Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 23.02.2004

Untertitel: Hinweis: Es gilt das gesprochene Wort
Anrede: Herr Ministerpräsident, Exzellenzen, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/23/611323/multi.htm


ich freue mich, in der Türkei zu sein. Und ich danke Ihnen, Herr Ministerpräsident, für die Einladung in Ihr Land mit seinen gastfreundlichen Menschen.

Die Türkei und Deutschland verbinden enge kulturelle, wirtschaftliche und politische Beziehungen, aber auch enge Beziehungen der Zivilgesellschaften.

In Deutschland leben über 2,5 Millionen türkisch-stämmige Bürger, und von ihnen besitzt fast jeder Dritte inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit. Es gibt rund 60.000 in Deutschland tätige türkisch-deutsche Unternehmen. Mit ihrem Fleiß stellen sie einen wichtigen Wirtschaftsfaktor dar und schaffen in unserem Land zahlreiche Arbeitsplätze. Und Jahr für Jahr besuchen über 3 Millionen deutsche Touristen Ihr Land.

Auch bei Handel und Investitionen ist Deutschland Ihr engster Partner. Diese wirtschaftlichen Beziehungen wollen wir weiter ausbauen. Sichtbarer Ausdruck hierfür ist das Kraftwerk der Firma STEAG / ISKEN bei Adana, das wir morgen gemeinsam, Herr Ministerpräsident, einweihen werden. Es ist mit 1,5 Milliarden Euro das bisher größte deutsche Investitionsprojekt in der Türkei.

Auch unser kultureller Austausch ist eng:

Es sind die Goethe-Institute, das Deutsche Archäologische Institut und die zahlreichen Partnerschaften zwischen Universitäten, die zum besseren Verständnis zwischen unseren Völkern beitragen.

Ich begrüße die Absicht Ihrer Regierung, Herr Ministerpräsident, eine zweite Pflichtfremdsprache an den Schulen einzuführen und würde mich freuen, wenn sich möglichst viele Schüler für die deutsche Sprache entscheiden würden.

Meine Damen und Herren, Ende dieses Jahres wird der Europäische Rat entscheiden, ob die Europäische Union mit der Türkei Beitrittsverhandlungen aufnimmt. Dies ist für die Zukunft der Türkei und der Europäischen Union gleichermaßen von zentraler Bedeutung. Gerade in Deutschland wird diese Frage in der Öffentlichkeit intensiv diskutiert.

Wenn die Türkei die politischen Kopenhagener Kriterien erfüllt, das heißt Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gewährleistet, die Menschenrechte einhält und die Minderheiten angemessen schützt, dann müssen Beitrittsverhandlungen beginnen. Hierfür werde ich mich einsetzen. Die Europäische Union muss zu ihrem gegebenen Wort stehen.

Sie haben in Ihrem Land weit reichende Reformen auf den Weg gebracht, mit denen die Türkei der Erfüllung dieser Kriterien ein großes Stück nähergerückt ist. Eine rechtzeitige Lösung der Zypernfrage noch vor dem 1. Mai wäre ein zusätzliches positives Signal.

Ich möchte Sie ermutigen, Herr Ministerpräsident, auf dem von Ihnen eingeschlagenen Weg der Reformen fortzufahren. Dann wird der angestrebte Erfolg nicht ausbleiben. Davon bin ich überzeugt. Das wäre nicht nur für die Türkei, sondern auch für Europa wichtig. Denn die Türkei könnte zu einem Vorbild für andere islamische Länder in unserer europäischen Nachbarschaft werden. Das wäre ein großer Gewinn an Stabilität und Sicherheit für ganz Europa.

Meine Damen und Herren, das vor uns liegende Jahr ist für uns alle, Deutschland, die Türkei und Europa, ein Jahr wichtiger Entscheidungen.

Deutschland, Herr Ministerpräsident, wird die Türkei auf ihrem Weg nach Europa auch weiterhin nachdrücklich und mit großer Sympathie unterstützen.

Hierauf, auf die deutsch-türkische Freundschaft, das Wohl des türkischen Volkes und auf Ihr besonderes Wohl, Herr Ministerpräsident, erhebe ich mein Glas.