zu angemessenen Preisen zur Verfügung stellen können, dann helfen wir sowohl der deutschen Industrie und ihren Exportchancen als auch dem Klimaschutz weltweit.

Ich habe deutlich gemacht: Strom- und Gaspreise müssen bezahlbar bleiben, und zwar nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für die privaten Verbraucher.

Der Grundsatz "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser" hat sich nach unseren Erfahrungen auch im Energiebereich als notwendig erwiesen. Wir müssen von dem System freiwilliger Vereinbarungen zwischen Energieversorgungsunternehmen und Wirtschaft abgehen und die Überwachung des Wettbewerbs einer so genannten Regulierungsbehörde übertragen. Ich füge aber hinzu, dass wir im Rahmen unseres Energiedialogs daran interessiert sind, diese Überwachung auf bewährten Prinzipien aufbauen zu lassen und die Bürokratie auf das wirklich Unvermeidliche zu reduzieren.

Meine Damen und Herren, auch die so genannten Revierländer befinden sich seit Jahren in einem aktiven Strukturwandel. Dieser Strukturwandel wird auch von den Menschen in den Revierländern gewünscht, jedenfalls mitgetragen. Denn sie wissen, dass das eine Perspektive für ihre eigene Zukunft und die ihrer Kinder ist.

Die Abhängigkeit vom Montanbereich ist stark zurückgegangen. Moderne Industrien und Dienstleistungsbereiche haben Einzug gehalten. Wissenschaft und Forschung verleihen der Wirtschaft und den Arbeitsplätzen neue Impulse. Exakt das brauchen wir.

Übrigens ist das auch der Grund für die "Agenda 2010". Es geht darum, die sozialen Sicherungssysteme intakt und finanzierbar zu halten und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands auf den internationalen Märkten weiter zu stärken und, wo nötig, zu entwickeln.

Wir machen sie aber auch, meine Damen und Herren, um Ressourcen freizubekommen, damit dieses und das nächste Jahrzehnt wirklich zu Jahrzehnten von Bildung, von Forschung und Entwicklung und von Betreuung werden, damit zum Beispiel die Frauen, die gut ausgebildet sind, ihren Beruf wirklich ausüben können und damit wir eine Erwerbsquote von Frauen erreichen, die sich im europäischen Durchschnitt sehen lassen kann.

Meine Damen und Herren, Nordrhein-Westfalen ist das führende Energieland geblieben und Essen so etwas wie die Energiehauptstadt. Ich sage mit Respekt vor denen, die das bewirkt haben, dass sich auch die RAG verändert hat. Manche glauben, sie sei nicht wiederzuerkennen. Sie ist eben nicht nur Produzent von Kohle und Strom, sondern sie ist auch ein großes Chemieunternehmen geworden.

Der so genannte weiße Bereich - von der Politik wurde er überwiegend nur dann wahrgenommen, wenn es um seinen Beitrag zur Finanzierung der Steinkohle ging - , ist inzwischen zu einem Kerngeschäft geworden. Aus dem, was Herr Müller gesagt hat, habe ich entnommen, dass das so bleiben wird und eher noch weiterentwickelt wird.

Die Integration des neuen RAG-Konzerns ist noch nicht abgeschlossen. Aber ich glaube, es war richtig, dass auch die RAG die Chance genutzt hat, die die Fusion von E. ON mit Ruhrgas geboten hat. Das war ein nicht einfaches Unterfangen, aber ein richtiges und - das wird sich in der Zukunft zeigen - ein für Deutschland und seine Menschen lohnendes.

Ich weiß, dies wird neue Anforderungen an Werner Müller und seine Mannschaft stellen. Aber die Veränderung ist von den Vorgängern und von Ihnen gewagt worden. Ich finde, darauf können Sie durchaus stolz sein.

Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat mit der "Agenda 2010" die Initiative ergriffen, um die Konjunkturschwäche zu überwinden - alle Anzeichen deuten darauf, dass das auch möglich ist. Wir müssen in diesem Prozess weitermachen, und niemand darf sich davor drücken.

Dazu gehört die Reform der sozialen Sicherungssysteme. Dazu gehört die Reform des Arbeitsmarktes. Dazu gehört aber vor allen Dingen das Vorziehen der letzten Stufe der Steuerreform, weil das jenes Maß an Kaufkraft mobilisieren kann und mobilisieren wird, die wir gerade jetzt brauchen, um auf dem Binnenmarkt das erreichen zu können, was bei der Außenwirtschaft beinahe zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist.

Ich sage durchaus ernsthaft, aber auch einigungsbereit: Ich denke, dass das nicht nur eine Verantwortung des einen Teils der Gesellschaft ist, der die Mehrheit im deutschen Bundestag hat. Wir müssen diesen Reformprozess - durchaus kompromissbereit - in diesem Jahr zu einem erfolgreichen Ende bringen. Das sind wir möglicherweise nicht Parteitaktiken schuldig, aber wir sind es den Menschen in unserem Land, wir sind es unserem Land insgesamt schuldig.

Und wir sind es nicht nur unserem Land schuldig: Deutschland ist die stärkste, die größte Volkswirtschaft in Europa. Wir haben also nicht nur eine Verantwortung für uns selbst, wir haben auch eine Verantwortung darüber hinaus.

Wir haben bis Ende dieses Monats Zeit, um die notwendigen Entscheidungen zu treffen. Jeder, der dabei mithilft, macht sich um Deutschland verdient.

In diesem Sinne: Glück auf für die Reviere und Glück auf für den Steinkohletag!