Redner(in): Christina Weiss
Datum: 11.11.2003
Untertitel: Der Deutsche Architekturpreis 2003 wurde den Architekten Axel Schultes, Charlotte Frank mit Christoph Witt, Berlin, für den Entwurf und die Realisierung des Bundeskanzleramtes zuerkannt. Kulturstaatsministerin Christina Weiss würdigte die Preisträger am 11. November 2003 im Bundeskanzleramt in Berlin.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/93/557293/multi.htm
Monumental heiter Anrede!
Wenn die Architektur der Bundesrepublik ein einziges Unwort kennen würde: es hieße Monumentalität. Monumental, das war - das ist noch heute - gemeinhin ein Synonym für die bauliche Hypertrophie. Das "Dritte Reich" baute monumental. Diktaturen zwischen Peking und Ost-Berlin leisteten sich Monumentalität, und sie deklassierten sich dabei allein ihre Selbstdarstellung. Die Bundesrepublik dagegen war stets gegen Monumentalität immun, dachte man. Monumental, das waren stets "die anderen". Und wer bei uns monumental denken und planen wollte, gab sich zur Sicherheit klassisch, rationalistisch, streng -- und wurde dann nicht selten doch bekrittelt, belächelt und gar beargwöhnt. Transparenz und Offenheit galten dagegen als die wahre Tugend. Vor allem in den repräsentativen Gebäuden, der Gemeinden, der Länder und des Bundes gab man sich zuweilen gar recht beschwingt, während ein strenges Regelwerk lediglich solche Verwaltungsbauten gebar, denen die Sparsamkeit quasi schon ins Gesicht - besser vielleicht: auf die Fassade - geschrieben stand.
Für den "Bauherren Demokratie" schien es bis zur Wiedervereinigung Deutschlands keine andere Lösung zu geben als die Selbstbescheidung. Und es tröstete niemanden, dass bereits der Blick nach Frankreich eindrucksvoll bewies, dass die Kopplung von Bescheidenheit und Demokratie vor allem ein bundesdeutsches Phänomen war. Das bauliche understatement saß und sitzt uns Deutschen so tief, dass noch immer alles, was das Mittelmaß bedroht, gern und immer wieder vorsorglich unter Monumentalitätsverdacht gestellt wird. Das war beim Neubau der deutschen Botschaft in Washington von Oswald Mathias Ungers so. Das war immer wieder bei Museumsneubauten so - etwa in Stuttgart bei James Stirling oder in Bonn bei Axel Schultes. Vor allem aber gegen das Bundeskanzleramt und das von ihm dominierte "Band des Bundes" wurde das Monumentalitätsverdikt von Anfang und immer wieder in Stellung gebracht. Zu Unrecht, wie ich meine, denn immer, wenn ich Zeit und Muße habe, durch das neue Kanzleramt zu gehen, stellt sich mir die Frage, warum dessen Leichtigkeit, seine Heiterkeit, seine verschwenderische Bescheidenheit - wie ich sie zumindest erlebe - als monumental verurteilt wird, warum am Monument immer nur das Negative zählt. Könnte das an der strengeren Ordnung liegen, der sich die Räume und Massen in diesem "Band" unterwerfen müssen? Liegt es an Berlin? An der Geschichte dieser Stadt oder diffusen Streuung seiner Monumente? Stellt dieses Haus die architektonischen Dogmen unserer Republik nun auf den Kopf oder krönt es sie? Gibt es eine Monumentalität der Heiterkeit? Durch die Achse einen Strich! "- das war die städtebauliche Maxime der Nachkriegszeit, und die war nicht ohne Pathos. Nach den steinernen Visionen der" Nazi-Welthauptstadt Germania "und neben den Aufmarschstraßen der Möchtegernhauptstadt Ost-Berlin feierte in der Bundesrepublik vor allem die Idee der Stadtlandschaft die fröhlichsten Urstände. Fließende Räume, asymmetrische Anlagen und die Nivellierung repräsentativer Elemente prägten unzählige Städte und Siedlungen. Eine Staatsarchitektur, die wie keine zweite prädestiniert gewesen wäre, sich - in welcher Form auch immer - monumental zu gebärden, fand nicht statt. Der Plenarsaal für den Deutschen Bundestag in Bonn wurde spät gebaut und strahlt noch heute vor allem vor Freude und Gelassenheit. Der Plenarsaal im verwaisten Reichstag Berlins klagte dagegen durch seine Leere an. Das Bundeskanzleramt am Rhein, nicht minder spät errichtet, wurde so sympathisch wie falsch als" Rheinische Sparkasse " verspöttelt. Und selbst der international wohl bekannteste Neubau der alten Bundesrepublik, das Olympiastadion in München, schöpfte auf unübertroffene Weise auch seine Kraft nur aus der Bescheidenheit.
Die Monumente der bundesdeutschen Nachkriegsarchitektur waren unmonumental, und sie wollten dies auch sein - mit aller Macht. Gemeinsam markierten sie ein politisch korrektes Formenrepertoire, das überhaupt erst nach der Wiedervereinigung Deutschlands in Frage gestellt werden konnte. Und am deutlichsten musste sie sogar in Frage gestellt werden bei dem Versuch, ein Regierungsviertel, vor allem aber ein neues Kanzleramt zu bauen: Mitten in Berlin, in unmittelbarer Nähe zum Reichstagsgebäude, auf historisch kontaminiertem Grund. Nach 1910, 1927 und 1957 wagte Deutschland 1992 zum vierten Mal in nicht einmal einhundert Jahren den heiklen Versuch, sein politisches Zentrum ikonographisch zu fassen. Und ich übertreibe sicher nicht, wenn ich behaupte, dass in all diesen Versuchen - vor allem aber in den 853 Beiträgen des letzten Wettbewerbs - nicht eine einzige Gestaltungsidee ausgelassen wurde. Ich wage sogar die These, dass es gerade die historische wie stilistische Breite dieser Wettbewerbe war, die den Entwurf von Axel Schultes und Charlotte Frank zum Sieg verhalfen. Einem Entwurf, der so überzeugend wie umstritten war. Einem Plan, der das Naheliegende zum ersten mal verbildlichte. Eine architektonische Geste, die sich vor Monumentalität nicht scheut, durch deren sinnliche Verkehrung jedoch erst zum Leben erwachte.
Was war geschehen? Gegen jede Art der architektonischen Beschwörung des Areals mit all den hergebrachten pathetischen Formen, gegen die Huldigung des fließenden Raums und gegen das Raster, gegen Hochhäuser und gegen die Pavillons, gegen Symbolüberfrachtung und Sinnleere setzten Axel Schultes und Charlotte Frank einen einfachen, einen geraden, einen unendlich scheinenden Strich. Einen Schlussstrich möchte man meinen, vielleicht aber auch einen Strich, den man gemeinhin unter eine Reihe Zahlen setzt, bevor man sie addiert. Wie selbstverständlich machte dieses "Band" der im Stadtgedächtnis präsenten Nord-Süd-Achse Albert Speers einen "Strich durch die Rechnung", um mit dem Griff über die kaum erst verschwundene Mauer die zweite große Wunde zu heilen, die Berlin auf ewig eingebrannt schien.
Mit ihrem "Band des Bundes" schufen Sie, sehr geehrter Herr Schultes, und Sie, sehr geehrte Frau Frank, ein so einfaches wie einprägsames Bild, das mit großer Leichtigkeit die einst getrennten Teile Berlins auf Dauer aneinander band. Sie hatten den Mut zum radikalen Neuanfang, der in Ihrem Vorprojekt für ein Deutsches Historisches Museum zwar im Keim bereits erkennbar war. Nun aber ging es darum, abzurechnen, neu zu gewichten, vor allem aber auch neu zu inszenieren. Dabei waren Sie klug genug, der Stadt den Tiergarten und dem Reichstag seine "Luft zum Atmen" zu erhalten. Und Sie waren erfahren genug, das Band als modernes Raumensemble zu begreifen, das als Negativform die Idee einer Monumentalachse karikierte. Gegen das aufgeregte Baugerangel am Potsdamer Platz, gegen die Stadt in der Stadt, setzten Sie die Eleganz und die Überzeugungskraft einer künstlerischen Idee. Visionen stellten Sie gegen Moden und offenbarten mit ungesehenen Formen zugleich die Schwächen jeder blinden "Rekonstruktion". An der Monumentalität, die jede Großform in sich trägt, schätzten Sie nicht die Macht und den Autismus, sondern das lyrische, ja: das romantische Element, die einladen, anstatt nur aufzutrumpfen. Das hat mir von Anfang an sehr gefallen und ich freute mich - damals noch in Hamburg - sehr darauf, Ihr "Band des Bundes" als unverwechselbare Landmarke Berlins erleben zu können. Hier war sie endlich, die große Geste, die Paris ziert und Brasilia. Und heute ist es wirklich so weit: Wenn ich mit dem Flugzeug nach Berlin komme und der Pilot setzt aus östlicher Richtung zur Landung in Tegel an, dann rückt zuerst zwar unübersehbar der Fernsehturm ins Blickfeld und markiert Berlin. Kurz danach jedoch ist es bereits das "Band des Bundes" und das Kanzleramt, die weiß leuchtend die verkünden: die Heimat ist nah. Aus der Luft wird dabei besonders deutlich, wie geschickt und selbstbewusst das "Band" als Klammer demonstriert, dass sich Berlin nie wieder teilen lässt."Und das ist auch gut so", wie man in Berlin zu sagen pflegt.
Auf der Suche nach den Spannungsverhältnissen zwischen Heiterkeit und Monumentalität, zwischen Moderne und Tradition, die das Kanzleramt und das "Band des Bundes" auszeichnen, habe ich mich bisher auf jene Elemente konzentriert, die unübersehbar in das Gefüge der Stadt eingriffen. Ich bestreite es nicht: Ja, das "Band des Bundes" ist ein Monument. Es ist gewiss auch monumental. Seine Monumentalität bezieht es jedoch nicht durch seine Abkehr vom Dagewesenen, nicht durch Abgeschlossenheit und nicht durch ein erprobtes Zeichensystem. Im Gegenteil! In allen Bereichen versucht es, versucht vor allem aber dieses Haus, die Grenzen hergebrachter Monumentalität zu überwinden. Dabei stehen die Gebäude zu ihrer "Macht", die Stadt verändert zu haben, sie auf Dauer zu verändern. Verglichen mit den enormen Baumassen, die in Berlin sein 1990 aufgetürmt wurden, nimmt sich das "Band des Bundes" jedoch fast bescheiden aus. Es gibt sich selbst seinen Maßstab. Dieser Maßstab sprengt jedoch nicht die Stadt. Manches Bürohaus in der Friedrichstraße ist gar höher als das vor allem wegen seiner Höhe gern kritisierte Kanzleramt. Und eine lichtere, freundlichere Fassade findet man wahrlich nirgendwo. Anders als viele andere Großneubauten Berlins versucht das "Band das Bundes" nicht, sich der Stadt zu entziehen, auch wenn das Fehlen des Bürgerforums auf Dauer schmerzt. Eine solche Megastruktur, die man gemeinhin nur aus Reißbrettstädten von Le Corbusier oder Louis Kahn kennt, vollendet diese Stadt und kann schlicht nur im Dialog bestehen. Und das weiß sie sehr genau.
Der Dialog, von dem ich hier spreche, vollzieht sich im Detail. Der doppelte Brückenschlag des "Bandes", der wie selten in Berlin die Spree zur Geltung bringt, ist symbolstark und kühn. Er ist auch ein ehrliches Angebot an diese Stadt. Wenn man sieht, wie die Gebäude mit der Umgebung kommunizieren, wie sie sich vor allem am Reichstag zum Wasser öffnen; wenn man im Paul-Löbe-Haus etwa die Ausflugsdampfer vorbeiziehen sieht; wenn man die neuen Wanderwege an der Spree benutzt; wenn man die unzähligen Besuchergruppen erlebt, die Tag für Tag durchs Kanzleramt ziehen; wenn man vielleicht einmal selbst an den morgen neu startenden Gesprächskreisen "Kultur im Kanzleramt" teilnimmt - dann weiß man, dann erlebt man hautnah, dass sich hier keine Macht verschanzt hat hinter Mauern und Fassaden. Das "Band des Bundes" und das Kanzleramt sind vielmehr die Monumente jener Heiterkeit, und damit Teil unserer besten Tradition. Sie regen zum Staunen und Debattieren an, anstatt Antworten bereit zu halten. Sie sind durchlässig, zum Teil sind sie regelrecht verspielt. Sie sind gewagt, anstatt bieder. Und das ist besonders auch für ihre Nutzung wichtig.
Um Ihnen jene Heiterkeit, jene Dekonstruktion des Monumentalen zu beschreiben, die die Arbeit in diesem Gebäude auch an schweren Arbeitstagen erleichtert, um Ihnen abschließend vielleicht auch aus einer anderer Perspektive klar zu machen, wie heiter und poetisch das neue Kanzleramt aus meiner Sicht ist, möchte ich Ihnen das Bild beschrieben, das sich bei mir mit diesem Haus verbindet. Es ist ein sehr romantisches, vielleicht sogar ein sehr deutsches Bild: Es ist der Wald. Genauer sogar: die Waldeslichtung. An vielen Stellen des Hauses können sie erleben, wie sich die Natur in das Gebäude drängt: in den Baum bewachsenen Lichthöfen. Im Ehrenhof, den Rasentupfen zieren. An den begrünten Fassaden und auf der Spitze der bauchigen, Baum tragenden Stelen. Aus jedem Büro sehen sie Grün. Auf jedem Gang begegnet ihnen Grün. Sie wandeln selbst auf Grün! Und im Herzen der Lichtung finden Sie sogar einen "Heiligen Hain", ein wundervolles Amphitheater, und nachts strahlt hier sogar ein eigenes Firmament. Eine leichte Brise scheint durch dieses Haus zu ziehen und versetzt seine Raumdecke in einen wundervollen Schwung. Und womöglich ist diese Brise auch schuld daran, das zumindest in meinem Büro nie genau jene Temperatur herrscht, die ich mir gerade wünsche. Doch das ist Alltag jenseits eines schönen Traums. --- Es ist unglaublich still in diesem Haus, doch die Stille bedrückt nicht, sie schärft vielmehr die Sinne. Es ist eine einladende Stille, wenn man so will. Eine verführerische Stille. Eine Sommerstille im Pinienwald. Vielleicht ist es gerade diese heitere Stille, die große Sinnlichkeit der Räume, die einladende und gerade nicht auftrumpfende Fassade des Kanzleramts, die unsere Seherfahrung auf den Kopf stellt und mich darin bestärken, in diesem Haus eher Heiterkeit und Leichtigkeit, denn Masse und Macht zu entdecken. Monumentalität im schlechtesten Sinne des Wortes sieht anders aus. Sie fühlt sich vor allem anders an! Dieses Haus beeindruckt, doch es blendet nicht. Es ist kraftvoll, doch nicht selbstverliebt. Mit seiner monumentalen Heiterkeit künden Band und Bundeskanzleramt von einem Staat, in dem die Demokratie Bauherr geblieben ist und bleibt. Dieser Bauherr ist lediglich erwachsen geworden.