Redner(in): Christina Weiss
Datum: 14.11.2003

Untertitel: Gekürzte Abschrift der Rede von Kulturstaatsministerin Christina Weiss beim "Bündnis für Theater" am 14. November 2003 im Berliner Kronprinzenpalais.
Anrede: Meine sehr geehrten Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/71/565571/multi.htm


in Anlehnung an die fünf Akte der dramatischen Literatur möchte ich Ihnen fünf Akte zum Thema "Wie können wir das Theater erhalten, ohne es nur zu verwalten" ans Herz legen. Wir wollen dem Theater Rahmenbedingungen bewahren oder - viel lieber - sie verbessern, damit wir auch in Zukunft von ihm angeregt, aufgestört, irritiert und bereichert werden können.

Erster Akt: "Draußen vor der Tür"

Wenn heutzutage irgendwo in Deutschland ein Theater eröffnet wird, eine Probebühne oder eine kleine Außenspielstätte, dann heißt es fast immer: "So etwas erlebt man in diesen Zeiten nur einmal". Ob in Kaiserslautern, Magdeburg oder Erfurt - überall ist diese Art von festgebauter, mental geronnener Endzeitstimmung mit Händen zu greifen. Sie wird in den Medien übernommen, sie wird weitererzählt und bleibt schließlich eben auch massiv im Gedächtnis haften. Es ist ja tatsächlich auch etwas dran an all den düsteren Visionen. Die Depressionen vieler Kunstschaffender, die Melancholien des technischen Personals, das vorherrschende Gefühl, vielleicht doch überflüssig zu sein in einer zunehmend auf Kommerz ausgerichteten Gesellschaft. Diese Gefühle haben leider auch ihre nicht zu leugnende Berechtigung.

Und doch: wir leben immer noch in einem reichen Land. Das kann man sehr oft erst dann wahrnehmen, wenn man einmal den Fuß und den Kopf nach draußen gelegt hat. Dass dennoch in diesem reichen Land sehr vieles verändert werden muss, das wissen wir. Aber es könnte wirklich möglich sein, dass dieses Land bald ein Land ist, das innen hohl ist. Wird es ein Land werden, das sich von seinen Traditionen, seiner Vergangenheit und seinem Geist verabschiedet hat? Weil es die ästhetische Ausbildung nicht mehr ernst nimmt und weil es vielleicht stillschweigend die gesellschaftliche Wichtigkeit der Kunst untergraben, ausgehöhlt, trockengelegt und zuletzt abserviert hat? Weil es auch im kreativen Kulturbereich nichts anderes gibt als eine panische Angst vor Reformen? Ich würde sogar lieber "Angsthasigkeit" sagen in der Suche um eine Steigerungsform von Angst.

Neben den elementaren Dingen des Lebensunterhalts hat der Mensch meines Erachtens auch das Grundrecht auf kulturelle Bildung und kulturelle Vorsorge. Insofern ist die Debatte über die Frage "Ist Kultur eine Pflichtaufgabe des Staats?" eigentlich gar nicht zu führen. Wenn wir das nicht in den Köpfen denken und auch bewahrheiten, dann nützt alles andere nichts. Es müsste möglich sein, einen Konsens darüber zu erzeugen, dass die musische Erziehung genauso wichtig ist wie die Erziehung zum sozialen und ökologisch richtigen Verhalten. Die Bedeutung von Erziehung nämlich zur Wahrnehmungsfähigkeit und von kultureller Grundbildung, darüber kann man eigentlich nicht wirklich streiten. Es wäre aber vielleicht hilfreich, wenn es politisch durchsetzbar wäre, dieses auch in den Verfassungen oder in Verwaltungsvorschriften zu verankern. Es ist hilfreich für alle die, die von selbst gar nicht auf das Thema Kultur kommen, wenn es nicht irgendwo aufgeschrieben ist.

Erlauben Sie einen Schwenk zu Europa: Es ist bemerkenswert, dass es ein ganz harter Kampf war, bis im Entwurf zur europäischen Verfassung auch die Kultur ihren Platz gefunden hatte. Es war eine erstaunliche Debatte, die wir nicht gewinnen konnten als alte starke europäische Kulturnationen, sondern die wir erst gewannen, als die Beitrittsländer, die vielleicht dann doch die älteren und stärkeren Kulturnationen Europas sind, darauf bestanden.

Die zentrale und in der Tat gemeinnützige Funktion von kultureller Bildung darf nicht zur reinen Privatangelegenheit werden. Das Gemeinwesen muss dies regelmäßig überprüfen, dieser Wert muss im gesellschaftlichen Kontext verankert sein. Wenn ich sehe, dass in den Subventionsabbauvorschlägen von Koch und Steinbrück plötzlich wieder die Kultur als Subvention bezeichnet wird, obwohl wir alle glaubten, seit 10 Jahren dafür deutlich die Position errungen zu haben, dass Kultur Investition in die Zukunft ist, dann tut das schon sehr weh. Auch weil viele die Brisanz solcher Vorschläge übersehen. Ich glaube, dass wir diesen Vorstoß für die Bundesebene abgewehrt haben. Aber die Vorschläge, die im sogenannten Subventions-Bericht enthalten sind, werden vielleicht übertragen auf die Länder und Kommunen. Ich kann nur zu allerhöchster Vorsicht mahnen, weil es sofort Schule macht. Aktuelles Beispiel: Die Kultursender ARTE und 3sat sollen fusioniert werden. Dass wir mit einer Fusion von Kultursendern nicht nur der Kulturberichterstattung erheblich schaden, sondern auch noch eine besondere Kooperation mit unserem Nachbarland berühren, das kümmert offensichtlich nicht. Das sind für mich sehr problematische Punkte, die man wahrnehmen und gegen die man antreten muss.

Wenn wir uns von dem Denken verabschieden, dass Kultur eine hohe zivilisatorische Errungenschaft ist, dann ziehen wir uns in einer sehr unverantwortlichen Weise aus der Gesellschaft zurück. Dann ist jeder sich wieder selbst der Nächste. Aber ohne Auseinandersetzung, ohne Selbstreflexion, ist ein freies offenes und menschenwürdiges Staatsgebilde undenkbar. Wo anders als im Theater ist das am Besten, am Schönsten und am Produktivsten denkbar und demonstrierbar? Wenn wir ins Theater gehen, sehen wir uns selbst beim Leben zu, nicht im Maßstab 1: 1, sondern gestaltet, pointiert, geformt, stilisiert, justiert im Koordinatenfeld unterschiedlichster Ästhetiken, Meinungen, Gedanken, Haltungen. Von allen Künsten ist das Theater die kommunalste, die öffentlichste Kunst. Und es ist nur als Gesamtkunstwerk möglich.

Im Theater bündeln sich die unterschiedlichsten Energien, das wissen Sie alle. Noch einmal: Wenn wir diese kulturelle Tradition verkaufen - dann verkaufen wir unser Herz und unsere Seele. Und es wäre fatal zu glauben, die Kultur und insbesondere die Kunst seien etwas Zweitrangiges, etwas, dem man sich auch noch später widmen kann, nachdem man die ökonomischen Probleme einer Nation in den Griff bekommen hat. Das Theater ist der Ort, wo wir immer wieder die Grenzen des eigenen Alltags zunächst einmal überhaupt wahrnehmen und dann überschreiten. Und es ist der Ort der Freiheit des Denkens und der Ort der allmählichen Veränderung der Selbstwahrnehmung. Und wenn das nicht als eine der wichtigsten Grundlage dafür betrachtet wird, um Gesellschaft zu verändern und weiterzuentwickeln, dann gelingt dieses auch kaum.

Lassen Sie mich an Wolfgang Borcherts "Draußen vor der Tür" erinnern. Da sucht der Heimkehrer Beckmann in einem Kabarett Arbeit und will sich ausgerechnet mit Bänkelliedern über die Gräuel des Krieges seinen Lebensunterhalt verdienen. Der Direktor schickt ihn natürlich weg, allerdings mit ein paar ganz aufrichtig verlogenen Worten. Er sagt: "Positiv! Positiv, mein Lieber! Denken Sie an Goethe! Denken Sie an Mozart! Die Jungfrau von Orleans, Richard Wagner, Schmeling, Shirley Temple". Völlig glatt gehen ihm die Namen über die Zunge, die Klassiker und der Boxweltmeister, der amerikanische Kinderstar - ich weise Sie jetzt nicht ausdrücklich auf die Parallele zur ZDF-Liste hin. Abgesehen von der bunten Mischung dieser Namen verraten sie doch immerhin, dass mehr zum Leben gehört als nackte Tatsachen allein. Dass es aber eben auch die Mischung des Angebotes ist und dass man das Schwere auch mit einem nachfolgenden oder vorhergehenden Leichten möglich machen kann oder den Zugang öffnen kann. So kurios es klingt: Die Sphäre des Immateriellen rechnet sich durchaus.

Aber Subventionskürzungen werden derzeit nicht bloß verlangt - und zwar überall, sondern sie werden hier und da auch geradezu brutal durchgeführt. Und das, obwohl in der Spielzeit 2001/2002 151 öffentliche, 216 private Theater, 49 Konzertorchester und 37 Festspielhäuser fast 35 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer in 115.266 Vorstellungen erreicht haben. Das ist ein Erfolg. Wir könnten und wir müssten entsprechend selbstbewusst auf der Bedeutung der Theater für die Gesellschaft beharren und immer wieder darauf aufmerksam machen.

Zweiter Akt: "Die Mitschuldigen"

Nun ist die Entwicklung, dass wir meinen, uns Kultur nicht mehr leisten zu können, nicht einfach per Dekret eingetreten. Einrichtungen, die gut funktionieren, die im vitalen Austausch zu ihrer Kundschaft, ihren Besuchern stehen, sind nicht so leicht abzuschaffen wie solche, die sich längst von ihrem Publikum entfernt haben. In Borcherts Stück fiel zwanglos der Name Max Schmeling. In Berlin liegt es durchaus nahe, auf den Fußballclub Hertha BSC zu sprechen zu kommen. Diesem Verein geht es wahrlich nicht sehr gut im Moment - die Mannschaft schießt zu wenige Tore, kassiert zu viele, der Trainer sitzt auf einem wackeligen Stuhl. Aber was tun die Fans? Sie gehen dennoch ins Stadion. Sie begleiten ihre Mannschaft auf Reisen. Und wenn sie dann nicht mehr mit ihr zufrieden sind, dann rufen sie von den Rängen, dass die da unten, wenn schon nicht gewinnen, so wenigstens kämpfen sollen. Oder sie setzen sich auch vor einen Bus, um ein Gespräch mit den Akteuren zu erzwingen. Dieses Gespräch wird ihnen dann in den meisten Fällen auch gewährt.

Theater und Opernhäuser haben ebenfalls ein Publikum - ein Publikum im Übrigen, dass normalerweise bereit ist, sich auf vieles einzulassen. Die Mär von bornierten, eingerosteten Abonnenten lässt sich heute, wo keine bildungsbürgerliche Pflicht mehr ins Theater treibt, wohl kaum noch aufrecht erhalten. Und trotzdem scheinen die Zuschauer oft unter dem Gefühl zu leiden, für dumm verkauft zu werden. Insofern ist es schwer herauszufinden, warum das Publikum manche Entwicklungen im Theater mitträgt und andere wieder nicht. Der Kunstfreund verlässt höchstens türenklappernd den Saal oder kündigt das Abonnement. Wenn sich Theater vermeintlich bloß noch als Spielwiese der Eitelkeiten, als Rummelplatz ökonomischer Resteverwertung oder als Recyclingbude berüchtigter Unterhaltungsversatzstücke präsentiert, dann kann natürlich auch zu Recht der Unmut bei den Kartenkäufern aufkeimen.

Wie gesagt: Es geht hier nicht um Stile, um Ästhetiken oder Inhalte. Es geht um etwas, was bestimmt so schwer zu definieren wie zu realisieren ist. Es geht um das, was Ihnen als Theaterschaffenden, die ja mit Schwingungen, Atmosphären, mit magischen Momenten und auratischen Valeurs umzugehen gewohnt sind, sicher vertraut ist. Da ist eine immaterielle Komponente, die oft über Erfolg oder Misserfolg einer Produktion, über Akzeptanz oder Boykott eines künstlerischen Konzepts entscheidet. Das ist vielleicht doch nicht einfach nur ein Schicksalsschlag, man kann das nicht einfach abtun mit der Feststellung: Der eine hat's, der andere nicht. Es gibt - wie im Fußball - auch Arbeitssiege, die zwar nicht mit Glanz und Gloria, aber mit Kraft, Können und mit Konzentration zu überzeugen vermögen. Die eigene Intensität und die eigene Ernsthaftigkeit bei der Produktion vermitteln sich. Die Fans, die im Zuschauerraum sitzen, wissen das sehr wohl zu erkennen und zu würdigen. Das Publikum hat seismographische Fähigkeiten, es spürt, wenn sich irgendwo ein künstlerisches Erdbeben abzeichnet. Es spürt, wo eine Tragödie lockt oder eine Komödie verführt, wo Seriosität am Werk ist und Entschlossenheit und Redlichkeit und nicht Beliebigkeit. Und insofern hat dieses Publikum auch völlig recht in dem Bestreben, ernst genommen zu werden. Es ist auch dankbar und treu, wenn dies geschieht. Das deutsche Stadttheater ist nicht nur ein gewachsenes politisches Netzwerk zur Schaffung, Förderung und Erhaltung der Bühnenkunst, es ist überdies ein Zeugnis der Aufgeschlossenheit und Bildung seiner Besucherinnen und Besucher. Diese warten auf Sie, aber sie warten auch darauf, dass Sie sie abholen, dass Sie sie nicht draußen stehen lassen.

Was wir hier verhandeln, ist vor allem eine Frage der künstlerischen Wertigkeiten. Bei allen ökonomischen Abwägungen dürfen wir nicht vergessen, dass - um es noch einmal mit der Sprache des Fußballs zu sagen - die Wahrheit auf dem Platz liegt. Das heißt, die Zukunft des Theaters wird auf der Bühne entschieden.

Dritter Akt: "Kabale und Liebe" Ich habe diesen Akt "Kabale und Liebe" genannt, weil ein Riss durch die Herzen und Hirne zu gehen scheint. Ein Riss, der bestimmte Gewohnheiten ausschließlich an bestimmten Orten zu realisieren erlaubt: hier Pflicht, dort Kür, hier Kulturfron, dort Spaßkultur. Hier Politik, dort Kunst.

Damit sind wir sozusagen im dritten Akt angelangt: die Kontrahenten schauen sich tief in die Augen. In so komplexen Gebilden, wie es Staaten eben sind, lassen sich Konflikte zwischen den verschiedenen Hierarchien aber nicht unter der Decke halten. Sie strahlen bald nach allen Richtungen aus, und sie können nur gelöst werden im Zusammenwirken aller Kräfte. Das ist vielleicht auch das Komplizierte bei unserem Problem. Wir schaffen die Lösung dieser Probleme nur gemeinsam. Und es reicht nicht mehr aus, nur an einem Schräubchen zu drehen, man muss die ganze Maschine überholen. Worüber wir heute diskutieren, ist kein hoch subventioniertes Amüsement oder konsumbefriedigendes Kulturgeplänkel für eine gut versorgte Oberschicht, wir verhandeln um das Gesicht einer menschlichen Solidargesellschaft. Einer Gesellschaft oder Gemeinschaft, die sich im Theater ihre Sehnsucht nach - wie Peter Konwitschny das mal genannt hat - unentfremdeter Produktion bewahrt. Und die hier, ungeschützt und unzensiert, ein nicht profitorientiertes Erkenntnisinteresse pflegen kann; die sich kritisch im Spiegel anschauen kann und nicht befürchten muss, bei Nichtgefallen gleich abgeschafft zu werden.

Wenn sich kein Theater mehr ein künstlerisches Risiko erlauben zu können glaubt, weil die eventuelle Ablehnung des Publikums sofortige Subventionskürzungen nach sich ziehen würde. Wenn also die Quote wie beim Fernsehen, was ja auch mal eine Einrichtung zur besonderen Pflege der kulturellen Inhalte war, noch stärker als bisher Wohl oder Wehe der Theater bestimmte. Wäre das deshalb auch so eine große Katastrophe, weil die Quote sich nicht vorher ausrechnen lässt? Ich habe Erfahrungen - wie wahrscheinlich auch Sie - dahingehend gemacht, dass die Produktionen, die man sozusagen fürs Publikum als Leichte plant, nicht immer diejenigen sind, die dann auch den Erfolg bringen. Manchmal sind es die sperrigen, schwierigen, bisweilen geradezu monströs wirkenden Dinge, die deshalb das Publikum anlocken, weil es spürt, dass da einer seine eigenen Grenzen erreicht und gesprengt hat. Es ist das, was man eigentlich vom Theater will. Nochmals ein Blick auf die Statistik: Es sind für die Spielzeit 2001/2002 bei der Auslastung in den Schauspielhäusern 68 Prozent durchschnittlich, bei Kinder- und Jugendtheatern sogar 80 Prozent errechnet worden. Wir können also durchaus selbstbewusst sein, über welches Kapital, welches Engagement und welche Kräftebündelung wir hier sprechen.

Vierter Akt: "Die gestundete Zeit"

Wir alle - Künstler, Techniker und Geldgeber - wollen den Blick nicht vor der Wirklichkeit verschließen, die da heißt: Sparen. Wir haben einfach keine Chance, eben mal mehr Geld zu haben. Das unterscheidet die Gegenwart wesentlich von der Vergangenheit, wo es nicht darum ging: Kriegt man weniger, sondern: Kriegt man nur soviel mehr oder kriegt man noch mehr als mehr. Das war früher, das ist vorbei!

Aber: Die vielen Theater, die ihre Strukturen verändern, die Ausgaben und Stellen eingespart haben, die aus eigener Kraft ihre Einnahmen soweit wie möglich erhöht haben, müssen in irgendeiner Weise für diese Anstrengungen auch eine Belohnung erhalten. Es kann nicht sein, dass ein Theater, das seine Einnahmen steigert, diese am Ende des Jahres abgeben muss. Ich verstehe, wenn Sie als Theaterschaffende unter solchen Umständen Ihren Verhandlungspartnern in den Rathäusern zunehmend mit Misstrauen begegnen. Ich verstehe ebenfalls, dass für Sie eine vernünftige und kostensenkende mittelfristige Planung absolut notwendig ist. Dass weder die künstlerischen noch die technischen sowie die organisatorischen Bereiche zum Nulltarif zu haben sind. Und dennoch kann es natürlich nicht sein, dass aus einer gewissen Hilflosigkeit heraus nur an den freien Etats gespart wird, weil man mit den anderen entweder nicht umzugehen wagt oder es nicht kann.

Eine Leistungsgesellschaft wie unsere muss sich ihr Theater leisten wollen. Deshalb müssen wir Anreize schaffen. Und das können wir nur, wenn wir von einer Position der Stärke ausgehen. Es hat keinen Sinn mehr, aus der Position des Sklaven auf die Politik zuzugehen, man muss die Position der Stärke und des Selbstbewusstseins auch annehmen. Man muss das, was man tut und was man will, auch ankündigen. Und darüber muss man auch öffentlich reden und auch der Politik mitteilen, damit dort begriffen werden kann, worum es geht.

Noch ein paar Sätze zum Thema "Eigenverantwortung" : Das Ideal für die Kultur wäre eine kulturwissende Politik. Dann wäre auch das mit der Kameralistik verbundene Problem nicht so gravierend. Eigenverantwortung heißt zunächst einmal: Es muss eine Budgetverabredung geben, idealiter eine Planungssicherheit über 4 oder 5 Jahre. Und diese Budgetverabredung heißt absolute Deckungsfähigkeit der Mittel: das Budget wird von der Politik einem Haus gegeben und dort wird entschieden, wie das Geld ausgegeben wird. Deshalb spreche ich mich auch immer sehr dafür aus, eine personelle Doppelspitze in den Häusern zu schaffen. Zwei Menschen, die sich in absolut gleicher Verantwortung die Leitung teilen. Ich halte es nicht für gut und eigentlich auch nicht für anständig von einer Gesellschaft, von den Künstlerinnen und Künstlern auch alle kaufmännischen und personalorganisatorischen Aufgaben erfüllt haben zu wollen.

Und in die Aufsichtsgremien gehören auch Wirtschaftsleute mit hinein. Denn es werden in einer eigenverantwortlichen Struktur Wirtschaftspläne erstellt und deren Umsetzung regelmäßig überprüft. Ein seriöser Wirtschaftsplan enthält z. B. in den seltensten Fällen 100 Prozent Auslastung, sondern im Durchschnitt, je nach Situation des Hauses, 50 oder 60 Prozent Auslastung. Auf dieser Basis muss der Plan am Ende auf Null ausgehen. Das macht zwei Dinge möglich: Wenn man nach drei Monaten feststellt, es gab einen Erfolg im Haus, dann bleibt automatisch eine gewisse Summe Geld übrig. Dieses kann in die Rücklage geführt werden, und diese Rücklage entsteht nicht, weil plötzlich ein Geldsegen kommt. Sie entsteht, weil bei der Kalkulation einer Produktion aus 50 Prozent Auslastung erfolgreiche 90 Prozent Auslastung geworden sind.

In der Realität geht es freilich nicht immer nur nach oben, es geht manchmal nach unten. Es lässt sich aber mit einem gut besetzten Aufsichtsgremium frühzeitig auch die Gegensteuerung einleiten. Den negativen Fall nimmt man also früher wahr und kann früher gegensteuern. Der positive Fall darf natürlich nicht bedeuten, dass die Rücklagen von der Politik abgenommen werden. Das wäre eine Ursünde.

Fünfter Akt: "Die Unvernünftigen sterben aus"

Der fünfte Akt beinhaltet den Vorschlag, sich einmal gemeinsam Beispiele anzuschauen oder zu begleiten, Modellfälle herauszustellen, die zeigen, wie es konkret gehen kann. Ich möchte nicht, dass alle Häuser gleich organisiert sind, das braucht man nicht. Aber es ist nützlich, dass man dort genau hinguckt, wo etwas gut funktioniert. Dass man sich dort auch etwas abguckt und mit den starken Argumenten, die sich daraus ergeben, auf die Politik zugeht und sich nicht gegen einander ausspielt. Dieses Modell funktioniert nicht mehr. Wir brauchen neue Strategien, um unsere Theater zu erhalten. Denn wir sollten nicht zulassen, dass das eintritt, was Peter Handke 1973 in seinem Stück "Die Unvernünftigen sterben aus" schrieb: "Es kommt die Zeit der Begriffsmaschinen, und es wird nichts Unbedachtes mehr geben. ... Selbst die Träume träumen sich von vornherein so, dass sie auslegbar sind."

Ich danke Ihnen.