Redner(in): k.A.
Datum: 22.11.1999
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/81/11781/multi.htm
Kultur ist der Name für alle Formen von Zweifel, von kritischer Überwindung des jeweils Normalen, der Name für geistige Innovation, für satirisches Gelächter, für Phantasie, für intellektuelle Herausforderungen - aber doch auch für Trost, für Entspannung und für all jene Formen von Unterhaltung, die nicht automatisch verdummen. Zudem hat die Kultur auch etwas über Grenzen hinweg Verbindendes. Sie ist, in einem Satz, die schönste Form politischer Freiheit in einer demokratisch verfaßten Gesellschaft. Ein Land nähme Schaden an seiner Seele, strebte es lediglich nach Mehrung seines Wohlstandes. Politik ohne Kultur ist unfrei, sprachlos und ohne Sinn. Kultur ist kein Standortfaktor, wie der Sprachgebrauch uns weismachen will; vielmehr können die Künste unsere Arbeit hinausführen aus dem begrenzten Reich der Notwendigkeit. 1. In Zeiten, in denen gespart werden muss, wird Kultur häufig an den Rationalitätskriterien monetärer Kalkulationen gemessen. Die Kultur sieht sich hinterfragt, ob sie ihr Geld wert sei. Auch für die Kultur gilt dann das Kalkül, dass sich ihre Kosten rechnen müssen auf einem Markt, der in der ökonomischen Theorie gegenüber anderen Organisationsprinzipien als rationalster Mechanismus der flexiblen Verteilung von Gütern und der Befriedigung von Bedürfnissen gilt. Jedoch, nicht jede kulturelle Leistung ist auf Märkten ab- und durchsetzbar. Diese Gefahr besteht in erster Linie für Avantgarden und Experimente. Ästhetische Innovationen und soziokulturelle Modelle suchen ihre Adressaten oft bewusst bei jenen, die auf den Arbeits- und Warenmärkten eher schwach, aber dennoch oder gerade deshalb auf Kulturangebote angewiesen sind. Gegen die auch im kulturellen Milieu in Mode gekommene Markt-Euphorie ist einzuwenden, dass sowohl ästhetisch innovative wie sozial engagierte Kulturangebote - eben weil sie sich nicht über den Markt vermitteln lassen - in besonderem Maße auf öffentliche Mittel und öffentliche Meinung angewiesen sind. Das ökonomische Regulativ kultureller Märkte fordert dann vom Staat als politisches Korrektiv eine öffentliche Förderung und Verantwortung durch eine aktive Kulturpolitik, die dem Sog der kulturindustriellen Märkte widersteht. Allerdings muss hierbei mit Augenmerk vorgegangen werden, um die kulturellen Akteure nicht von einer ökonomischen in eine politische Abhängigkeit geraten zu lassen. Vor einigen Jahren wurde lebhaft über den Standort Deutschland und Kultur als Standortfaktor diskutiert. Mir missfallen diese Ausdrücke, da Kultur ein Wert an sich darstellt, der im günstigen Fall keiner ökonomischen Begründung bedarf. Dieser günstige Fall ist aber leider nicht immer gegeben, weswegen man sich häufig veranlasst sieht, Ausgaben für Kunst und Kultur eben doch ökonomisch begründen zu müssen: Zu Recht, handelt es sich doch um die Vergabe und Verteilung von Steuermitteln. 2. Der Kulturbereich ist - über seine gesellschaftspolitische Funktion hinaus - ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Er schafft Einkommen und Beschäftigung und ist - entgegen immer wieder geäußerten Ansichten - kein Kostgänger des Staats, sondern leistet beträchtliche Zahlungen an die öffentlichen Kassen. Dies ist das Ergebnis einer Untersuchung, die das Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung im vergangenen Jahr im Auftrag des damals noch für die Kultur zuständigen Bundesministeriums des Innern über die volkswirtschaftliche Bedeutung von Kunst und Kultur durchgeführt hat. Andere Ergebnisse dieser Untersuchung, die sich vorwiegend auf das Jahr 1997 bezieht, bestätigen dieses Ergebnis: ·Rund 547.000 Personen waren 1997 in künstlerischen und sonstigen Kulturberufen erwerbstätig. Das entspricht 1,5 % aller Erwerbstätigen in der Bundesrepublik Deutschland. ·Zwischen 1993 und 1997 hat sich die Anzahl der Erwerbstätigen in künstlerischen und sonstigen Kulturberufen um 92.000 Personen erhöht. Diese Entwicklung gewinnt vor dem Hintergrund der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung besonderes Gewicht: . ·In der Gesamtwirtschaft war nämlich die Zahl aller Erwerbstätigen ( nur ) von 36,4 Millionen Personen auf 36,8 Millionen Personen gestiegen. Damit ist den Kulturberufen etwa ein Viertel des gesamten Beschäftigungszuwachses in Deutschland zuzurechnen. ·Die größten Anbieter von ( sozialversicherungspflichtigen ) Arbeitsplätzen für Künstler und Publizisten waren im Jahr 1997 die Theater und Orchester, das Verlags- und Pressewesen sowie die Fernseh- und Rundfunkanstalten gefolgt von der Filmwirtschaft. ·Im Gegensatz zu den öffentlich finanzierten Bibliotheken hat der Medienbereich expandiert. Der verschärfte Wettbewerb im Presse- und Verlagswesen, bei Hörfunk und Fernsehen hat die Nachfrage nach eigenen qualifizierten publizistischen und künstlerischen Mitarbeitern erhöht. Vermehrt wurden auch externe Leistungen eingekauft. Dadurch entstanden neue Arbeitsplätze - beispielsweise bei den Nachrichtenbüros, aber auch bei Unternehmen der Filmwirtschaft, die vermehrt von Auftragsproduktionen, aber auch von der erhöhten Nachfrage nach Werbefilmen profitierten. Gerade in diesen drei Medienbereichen hat die Anzahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Künstler und Publizisten deutlich zugenommen. ·Die Durchschnittseinkünfte, die aus selbständiger künstlerischer Tätigkeit erzielt wurden, waren wesentlich niedriger als die aller freiberuflich Tätigen. Die Verteilung der Einkünfte bei denjenigen Künstlern, die ihren Lebensunterhalt überwiegend aus selbständiger Arbeit verdienen, ist sehr ungleichmäßig: Der Personenkreis mit hohen Einkünften aus freier künstlerischer Tätigkeit war relativ klein. Künstler gehören zu den Gruppen, die Chancen haben, in Spitzeneinkommenspositionen vorzudringen. Die Risiken, in sehr niedrigen Einkommenskategorien zu verbleiben, sind allerdings auch besonders groß. Weitere Untersuchungsergebnissen des Ifo-Instituts sind: ·Über eine Million Personen waren mit der Schaffung, Verbreitung und Bewahrung von Kunst und Kultur befasst. ·Der Kunst- und Kulturbereich leistete einen Beitrag von rund 85 Mrd. DM zur Entstehung von Einkommen im Inland. ·Die Anlageinvestitionen dieses Bereiches beliefen sich auf über 12 Mrd. DM. ·Mißt man den Anteil des Kunst- und Kulturbereichs an der wirtschaftlichen Leistung aller Wirtschaftsbereiche, so zeigt sich folgendes Ergebnis: ·Der Kunst- und Kultursektor hatte einen Anteil von 2,5 % an der gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung. ·Sein Anteil an allen Erwerbstätigen lag bei 3,0 % . ·Sein Anteil an den gesamtwirtschaftlichen Anlageinvestitionen betrug 1,7 % . Kunst und Kultur werden in hohem Maß durch den Staat gefördert. 1996 betrugen die Nettoausgaben für Kultur insgesamt 17,9 Mrd. DM. Über Eintrittsgelder für Theater und Museen oder sonstige ( unmittelbare ) Einnahmen strömten 2,1 Mrd. DM wieder zurück, so dass insgesamt rund 15,8 Mrd. DM für den gesamten Kulturbereich aus Grundmitteln ( Steuern und Kredit finanzierte Ausgaben ) ausgegeben wurden. Stellt man die Übertragungen des Staates ( Grundmittel ) den Übertragungen des Kulturbereichs ( Steuern und Sozialversicherungsbeiträge der Unternehmen und ihrer Beschäftigten ) gegenüber, so ist ein deutlicher Leistungsüberschuss des gesamten Sektors an den Staat zu erkennen. Unter den klassischen Bereichen des Kunst- und Kultursektors erhielten nur die Theater und Orchester, die Museen, die Denkmalpflege ( die allerdings sehr investitionsfreudig ist ) , die sonstige Kunst- und Kulturpflege ( einschließlich Kulturverwaltung ) und der Ausbildungsbereich mehr staatliche Zuwendungen, als sie an Steuern und Sozialabgaben leisteten. Berücksichtigt man neben den klassischen Bereichen des Kunst- und Kulturbereichs auch die vor- und nachgelagerten Bereiche, so bestätigt sich, dass die Zahlungen des Kulturbereichs an den Staat die Übertragungen des Staates an den Kulturbereich weit übersteigen. Unter einer rein saldentechnischen Betrachtung rechnen sich damit öffentliche Kulturausgaben: Der Saldo der Übertragungen an den Staat ist positiv. 3. Berücksichtigen Unternehmen bei ihren Standortbewertungen und -entscheidungen das kulturelle Angebot Kann ein gutes kulturelles Image die Position einer Region im innerdeutschen und innereuropäischen Wettbewerb um Unternehmen, die sich ansiedeln wollen, verbessern und ihre Wachstumschancen erhöhenIch meine: ja, zumindest was die Niederlassung von Leitungszentralen großer Konzerne betrifft. Hier kann die kulturelle Attraktivität letztlich ein wichtiger Entscheidungsfaktor sein. Dies gilt sowohl für die Standortentscheidung nichtdeutscher Konzerne für Deutschland als auch für die Standortentscheidung deutscher Konzerne für einen europäischen oder außereuropäischen Standort. In diesem Zusammenhang spielen im übrigen auch die Goethe-Institute im Ausland eine wichtige Rolle. 4. Noch eine wichtige Anmerkung zum Standort Deutschland: Ein ausländischer Konzern wird sich nur dann für den Standort Deutschland entscheiden, wenn er sicher ist, dass fremde Kulturen und Gewohnheiten seiner Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von der heimischen Bevölkerung toleriert werden. Ein Land oder eine Region, in der die täglich erlebte Gesellschaft durch Gewalt, Extremismus und Fremdenfeindlichkeit geprägt ist, wirkt nicht gerade anziehend auf ein ausländisches Unternehmen. Bei der Bewältigung dieser Konflikte spielt die Kulturpolitik eine besondere Rolle und bietet eine besondere Chance. Denn Kulturarbeit setzt nicht an Defiziten der Menschen an, sondern an ihren kommunikativen und kreativen Kompetenzen - gleichgültig, welchem Kulturkreis sie angehören. 5. Welche konkreten Maßnahmen sind vor diesem Hintergrund aus politischer Sicht zu treffen Ziel verantwortlicher Politik ist es, die Wirtschaft in zunehmendem Maße aktiv in die Kulturentwicklung einzubinden. Ein wichtiges Mittel hierfür ist ein offensives Kultursponsoring, wie es von Theatern, den Veranstaltern großer Pop-Konzerte und Musikfestivals sowie für Projekte der bildenden Kunst bereits betrieben wird. Bei aller gebotenen Vorsicht gegenüber Marktmechanismen im Kulturbereich bin ich nicht der Meinung, dass wirtschaftliches Engagement automatisch zu einer ziellosen Kulturpolitik führen muß. Vielmehr kann das Zusammenwirken von Staat und Wirtschaft in einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Ereignissen mit Eventcharakter und denen stetiger Kulturarbeit zur Fortentwicklung der Gesellschaft führen und ein vielfältiges Kulturleben fördern. Oft wird Sport von Sponsoren stärker bevorzugt als die Kultur. Aber ist es nicht auch reizvoll, den kulturellen Bereich zu unterstützen Ich denke, dass es hier ein fruchtbares Miteinander geben kann, dessen Grenzen bisher nicht erreicht sind. 6. Ein besonders wichtiger Weg zu einer von privatem Engagement mitgetragenen Kulturgesellschaft ist das Stiftungswesen. Die Reform des Stiftungsrechts ist deshalb ein vorrangiges Anliegen der Bundesregierung. Im Koalitionsvertrag haben wir vor allem eine Verbesserung der steuerrechtlichen Rahmenbedingungen für Stiftungen vereinbart. Steuerpolitische Hemmnisse für eine aktive Sponsoring- und Stiftungskultur "sollen beseitigt, neue Möglichkeiten für Mäzenaten, Stifter und Kultursponsoren" eröffnet und steuerrechtlich attraktiv gemacht werden. Die Regierungskoaltion wird in Kürze ihre Reformvorstellungen im Detail vorstellen. Als ersten Schritt werden wir uns auf steuerrechtliche Verbesserungen konzentrieren. Das beinhaltet die Umsetzung zentraler Forderungen des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen und des Deutschen Kulturrates zum Steuerrecht. Den - auch aus Sicht der Stiftungen wichtigeren - steuerrechtlichen Teil der Stiftungsrechtsreform werden wir vorziehen, weil zum zivilrechtlichen Teil - also den Regelungen über Stiftungsgründung und Stiftungsaufsicht - noch eingehende Erörterungen mit den hiervon betroffenen Bundesländern erforderlich sind. Bei meinem Eintreten für grundlegende Verbesserungen des Stiftungsrechts, vor allem der Schaffung weiterer steuerlicher Anreize zum Stiften geht es mir auch, aber nicht nur, um die Erschließung neuer Geldquellen für die Kultur. Ich möchte hiermit nicht den Rückzug des Staates aus der Kulturförderung einläuten. Vielmehr geht es darum, zusätzlich zu staatlichen Mitteln finanzielle und geistige Kräfte in Wirtschaft und Gesellschaft zu mobilisieren. Gerade Stiftungen sind wegen ihrer Unabhängigkeit und Beständigkeit besonders gut geeignet, nachhaltig und verläßlich positiv in diese Richtung zu wirken. Marie von Ebner-Eschenbach hat einmal gesagt: Man muss Gutes tun, damit es in der Welt sei. Ich möchte dem hinzufügen, dass die Stifter und Förderer neben den ideellen Werten, die sie durch ihr Engagement zum Ausdruck bringen, auch eine Chance haben, gesellschaftliche Prozesse mitzugestalten. Und diese Möglichkeit dürfte ihren eigenen Reiz haben. 7. Wie andere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens auch stehen Kunst und Kultur am Ende dieses Jahrhunderts vor neuen Herausforderungen. Die Globalisierung mit ihren Rückwirkungen auf soziale, ökonomische und politische Prozesse auf nationalstaatlicher Ebene betreffen auch und gerade den Kulturbereich. Hinzu kommen die Folgen der Umbrüche in Europa und die Vollendung der inneren Einheit Deutschlands, die es gleichermaßen zu bewältigen gilt. In anderen Worten: Wir befinden uns in einer Zeit des Wandels, die mit neuen Anforderungen auch für die Kulturpolitik verbunden ist. Die Akteure - ob Künstler oder Publizisten, ob Unternehmen oder Institutionen - werden diesen Anforderungen nur dann gewachsen sein, wenn sie dafür geeignete Rahmenbedingungen vorfinden. Seitens der Bundesregierung kann der Beauftragte für Angelegenheiten der Kultur und der Medien hierbei nicht nur Impulse geben und Anstösse liefern. Mit einem Etat von etwa 1,7 Mrd. DM setzt er auch seine eigenen Akzente. Die Möglichkeiten des Bundes bei der Förderung von Kunst und Kultur sind zwar begrenzt, aber dennoch vorhanden. Kluge Kulturpolitik wird helfen, die Brücke in eine glücklichere Zukunft zu schlagen. Für Erlösung von allem gesellschaftlichen Übel ist sie allerdings nicht zuständig. Sie gedeiht in einer sozial gerechten, freien Gesellschaft und ist zugleich deren Bedingung.