Redner(in): Christina Weiss
Datum: 12.02.2004

Untertitel: Kulturstaatsministerin Weiss spricht am 12. Februar 2004 im Deutschen Bundestag zur Großen Anfrage "Wirtschaftliche und soziale Entwicklung der künstlerischen Berufe und des Kunstbetriebs in Deutschland"
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/16/605116/multi.htm


wenn der Deutsche Bundestag über die Lage von Künstlerinnen und Künstler in diesen Lande debattiert, so hat dies immer noch den Hauch des Ungewöhnlichen. Leider, muss man hinzufügen. Dabei wären wir gehalten, gerade in diesem hohen Hause in schöner Regelmäßigkeit einen Bericht zur geistigen Lage der Nation zu erstatten. Unerheblich ist dabei, sich in Zuständigkeitsfragen zu verlieren. Die Entwicklung der Kultur in Deutschland muss auch ein Anliegen des Deutschen Bundestages sein. Es war deshalb nur folgerichtig, dass die Regierungsfraktionen den Anstoß dafür gaben, endlich eine Enquete-Kommission "Kultur in Deutschland" einzusetzen. Wir warten gespannt auf ihre Ergebnisse. Diese Kommission ist unendlich wichtig für einen relevanten Befund über den Zustand der Kulturlandschaft Deutschland. Dabei wird vor allem über die wirtschaftliche und soziale Lage von Künstlerinnen und Künstlern zu berichten sein. Ohne den Untersuchungen vorgreifen zu wollen, lässt sich schon heute in der Beantwortung auf die Große Anfrage konstatieren, dass uns ungeachtet jeder Statistik die Situation nicht zufrieden stellen kann. Das wird auch niemals der Fall sein können, weil es keine sozialen Mindeststandards für Kreative gibt. Künstlerinnen und Künstler leben und arbeiten naturgemäß nach anderen Prämissen, nach Maximen, die sich nicht einfach in das gewohnte Sozialraster fügen. Sie benötigen ( vom Staat ) Freiräume, die es ihnen erlauben, kreativ zu arbeiten, die Gesellschaft zu befruchten, Anstöße zu geben. Das ist der Bundesregierung bewusst, dies zu erreichen ist eine Aufgabe meines Amtes. Seit einigen Jahren sind wir dabei, bürokratische Hürden, die die wirtschaftliche und soziale Lage der Künstlerinnen und Künstler tangieren, systematisch aus dem Weg zu räumen. Zu nennen ist hier sicher an erster Stelle das Projekt der Kulturverträglichkeitsprüfung, die auf neue Gesetze angewendet wird und sich bereits mehrmals fast segensreich bewährt hat. Gleichzeitig ist es gelungen, vor vier Jahren die Novelle zum Künstlersozialversicherungsgesetz auf den Weg zu bringen. Im Sinne der Kreativen ist es auch, dass die Besteuerung ausländischer Künstler reformiert werden konnte, das neue Urhebervertragsrecht in Kraft trat und das Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft zustande kam. Mit all diesen wichtigen Gesetzeswerken haben Regierung und Parlament erfolgreich einen Teil des Reformstaus aufgelöst, vor allem aber haben sie die Sorgen und Nöte der Künstlerinnen und Künstler ernstgenommen und versucht zu helfen.

Ich weiß wohl, dass sich allein dadurch die Verhältnisse nicht zum Besseren wenden. Die wirtschaftliche Situation der Künstlerinnen und Künstler ist nach wie vor alarmierend. Nach Angaben der Künstlersozialkasse lag das durchschnittliche Jahreseinkommen der Freiberufler im vergangenen Jahr bei 11.144 Euro. Selbst wenn diese Zahl Unsicherheiten in sich bergen sollte, weil sie nur auf Eigeneinschätzungen der Künstler beruht, zeigt sie doch gleichzeitig, dass wir es hier mit einer unterdurchschnittlichen Einkommensentwicklung zu tun haben. Zyniker würden wohl von auskömmlicher Armut sprechen. Das kann uns nicht beruhigen, das treibt uns um und verlangt nach weiteren Modellen der Hilfe zur Selbsthilfe

Die Bundesregierung wird zielgenau das ihr Mögliche tun, um Künstlerinnen und Künstler weiter zu entlasten. Wir werden ein zweites Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft in den Deutschen Bundestag einbringen. Wir denken dabei auch über die seit langem geforderte Ausstellungsvergütung und das Künstlergemeinschaftsrecht nach. Wie Sie wissen, setzt sich diese Koalition dafür ein, dass bildende Künstlerinnen und Künstler auch Ausstellungshonorare erhalten. ( Ich unterstütze diese Anregung aus der Koalitionsvereinbarung ganz ausdrücklich ) . Gleichwohl wird dabei natürlich zu klären sein, wie dies ganz praktisch aussehen kann ohne z. B. Museen in Probleme und Nöte zu stürzen. Hier suchen wir das intensive Gespräch mit privaten und öffentlichen Ausstellungsmachern. Niemand hat ein Interesse daran, dass durch zusätzliche Belastungen Ausstellungspläne zunichte gemacht werden. Aber die künstlerische Leistung ist ein Wert an sich, und die, so meine ich, sollte auch ein angemessenes Honorar erfahren.

Wenn wir das Urheberrecht neu justieren, dann tun wir dies auch deshalb, weil wir den Künstlern eine angemessene Vergütung sichern wollen. Hier hinkt das geltende Recht den technischen Möglichkeiten hinterher. Gerade weil immer mehr Möglichkeiten technischer Reproduzierbarkeit existieren, sollte die urheberrechtliche Vergütung schnell den Erfordernissen angepasst werden. Es ist nicht hinzunehmen, dass sich die Pauschalvergütung für Kopien seit fast zwanzig Jahren nicht verändert hat. Hier brauchen wir dringend Korrekturen.

Steuerlich hat die jetzige Bundesregierung weitere Vergünstigungen für Künstlerinnen und Künstler durchgesetzt. Ich erwähnte bereits die weitreichenden Verbesserungen bei der Besteuerung ausländischer Künstler. Weiterhin konnten der Übungsleiterfreibetrag ermöglicht und Erleichterungen bei der Umsatzsteuer verankert werden. Wie Sie wissen, kämpfe ich für weitere steuerliche Verbesserungen im künstlerischen Bereich. Das ist natürlich in dieser Zeit besonders schwer. Die öffentlichen Haushalte sind angespannt wie nie. Wir können hier also nur langsam vorankommen. Mit dem Heraufsetzen des Grundfreibetrages zu Beginn dieses Jahres ist dies beispielhaft geschehen.

Wenn wir die Rahmenbedingungen des Kunstmarkts gestalten, müssen auch internationale Belange Rücksicht erfahren. Dies gilt in besonderer Weise für die UNESCO-Konvention über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der unzulässigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut. Dieses Abkommen stammt aus dem Jahre 1970 und muss schleunigst ratifiziert werden. Dazu wird ein entsprechendes Ausführungsgesetz nötig sein. Mein Haus verfasst derzeit einen Referentenentwurf, der auch den Interessen und Belangen des Kunstmarktes gerecht wird.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich der deutsche Kunstbetrieb keinesfalls in einer desaströsen Lage befindet, es ihm aber nicht gut geht. Bund und Länder sind gehalten, einen Wahrnehmungssprung zu vollführen. Wir brauchen einen Mentalitätswechsel, wenn wir es mit Deutschland als Kulturnation ernst meinen. Es geht nicht allein um staatliche Förderung, es geht darum, zu erkennen, welchen Wert die Kultur in einer Gesellschaft besitzt, welchen Platz sie einnimmt, was sie bewegt. Darüber müssen wir uns viel stärker verständigen. Nicht nur in Großen Anfragen, sondern jedes Jahr erneut. Hier an diesem Platz. Vielen Dank!