Redner(in): Christina Weiss
Datum: 16.02.2004
Untertitel: Kulturstaatsministerin Weiss zur Vorstellung und Preisverleihung der "Spots gegen Gewalt" (gemeinsam mit dem Verband Privater Rundfunk und Telekommunikation e.V. - VPRT) am 16. Februar 2004 in Berlin
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/55/608455/multi.htm
die Regie des heutigen Tages verlangt von mir beinah unmögliches: Ich soll zwei Themen miteinander verknüpfen, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben sollten: Einerseits geht es um Gewalt, um physische und nicht zuletzt psychische Angriffe auf die unverletzliche Würde des Menschen; andererseits geht es um Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, deren Lebenslust, deren Intelligenz und deren Neugier mit realer oder fiktiver Gewalt eigentlich nichts gemein haben sollten. Und doch ist unser Alltag von Gewalt durchzogen: schwelend oft nur, unterdrückt, versteckt; und dann doch wieder aufbrechend in Familien, Schulklassen, auf der Straße und in Cliquen. - Wir alle sind uns zwar einig, dass Gewalt in keinem Stadium und in keiner Form toleriert werden darf. Wegschauen ist aber weit verbreitet, in allen Altersstufen, in allen Schichten der Gesellschaft. Es ist eben einfacher, die Augen zu schließen als einzugreifen und machen wir uns nichts vor: unser Bewusstsein ist stumpf geworden durch all die Gewalt, die uns tagtäglich in den Medien begegnet.
Medien und Gewalt: diese Kombination offenbart sich vielen als verhängnisvolles und gleichwohl simples Paar. Gewalt in den Medien, mahnen die einen, führe geradezu zwangsläufig zur Gewalt in den Köpfen und zur realen Gewalt. Die Gewalt in den Medien, sagen achselzuckend die anderen, sei nur das Spiegelbild unserer Welt - und an manchen Tagen scheint sich dieser Zynismus bereits in den Fernsehnachrichten zu bestätigen. Doch ich denke, je einfacher die Kausalketten geknüpft werden, um so weiter führen sie an der Komplexität des Lebens vorbei. Das zeigt sich vor allem, wenn wir darüber reden, wie Medien, wie Gewaltdarstellungen in den Medien auf Kinder und Jugendliche wirken. Auch wenn man es oft suggeriert: Kinder funktionieren eben nicht wie "Durchlauferhitzer", die sich nur mit Horror-Videos und "Ballerspielen" am Computer aufladen müssen, um Amokläufer zu werden! Und zweitens: unsere Medien spiegeln selbstredend die Welt nur gefiltert und interpretierend wider, wobei die Macher den Stellenwert der Gewalt definieren und jede Möglichkeit zur Selbstbescheidung haben. Vor diesem Hintergrund stellt sich für die Politik also weniger die Frage, wie genau die dargestellte Gewalt zur realen Gewalt werden kann und umgekehrt. Entscheidend für mich ist vielmehr der Prozess, der Gewaltverharmlosung im medialen Bereich einschränken und vor allem Kinder und Jugendliche vor unbegründeten Gewaltdarstellungen, vor Gewalt um ihrer selbst willen schützen kann. Dabei spreche ich ganz offen nicht nur über Selbstbeschränkung, sondern auch über Zugangsbegrenzung, Kopierverbot und im Fall der Fälle über Indizierung. Da solche Zwangsmaßnahmen jedoch die Wurzel des Problems kaum erreichen, werbe ich vor allem für Aufklärung und Kompetenz und ich meine dabei die Medienkompetenz. So wie unsere Kinder lernen, ein Buch zu lesen, müssen sie auch lernen, einen Film zu sehen und die Mechanismen eines Computerspiels zu durchschauen. Sie müssen erkennen, wo die Grenze zwischen realer und virtueller Welt verläuft, sie müssen erfahren, welche suggestive Macht und welch geringen Wahrheitsgehalt Bilder - allen voran elektronische Bilder - haben. Und nicht zuletzt müssen sie lernen, dass ein jedes elektronische Gerät auch über einen Ausschalter verfügt, der einen ins wirkliche Leben zurückwirft, was auch für manchen Erwachsenen wohl die schwerste Lektion sein dürfte.
Wie erwirbt ein Kind, ein Jugendlicher - und auch ein Erwachsener - Medienkompetenz? Zuerst natürlich durch Mediennutzung. Das muss man hier gewiss nicht zweimal sagen, denn in diesem Bereich ist die Jugend zumeist viel kompetenter als Eltern und Lehrer. Und doch gehört es zur kompetenten Mediennutzung auch, dass sich Eltern und Erzieher in einer Art Selbstversuch mit den Medien der Kinder auseinandersetzen. Zur Schulung der Mediennutzung gehört zudem der Mut und die Lust ( ! ) zum Medienverzicht und das Wagnis, sich quasi "unmodernen" Medien - dem Buch, dem Theater, dem Konzert oder dem Museum - zuzuwenden. Dabei kann man erfahren, wie sinnlich Informationsübertragung eigentlich ist, wie sehr sie in allen Zeiten vom Medium Mensch geprägt wurde und was uns im Zeitalter der Datenkomprimierung alles vorenthalten wird. Auch hier wird der ( jugendliche ) Geist zwar nicht von Gewaltdarstellungen verschont - ich erinnere an unsere Märchenbücher, das Judith-Motiv in der Malerei, die Dramen Shakespeares oder die meisten Opern Verdis. Der Unterschied zwischen klassischem Pathos und aktueller Plattheit dürfte dabei jedoch niemandem verborgen bleiben. Gesteigert wird diese Erfahrung zudem für all jene, die sich darauf einlassen, ihre Erfahrungsgrenzen aktiv zu überschreiten, indem sie - in welchem Alter auch immer - beginnen zu musizieren, zu spielen, zu malen, zu tanzen, oder aber auch zu filmen, zu schreiben oder zu programmieren.
Der zweite Schritt auf dem Weg zu mehr Medienkompetenz führt zur Medienanalyse. Hier sind die Schulen besonders gefragt, aber auch all jene Initiativen und Vereine, die sich zum Ziel gesetzt haben, Kindern und Jugendlichen das Internet, das Fernsehen und auch die Musikproduktion näher zu bringen. Aus meiner Sicht - und ich betone das, weil ich sehr wohl weiß, dass es die Länder sind, die über den Lehrplan und die Unterrichtsgestaltung wachen - aus meiner Sicht müsste es so schnell wie möglich ein Lehrfach "Elektronische Medien" geben. Es reicht längst nicht aus, die Schulen "ans Netz" zu bringen. Die Schulen haben die Pflicht und zugleich die Chance, den Schülern zu vermitteln, wie mediale Angebote entstehen, wie sie wirken und warum sie wirken. Nur wer weiß, wie ein Film oder ein Video entsteht, welche Bilder uns anrühren, welche uns aufrühren und welche uns verführen, kann sich ohne schlechtes Gewissen anrühren, aufrühren oder verführen lassen. Und letztlich sind es auch hier die Gewaltdarstellungen, die sich am schnellsten selbst entlarven: Wer lernt, wie, warum und von wem Gewalt verherrlichende Computerspiele oder Videos hergestellt werden, wird sich ihrer suggestiven Kraft leichter entziehen können - angewidert oder mit überlegenem Lächeln. Wenn sich Gewaltdarstellungen als einfachstes und plumpestes Mittel der Spannungssteigerung selbst entlarven, ist der Teufelskreis des "immer mehr" und "immer brutaler" bereits zerbrochen.
Der dritte und vielleicht entscheidendste Schritt zu mehr Medienkompetenz ist natürlich die Medienarbeit. Auch in dieser Frage kann ich mich auf ein paar Grundgedanken beschränken, denn unser heutiges Treffen gilt ja vor allem den Kindern und Jugendlichen, die sich erfolgreich am Drehbuchwettbewerb "Gewalt ist keine Lösung" beteiligt haben. Gemeinsam mit Eltern und Lehrern haben sie die magische Schwelle vom Konsumenten zum "Macher" überschritten, und ich hoffe, dass sie dabei gelernt haben, dass es die Menschen sind, die über das Medium bestimmen und nicht umgekehrt. Mit den "Spots gegen Gewalt" erreichen wir den Höhepunkt einer Kampagne der privaten Rundfunkveranstalter Deutschlands, die ihren Ausgangspunkt am Runden Tisch "Medien gegen Gewalt" genommen hat, den der Bund, die Länder und engagierte Medienvertreter nach dem schrecklichen Amoklauf von Erfurt einberufen hatte.
Ich bin dem VPRT und seinen Mitgliedern, allen voran ProSiebenSAT. 1 und der RTL-Group, für ihre Initiative außerordentlich dankbar und denke, dass diese gelungene Kampagne der Startschuss für eine Offensive sein könnte, mehr Kinder und Jugendliche an der Produktion des Programms zu beteiligen. Denn was uns die junge Generation - gerade zu so sensiblen Themen wie Gewalt - zu sagen hat, geht uns alle an. Kreativität, Ideenreichtum und Ehrlichkeit gedeihen nur ohne Gewalt und brauchen für ihr Wachstum auch keine Gewaltdarstellungen, vor allem keine, bei denen Gewalt um ihrer selbst willen eingesetzt wird!
Die "Spots gegen Gewalt" sind aber nur ein Erfolg des Runden Tisches "Medien gegen Gewalt". Mit Freude habe ich zur Kenntnis genommen, dass die Produzenten von Video- und Computerspielen sich bereit erklärt haben, Altersangaben auf ihren Produkten einzuführen. Außerdem haben sich die im Bundesverband audiovisuelle Medien zusammengeschlossenen Anbieter darauf verständigt, auf Videos und DVDs medienpädagogische Hinweise aufzuspielen. Und nun öffnen die privaten Rundfunkanbieter ihre Kanäle für "Spots gegen Gewalt". - Der Weg scheint klar, und doch wissen wir alle, dass das Ziel noch weit ist. Aber vielleicht stehen wir gerade vor einem gesellschaftlichen Wandel, der uns gemeinsam weiter tragen wird, als wir bislang zu wagen hofften. Auf der soeben beendeten "Berlinale" schien zumindest mir der Unterschied zwischen dem neuen europäischen Film und dem alten Hollywood gerade im Hinblick auf Gewaltdarstellungen evident. Der europäische Film bekennt sich zu seinen Heldinnen und Helden, zu seinen Geschichten und Katastrophen während man sich vor dem über-realen, dem "schönen" Tod in manch großer Produktion aus Übersee nur noch abwenden kann. Eine Schwelle scheint überschritten, vielleicht verliert die Gewalt in den Medien an Reiz. Mich würde das freuen, denn Gewalt ist nicht nur keine Lösung. Gewalt hat auch keine Zukunft.
Vielen Dank!